Prozessberatung für die Organisation der Zukunft

Buch Prozessberatung für die Organisation der Zukunft

Der Aufbau einer helfenden Beziehung

EHP,
Erstausgabe:2003


Rezension

Jede dritte Beratung geht schief, weil die Unternehmen Berater nach falschen Kriterien auswählen oder weil die Projekte schlicht un­zure­ichend vorbereitet sind. Solche und ähnliche Hiob­s­botschaften sind immer wieder in der einschlägigen Fachpresse zu lesen. Tatsache ist: Falsch besetzte Pro­jek­t­teams und un­zure­ichende Klarheit darüber, was Klienten eigentlich wollen, sind zwei der Kar­di­nalfehler. Zu den An­forderun­gen an die Berater gehören daher neben fachlichem Know-how vor allem soziale und kom­mu­nika­tive Kompetenzen wie beispiel­sweise die Fähigkeit zur Steuerung von Grup­pen­prozessen. In genau die gleiche Richtung zielt auch Edgar H. Schein in diesem Buch, das bereits als Klassiker der Or­gan­i­sa­tions­ber­atung gilt. An­gere­ichert mit der geballten Con­sult­ing-Er­fahrung von 50 Jahren sowie mit vielen Beispielen und Übungen, ist es für jeden Berater und Coach ein Muss. BooksInShort empfiehlt es darüber hinaus auch allen Führungskräften, die mit Beratern zusam­me­nar­beiten oder die Mitarbeiter coachen.

Take-aways

  • Berater müssen in der Lage sein, zwischen Experten- und Prozess­ber­atung hin und her zu wechseln.
  • Bei der Ex­perten­ber­atung kaufen Unternehmen fachliches Know-how und geraten u. U. in ein Abhängigkeitsverhältnis.
  • Prozess­ber­ater hingegen machen das Problem des Klienten nicht zu ihrem eigenen, sondern unterstützen ihn bei der Lösungssuche.
  • Aktives Fragen ist eine der ef­fek­tivsten Methoden der In­for­ma­tion­s­gewin­nung.
  • Stellen Sie Tat­sachen­fra­gen, di­ag­nos­tis­che Fragen oder kon­fronta­tive Fragen.
  • Berater sollten mit ihrem eigenen Nichtwissen arbeiten und nicht mit Vorannahmen in die Beratung einsteigen.
  • Bewusstes Feedback sollte im Wesentlichen positiv formuliert werden.
  • Jede Handlung, jede Äußerung und sogar das Schweigen stellen In­ter­ven­tio­nen des Beraters dar.
  • Eine der wichtigsten Regeln der Prozess­ber­atung ist, dass keine der Parteien einen Gesichtsver­lust erleiden darf.
  • Der richtige Zeitpunkt ist entschei­dend: Nicht jeder Moment eignet sich dafür, seine Sichtweise einzubrin­gen.
 

Zusammenfassung

Hilfe zur Selbsthilfe

Ob Um­struk­turierun­gen, Fusionen, Team­bil­dun­gen oder in­ef­fiziente Abläufe – Probleme und Be­ratungs­be­darf gibt es in vielen Unternehmen. Wenn Manager einen Berater engagieren, haben sie zunächst ein Anliegen, bei dem sie Hilfe brauchen. Der Berater kommt, macht sich ein Bild von der Problemlage und präsentiert Lösungen – fertig. Prozess­ber­atung – im Gegensatz zur eben geschilderten Ex­perten­ber­atung – verläuft ganz anders, denn sie geht davon aus, dass der Klient die Lösung seines Problems aufgrund der täglichen Arbeit selbst am besten kennt. Das aber ist ihm gar nicht bewusst. Der Berater hat die Aufgabe – im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe –, in Zusam­me­nar­beit mit dem Klienten die Prozesse zu analysieren, sodass dieser die bestehenden Probleme am Ende selbstständig lösen kann.

