Mehr als das Selbstverständliche
Recht und Gesetz zu achten und bei Verstößen aktiv zu werden – vielen Managern würde das als Aufgabenfeld für Compliance ausreichen. Hinzu kommt mitunter der Aufruf, moralische und ethische Werte großzuschreiben. Gesetze einzuhalten ist eh eine Selbstverständlichkeit, und Gutes zu tun lohnt sich für Unternehmen ebenfalls häufig – schon aus Imagegründen. Wer so denkt, macht es sich zu leicht.
„Compliance mahnt zum Handeln in Übereinstimmung mit den geltenden Vorschriften.“
Die einschlägigen Paragrafen zu beachten sollte in der Tat eine Selbstverständlichkeit sein. Wie es um das Selbstverständnis eines Unternehmens steht, zeigt sich aber in den selbst auferlegten Vorgaben. Diese Verhaltensstandards werden in der Corporate Governance präzise festgelegt. Hier zeigen sich in Wort (die Corporate Governance wird meist schriftlich festgehalten) und Tat, wie es das Unternehmen hält mit dem gesetzeskonformen Verhalten. Denn nur wenn das Bewusstsein dafür gefördert und geschult wird, kann eine Hauptaufgabe von Compliance – die Prävention von Gesetzesverstößen – tatsächlich angegangen werden.
„Das Bewusstsein für Regelverstöße hat sich deutlich verstärkt.“
Solange Unternehmen diese Aufgabe nicht ernst nehmen, wird öffentlich weiterhin die „fehlende Compliance“ gegeißelt – nämlich wenn im Ernstfall interne Kontrollmechanismen nicht greifen oder nicht einmal vorhanden sind.
Die Funktionen von Compliance im Unternehmen
Das scheinbar Selbstverständliche ist eben doch nicht immer selbstverständlich. Deshalb sind Unternehmen gefordert, ihre ethischen Grundsätze zu formulieren und verbindlich festzulegen. Es macht einen Unterschied, ob ein respektvoller Umgang oder faire Kooperationen unter „versteht sich von selbst“ verbucht werden oder für alle Mitarbeiter nachlesbar in der Firmenphilosophie, in Leitlinien oder Compliance-Codes festgehalten sind. Die goldene Regel, andere so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte, kann in viele Richtungen weiterentwickelt werden, etwa im Bereich von Gerechtigkeit und Solidarität mit den Themen Integrität, Verzicht auf Korruption, soziale Sicherheit.
„Unternehmen müssen sich der Gefahren bewusst sein, um den Kampf gegen Korruption, Bestechung, Betrug oder ,schwarze Kassen‘ aktiv aufnehmen zu können.“
Erfolgreiche Compliance übernimmt im Unternehmen fünf Funktionen:
- Marketing: Die Reputation wird gefördert, das Vertrauen ins Unternehmen wächst.
- Schutz: Bewussten und unbewussten Regelverstößen der Mitarbeiter wird vorgebeugt.
- Beratung: Compliance liefert Antworten in Zweifelsfällen.
- Geschäftsbeziehungen: Die Vorschriften werden korrekt eingehalten.
- Überwachung: Mögliche Risiken werden analysiert.
„Überzeugende Compliance ist auch ein Qualitätsmerkmal für jedes Unternehmen.“
Werden diese Ansätze umgesetzt und gelebt, wirken sie positiv auf das Unternehmen. Integres Verhalten stärkt das Vertrauen von Kunden und Geschäftspartnern und verbessert so das Image. Auch nach innen wirkt die Compliance, indem sie Regelverstöße vermeiden hilft. Das sensibilisiert die Mitarbeiter für Risiken und wendet damit Schaden vom Unternehmen ab. Nur wenn die Risiken bekannt sind und permanent analysiert werden, kann vorgebeugt werden – dafür braucht jedes Unternehmen Mitarbeiter, die sich speziell um diese Aufgaben kümmern.
„Compliance nach innen und nach außen prägt das betriebswirtschaftliche und gesellschaftliche Verantwortungsbewusstsein von Unternehmen.“
Und wenn da etwas läuft, was nicht koscher wirkt? Nicht weggucken, das ist entscheidend. Dazu braucht es Mut – und Unterstützung von oben. Niemand will sich als Denunziant beschimpfen lassen, nur weil man auf Missstände oder Fehlverhalten aufmerksam macht. Viele Unternehmen haben das erkannt und ermöglichen „Tippgebern“ (so genannten Whistleblowern), Hinweise anonym weiterzugeben. Wenn die beim Compliance Officer angesiedelten Mitarbeiter solchen Tipps schnell nachgehen und die Ergebnisse ihrer Kontrollen und Nachprüfungen publik machen, wird allen Mitarbeitern deutlich, dass Fehlverhalten sanktioniert wird.
