Gemeinsam etwas verändern
Einige Kilos abzunehmen und sein Idealgewicht zu halten ist nicht einfach. Jean Nidetch kam auf die Idee, dass neben einem guten Diätprogramm eine Gruppe gleichgesinnter Freundinnen hilfreich sein könnte, die sich regelmäßig treffen, um gegenseitig ihr Gewicht zu kontrollieren, sich gemeinsame Ziele zu stecken und über Rückschläge und Probleme zu sprechen. So entstand Weight Watchers – mittlerweile ein börsennotiertes Unternehmen. Auch die Anonymen Alkoholiker sind ähnlich strukturiert und verfolgen ein vergleichbares Ziel – mit Erfolg.
Rettungsanker-Beziehungen für das Leben
Wenn in Ihrem beruflichen Umfeld ein Problem auftaucht, können Sie natürlich Ihre Kollegen, Ihre Kunden, Ihren Chef, Ihren Anwalt oder Ihren Banker um Rat fragen. Aber solche Personen sind lediglich punktuelle Helfer. Es ist nicht so, dass Sie ständig jemanden an Ihrer Seite haben, dem Sie restlos vertrauen können, der Ihnen Feedback zu eventuellen Verhaltensfehlern gibt, der mit Ihnen ein komplexes Projekt Punkt für Punkt durchgeht und Sie notfalls durch seine Ratschläge vor dem Scheitern bewahrt. Was Sie brauchen, sind Rettungsanker-Beziehungen.
„Das Geheimnis zur Optimierung persönlicher Gaben ist eine enge Beziehung zu anderen Menschen.“
Eltern tauschen sich mit anderen Eltern über die schulischen Aktivitäten und Probleme ihrer Kinder aus. Staatspräsidenten haben neben Ihrer offiziellen Ministerriege ein so genanntes Küchenkabinett. Das sind Zirkel – ob spontan gebildet oder von langer Hand geplant –, in denen man sich vorbehaltlos und offen austauschen kann. So ein Küchenkabinett können Sie auch haben – wenn Sie sich darum bemühen. Menschen, die am Arbeitsplatz enge Freunde haben, sind um bis zu 50 Prozent zufriedener als andere. Sie haben Leute um sich, denen sie auf gleicher Augenhöhe begegnen können, mit denen sie sich austauschen können und die ihnen als Vertraute und Sparringspartner helfen. Im besten Fall unterstützen sich solche Arbeitsplatzfreunde gegenseitig dabei, ihre Talente bestmöglich zu entfalten. Drei Menschen bilden bekanntlich eine Gruppe, und das ist auch die Mindestzahl für Ihr Dream-Team. Wenn Sie es richtig angehen, können Sie sich so überall und jederzeit ein Team aufbauen.
Die vier Denkweisen
Um Ihr Dream-Team, Ihre Rettungsanker-Beziehungsgruppe, zu etablieren, müssen Sie Vertrauen haben und Vertrauen schaffen. Die meisten Menschen haben durchaus eine soziale Ader, aber sie ist möglicherweise verkümmert oder verschüttet. Lösen Sie diese Blockade, indem Sie erst einmal zu sich selbst Vertrauen haben – genug, um auf andere Menschen zuzugehen. Vier Denkweisen, die ineinandergreifen, sind die Grundlage dafür, dass Sie – bildlich gesprochen – aus Höhlenmenschen Stammesmitglieder machen können. Diese vier Denkweisen sind unabdingbar, damit Rettungsanker-Beziehungen überhaupt entstehen können:
- Großzügigkeit: Geben Sie lieber mehr, als man eigentlich von Ihnen erwartet. Sie müssen über das reine „Gibst du mir, geb ich dir“ bzw. „Eine Hand wäscht die andere“ hinauskommen. Ein guter Anfang ist immer die Frage: „Kann ich Ihnen helfen?“ Bieten Sie anderen Menschen Ihre Erfahrung, Ihre Hilfe, Ihre Ermutigung an. Offerieren Sie ganz einfach eine unerwartete Geste. Bringen Sie Kollegen eine Tasse Kaffee mit oder laden Sie jemanden zu einem gemütlichen Abendessen ein, an einem ruhigen Ort abseits des üblichen Getriebes. Zur Großzügigkeit gehört auch, sich von anderen helfen zu lassen. Es ist ermutigend und befriedigend, Erfahrungen mit anderen zu teilen und auf deren Enthusiasmus einzugehen. In Ihrer strukturierten Gruppe, Ihrem Dream-Team, wird es später genauso sein.
