Lernen aus der Krise
„Nicht alle Eier in einen Korb legen“ – so nennt es der Volksmund, wenn Investitionen auf viele Anlageklassen verteilt, also diversifiziert werden sollen. Zahlreiche Ratschläge dazu berücksichtigen jedoch die praktische Umsetzung zu wenig. Gerade die Finanzkrise von 2008/09 hat gezeigt, dass so genannte „moderne Anlagekonzepte“ in Krisenzeiten gern mal versagen. So kam es, dass selbst die Superstars unter den Vermögensverwaltern – etwa die US-Universitäten Harvard und Yale – am Ende des Jahres 2009 mit stattlichen Verlusten dastanden. Als Folge davon werden neue Eigenkapitalanforderungen und restriktivere Risikotoleranzen gefordert. Investoren müssen sich auf eine Zeit versteckter Risiken und größerer Volatilitäten (Kursschwankungen) gefasst machen. Doch was tun, wenn in Krisenzeiten die Marktrisiken praktisch alle miteinander korrelieren und damit jede Risikostreuung so gut wie unmöglich erscheint? Flexiblere Ansätze sind gefragt, wie sie im Bereich der alternativen Investments zu finden sind und von Hedgefonds gepflegt werden: Optionen, Futures, Leerverkäufe.
Was haben Finanzmärkte und Karl Popper gemein?
Die Idee der Risikostreuung von Kapitalanlagen ist alles andere als neu. Zugeschrieben wird sie Harry Markowitz und seiner Portfoliotheorie aus dem Jahr 1952. Mit schönen Modellen auf der Basis von Vergangenheitsdaten ließ sich seither alles und jedes überzeugend erklären – bis die Jahre 2008 und 2009 einen Strich durch die Rechnung der Portfoliomanager machten. Der Diversifikationsgedanke ist damit natürlich nicht vom Tisch, aber einige bis dahin als unumstößlich geltende Behauptungen gehören auf den Prüfstand. Philosophisch betrachtet folgt die Finanzmarkttheorie dem kritischen Rationalismus von Karl Popper: Mit einer bestehenden Theorie konforme Beobachtungen können diese nur bestätigen, keinesfalls aber beweisen; ein einziger nicht konformer Fall kann sie dagegen zum Einsturz bringen.
Grundlagenbegriffe
Zu den wichtigsten Fachtermini im Vermögensmanagement zählen die folgenden:
- Asset Allocation/Diversifikation: Die Aufteilung eines Anlagevermögens auf verschiedene Anlageklassen (Asset-Klassen), wie z. B. Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Immobilien, Hedgefonds, Private Equity usw.
- Korrelation: Das Verhältnis zwischen zwei Anlageklassen wird in der Regel mit einem Korrelationskoeffizienten bestimmt. Dieser äußert sich etwa folgendermaßen: Aktienmärkte fallen um x %, wenn sich die Rohstoffmärkte um y % verändern.
- Benchmark: Eine Benchmark ist in diesem Zusammenhang ein Vergleichsindex, an dem der Anlageerfolg gemessen wird, z. B. der Dax, SWI usw.
- Alpha: Das Alpha bezeichnet die Über- oder Unterperformance innerhalb einer Anlageklasse. Ein Vermögensmanager, der 15 % Rendite pro Jahr macht, während seine Benchmark nur 10 % schafft, hat ein Alpha von 1,5.
- Beta: Das Beta misst das Marktrisiko einer Anlageklasse. So bedeutet ein Beta von 0,5 zum Dax, dass sich die Anlageklasse zu 50 % an die Bewegungen des Dax hält.
- Strategische Asset Allocation (SAA): Damit wird eine langfristige (mehrjährige) Ausrichtung eines Portfolios bezeichnet. Ziele können Risikominimierung, Renditemaximierung oder eine Mischung aus beidem sein.
- Taktische Asset Allocation (TAA): Hier geht es um kurz- bis mittelfristige Taktiken, um die Nutzung von Marktgelegenheiten zur Schaffung von Zusatzrenditen. Die TAA sollte die Grundsätze der SAA unterstützen.
Alle im selben (sinkenden) Boot?
Das Problem mit der Diversifikation alter Schule ist, dass Anlageklassen in besonders kritischen Zeiten zu einem unerwartet gleichgerichteten Verhalten neigen. Die Finanzkrise bot dafür hinreichend Illustrationsmaterial. Korrelationen dürfen nicht als stabil betrachtet werden: In Stresszeiten gelten andere Regeln. Bei zahlreichen Konzepten des Vermögensmanagements wurden Erkenntnisse aus der Behavioral Finance (die den „Faktor Mensch“ und sein nicht immer rationales Verhalten in die Theorie einschließt) nicht oder zu wenig berücksichtigt.
