Fühlen nützt nichts, hilft aber

Buch Fühlen nützt nichts, hilft aber

Warum wir uns immer wieder unvernünftig verhalten

Droemer,


Rezension

Ob Politiker, Manager, Wis­senschaftler oder Durch­schnittsbürger – wir alle träumen den Traum vom rational handelnden Menschen, der mit der Kraft seines Verstandes optimale Entschei­dun­gen trifft. Doch die Wirk­lichkeit sieht anders aus, sagt Dan Ariely, Professor für Psychologie und Verhaltensökonomik. Menschen handeln nicht rational, sie werden von Emotionen und Instinkten gesteuert und merken es meist nicht einmal. Wir lassen uns von Rachegefühlen antreiben, halten unsere eigenen Ideen automatisch für die besten und tun das, was wir schon immer getan haben, ohne es infrage zu stellen. Doch wenn wir uns diese Muster bewusst machen, können wir sie auch durch­brechen. Diese Erkenntnis untermauert Ariely mit zahlreichen aus seiner eigenen wis­senschaftlichen Tätigkeit gewonnenen Belegen. Der Titel soll offenkundig As­sozi­a­tio­nen zum er­fol­gre­ichen Vorgängerband Denken hilft zwar, nützt aber nichts wecken. In beiden Fällen ist die Übersetzung des englischen Orig­inalti­tels sehr frei. Doch was soll’s: Arielys Buch ist spannend und auf­schlussre­ich und eignet sich auch bestens als un­ter­halt­same Feier­abendlektüre. BooksInShort empfiehlt es allen, die sich und andere besser verstehen wollen.

Take-aways

  • Menschen sind keine rationalen Wesen. Sie werden von Gefühlen und Trieben gesteuert.
  • Hohe Bonuszahlun­gen sollen in Unternehmen die Leistung steigern, wirken aber eher kon­trapro­duk­tiv: Sie erhöhen den Stress, und unter Stress sinkt die Leistung.
  • Entgegen der gängigen ökonomischen Theorien sehen Menschen Arbeit nicht als notwendiges Übel; vielmehr iden­ti­fizieren sie sich damit.
  • Arbeit macht Freude, wenn sie einen Sinn hat und gewürdigt wird.
  • Rache ist ein normales men­schliches Gefühl und kann Unternehmen viel Geld kosten.
  • Jeder hält seine eigenen Ideen grundsätzlich für besser als die seiner Kollegen.
  • Menschen sind anpassungsfähig und gewöhnen sich an alle Situationen. Deshalb halten starke Gefühle wie Freude oder Trauer nicht lange an.
  • Menschen orientieren sich an ihren eigenen Taten. Aus spontanen Handlungen können dauerhafte Ver­hal­tens­muster entstehen, die nicht unbedingt rational sind.
  • Wer die ir­ra­tionalen men­schlichen Ver­hal­tens­muster kennt, kann sie durch­brechen und bessere Entschei­dun­gen treffen.
  • Politiker und Firmenchefs sollten sich mehr an den Ergebnissen der Wis­senschaft orientieren, statt Bauchentschei­dun­gen zu fällen.
 

Zusammenfassung

Der irrationale Mensch

Menschen verhalten sich häufig irrational. Ein gutes Beispiel dafür ist die Prokrasti­na­tion, das Aufschieben unan­genehmer Aufgaben. Wir wissen, dass wir unbedingt die Steuererklärung erledigen oder den Garten in Ordnung bringen müssen, und langfristig hätten wir auch einen Vorteil davon. Doch dieses Wissen reicht nicht aus, uns zur Aufnahme der unan­genehmen Tätigkeit zu motivieren. Lieber verzichten wir auf die Vorteile, als kurzfristig Nachteile in Kauf zu nehmen. Und so geht es uns mit vielen Dingen: Wir wissen, dass wir uns mehr bewegen oder eine Diät machen sollten, fangen aber nie damit an. Wir wissen, dass es gefährlich ist, eine SMS zu schreiben, während wir hinterm Steuer des Autos sitzen, und wir tun es trotzdem. Die Vorstellung vom Menschen als rational handelndem Wesen ist ide­al­is­tisch. Das zeigt sich in unserem Alltag immer wieder, ob nun bei Autounfällen oder Börsencrashs. Weshalb handeln Menschen so oft unvernünftig, und was kann man dagegen tun?

