Die Macht der Kultur im Unternehmen
Worin unterscheidet sich Ihr Unternehmen von anderen? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Sie beim Beantworten dieser Frage Ihre Strategien, Werte und Visionen anführen. Weniger ins Bewusstsein gerückt wird dagegen oft die Erkenntnis, dass es die Kultur ist, die jedes Unternehmen, auch Ihres, ganz entscheidend prägt. Die meist unbewussten kulturellen Kräfte bestimmen, wie in einem Betrieb gedacht und entschieden wird. Sie prägen die Strategien und das Verhalten Ihres Unternehmens in entscheidender Weise. Solange Ihr Unternehmen erfolgreich ist, ist das weiter kein Problem. Kritisch wird die Situation erst dann, wenn sich die Kultur zum Erfolgshindernis entwickelt.
Die Ausprägungen der Unternehmenskultur
Die Unternehmenskultur wirkt im Hintergrund, sozusagen im Verborgenen. Sie hat aber Auswirkungen auf unterschiedlichen Ebenen:
- Für den außenstehenden Betrachter werden zuerst die Strukturen und Prozesse, die für Ihr Unternehmen charakteristisch sind, deutlich. Man sieht etwa, dass die Mitarbeiter sich informell kleiden und alle Türen offen stehen oder aber dass korrekt gekleidete Menschen auf langen Gängen mit gedämpfter Stimme sprechen. Meist lässt sich kaum erkennen, was zu diesen so genannten Artefakten geführt hat. Das Wesen der ihnen zugrunde liegenden Kultur ist nur schwer zu entschlüsseln.
- Die nächste Ebene besteht aus den öffentlich propagierten Werten. Diese äußern sich in Ihren Strategien, Zielen und Philosophien.
- Die unausgesprochenen Annahmen sind die eigentliche Quelle hinter diesen sichtbaren Dingen. Die Kultur, die sich über Jahre entwickelt hat, bestimmt die Überzeugungen, Werte und Gefühle, die Manager und Mitarbeiter in Form von Strukturen und Prozessen umsetzen.
Das Wesen der Unternehmenskultur
Die Kultur ist ein komplexes, aber reales Phänomen im Unternehmen, das sich nur mithilfe einer sorgfältigen Analyse verstehen lässt. Was Sie über Ihre Kultur wissen müssen:
- Kultur ist tief: Die Kultur prägt Ihr Unternehmen bis in die tiefsten Schichten und ihr Einfluss reicht bis ins Unbewusste. Sie können die Unternehmenskultur nicht verstehen, wenn Sie nur die sichtbaren Phänomene berücksichtigen. Die Kultur hat eine solch starke Auswirkung, weil sie allen Aktionen Ihres Unternehmens Bedeutung und Berechenbarkeit verleiht und unterschwellig für den bisherigen Markterfolg entscheidend war.
- Kultur ist breit: Im Lauf der Zeit wurden die kulturellen Annahmen auf alle Beziehungen nach innen und außen ausgedehnt. Sie bestimmen das Verhalten gegenüber den Kunden und dem Chef. Sie legen auch fest, was im Unternehmen als unantastbarer Wert gilt. Weil die Kultur in Ihrem Unternehmen so allumfassend wirkt, sollten Sie sie stets im Hinblick auf bestimmte Fragestellungen und Probleme zu entschlüsseln versuchen. Vor allem dort, wo es Probleme gibt, ist es notwendig, die Kultur zu verstehen.
- Kultur ist stabil: Ihre Kultur ist der stabilste Aspekt Ihres Unternehmens. Ihre Mitarbeiter wollen keine Veränderung der Kultur, weil diese ihnen Sinn und Halt bietet. Jeder Veränderungsversuch löst zuerst einmal Ängste und Widerstand aus.
„Die Kultur eines Unternehmens ist wichtig, weil Entscheidungen, die in Unkenntnis der kulturellen Mechanismen getroffen werden, unerwartete und unwillkommene Folgen haben können.“
Eine Organisationskultur wird durch den Erfolg des Unternehmens verankert. Die Mitarbeiter sehen sie unbewusst als Schlüssel für das Überleben der Firma. Jedes Unternehmen hat seine eigene Kultur. Deshalb ist es verständlich, dass erfolgreiche Unternehmen nicht von ihrer Kultur abweichen wollen.