„Die alte Normalität wird es nicht mehr geben!“
Inzwischen ist deutlich geworden, dass Fragen nach der Liquidierbarkeit von Vermögenswerten innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums (Liquiditätsrisiko) einen weitaus höheren Stellenwert haben sollten, als man ihnen bislang beigemessen hat. Insbesondere Pensionsfonds, Institutionen oder Vermögensmanager sollten damit rechnen, im Hinblick auf die Deckung kurzfristiger Auszahlungsnachfragen plötzlich liquide sein zu müssen – auch wenn das womöglich bedeutet, bestimmte Vermögenspositionen auf den Markt zu werfen, die man ursprünglich nicht verkaufen wollte. Mit solchen „unfreiwilligen“ Veräußerungen erklärt sich die teilweise nicht rationale Korrelation verschiedener Anlageklassen im Zuge der Finanzkrise.
„Investoren litten darunter, dass sie Diversifikation schon für Risikomanagement gehalten haben.“
Viele Maßnahmen der taktischen Asset Allocation hängen maßgeblich von den Fähigkeiten des jeweiligen Vermögensmanagers ab. Ein Hedgefonds-Manager, der sich nicht an bestimmte Benchmarks halten muss, genießt relativ große Freiheit. Er wird in der Regel nicht eine marktbasierende Strategie oder eine „Beta-Strategie“ verfolgen, sondern vielmehr seine Fähigkeiten für eine auf Know-how beruhende „Alpha-Strategie“ nutzen. Entscheidend für die Rendite ist dann nicht die Entwicklung an den Finanzmärkten, sondern das Können des Fondsmanagers.
Verbesserte Portfoliotheorie
Ein Portfolio, d. h. eine Mischung aus Anlageklassen, gilt als effizient, wenn es kein anderes Portfolio gibt, das bei gleicher Risikotoleranz eine höhere Rendite verspricht. So weit die Markowitz-Theorie. Das Problem ist nur: Sie setzt Annahmen voraus, die speziell nach 2008/09 niemand mehr als statthaft ansehen würde. Nämlich, dass Renditen einer Normalverteilung folgen (Gauß’sche Glockenkurve) und die Korrelationen der Anlageklassen bekannt und stabil sind. Diese Parameter, die man notgedrungen den Vergangenheitsdaten entnimmt, sind aber nichts weiter als Schätzwerte. Ihre Genauigkeit leidet stark, wenn die Dinge schlecht laufen. Und genau das tun sie zuweilen.
„Investoren sollten offen und bereit sein, oft wiederholte, inhaltlich aber nicht korrekte Aussagen wie ‚illiquide Anlagen sind risikoreich‘ oder ‚Hedgefonds-Investments sind heutzutage nicht mehr attraktiv‘ zu hinterfragen.“
Eine interessante, neuere Erweiterung der Portfoliotheorie sieht deshalb vor, szenariobasierte Daten in die Schätzergebnisse mit einfließen zu lassen. So werden zusätzlich extreme Ereignisse in die Rendite- und Risikoschätzungen mit einbezogen. Das Portfolio hat also auch einem Extremstresstest standzuhalten, während unter der „alten“ Portfoliotheorie die Jahre 2008/09 als bedauerliche Ausreißer abgetan worden wären. Überlegenswert ist auch der Ansatz, das so genannte Zwei-Fonds-Theorem (man mischt ein risikobehaftetes Marktportfolio mit einer risikolosen Anlage) um eine dritte Variable zu erweitern: um die Liquidität bzw. die gefürchtete Illiquidität. Einem liquiden, möglichst risikofreien Portfolio steht dann ein sehr illiquides Portfolio mit viel Renditepotenzial gegenüber.