Von Managern und Ratten

Vor rund 100 Jahren testeten Wis­senschaftler, wie schnell Ratten lernen, wenn sie für Fehlver­hal­ten bestraft werden. Sie setzten die Tiere in Labyrinthe, in denen bestimmte Bereiche farblich markiert waren. Wenn die Ratten diese Bereiche betraten, erhielten sie einen Stromschlag. Die Forscher gingen davon aus, dass die Ratten umso schneller lernen würden, je stärker die Stromstöße waren. Aber da lagen sie falsch. Bei Stromschlägen von mittlerer Stärke lernten die Tiere er­wartungs­gemäß schneller als bei leichten. Bei starken Schlägen dagegen waren sie vor Angst wie gelähmt und konnten ihre Aufgabe, auf dem sichersten Weg durch das Labyrinth zu kommen, nicht mehr lösen. Ähnlich verhält es sich, wenn Menschen als Leis­tungsan­reiz hohe Geldsummen erhalten. In einer Studie wurden Teilnehmer für richtig gelöste Aufgaben mit Geld belohnt. Einer Gruppe wurde eine geringe Geldsumme, einer anderen etwas mehr, einer dritten sehr viel Geld versprochen. Hohe Belohnungen führten nur bei einfachen mech­a­nis­chen Tätigkeiten zu mehr Leistung. Bei allen Aufgaben aber, die kognitive Fähigkeiten erforderten, entsprachen die Ergebnisse den bei den Versuchen mit Ratten gewonnenen: Bei den Teilnehmern, denen richtig viel Geld in Aussicht gestellt worden war, sank die Leistung rapide ab. Sie hatten so viel Angst, das Geld zu verlieren, dass ihnen nichts mehr gelang. Daran sollten wir denken, wenn es um die Bezahlung von Managern geht. Die hohen Bonuszahlun­gen, die als Leis­tungsan­reize dienen sollen, sind vermutlich eher kon­trapro­duk­tiv.

Der Sinn der Arbeit

Ökonomen gehen davon aus, dass Menschen mit möglichst wenig Aufwand eine möglichst hohe Belohnung erhalten wollen. Entsprechend sehen die gängigen Theorien Arbeit als notwendiges Übel an, das die Menschen schnell hinter sich bringen wollen und das man ihnen mit Belohnungen schmackhaft machen muss. Doch das entspricht nicht der Realität: Der Mensch iden­ti­fiziert sich stark mit seiner Arbeit. Stellen Sie sich einmal vor, Sie haben wochenlang an einem wichtigen Projekt gearbeitet. Ihr Chef findet Ihre Arbeit gut und lobt Sie dafür, aber leider wird das Projekt dennoch abgeblasen, und alle Ihre Anstrengung war umsonst. Wie fühlen Sie sich? Sicher nicht besonders gut, obwohl Sie natürlich auch für diese Tätigkeit bezahlt werden. Wenn Sie dagegen wissen, dass Ihre Arbeit etwas bewirkt, werden Sie sich gerne anstrengen, weil sie Ihnen sinnvoll erscheint. Experimente haben gezeigt, dass die Ar­beit­sleis­tung der Probanden drastisch sank, wenn sie für ihre Tätigkeit keine Anerkennung bekamen oder gar zusehen mussten, wie das Ergebnis ihrer Arbeit vernichtet wurde. Ar­beitsmo­ti­va­tion lässt sich nicht mit Geld erwerben. Menschen sind motiviert, wenn sie für ihre Arbeit Anerkennung erhalten und wenn sie einen Sinn darin sehen. Gemäß Studien haben sogar die meisten Tiere Freude daran, sich ihr Futter durch eine Anstrengung zu verdienen: Wenn man sie wählen lässt, ob sie das Futter direkt aus dem Napf fressen oder es sich per Tastendruck holen wollen, entscheiden sie sich überwiegend für Letzteres.

Fast selb­st­gemacht

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie ein Ikea-Möbelstück erfolgreich zusam­menge­baut haben? Vermutlich ziemlich gut. Sie haben das Teil zwar nicht selbst hergestellt, und besonders teuer war es auch nicht. Aber durch das Zusam­men­bauen entstand das gute Gefühl, etwas geleistet zu haben. Wenn man Studenten Origami-Fig­uren herstellen lässt, die sie anschließend selbst ersteigern können, sind sie bereit, einen relativ hohen Preis dafür zu zahlen, unabhängig davon, wie gut ihr Werk tatsächlich aussieht. Sie überschätzen den Wert ihrer eigenen Arbeit. Menschen sind stolz auf das, was sie selbst gemacht haben, und entwickeln zu ihren eigenen Werken eine besondere Bindung. Das gilt allerdings nur, wenn sie die Werke auch fer­tig­stellen können. Wenn sie dagegen überfordert abbrechen müssen, ist ihnen das Ergebnis der Arbeit nichts wert. Auch wenn uns die gängigen Theorien etwas anderes nahelegen: Der Mensch ist dann am glücklichsten, wenn er selbst etwas schafft und sich am Ergebnis freuen kann – und nicht dann, wenn er faulenzen darf. Arbeit ist für uns eindeutig mehr als nur ein notwendiges Übel.

