Die Bedeutung von Netzwerken
Menschen leben nicht isoliert. Im Alltag sind sie in eine Vielzahl von Netzwerken integriert, in Familie, Freundeskreise, ehrenamtliche Organisationen oder Unternehmen. Im Informationszeitalter tauschen sich zudem immer mehr Menschen per Mobilfunk und Internet in virtuellen Netzwerken wie Facebook oder Twitter aus. Ohne enge Beziehungen untereinander kann eine Gesellschaft nicht bestehen, können Menschen nicht ausgebildet werden und keine Produkte entstehen. Kooperationen sind eine Notwendigkeit des Alltags und die Voraussetzung für jeden Erfolg. Menschen schließen sich in Netzwerken zusammen, weil sie sich einen Nutzen davon versprechen. Dazu zählen z. B. das Erlangen von Wissen, die Ausschöpfung von Produktionspotenzialen oder die Aussicht auf Gewinn. Dafür verzichten sie auf einen Teil ihrer Eigenständigkeit und begeben sich in Abhängigkeiten von anderen. Eine Kooperation kann allerdings nur dann effektiv funktionieren, wenn alle Mitglieder ihre Fähigkeiten sowie ihr Know-how einbringen und Vertrauen in die Zusammenarbeit setzen.
„Die Akteure von Kooperationssystemen und Netzwerken entscheiden, einen Teil ihrer Autonomie gegen bewusst gewählte Abhängigkeiten einzutauschen, weil sie sich davon einen Vorteil versprechen.“
Netzwerke sind nicht automatisch produktiv und schon gar keine Wohltätigkeitsveranstaltungen. Gerade in Verbünden von Unternehmen konkurrieren unterschiedliche Interessen miteinander. Sie können sich zu ganz konkreten Machtkämpfen und Konflikten entwickeln. Durch die Einrichtung von zentralen Verwaltungsstellen, lähmende Kommunikationsprozesse, ungleiche Lebenssituationen der Mitglieder und ihre divergierenden finanziellen Möglichkeiten kann Misstrauen entstehen. Kooperationen agieren daher immer in einem Spannungsverhältnis: Einerseits soll die Eigenständigkeit der Mitglieder bestmöglich bewahrt werden, andererseits ist eine konstante Kontrolle der Zusammenarbeit durch eine zentrale Stelle erforderlich.
Die Kooperationsvielfalt
Netzwerke existieren im wirtschaftlichen Leben in allen möglichen Formen. Das Spektrum reicht von Firmenverbünden über Kooperationen auf der Ebene der öffentlichen Verwaltung bis zu politischen Zusammenschlüssen von Staaten. Konkrete Beispiele sind die Wertschöpfungskette in der Automobilindustrie, die von mehreren Bauern betriebene Alpwirtschaft, die gemeinsame Steuerverwaltung von Gemeinden oder die internationale Vereinigung der Welthandelsorganisation.
„Die größte Gefahr für das Funktionieren von Kooperationssystemen droht wohl durch die Beschneidung der Selbstständigkeit der Akteure durch eine Koordinationsstelle.“
So vielfältig die Beweggründe sind, die Kooperationen überhaupt erst entstehen lassen, so unterschiedlich sind auch die Organisationsformen. Netzwerke können ungesteuert wachsen wie das Internet oder gezielt von einer zentralen Stelle, beispielsweise einer Kommune, ins Leben gerufen werden. Kooperationen in Wertschöpfungsketten wie der Textilindustrie können gleichzeitig horizontal (auf der Ebene der Zulieferer) und vertikal (Hersteller und Zulieferer) sein. Weitere Netzwerkformen sind etwa Forschungspartnerschaften mit einer Universität als Mittelpunkt oder Zusammenschlüsse von Firmen aus unterschiedlichen Branchen. Unabhängig von ihrer jeweiligen Gestaltung basiert der Erfolg jeder Kooperation auf fünf Kriterien:
- den Motiven der einzelnen Mitglieder,
- der gemeinsamen Strategie,
- der Steuerung der vereinbarten Ziele,
- der Fähigkeit zu lernen und
- dem Umgang mit Konkurrenz und Misstrauen.
„Eine entscheidende Systemeigenschaft besteht in der Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstorganisation.“
Trotz inhaltlicher Unterschiede weisen alle Kooperationen grundlegende Gemeinsamkeiten auf. So entscheiden sich die Mitglieder freiwillig für die Teilnahme am Netzwerk. Neben geteilten Anliegen verfolgen sie zahlreiche unterschiedliche Interessen, die in einem intensiven Verhandlungsprozess zu einem für alle vertretbaren Ergebnis gebündelt werden müssen. Der in Firmen gängige Entscheidungsprozess auf der Basis klassischer, hierarchischer Management- und Führungsstrukturen widerspricht dem Kooperationsgedanken. Einen dauerhaften gemeinsamen Nutzen erzielen Netzwerke nur dann, wenn alle Mitglieder zur Selbstreflexion bereit sind und die Organisation ständig weiterentwickeln wollen. Die Basis für die Zusammenarbeit bilden gemeinsam ausgehandelte Regeln.
