Hilfe zur Selbsthilfe
Ob Umstrukturierungen, Fusionen, Teambildungen oder ineffiziente Abläufe – Probleme und Beratungsbedarf gibt es in vielen Unternehmen. Wenn Manager einen Berater engagieren, haben sie zunächst ein Anliegen, bei dem sie Hilfe brauchen. Der Berater kommt, macht sich ein Bild von der Problemlage und präsentiert Lösungen – fertig. Prozessberatung – im Gegensatz zur eben geschilderten Expertenberatung – verläuft ganz anders, denn sie geht davon aus, dass der Klient die Lösung seines Problems aufgrund der täglichen Arbeit selbst am besten kennt. Das aber ist ihm gar nicht bewusst. Der Berater hat die Aufgabe – im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe –, in Zusammenarbeit mit dem Klienten die Prozesse zu analysieren, sodass dieser die bestehenden Probleme am Ende selbstständig lösen kann.
Der Klient wahrt sein Gesicht
Egal ob Sie als professioneller Berater agieren oder eine Führungskraft sind, die einem Mitarbeiter Hilfe anbietet: Ihre Beratung ist immer dann besonders erfolgreich und lösungsorientiert, wenn das Gegenüber sich nicht unterlegen fühlt. Zur Schau gestellte Überlegenheit, die Berater aufgrund ihrer Fachkenntnis durchaus besitzen mögen, demütigt den Klienten und blockiert wahrscheinlich die weitere Kommunikation. Zu den schlimmsten sozialen Regelverletzungen gehört es, wenn der Klient sein Gesicht verliert. Das kann z. B. geschehen, wenn der Berater das geschilderte Problem als uninteressant oder banal einstuft.
„Prozessberatung ist eine Philosophie des Helfens – des Prozesses des Helfens und der hinter der Hilfeleistung für Einzelne, Gruppen, Organisationen und Gemeinschaften stehenden Haltung.“
In einem Theaterstück würde der Klient dem Protagonisten entsprechen, der sich stets im Rampenlicht befindet, wohingegen der Prozessberater das Publikum darstellt und zunächst beobachtet. Er greift nur ab und zu fragend ein.
Prozessberatung vs. Expertenberatung
Beratung ist nicht gleich Beratung. Bei der Expertenberatung ist der Berater in erster Linie Fachexperte. Das ist etwa im IT-Bereich häufig der Fall. Der Kunde oder Klient kauft Know-how. Diese Art der Beratung ist immer dann notwendig, wenn es sich um die Lösung rein fachlicher Probleme handelt. Damit Expertenberatung von Erfolg gekrönt ist, müssen einige wichtige Fragen beantwortet werden:
- Kennt der Klient seine Probleme und Wünsche überhaupt?
- Kann er sie dem Berater richtig vermitteln?
- Kann er beurteilen, ob der Berater in der Lage ist, zu helfen?
- Ist dem Klienten bewusst, welche Folgen die vom Berater empfohlenen Lösungen und die sich daraus ergebenden Veränderungen haben?
„Beratung bedeutet zu helfen. Jeder Kontakt sollte, so weit möglich, als hilfreich wahrgenommen werden.“
Problematisch ist, dass der Klient bei der Expertenberatung Einfluss verliert, denn sobald der Auftrag an den Berater erteilt ist, steckt er in einem Abhängigkeitsverhältnis. Der Prozessberater ergründet gemeinsam mit dem Klienten, den Kern des Problems. Dabei stellt sich oft erst im Verlauf der Gespräche heraus, welche anderen Personen noch beteiligt sein könnten oder sollten, manchmal werden auch völlig neue Probleme erkannt oder es zeigt sich, dass die Beratung gar nicht mehr nötig ist. Ein entscheidender Grundsatz lautet: Bei der Prozessberatung bleibt der Kunde für sein Problem selbst verantwortlich, er gibt es nicht ab, sondern erhält nur Hilfestellung, um selber Ansätze zur Problemlösung zu finden.