Tätertypen
Unternehmen wollen überleben, Manager wollen ihre Ziele erreichen. Wenn das auf dem legalen Weg funktioniert – super. Wenn nicht, dann eben anders … Dieses Denken ist durchaus verbreitet: Die Anzahl von Verfahren zur Wirtschaftskriminalität steigt deutlich an. Mehr als die Hälfte der Unternehmen gibt zu, von kriminellen Handlungen betroffen gewesen zu sein. Dabei nimmt die Höhe der Schäden zu. Die Bilanzmanipulationen bei Parmalat in Italien sollen 23 Milliarden Euro Schaden verursacht haben, Worldcom in den USA soll durch Insolvenzdelikte gar auf eine Schadensumme von 107 Milliarden Dollar gekommen sein. Von den fragwürdigen Transaktionen der Banken ganz zu schweigen.
„Damit ein Verhaltenskodex zur gelebten Unternehmenskultur wird, bedarf es intensiver und regelmäßiger überzeugender Schulung.“
So vielfältig die kriminellen Akte sind, so unterschiedlich sind die Motive der handelnden Personen. Gleichwohl können zwei Gruppen unterschieden werden: Coup- und Visionstäter. Während die Couptäter häufig den einen entscheidenden Schlag wagen, um sich selbst zu bereichern, fühlen sich die Visionstäter zu Großem berufen: Es sind oft Manager, die das Unternehmen (und auch sich selbst) nach vorn bringen wollen, koste es, was es wolle. Etwaige Widerstände werden erst mit Tricks, später mit kriminellem Handeln bekämpft. Da summiert sich einiges, zum Schaden für das betroffene Unternehmen und die Volkswirtschaft.
„Krisen begünstigen Wirtschaftskriminalität.“
Auch die begangenen Straftaten lassen sich überwiegend in zwei Gruppen einteilen: zum einen in den Bereich Betrug und Untreue, zum anderen in Insolvenzdelikte wie Bankrott oder Gläubiger- und Schuldnerbegünstigung. Dazu kommen Korruptions- und Steuerdelikte.
Von Betrug bis Insolvenzverschleppung
Beim Betrug wird, juristisch gesprochen, ein Vermögensschaden durch eine unberechtigte Vermögensverfügung erwirkt. Der Geschädigte wird durch aktives Tun getäuscht, mit der Absicht, dass der Schädigende sich oder Dritte bereichert. Als Betrug gilt es daher bereits, wenn ein Unternehmer sich Waren auf Kredit liefern lässt, obwohl er nicht mehr liquide ist. Der Lieferant wird getäuscht, denn hätte er von der finanziellen Notlage gewusst, hätte er nur gegen Vorkasse geliefert. So läuft er Gefahr, dass seine Rechnungen nicht mehr bezahlt werden. Betriebswirtschaftlich mag das Vorgehen des Unternehmens verständlich sein, juristisch ist es Betrug.
„Je größer das Unternehmen, desto schwieriger gestaltet sich die Straftatenprophylaxe.“
Wenn der Täter ein angestellter Manager ist, kommt der Tatbestand der Untreue ins Spiel. Wer treuhänderisch über fremdes Vermögen verfügt und dieser Pflicht nicht nachkommt, macht sich entweder des Missbrauchs oder des Treuebruchs schuldig. Den Untreue-Paragrafen nutzen Staatsanwälte gern, aber auch in diesen Fällen muss ein Vermögensschaden entstanden sein und der Täter muss vorsätzlich gehandelt haben. Werden „schwarze Kassen“ gefunden, ist das Urteil des Bundesgerichtshofs eindeutig: Untreue.
„Der Straftatbestand der Untreue hat sich jüngst zu einer Art Allzweckwaffe der Strafjustiz entwickelt.“
Um die Pleite abzuwehren, greifen viele Unternehmer zu rechtlich heiklen Mitteln. Nicht nur, dass Geschäftspartner über die prekäre Lage im Unklaren gelassen werden – ist die Insolvenz absehbar, werden mitunter Werte für die persönliche Altersvorsorge verschoben, zulasten der Insolvenzmasse und damit der Gläubiger. Oder es kommt zu Scheingeschäften, um eine Aktivität und Liquidität zu demonstrieren, die nicht mehr gegeben ist.
„Bei etwa 90 % der Ermittlungsverfahren, die durch Firmenzusammenbrüche ausgelöst werden, sind Buchführungsmängel festzustellen.“
Damit solche Geschäfte nicht auffliegen, müssen die Bücher frisiert werden. So wird fast automatisch gegen Buchführungspflichten verstoßen. Diese Tatbestände werden juristisch unter dem Stichwort „Bankrott“ zusammengefasst. Sind die Schäden gravierend, liegt ein besonders schwerer Fall von Bankrott vor, der ein höheres Strafmaß nach sich zieht.