„Not invented here“

Das Phänomen, dass eigene Kreationen uns wertvoller erscheinen als andere, gilt übrigens auch für Ideen. Vielleicht kennen Sie die Situation: Sie machen einer Gruppe einen Vorschlag. Ihnen erscheint Ihre Idee vollkommen schlüssig, aber die anderen reagieren ablehnend. Warum? Weil sie nicht selbst auf die Idee gekommen sind. In den Wirtschaftswis­senschaften heißt dieser Effekt „Not invented here“-Syndrom: Was nicht von uns stammt, kann nicht gut sein. Un­ter­suchun­gen haben gezeigt, dass Menschen ihre eigenen Ideen deutlich positiver bewerten als diejenigen der anderen. Das gilt sogar dann, wenn man einen Beitrag nur aus vorgegebe­nen For­mulierun­gen zusam­men­baut, es sich also nüchtern betrachtet gar nicht um eine eigene geistige Leistung handelt. Nikola Tesla, ein Mitarbeiter von Thomas Alva Edison, fa­vorisierte den Wech­sel­strom, weil er viel­seit­iger einsetzbar war als der Gleichstrom. Doch Edison hielt am Gleichstrom fest und startete sogar eine Kampagne gegen den Wech­sel­strom. Denn der war nicht seine Idee gewesen. Die Fixierung auf eigene Ideen kann gefährlich sein. Zum Beispiel für Unternehmen, die ihre eigenen Produkte selbstverständlich für die besten halten und die Konkurrenz nicht ernst nehmen. Menschen lassen sich übrigens leichter überzeugen, wenn man ihnen mit Sug­ges­tivfra­gen dabei hilft, selbst auf die Idee zu kommen.

Rache ist süß

Rache hat in unserer Gesellschaft kein hohes Ansehen, ist aber dennoch tief in uns Menschen verankert. Sie hat eine wichtige Funktion: Wenn man z. B. eine Missetat begehen will, aber weiß, dass man mit fürchter­licher Vergeltung rechnen muss, wird man es sich gut überlegen. Rache hilft somit, das menschliche Zusam­men­leben zu regeln. Menschen sind grundsätzlich bereit, anderen zu vertrauen, doch wenn dieses Vertrauen enttäuscht wird, entwickeln sie eine ausgeprägte Neigung zur Vergeltung, sogar dann, wenn sie selbst Nachteile davon haben. In­ter­es­san­ter­weise zeigen in solchen Situationen diejenigen Gehirnareale eine erhöhte Aktivität, die auch für das Erleben von Belohnung zuständig sind – Rache ist mit angenehmen Gefühlen verbunden. In der Finanzkrise des Jahres 2008, als durch riskante Geschäfte der Banken Unsummen an privatem Vermögen vernichtet wurden, pumpten die Regierungen große Beträge in das System, um einen Zusam­men­bruch zu verhindern. Die In­ter­ven­tio­nen zeigten Wirkung, doch die Menschen waren unzufrieden. Sie wünschten sich eine empfind­liche Strafe für die Banker, selbst wenn das für sie mit Nachteilen verbunden gewesen wäre. Auch enttäuschte Kunden neigen zu Racheakten. Sie behalten etwa irrtümlich zu viel gezahltes Wechselgeld oder machen ihre schlechten Erfahrungen im Internet öffentlich. Ein Effekt, den Unternehmen nicht unterschätzen sollten, denn er kann teuer werden. Meist hilft schon eine Entschuldigung, verärgerte Kunden wieder zu besänftigen.

Ewiges Glück?

Wenn Sie in eine neue Wohnung ziehen, finden Sie vielleicht den Holzfußboden wunderschön und die Küche ganz schrecklich. Mit der Zeit gewöhnen Sie sich an die Küche – aber leider ebenso an den Fußboden. Beide Räume rufen keine starken Gefühle mehr hervor. Menschen sind enorm anpassungsfähig, ganz gleich, was ihnen geschieht. Egal ob ihnen etwas Freude oder Schmerz bereitet, alle starken Gefühle lassen mit der Zeit nach. Das gilt sogar für tiefe Leben­sein­schnitte: Man hat einerseits Lot­to­gewin­ner, an­der­er­seits Menschen, die durch einen Unfall quer­schnitts­gelähmt waren, ein Jahr nach dem ein­schnei­den­den Ereignis nach ihrer Zufrieden­heit befragt. Es gab zwar Un­ter­schiede im Glück­sempfinden der Befragten, aber sie waren bei Weitem nicht so groß, wie man vermuten würde. Dieser Effekt wird als „he­do­nis­tis­che Anpassung“ bezeichnet und hat einen Sinn: Dadurch sind wir in der Lage, langfristig in den ver­schieden­sten Lebensumständen zufrieden zu sein. Hier liegt auch der Grund, warum Besitz auf Dauer nicht glücklich macht: Was wir uns sehnlichst wünschen, verliert seinen Reiz, wenn wir es besitzen. Un­ter­brechun­gen hingegen verhindern die Anpassung: Das Angenehme bleibt länger angenehm, wenn wir es nicht immer haben. Unan­genehmes sollten wir dagegen möglichst ohne Un­ter­brechung hinter uns bringen. Dann gewöhnen wir uns schneller daran, und es belastet uns weniger.