- Verletzlichkeit: Um eine Vertrauensgrundlage zu schaffen, müssen Sie auch die Bereitschaft mitbringen, etwas von sich preiszugeben. Andere werden Ihnen nur dann helfen können, wenn sie Sie besser kennen. Nur in einem Umfeld von Vertrauen kann man über Fehler informieren und Misserfolge verarbeiten. In einer Rettungsanker-Beziehung müssen Sie Ihre Maske ablegen. Vertrauen bilden Sie schnell, indem Sie sich so geben, wie Sie sind, also authentisch bleiben und nicht etwa wichtigtuerisch auftreten. Sie sollten Vorurteile unterdrücken („Wie sieht die denn aus?“, „Ach, die Typen von der Finanzabteilung“) und von Ihrer eigenen Botschaft überzeugt sein. Ihre wahren Leidenschaften dürfen Sie nicht verheimlichen. Mit ihnen übertragen Sie Gefühle und schaffen gemeinsame Anknüpfungspunkte. Sprechen Sie über Ihre Ziele, Träume und Ängste und geben Sie auch Probleme und Fehler zu.
- Offenheit: „Offen“ und „ehrlich“ sind so genannte Wortzwillinge; zur Offenheit gehört auch die Ehrlichkeit – nicht zuletzt die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst. Das schließt ein, Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen, nichts unter den Teppich zu kehren oder zu verschieben. Konfliktvermeider isolieren sich sozial – in einer Rettungsanker-Gruppe ein absurdes Verhalten. Ehrlichkeit stärkt den gegenseitigen Respekt. An der Offenheit in einer solchen Gruppe zeigt sich auch der Unterschied zur Freundschaft: Ein Freund kann sich aus guten oder auch aus falschen Gründen zur Rücksichtnahme veranlasst sehen. Ihre Rettungsanker-Gruppenmitglieder müssen hingegen nicht unbedingt Ihre Freunde sein. Offenheit und Ehrlichkeit beruhen auf Gegenseitigkeit. Sie sollten die Wahrheit genauso gut ertragen wie aussprechen können. Außerdem hat jeder Mensch Stärken und Schwächen, kann dieses oder jenes besser – beides muss ehrlicherweise zur Sprache kommen. Nehmen Sie sachliche Kritik dankbar an und zeigen Sie das auch. In emotionalen Schieflagen wie Wut, Ärger oder Scham kann Ehrlichkeit auch einmal unangebracht sein. Lassen Sie sich in einem solchen Gefühlszustand nicht zu unüberlegten Handlungen hinreißen. Übrigens ist auch das diplomatisch gemeinte „Gut gemacht, aber ...“ nicht besonders ehrlich. Das Gegenteil von Offenheit ist Schmeichelei. Wer sich mit Jasagern umgibt, erwartet keine offene Beziehung.
- Nachprüfbarkeit: Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für eine Rettungsanker-Beziehung ist die Nachprüfbarkeit. Das unterscheidet sie vom Umgang mit dem guten Kumpel, der besten Freundin oder der Stammtischrunde in der Kantine und verleiht ihr den spezifischen Coaching-Charakter. In einer Rettungsanker-Gruppe wollen Sie Ziele erreichen. Sie können sie aufschreiben oder ein Versprechen abgeben. Eines der Gruppenmitglieder kann ihr enger Kontrollfreund sein, der in kürzeren zeitlichen Abständen Ihre Fortschritte misst und notfalls Sanktionen verhängt – Ihnen einen „Tritt in den Hintern“ gibt. Ob es darum geht, ein bestimmtes Fitnesslevel oder ein Umsatzziel zu erreichen oder ob Sie eine Verhaltensänderung herbeiführen wollen, die Kontrolle führt dazu, dass Sie wirklich Ergebnisse erzielen.
Wie Sie Ihr Dream-Team bilden
Wenn Sie selbst nicht wissen, wohin Sie wollen, kann Ihnen Ihr Ratgeberkreis auch nicht viel helfen. Ziel und Vision müssen Sie selbst definieren. Sonst wissen Sie ja nicht, welche Art von Berater Sie zu welchem Zweck um sich scharen. Gegenüber Ihrem Kreis müssen Sie Ihre Vision dann auch aussprechen: Wollen Sie Karriere machen, ein Unternehmen aufbauen oder erweitern, bestimmte Kenntnisse erlangen oder ganz private Wünsche verwirklichen? Letzteres ist natürlich völlig legitim. Denn auch für den Wunsch, einen Bauernhof umzubauen oder ein toller Tangotänzer zu werden, kann man Rat und Unterstützung gebrauchen.