„Ursprünglich war korruptes Verhalten allein im Bereich des öffentlichen Dienstes umfassend strafbar.“
So können, wenn Unternehmer bzw. Manager die Pleite der Firma verhindern wollen, bei einem einzigen Fall eine Menge juristische Verstöße zusammenkommen. Der Gesetzgeber verlangt nämlich, dass die anstehende Insolvenz gemeldet wird, sobald das Unternehmen zahlungsunfähig ist. Drei Wochen Zeit haben die Geschäftsführer, sich aus der Klemme zu ziehen, danach muss Insolvenz beantragt werden, sonst machen sie sich der Insolvenzverschleppung schuldig. Darüber hinaus führt auch Überschuldung grundsätzlich zur Insolvenz.
Korruption und kreative Buchführung
Bestechung und Bestechlichkeit galten in der Privatwirtschaft lange als harmloses Kavaliersdelikt. Das hat der Gesetzgeber erst 1997 verändert. Entsprechend langsam ist das Bewusstsein in den Unternehmen zu der Frage gewachsen, was Recht und was Unrecht ist. Diesen Prozess beschleunigen Compliance-Regeln, die präzise festlegen, was erlaubt ist und was nicht.
„Die Geschäftsleitung im Ganzen trägt die Verantwortung für das Compliance-Management.“
Das gilt beispielsweise für die Frage, ob Geschenke weiterhin erlaubt sind. Die Antwort des Gesetzgebers lautet: Ja, solange sie nicht dazu führen, dass der Schenker bevorzugt wird oder es zu einem Schaden für das Unternehmen kommt. Dann würde nämlich aus dem Geschenk Bestechung und aus dem Annehmen des Geschenks Bestechlichkeit. Beides ist strafbar.
Ebenfalls als Kavaliersdelikt gilt in vielen Unternehmen das Ausreizen der Möglichkeiten kreativer Buchführung. Werden dabei die Grenzen des Legalen überschritten, hinterzieht das Unternehmen Steuern. Zur Steuerhinterziehung kommt es, wenn Angaben bewusst unrichtig oder unvollständig sind oder wenn wichtige Informationen verschwiegen wird. Zahlt das Unternehmen dadurch weniger Steuern oder nutzt es anderweitig Steuervorteile, macht es sich strafbar.
Präventives Handeln
Kein Unternehmen der Welt ist davor gefeit, Mitarbeiter mit krimineller Energie zu beschäftigen. Darüber hinaus herrscht aber in manchen Firmen eine Unternehmenskultur, die einen laxen Umsatz mit den Buchstaben des Gesetzes zumindest toleriert. Gerade global tätige Konzerne stehen vor dem Problem, dass in vielen Gegenden der Welt „kleine Geschenke die Freundschaft erhalten“ – wer nicht mitspielt, kommt nicht an Aufträge. Das ist ein reales Dilemma.
Der Gesetzgeber hat Bestechung und Bestechlichkeit in der Privatwirtschaft bis Ende des 20. Jahrhunderts kaum geahndet. Diese Ära ist endgültig vorbei. Kriminelles oder auch nur ethisch anrüchiges Verhalten von Unternehmen ist sozial geächtet und kann zu Imageschäden und in der Folge zu wirtschaftlichen Einbußen führen. Deshalb kann und darf eine Compliance-Abteilung nicht nur ein Feigenblatt sein, das primär gute Absichten dokumentiert. Wer zeigen will, dass Compliance im Unternehmen ernst genommen wird, muss die Abteilung mit genügend Mitarbeitern ausstatten und sie organisatorisch nah an die Geschäftsleitung rücken.
Größere Unternehmen brauchen die Funktion eines CCO, eines Chief Compliance Officers, der direkt unter dem Vorstand angesiedelt ist. Das signalisiert firmenintern die Wertigkeit der neuen Stabsstelle und sorgt für einen häufigen Austausch mit der Geschäftsleitung, sodass im Krisenfall schnell reagiert werden kann. Der CCO braucht genügend Mitarbeiter, um seine verschiedenartigen Aufgaben wahrnehmen zu können:
- Betrieb einer Compliance-Geschäftsstelle, Sanktionierung von Fehlverhalten, Untersuchung von Verdachtsfällen, Annahme von Hinweisen,
- Reporting,
- Schulungen und Trainings für die Mitarbeiter des Unternehmens,
- globale Koordination der Compliance-Maßnahmen für alle Unternehmenstöchter,
- Koordination aller Compliance-Beauftragten.
Kleinere Unternehmen können sich mit kleineren Stabsstellen zufriedengeben, die Aufgaben jedoch müssen auf alle Fälle abgedeckt werden. Hier sollte ein Mitglied der Geschäftsleitung die Funktion des CCO mit übernehmen. In dieser Doppelfunktion wird allerdings ein – organisatorisch kaum lösbares – Problem deutlich: Wer kontrolliert eigentlich den Vorstand?