Die Fähigkeit zur Offenheit
Ein erfolgreiches Netzwerk zeichnet sich dadurch aus, dass seine Mitglieder bereit sind, ihre individuellen Interessen auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. Das setzt voraus, dass sich eine eigene Verhandlungskultur entwickelt, die Anreize für kooperatives Handeln liefert. Denn Netzwerke befinden sich in einem steten Wandel. Sie prägen das Verhalten der Mitglieder, die wiederum die Zusammenarbeit kontinuierlich gestalten. Der Erfolg einer Kooperation hängt aber auch davon ab, ob der Zusammenschluss offen für Einflüsse von außen ist. Die Fähigkeit, ständig neue Ideen und Arbeitsweisen zu entwickeln, erfordert nicht nur die Bereitschaft, sich neues Wissen anzueignen, sondern auch die Aufnahme neuer Partner. Es ist nicht einfach, diese Flexibilität zu bewahren. Nötig sind eine intensive Auseinandersetzung untereinander, die Abkehr von Machtansprüchen und die Bereitschaft, sich von anderen abhängig zu machen. Nicht selten scheitern Kooperationen genau an dieser Anstrengung. So können besonders kreative Mitglieder durch undemokratische Regeln oder die Dominanz einiger Partner leicht verprellt werden.
„Lebende soziale Systeme wie Netzwerke sind das Produkt ihrer Mitglieder.“
Um die Basis für eine offene Verhandlungskultur zu schaffen, müssen Netzwerke die Kooperationsmotive und Verhaltensweisen der einzelnen Mitglieder von Anfang an transparent machen und sich um gegenseitiges Verständnis bemühen. Instrumente wie Diskussionen oder Selbstanalysen dienen dazu, die gemeinsamen Ziele klar zu definieren und die Auswahl neuer Partner zu optimieren.
Die strategische Ausrichtung erarbeiten
Eine weitere Voraussetzung für den Erfolg und die Erreichung des Ziels ist, dass die Netzwerkpartner sich über den Weg, den sie dorthin beschreiten wollen, einig sind. Dabei geht es nicht um eine exakte Planung einzelner Schritte, sondern um eine gemeinsame Strategie, eine übereinstimmende Perspektive, die Handlungsspielräume eröffnet und der Kooperation einen Sinn gibt.
„In überorganisationalen Kooperationssystemen sind Entscheidungen durch eine zentrale Führung nicht möglich.“
Ein mangelnder Sinnhorizont ist oft der Grund, weshalb Netzwerkpartner die Lust an der Zusammenarbeit verlieren. Ohne das Wissen, weshalb man sich gemeinsam engagiert, fehlt jegliche Begeisterung und Motivation für das Projekt. Zudem besteht kein Anreiz, nach neuen Potenzialen zu suchen und kreative Problemlösungen zu entwickeln. Für die Kooperationspartner ist es daher entscheidend, sich immer wieder in Workshops und Gesprächsrunden über die strategische Ausrichtung der Partnerschaft klar zu werden. Jedes Mitglied soll sich dabei einbringen und diesen Prozess über Fragen, Reflexionen oder Ideen mitgestalten. Ein beliebtes Mittel zu diesem Zweck sind die so genannten W-Fragen: Woher kommen wir? Wo stehen wir? Wohin wollen wir? Warum wollen wir das tun? Wie und mit wem wollen wir es tun? In einem zweiten Schritt lassen sich dann verschiedene Szenarien für die Zusammenarbeit entwickeln, in denen Risiken und Chancen der Kooperation offengelegt werden.
Die Kooperation steuern
Ein wesentliches Merkmal von Netzwerken ist das Fehlen einer zentralen Führung. Eine Übereinkunft zwischen den Mitgliedern ist nur mit Hilfe beständiger, intensiver Kommunikation zu erreichen. Andererseits können allzu viele Diskussionen eine Kooperation durchaus lähmen oder sogar ganz verhindern. Hinzu kommt, dass es vielen Teilnehmern gar nicht möglich ist, neben ihrer eigentlichen beruflichen Aufgabe an allen Gesprächen und Verhandlungen des Netzwerks teilzunehmen. Deshalb werden die Koordinationsaufgaben meist einer kleinen, von allen gewählten Gruppe übertragen. Damit sich daraus keine Machtstrukturen entwickeln, muss vollständige Transparenz gewährleistet sein. Zudem muss die Vielfalt an Meinungen, Sichtweisen, Wissen oder Fähigkeiten im Gremium Gehör und Ausdruck finden.