Kultur schließt aus und ein
Ihre Kultur führt zu einer gemeinsamen Sprache und zu einheitlichen Konzepten. Damit setzt sie auch Grenzen: Wer gehört noch zu uns und ist Teil unserer Familie? Und wer steht schon außerhalb unserer Kultur? Die Kultur schafft einen Kreis von Eingeweihten, die die tieferen Geheimnisse kennen. Sie bestimmt auch die Art der Beziehungen zwischen den Mitgliedern des Unternehmens. Dazu gehören der Umgang mit Autorität, die Offenheit untereinander und auch die Frage, inwiefern private Angelegenheiten ins Unternehmen eingebracht werden. Ein extremes Beispiel: Ein Angestellter ging, nachdem seine Frau sich das Leben genommen hatte, zur Arbeit, als wäre nichts geschehen. Seine Kollegen erfuhren erst sechs Monate später von der Tragödie. Je nach Kultur sehen auch Belohnungen anders aus und definiert sich Status unterschiedlich.
„Die gemeinsam erlernten Werte, Überzeugungen und Annahmen, die für selbstverständlich gehalten werden, wenn das Unternehmen weiterhin erfolgreich ist, sind die Essenz der Unternehmenskultur.“
Die Kulturen, in denen wir uns beruflich und privat bewegen, prägen unser gesamtes Weltbild. Sie bestimmen, wie wir die Realität sehen und nach welchen Prinzipien wir handeln, etwa ob wir vorwiegend individualistisch oder eher gemeinschaftlich vorgehen. Sie bestimmen, wie wir die Zeit sehen, ob Pünktlichkeit großgeschrieben wird oder nicht. Sie prägen auch unseren Umgang mit dem Raum, haben eine Auswirkung darauf, ob wir eine offene Büroarchitektur mögen oder die Dinge lieber hinter verschlossenen Türen regeln. Alle Änderungen Ihrer Kultur müssen sie äußerst vorsichtig angehen, wenn Sie unangenehme Folgen vermeiden wollen. Meistens beinhaltet eine Kultur bestimmte Aspekte, die für Ihre Ziele hilfreich sind, und andere, die sich hinderlich auswirken. Darüber müssen Sie im Vorfeld Klarheit gewinnen.
Wie können Sie die Kultur Ihres Unternehmens erheben?
Zuerst müssen Sie sich über Ihre Zielsetzungen im Klaren sein. Geht es darum, Kulturelemente, die dysfunktional geworden sind, gezielt zu verändern? Ergeben sich besondere strategische Fragen aufgrund von Fusionen, Zukäufen oder Joint Ventures? Egal was der Anlass ist: Verwenden Sie für eine Erhebung nicht Fragebögen, denn die sind in keinem Fall effektiv. Denn jedes Unternehmen hat seine eigene Kultur, und Sie wissen am Anfang noch gar nicht, welche Fragen Sie stellen müssen, um sie zu ergründen. Kultur ist zudem immer ein Gruppenphänomen. Meist werden erst in der Interaktion unterschiedlicher Gruppenmitglieder die Bereiche identifiziert, die Probleme verursachen. Besonders wichtig ist die Beobachtung, mit welcher emotionalen Intensität die Einzelnen reagieren. Zur Ergründung der wahren Unternehmenskultur sind also Einzelgespräche und Fokusgruppen wesentlich besser geeignet als Fragebögen, vor allem wenn sie von einem erfahrenen Moderator durchgeführt werden. Binnen eines halben Tages lassen sich damit sinnvolle Einblicke gewinnen. Bestimmte Sichtweisen sind so zementiert, dass sie nur schwer veränderbar sind. Das trifft nicht nur auf das Unternehmen selbst zu, sondern auch auf die in Ihrem Unternehmen tätigen Berufsgruppen wie Ingenieure und Marketingfachleute, die oft Subkulturen bilden. In manchen Fällen ist es wichtig, auch diese Subkulturen zu analysieren.
„Denken Sie daran, dass es keine richtigen Antworten gibt. Kulturen sind verschieden, und jede Kultur kann unter bestimmten Umständen gut funktionieren, in anderen Situationen dagegen gar nicht.“
Die Diagnose Ihrer Kultur sollte immer von einem Problem oder einer spezifischen Fragestellung ausgehen. Formulieren Sie so klar wie möglich, welche konkrete Leistungsverbesserung das Ziel der Kulturarbeit ist. Durch den Erhebungsprozess sollen die Stärken und Schwächen Ihrer Unternehmenskultur im Hinblick auf Ihre Ziele aufgedeckt werden. Anschließend ist es viel leichter, die Stärken zu nutzen, als zu versuchen, die Schwächen durch Veränderungen zu überwinden.