Der Klient wahrt sein Gesicht

Egal ob Sie als pro­fes­sioneller Berater agieren oder eine Führungskraft sind, die einem Mitarbeiter Hilfe anbietet: Ihre Beratung ist immer dann besonders erfolgreich und lösung­sori­en­tiert, wenn das Gegenüber sich nicht unterlegen fühlt. Zur Schau gestellte Überlegen­heit, die Berater aufgrund ihrer Fachken­nt­nis durchaus besitzen mögen, demütigt den Klienten und blockiert wahrschein­lich die weitere Kom­mu­nika­tion. Zu den schlimmsten sozialen Regelver­let­zun­gen gehört es, wenn der Klient sein Gesicht verliert. Das kann z. B. geschehen, wenn der Berater das geschilderte Problem als un­in­ter­es­sant oder banal einstuft.

„Prozess­ber­atung ist eine Philosophie des Helfens – des Prozesses des Helfens und der hinter der Hil­feleis­tung für Einzelne, Gruppen, Or­gan­i­sa­tio­nen und Gemein­schaften stehenden Haltung.“

In einem Theaterstück würde der Klient dem Pro­tag­o­nis­ten entsprechen, der sich stets im Rampenlicht befindet, wohingegen der Prozess­ber­ater das Publikum darstellt und zunächst beobachtet. Er greift nur ab und zu fragend ein.

Prozess­ber­atung vs. Ex­perten­ber­atung

Beratung ist nicht gleich Beratung. Bei der Ex­perten­ber­atung ist der Berater in erster Linie Fachexperte. Das ist etwa im IT-Bereich häufig der Fall. Der Kunde oder Klient kauft Know-how. Diese Art der Beratung ist immer dann notwendig, wenn es sich um die Lösung rein fachlicher Probleme handelt. Damit Ex­perten­ber­atung von Erfolg gekrönt ist, müssen einige wichtige Fragen beantwortet werden:

  • Kennt der Klient seine Probleme und Wünsche überhaupt?
  • Kann er sie dem Berater richtig vermitteln?
  • Kann er beurteilen, ob der Berater in der Lage ist, zu helfen?
  • Ist dem Klienten bewusst, welche Folgen die vom Berater empfohlenen Lösungen und die sich daraus ergebenden Veränderungen haben?
„Beratung bedeutet zu helfen. Jeder Kontakt sollte, so weit möglich, als hilfreich wahrgenom­men werden.“

Prob­lema­tisch ist, dass der Klient bei der Ex­perten­ber­atung Einfluss verliert, denn sobald der Auftrag an den Berater erteilt ist, steckt er in einem Abhängigkeitsverhältnis. Der Prozess­ber­ater ergründet gemeinsam mit dem Klienten, den Kern des Problems. Dabei stellt sich oft erst im Verlauf der Gespräche heraus, welche anderen Personen noch beteiligt sein könnten oder sollten, manchmal werden auch völlig neue Probleme erkannt oder es zeigt sich, dass die Beratung gar nicht mehr nötig ist. Ein entschei­den­der Grundsatz lautet: Bei der Prozess­ber­atung bleibt der Kunde für sein Problem selbst ve­r­ant­wortlich, er gibt es nicht ab, sondern erhält nur Hil­festel­lung, um selber Ansätze zur Problemlösung zu finden.

„Let­z­tendlich geht es bei der Prozess­ber­atung darum, den Klienten das Diagnose- und In­ter­ven­tions-Know-how zu vermitteln, damit diese befähigt werden, die Or­gan­i­sa­tion selbst sukzessive zu verbessern.“

Berater müssen immer wieder entscheiden, ob sie sich gerade im Modus der Experten- oder der Prozess­ber­atung befinden, und ständig bereit sein, einmal ihr Ex­perten­wis­sen einzusetzen und dann wieder Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.

Arbeiten mit Un­wis­senheit

Zu den wichtigsten Methoden der Prozess­ber­atung gehört die Au­seinan­der­set­zung mit dem, was man nicht weiß. Fragen zu stellen oder das Gehörte zu resümieren („Habe ich das richtig verstanden?“) dient dazu, Ihre Beobach­tun­gen mit den Ausführungen des Klienten abzu­gle­ichen. Fragen Sie nach und geben Sie Rückmeldung.