„Die Fähigkeit zu lernen ist die anthropologische Grundvoraussetzung dafür, dass sich Netzwerke an die wechselhafte Umwelt anpassen können, darin sinnvoll und zweckgerichtet agieren und diese ggf. im eigenen Interesse verändern können.“
Zwar sind Regeln notwendig, um den Umgang untereinander zu organisieren. Die Strukturen dürfen jedoch die Komplexität und Vielfalt der Kooperation nicht beschneiden, und die Regeln müssen jederzeit erneuert werden können. Um diese herausfordernde Kommunikationskultur zu etablieren, ist viel Vorarbeit nötig. Intensive Diskussionen, Workshops oder auch Seminare über mögliche Steuerungsprozesse, Kernaufgaben der Kooperation, die Wahl von Leitungsgruppen oder die Anforderungen von Veränderungsprojekten helfen beim Aufbau eines Netzwerks. Diese Instrumente sollten jedoch stetig angewendet werden, damit die Zusammenarbeit optimiert wird.
Die Lernkompetenz
Wie alle von Menschen geformten Organisationen sind auch Netzwerke von Umwelteinflüssen abhängig. Um sich diesen anzupassen, dabei selbst innovativ zu sein und die eigenen Ziele zu verfolgen, ist ständiges Lernen unerlässlich. Die Basis dafür ist die Offenheit, Dinge zu hinterfragen. Im Wesentlichen heißt das, zu erkennen, dass alles, was Menschen denken oder tun, auch auf eine andere Weise gedacht oder getan werden kann. Aus den Optionen, die sich so auftun, wird die effektivste ausgewählt und in die alltäglichen Handlungen integriert. Dann beginnt der Lernprozess erneut. Aufgabe des Netzwerks ist es, alle lernhemmenden Faktoren wie Abwehrhaltungen oder Verlustängste zu vermeiden und stattdessen Anreize zu schaffen, nach neuen Lösungen zu suchen. Dabei sollte weniger Wert auf Seminarlernen und wissenschaftliches Wissen gelegt werden. Ein inspirierendes Lernumfeld setzt vielmehr auf die Beteiligung der Menschen, auf ihre Erfahrungen, Interessen und den regelmäßigen, aber flexiblen Austausch.
„Parallelwelten sind omnipräsent, in der großen Politik, in der globalisierten Finanzwelt, aber auch im kleinen Nachbarschaftskreis und am Arbeitsplatz.“
Eine solche Netzwerkkultur lässt sich nicht anordnen. Sie entsteht erst, wenn alle Mitglieder sich ihr eigenes Lernverhalten bewusst machen. Ein Instrument dazu sind Workshops, in denen mögliche Hindernisse der Zusammenarbeit analysiert werden, z. B. Konkurrenzdenken, ideologische Blockaden oder die Zersplitterung der Netzwerkaufgaben. Weitere Mittel sind Diskussionen über die Innovationsfähigkeit von Kooperationen, die Analyse von Lernkriterien, die Einführung in das Wissensmanagement oder das konkrete Ausprobieren verschiedener Lernformen.
Parallelwelten aufdecken
Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Netzwerke ist die Psychologie. Wie die Mitglieder eine Kooperation erleben, entscheidet, ob sie effektiv ist. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Konzentration auf die gemeinsamen sachlichen Anliegen der Kooperationsmitglieder automatisch eine Vertrauenskultur erzeugt. Denn neben dem Wunsch der konstruktiven Zusammenarbeit mit anderen verfolgt jeder Einzelne eigene Zwecke, und daraus entstehen nicht selten Machtansprüche, Intrigen, Neid, Missgunst, Konflikte und Parallelwelten. So können sich in Kooperationen verschiedene kleinere Netzwerke bilden, die in Konkurrenz zueinander stehen und das allgemeine Anliegen behindern. Die Annahme des Homo oeconomicus, des stets rational denkenden Menschen, hat sich in der Wirtschaftswissenschaft längst als unrealistisch erwiesen.
„Der blinde Fleck besteht in der trügerischen Vorstellung, menschliches Verhalten sei berechenbar und demzufolge seien auch Kooperationssysteme leicht zu ordnen und zu verwalten.“
Verhindern lassen sich Parallelwelten nur durch den kontinuierlichen Diskurs etwa anhand einer Open-Space-Veranstaltung über die Wahrnehmung und Einstellung der Netzwerkteilnehmer. Wichtig ist auch, Machtbeziehungen sowie Konflikte sofort zu thematisieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. In diesem transparenten Prozess wird sich sehr schnell herauskristallisieren, wer wirklich an einer konstruktiven Kooperation interessiert ist.