„Letztendlich geht es bei der Prozessberatung darum, den Klienten das Diagnose- und Interventions-Know-how zu vermitteln, damit diese befähigt werden, die Organisation selbst sukzessive zu verbessern.“
Berater müssen immer wieder entscheiden, ob sie sich gerade im Modus der Experten- oder der Prozessberatung befinden, und ständig bereit sein, einmal ihr Expertenwissen einzusetzen und dann wieder Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
Arbeiten mit Unwissenheit
Zu den wichtigsten Methoden der Prozessberatung gehört die Auseinandersetzung mit dem, was man nicht weiß. Fragen zu stellen oder das Gehörte zu resümieren („Habe ich das richtig verstanden?“) dient dazu, Ihre Beobachtungen mit den Ausführungen des Klienten abzugleichen. Fragen Sie nach und geben Sie Rückmeldung.
„Einer der grundlegendsten Lernprozesse ist das Geben und Erhalten von bewusstem Feedback.“
Auch nichts zu sagen, aber zuzuhören, ist eine Intervention. Nicht selten erhalten Sie durch Schweigen und Zuhören wichtige weitere Informationen, die Ihr Urteil beeinflussen. Sie müssen noch nicht einmal auf jede Frage des Klienten antworten, sondern können eine Zeit lang abwarten, ob die Antwort nicht von Ihrem Gegenüber selbst kommt.
Aktive Frageweise
In der Prozessberatung hilft das aktive Fragen und Zuhören den Klienten bei der Lösungsfindung. Hier hat der Klient eine aktive Rolle. Das steigert sein Selbstwertgefühl, was ihm wiederum die Sicherheit vermittelt, auch Fakten und Emotionen anzusprechen, die ihm Sorgen bereiten. Der Klient sollte seine Situation so umfassend wie möglich schildern. Geeignet sind drei Arten von Fragen:
- Tatsachenfragen: Schweigen, eine ermunternde Körperhaltung und Formulierungen wie „Was kann ich für Sie tun?“ regen das Gegenüber an, sich mitzuteilen.
- Diagnostische Fragen: Das können beispielsweise gezielte Fragen nach den Gefühlen des Klienten sein oder nach seiner Meinung, warum eine Sache so und nicht anders passiert ist. Außerdem können hier Fragen einfließen, die Absichten oder geplante Maßnahmen betreffen.
- Konfrontative Fragen: Über sie vermittelt der Berater dem Klienten seine Ideen oder Meinungen zum Gesagten und bringt ihn dazu, sich mit dem Problem aus einer Fremdperspektive heraus zu beschäftigen. Beispiel: „Könnten Sie nicht ... unternehmen?“
Feedback bewusst geben
Feedback gibt darüber Auskunft, inwiefern man einem Ziel näher gekommen ist. Damit man den anderen nicht verunsichert oder gar brüskiert, braucht es Regeln; das wiederum setzt gegenseitiges Vertrauen voraus. Die folgenden Grundsätze für bewusstes Feedback sollten Sie im Auge behalten:
- Achten Sie darauf, dass über die Ziele des Feedback-Empfängers Einigkeit herrscht.
- Wenn Sie Feedback geben, sollten positive Aspekte hervorgehoben werden.
- Wenn es für die Lösung eines Problems wichtig ist, sollten Sie auch zu negativem Feedback in der Lage sein. Nennen Sie in diesem Fall konkrete Beispiele.
- Bemühen Sie sich um klare, nachvollziehbare Äußerungen.
- Machen Sie deutlich, dass Sie sich für Ihre Feedback-Äußerungen verantwortlich fühlen. Bauen Sie Ich-Botschaften ein, statt verallgemeinernde Formulierungen zu verwenden.
- Es kommt auf den richtigen Zeitpunkt für das Feedback an. Beide Seiten müssen empfänglich sein oder sich auf einen Zeitpunkt einigen.
Der BRUI-Zyklus – was im Kopf passiert
Um Kommunikationsprozesse zu begreifen, ist es wichtig, auch auf das zu achten, was sich jenseits der verbalen Äußerungen abspielt. Beziehungen zwischen Menschen und innerhalb von Gruppen oder Teams sind von nicht sichtbaren Abläufen geprägt. Der Mensch beobachtet (B), reagiert (R), urteilt (U) und interveniert (I). Nicht nur für Berater, auch für Führungskräfte ist es hilfreich, diese Mechanismen zu kennen.