Unternehmenskultur in der Praxis
In jungen, erfolgreichen Unternehmen dominieren die Werte der Gründer. Wenn Sie die Kultur eines solchen Unternehmens steuern wollen, dann geschieht das am besten, indem Sie die Einsicht fördern, dass bestimmte Kulturelemente sich allmählich dysfunktional auswirken. Hilfreich ist dabei, wenn Sie sich der Unterstützung von Mitarbeitern versichern, die einerseits in der bestehenden Kultur verankert sind, andererseits aber auch Annahmen vertreten, die zur äußeren Realität passen. Bei etablierten Unternehmen mit verfestigten Kulturelementen ist oft ein Transformationsprozess erforderlich. Meist entsteht die Bereitschaft dazu, wenn offensichtlich wird, dass die Zukunft des Unternehmens auf dem Spiel steht. Im Vordergrund des Transformationsprozesses steht der Versuch, neue Konzepte zu erlernen und alte umzudefinieren, indem man ihnen einen neuen Sinn gibt. Abschließend müssen dann diese neuen oder umgedeuteten Kulturaspekte in den Unternehmensalltag integriert werden.
„Die Stärke und Tiefe einer Unternehmenskultur spiegelt erstens die Stärke und Klarheit des Unternehmensgründers, zweitens die Menge und Intensität der gemeinsamen Erfahrungen der Mitarbeiter und drittens den Unternehmenserfolg.“
Ein wesentlicher Widerstand, der dem Transformationsprozess entgegensteht, ist die Lernangst der Beteiligten. Sie fürchten sich davor, vorübergehend inkompetent zu wirken, weil sie die neuen Wege noch nicht kennen. Da die alte Kultur sinnstiftend wirkte, besteht zudem die Angst vor einem Identitätsverlust. Deshalb gelten zwei Prinzipien für die Transformation:
- Sie funktioniert nur, wenn die Überlebensangst oder Schuldgefühle etwa aufgrund von Skandalen die Lernangst überwiegen.
- Es geht nicht darum, die Überlebensangst zu steigern, sondern die Lernangst zu überwinden. Dafür muss psychologische Sicherheit geschaffen werden, etwa durch eine glaubwürdige neue Vision und ausreichend Training und Unterstützung.
„Die Kultur eines gegebenen Unternehmens ist ,richtig‘, solange das Unternehmen mit seiner primären Aufgabe Erfolg hat. Hat das Unternehmen keinen Erfolg mehr, heißt das, Elemente der Kultur sind dysfunktional geworden und müssen sich verändern.“
Zur Durchführung von Transformationen haben sich temporäre parallele Lernsysteme als nützlich erwiesen. Hier können neue Annahmen erlernt und ihr erfolgreicher Einsatz erprobt werden, ohne dass die ursprüngliche Kultur bereits in ihren Grundfesten erschüttert wird. Diesen Prozess sollte ein Veränderungsteam aus Führungskräften und Schlüsselmitarbeitern steuern.
Die Besonderheiten reifer Unternehmen
Irgendwann entwickelt sich ein Unternehmen in der Regel so, dass es nicht mehr von den Gründern, sondern von einem Managementteam geführt wird. Die Unternehmensführung schafft dann nicht mehr die Kultur, sondern umgekehrt: Die Kultur bringt eine bestimmte Art der Leitung hervor. Diese verfällt leicht in bestimmte, feste Routinen, die nur schwer zu durchbrechen sind. Ein solcher Durchbruch kann mithilfe eines genau geplanten Kulturwandelprozesses gelingen. Wenn das nicht ausreicht, sind drastischere Methoden erforderlich. Ein geeigneter Weg ist es oft, sich einen CEO von außen zu holen, der von den kulturellen Einflüssen und Annahmen der Vergangenheit befreit ist und neue Denkansätze einbringt. Gelegentlich kann es auch helfen, einen Manager aus einer Subkultur des Unternehmens für diese Aufgabe einzusetzen.
Mergers and Acquisitions und Joint Ventures
Bei Unternehmenszusammenschlüssen und -kooperationen treffen immer unterschiedliche Kulturen aufeinander. Es ist notwendig, die entsprechend anders gestalteten kulturellen Annahmen zu entschlüsseln und anschließend einen intensiven Dialog zwischen den unterschiedlichen Gruppen zu fördern. Nur so kann die Zusammenarbeit erfolgreich sein.
Die Beschäftigung mit der Unternehmenskultur ist keine leichte Arbeit. Sie kann aber sehr lohnenswert sein, weil dadurch wesentliche Aspekte des Unternehmens erhellt werden und dessen Zukunft gezielter gesteuert werden kann.