Partner finden
Mitglieder für Ihr Dream-Team können Sie im Familien-, Freundes-, oder Kollegenkreis finden, aber generell ist für diesen Zweck etwas Distanz besser. Denken Sie z. B. an ehemalige Kollegen, die Sie ansprechen könnten. Wenn es um Geschäftliches geht, sollten Ihre Partner entsprechende Erfahrung haben, aber nicht zwingend im selben Bereich oder in der gleichen Branche. Oftmals ist ein Blick von außen sogar hilfreicher. Sie können Messen, Seminare, Internetplattformen oder alte Schulverbindungen nutzen, Fremde ansprechen oder auch professionelle Coachs. Ihre Partner sollen sich Zeit für Sie nehmen, interessiert und engagiert sein, einschlägigen Sachverstand haben, und Sie sollten gut miteinander kommunizieren können. Sympathie und Vertrautheit können im Lauf der Zeit wachsen. Achten Sie bei der Zusammenstellung der Gruppe auf eine gewisse Verschiedenheit der Partner. Und verändern Sie die Gruppe, wenn einer der Partner zu passiv bleibt oder ein neuer vielversprechender Ratgeber auftaucht.
Der sichere Ort
Sorgen Sie beim Kennenlernen und auch später für eine entspannte Atmosphäre außerhalb des gewohnten Arbeitsumfelds. Gehen Sie z. B. gemütlich Abend essen und arrangieren Sie später auch ein Treffen in der häuslichen Umgebung, vielleicht sogar eine gemeinsame Wochenendunternehmung der Gruppe. Alle Treffen sollten immer an einem „sicheren Ort“ stattfinden, in einer vertrauensfördernden, störungsfreien Atmosphäre. Falls Ihnen einer Ihrer Berater sehr wichtig ist, er oder sie aber wenig Zeit hat, lassen Sie alles stehen und liegen, wenn ein Termin für ein Gespräch möglich ist.
Mit dem Team strukturiert arbeiten
Hat sich Ihre Gruppe gebildet, verabreden Sie regelmäßige Treffen und Regeln. Dazu gehören vor allem Zuverlässigkeit, Vertraulichkeit, Engagement und Sachlichkeit. Eine derartige Sitzung dient nicht dem Small Talk, deshalb kann eine Tagesordnung hilfreich sein. Geschäftliche Transaktionen zwischen den Gruppenmitgliedern sollen hingegen ausgeschlossen werden. Und: Es sollten gemeinsame Ergebnisse erzielt werden, keine Kompromisse. Die Zusammensetzung der Gruppe kann sich durch gemeinsamen Beschluss natürlich auch ändern.
Sparring
Wenn wenigstens einer Ihrer Ratgeber zum echten Sparringspartner wird, haben Sie viel erreicht – und Sie erreichen durch diese Beziehung wiederum sehr viel. Der Sparringspartner, vielleicht auch die ganze Gruppe, sagt Ihnen unangenehme Dinge und arbeitet mit Ihnen, wobei beide Seiten stets die vier Denkweisen berücksichtigen. Alle Gesprächsteilnehmer lassen einander ausreden und hören einander aktiv zu, das bedeutet, sie antworten nicht nur mit Ja oder Nein. Für die meisten Probleme und Fragen gibt es mehr als eine Antwort. Ein Sparring führt unter Umständen über das vorgegebene Thema hinaus und verändert vielleicht sogar die Zielformulierung.
Verhalten ändern
Ein wesentlicher Baustein Ihres zukünftigen Erfolgs bzw. Ihrer Zielerreichung sind Ihre Verhaltensweisen. Sind Sie eher überdreht, verbissen, schüchtern, ein Dampfplauderer, ein Schleimer, ein Einschüchterer? Ihre Rettungsanker-Gruppe soll Ihnen dabei helfen, die eigenen Fehler und Schwächen zu erkennen. Das Problem zu erkennen ist der erste Schritt zur Besserung. Ihr Team wird Sie idealerweise zur Verhaltensänderung ermutigen und Sie bei Rückfällen ermahnen oder Ihre Verhaltensänderung sonst in geeigneter Weise kontrollieren.