- Das Beobachten ist nicht ein exaktes Registrieren der Realität, sondern wird durch Erwartungshaltungen, Meinungen oder Vorurteile gefiltert. Diese gilt es so weit wie möglich zu durchschauen und zu reduzieren.
- Menschliche Reaktionen werden häufig von Emotionen ausgelöst. Gleichzeitig lernen wir aber, unsere Gefühle zu beherrschen oder sie gar zu verleugnen, und manchmal sind wir uns unserer Emotionen gar nicht bewusst. Daher ist es bei der Prozessberatung von großer Bedeutung, die eigenen Gefühle zu kennen.
- Annähernd richtige Urteile über eine Situation zu fällen, gelingt nur, wenn die Faktenlage stimmt. Haben wir sie schon zu Beginn nicht richtig wahrgenommen oder haben Emotionen die Wahrnehmung verzerrt, gelangen wir zu falschen Urteilen.
- Intervenieren, also etwa Meinungen zu äußern, ist das Ergebnis der Beurteilung. War aber schon die Beobachtung verzerrt und von Emotionen geprägt, kommt es nicht selten zu einer Reflexreaktion, die problematisch sein kann: So könnte der Berater etwa eine Haltung als aggressiv interpretieren, obwohl sie das gar nicht war; er glaubt, nur zu reagieren – und ist eigentlich selbst der Aggressor.
„Der Berater liefert ständig Feedback, selbst wenn er sich jeder Äußerung enthält.“
Für Berater ebenso wie für Führungskräfte ist es wichtig, ständig Informationen aufzunehmen, über ihre Wahrnehmungen nachzudenken und erst danach zu urteilen. Auf diese Weise lassen sich Schwierigkeiten im Kommunikationsprozess vermeiden.
Zehn Prinzipien der Prozessberatung
Eine erfolgreiche Beratung ist von dem Gefühl geprägt, dass sich zwischen Berater und Klient eine gute Beziehung aufgebaut hat. Diese zehn Prinzipien sind entscheidend:
- Bemühen Sie sich immer zu helfen. Die ehrliche Absicht garantiert, dass sich eine Beziehung zwischen Berater und Klient überhaupt entwickeln kann.
- Behalten Sie die Realität im Auge. Nur wenn Sie verstehen, was in Ihnen und in Ihrem Klienten vorgeht, können Sie helfend eingreifen.
- Arbeiten Sie mit Ihrer Unwissenheit. Nicht was Sie vermuten, sondern was Sie tatsächlich wissen, entspricht der Realität. Daher stellen Sie keine Fragen, nur um etwas anzunehmen oder vorauszusetzen.
- Jede Art von Handlung bedeutet, zu intervenieren. Was immer Sie als Berater tun, müssen Sie vorher auf die Konsequenzen bezüglich des Helfens hin überprüfen.
- Die Problematik und alle Lösungen sind Sache des Klienten. Der Klient muss mit den Konsequenzen des Problems zurechtkommen, das Gleiche gilt für die Lösungen – er trägt also die Verantwortung.
- Bleiben Sie im Flow. Die Gefühle des Klienten und die persönlichen Empfindungen des Beraters geben die Richtung der Beratung an, vorgefasste Stereotype sind fehl am Platz. Klient und Berater sollen sich zu einem Team entwickeln.
- Es kommt auf den richtigen Zeitpunkt an. Nicht jeder Moment eignet sich dafür, seine persönliche Sichtweise einzubringen. Wichtig ist z. B. der Grad der Aufmerksamkeit des Klienten.
- Nutzen Sie richtige Momente für frischen Input und konfrontieren Sie den Klienten mit neuen Sichtweisen.
- Jede Reaktion liefert neue nützliche Information. Dazu gehören auch negative Reaktionen des Klienten, die zu frischen Erkenntnissen führen.
- Wenn Sie nicht mehr weiterwissen, beziehen Sie den Klienten in Ihre Überlegungen mit ein. Warum sollten Sie immer genau wissen, wie es weitergehen muss?