Handeln und Gewohnheit

Gefühle – egal ob gute oder schlechte – gehen meist rasch vorbei. Auch wenn wir uns über etwas sehr ärgern oder freuen, ist meist kurze Zeit später alles vergessen. Was allerdings von längerer Dauer sein kann, sind die Folgen dieser spontanen Gefühle: Wenn Sie z. B. in der Wut Ihren Chef anschreien, schaffen Sie Fakten, die Ihr Leben dauerhaft bee­in­flussen. Auch wenn Sie sich anschließend vornehmen, nie wieder die Nerven zu verlieren: Es wird Ihnen mit einiger Wahrschein­lichkeit nicht gelingen. Dazu kommt das Phänomen des Self-Herd­ings, des auf sich selbst bezogenen Her­den­triebs: Menschen neigen dazu, sich nicht nur an anderen, sondern auch an ihrem eigenen Verhalten zu orientieren, selbst dann, wenn sich die Bedingungen geändert haben. Wenn Sie z. B. aus einer schlechten Laune heraus Ihre Mitarbeiter abkanzeln, gelten Sie rasch als schwieriger Chef. Mit einiger Wahrschein­lichkeit werden Sie bei nächster Gelegenheit genauso handeln, auch wenn Sie längst wieder gut gelaunt sind – einfach weil Sie sich an Ihrem früheren Verhalten ausrichten und wissen, dass die anderen genau das von Ihnen erwarten. So entstehen letztlich aus spontanen Gefühlen dauerhafte Ver­hal­tens­muster. Der alte Rat, in emotional aufge­lade­nen Situationen erst bis zehn zu zählen und dann zu reagieren, ist deshalb gar nicht so verkehrt.

Gute Entschei­dun­gen treffen

Das menschliche Verhalten ist längst nicht so rational, wie wir uns das gerne vorstellen. Viele Entschei­dun­gen treffen wir aus spontanen, heftigen Gefühlen heraus, und wenn wir unserer Intuition folgen, ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass wir einfach so entscheiden, wie wir es schon öfter getan haben – also vermutlich wieder irrational. Wenn wir unseren Entschei­dun­gen jedoch kritisch begegnen, stehen die Chancen gut, dass wir Irrtümer und Ir­ra­tionalitäten erkennen, in Zukunft besser entscheiden und dadurch auch etwas verändern.

„Wir Menschen hängen dem Glauben an, objektiv und rational zu sein und logisch zu denken.“

In der Wis­senschaft hat es sich längst eingebürgert, nicht einfach auf die Intuition zu vertrauen, sondern Erken­nt­nisse mit Ex­per­i­menten zu untermauern. In der Wirtschaft ist das anders. Führungskräfte kümmern sich wenig um die Erken­nt­nisse der Sozial­wis­senschaften, die sich mit dem Verhalten von Menschen am Ar­beit­splatz befassen. Stattdessen entscheiden sie nach ihrer Intuition und lassen alles in gewohnten Bahnen laufen. In der Politik sieht es nicht viel besser aus – welcher Politiker zieht schon wis­senschaftliche Erken­nt­nisse heran, ehe er eine Entschei­dung trifft? Das sollte sich ändern. Intuition ist nichts Schlechtes, und sie gehört zum Leben der Menschen. Aber wo es um wichtige Entschei­dun­gen geht, sollten wir bewusst auch unseren Verstand einsetzen.

Über den Autor

Dan Ariely war Professor für Verhaltensökonomik am Mass­a­chu­setts Institute of Technology und lehrt inzwischen an der Duke University. Neben seinen wis­senschaftlichen Veröffentlichun­gen stellt er die Grundzüge seiner Forschungsar­beit auch in populärwis­senschaftlichen Büchern und Artikeln dar. Sein Buch Denken hilft zwar, nützt aber nichts wurde zum Bestseller.