„Einer der grundle­gend­sten Lern­prozesse ist das Geben und Erhalten von bewusstem Feedback.“

Auch nichts zu sagen, aber zuzuhören, ist eine In­ter­ven­tion. Nicht selten erhalten Sie durch Schweigen und Zuhören wichtige weitere In­for­ma­tio­nen, die Ihr Urteil bee­in­flussen. Sie müssen noch nicht einmal auf jede Frage des Klienten antworten, sondern können eine Zeit lang abwarten, ob die Antwort nicht von Ihrem Gegenüber selbst kommt.

Aktive Frageweise

In der Prozess­ber­atung hilft das aktive Fragen und Zuhören den Klienten bei der Lösungs­find­ung. Hier hat der Klient eine aktive Rolle. Das steigert sein Selb­st­wert­gefühl, was ihm wiederum die Sicherheit vermittelt, auch Fakten und Emotionen anzus­prechen, die ihm Sorgen bereiten. Der Klient sollte seine Situation so umfassend wie möglich schildern. Geeignet sind drei Arten von Fragen:

  1. Tat­sachen­fra­gen: Schweigen, eine ermunternde Körperhaltung und For­mulierun­gen wie „Was kann ich für Sie tun?“ regen das Gegenüber an, sich mitzuteilen.
  2. Di­ag­nos­tis­che Fragen: Das können beispiel­sweise gezielte Fragen nach den Gefühlen des Klienten sein oder nach seiner Meinung, warum eine Sache so und nicht anders passiert ist. Außerdem können hier Fragen einfließen, die Absichten oder geplante Maßnahmen betreffen.
  3. Kon­fronta­tive Fragen: Über sie vermittelt der Berater dem Klienten seine Ideen oder Meinungen zum Gesagten und bringt ihn dazu, sich mit dem Problem aus einer Fremd­per­spek­tive heraus zu beschäftigen. Beispiel: „Könnten Sie nicht ... unternehmen?“

Feedback bewusst geben

Feedback gibt darüber Auskunft, inwiefern man einem Ziel näher gekommen ist. Damit man den anderen nicht verun­sichert oder gar brüskiert, braucht es Regeln; das wiederum setzt gegen­seit­iges Vertrauen voraus. Die folgenden Grundsätze für bewusstes Feedback sollten Sie im Auge behalten:

  • Achten Sie darauf, dass über die Ziele des Feed­back-Empfängers Einigkeit herrscht.
  • Wenn Sie Feedback geben, sollten positive Aspekte her­vorge­hoben werden.
  • Wenn es für die Lösung eines Problems wichtig ist, sollten Sie auch zu negativem Feedback in der Lage sein. Nennen Sie in diesem Fall konkrete Beispiele.
  • Bemühen Sie sich um klare, nachvol­lziehbare Äußerungen.
  • Machen Sie deutlich, dass Sie sich für Ihre Feedback-Äußerungen ve­r­ant­wortlich fühlen. Bauen Sie Ich-Botschaften ein, statt ve­r­all­ge­mein­ernde For­mulierun­gen zu verwenden.
  • Es kommt auf den richtigen Zeitpunkt für das Feedback an. Beide Seiten müssen empfänglich sein oder sich auf einen Zeitpunkt einigen.

Der BRUI-Zyklus – was im Kopf passiert

Um Kom­mu­nika­tion­sprozesse zu begreifen, ist es wichtig, auch auf das zu achten, was sich jenseits der verbalen Äußerungen abspielt. Beziehungen zwischen Menschen und innerhalb von Gruppen oder Teams sind von nicht sichtbaren Abläufen geprägt. Der Mensch beobachtet (B), reagiert (R), urteilt (U) und in­ter­ve­niert (I). Nicht nur für Berater, auch für Führungskräfte ist es hilfreich, diese Mechanismen zu kennen.