Ein Portfolio aufbauen
In der Praxis zu kurz kommt gemeinhin auch die Frage der Pfadabhängigkeit der Investitionen. In welcher Reihenfolge soll ein Asset-Manager die Anlageklassen berücksichtigen? Nicht jeder startet mit vollständiger Liquidität, sondern vielleicht mit einem vermeintlich optimierten („pseudooptimierten“) Bestandsportfolio oder einer naiven Allokation (Gleichgewichtung). Häufigster Ausgangspunkt ist ein „Optimized Basic 3“-Portfolio aus Kasse, Aktien und Anleihen. Anschließend wird jeweils eine weitere Anlageklasse hinzugefügt und so diversifiziert. Möglich ist auch ein Bestandsaufbau von null an (Zero-based Tactical Asset Allocation, kurz: ZebTAA): Hierbei beginnt der Manager mit 100 % Kasse und fügt dann je nach Attraktivität Anleihen und Aktien (und/oder weitere Asset-Klassen) hinzu. Der Erfolg dieser Strategie hängt stark vom zielgerichteten „Picking“ der jeweils aussichtsreichsten Anlageklasse ab und eben auch von der Reihenfolge. Die Anfälligkeit gegen extreme Ereignisse kann dabei auch eine noch so hohe Prognosequalität nicht gänzlich kompensieren.
Was macht einen guten Asset-Manager aus?
Egal ob es um internes Asset-Management geht (der Manager ist Angestellter und verwaltet Investorengelder) oder um externes (Einzelpersonen oder ganze Teams arbeiten in Eigenregie): Auf die Qualität des Vermögensmanagers kommt es maßgeblich an. Die Rendite kann von den Diversifikationsfähigkeiten eines Managers und von der Auswahl besserer Wertanlagen innerhalb einer bestimmten Anlageklasse abhängen. Beachten Sie bei der Auswahl des Managers die folgenden vier Ps:
- People: Der Manager sollte mit seinem technischen Können, mit seiner Erfahrung und idealerweise mit seiner „Genialität“ überzeugen.
- Process and Philosophy: Die Anlagestrategie sollte überzeugen und gelebt werden – und nicht bloß auf dem Papier existieren.
- Performance: Wie hat der Manager bzw. sein Fonds im Vergleich zu anderen abgeschnitten? Passen Sie auf, wenn Ihnen so genannte Pro-forma-Wertentwicklungen präsentiert werden, die auf Rückberechnungen beruhen.
- Partnership Details: Die juristischen Aspekte sollten auch nicht vergessen werden, z. B. mögliche Interessenkonflikte, Kündigungsklauseln usw.
„Es existiert keine attraktive Alternative zu einer breiten Diversifikation der Anlageklassen über längere Zeiträume.“
Nur ganz wenige Manager übertreffen ihre Benchmark Jahr für Jahr. Oft wird vergessen, dass die Ergebnisse von dauerhaften Outperformern in erster Linie von den Marktsegmenten bestimmt werden, in denen sie aktiv sind – u. U. kann ein Asset-Manager gar nichts für eine herausragende Kursentwicklung, z. B. wenn in einem Jahr zufällig Aktien kleinerer Unternehmen, in die er investiert hat, besonders gefragt waren. Die sorgfältige Manager-Selektion ist also ebenso wichtig wie die Asset-Allocation, mit der sich die Manager dann beschäftigen.
Risiko-Overlay
Systematische Marktrisiken – also z. B. solche, die mit Aktien generell verbunden sind, im Gegensatz etwa zu Staatsanleihen – lassen sich mit Absicherungsstrategien eindämmen. Zahlreiche dieser vermeintlichen „Versicherungen“ haben sich im Zuge der Krise jedoch als nicht zufriedenstellend erwiesen. Von Overlay spricht man, wenn ein (evtl. nur temporär) nicht mehr erwünschtes Investment nicht verkauft wird, sondern dessen Kursentwicklung durch den Einsatz von Derivaten abgesichert wird. Empfehlenswert sind getrennte Risiko-Budgets pro Anlageklasse.
Das ideale Portfolio
Wie sieht denn nun ein diversifiziertes Idealportfolio für einen hypothetischen Investor aus, wenn dieser all die neuen Erkenntnisse berücksichtigt? Achten Sie darauf, dass sowohl liquide als auch semiliquide Investments vertreten sind (auch illiquide sind erlaubt, sofern sie tolerierbar sind), ebenso indirekte und direkte Investments, Absicherungspositionen (Overlays für diejenigen Anlagen, bei denen es sinnvoll erscheint), aktive und passive (einen Index nachbildende) Investments und solche, deren Kauf- bzw. Verkaufsentscheidungen entweder automatisch oder nach Prüfung durch den Asset-Manager erfolgen. Die Antwort auf die Probleme während und nach der Finanzkrise lautet also nicht, dass Diversifikation nichts bringt – im Gegenteil, es ist diese Art systematischer Diversifikation, an der es bislang mangelte.