  • Das Beobachten ist nicht ein exaktes Reg­istri­eren der Realität, sondern wird durch Er­wartung­shal­tun­gen, Meinungen oder Vorurteile gefiltert. Diese gilt es so weit wie möglich zu durch­schauen und zu reduzieren.
  • Menschliche Reaktionen werden häufig von Emotionen ausgelöst. Gle­ichzeitig lernen wir aber, unsere Gefühle zu beherrschen oder sie gar zu verleugnen, und manchmal sind wir uns unserer Emotionen gar nicht bewusst. Daher ist es bei der Prozess­ber­atung von großer Bedeutung, die eigenen Gefühle zu kennen.
  • Annähernd richtige Urteile über eine Situation zu fällen, gelingt nur, wenn die Faktenlage stimmt. Haben wir sie schon zu Beginn nicht richtig wahrgenom­men oder haben Emotionen die Wahrnehmung verzerrt, gelangen wir zu falschen Urteilen.
  • In­ter­ve­nieren, also etwa Meinungen zu äußern, ist das Ergebnis der Beurteilung. War aber schon die Beobachtung verzerrt und von Emotionen geprägt, kommt es nicht selten zu einer Re­flexreak­tion, die prob­lema­tisch sein kann: So könnte der Berater etwa eine Haltung als aggressiv in­ter­pretieren, obwohl sie das gar nicht war; er glaubt, nur zu reagieren – und ist eigentlich selbst der Aggressor.
„Der Berater liefert ständig Feedback, selbst wenn er sich jeder Äußerung enthält.“

Für Berater ebenso wie für Führungskräfte ist es wichtig, ständig In­for­ma­tio­nen aufzunehmen, über ihre Wahrnehmungen nachzu­denken und erst danach zu urteilen. Auf diese Weise lassen sich Schwierigkeiten im Kom­mu­nika­tion­sprozess vermeiden.

Zehn Prinzipien der Prozess­ber­atung

Eine er­fol­gre­iche Beratung ist von dem Gefühl geprägt, dass sich zwischen Berater und Klient eine gute Beziehung aufgebaut hat. Diese zehn Prinzipien sind entschei­dend:

  1. Bemühen Sie sich immer zu helfen. Die ehrliche Absicht garantiert, dass sich eine Beziehung zwischen Berater und Klient überhaupt entwickeln kann.
  2. Behalten Sie die Realität im Auge. Nur wenn Sie verstehen, was in Ihnen und in Ihrem Klienten vorgeht, können Sie helfend eingreifen.
  3. Arbeiten Sie mit Ihrer Un­wis­senheit. Nicht was Sie vermuten, sondern was Sie tatsächlich wissen, entspricht der Realität. Daher stellen Sie keine Fragen, nur um etwas anzunehmen oder vo­rauszuset­zen.
  4. Jede Art von Handlung bedeutet, zu in­ter­ve­nieren. Was immer Sie als Berater tun, müssen Sie vorher auf die Kon­se­quen­zen bezüglich des Helfens hin überprüfen.
  5. Die Problematik und alle Lösungen sind Sache des Klienten. Der Klient muss mit den Kon­se­quen­zen des Problems zurechtkom­men, das Gleiche gilt für die Lösungen – er trägt also die Ve­r­ant­wor­tung.
  6. Bleiben Sie im Flow. Die Gefühle des Klienten und die persönlichen Empfind­un­gen des Beraters geben die Richtung der Beratung an, vorgefasste Stereotype sind fehl am Platz. Klient und Berater sollen sich zu einem Team entwickeln.
  7. Es kommt auf den richtigen Zeitpunkt an. Nicht jeder Moment eignet sich dafür, seine persönliche Sichtweise einzubrin­gen. Wichtig ist z. B. der Grad der Aufmerk­samkeit des Klienten.
  8. Nutzen Sie richtige Momente für frischen Input und kon­fron­tieren Sie den Klienten mit neuen Sichtweisen.
  9. Jede Reaktion liefert neue nützliche Information. Dazu gehören auch negative Reaktionen des Klienten, die zu frischen Erken­nt­nis­sen führen.
  10. Wenn Sie nicht mehr weit­er­wis­sen, beziehen Sie den Klienten in Ihre Überlegungen mit ein. Warum sollten Sie immer genau wissen, wie es weitergehen muss?

Über den Autor

Edgar H. Schein, emer­i­tierter Professor für Or­gan­i­sa­tion­spsy­cholo­gie und Management am Mass­a­chu­setts Institute of Technology, ist Mitbegründer der Or­gan­i­sa­tion­sen­twick­lung und Or­gan­i­sa­tion­spsy­cholo­gie. Er hat die Prozess­ber­atung entwickelt und zahlreiche Bücher zu den Themen Veränderungs­man­age­ment und Or­gan­i­sa­tion­sen­twick­lung geschrieben.