Wie Linus Torvalds Linux erfand
Die Entstehung von Linux ist zugleich das Ergebnis von Neugier und einem Fehler. Linus Torvalds stammt aus einer Journalistenfamilie, die zur schwedischen Minderheit in Finnland gehört. Schon mit elf Jahren tippte er Programmierbefehle in den Rechner seines Grossvaters ein. Ein typischer Computerfreak, ein Crack in Mathe und Physik, dabei geübter im Umgang mit dem Computer als mit Mädchen. Torvalds studierte an der Universität von Helsinki Informatik. Er nahm sich vor, die Hardware-Arbeitsweise seines PC zu erforschen.
„Ich habe Open Source immer als eine Möglichkeit gesehen, die Welt zu verbessern. Vor allem aber sehe ich es als Möglichkeit, Spass zu haben.“
Erstes Ziel: die Verbesserung seines Betriebssystems Minix, eines Unix-Derivats, und zwar zum Schreiben eines eigenen Terminal-Emulationsprogramms. Es sollte die Verbindung vom PC daheim zum Unix-Rechner der Universität herstellen. Versehentlich jedoch löschte Torvalds seine Minix-Partition – und entschloss sich kurzerhand, ein komplett neues Betriebssystem zu programmieren. 1991 stellte Torvalds die erste Version samt Quellcode ins Netz. Andere Computerfreaks testeten das Programm und meldeten Fehler oder spezielle Leistungswünsche. Nach immer neuen und durch Feedbacks ständig verbesserten Versionen kam 1992 der ungeplante Durchbruch: In der Hackerszene nutzten plötzlich mehr Leute das neue Linux anstelle von Minix. Zwei Jahre später wurde Linux von der Universität Helsinki feierlich freigegeben und schaffte den Sprung in die Top 5 der beliebtesten Newsgroups.
Linux erobert die (Computer-)Welt
1997 versuchte Steve Jobs, Linus Torvalds in die Apple-Aktivitäten einzubinden. Doch Torvalds gab ihm ebenso einen Korb wie Bill Joy von Sun Microsystems. Denn es ging auch im Alleingang. 1998 stieg dann IBM in den Vertrieb der beliebtesten Linux-Version für Web-Server ein. Informix und Oracle banden das System in ihre Datenbanken ein. Linux eroberte Supercomputer, die NASA-Labors und sogar den chinesischen Markt, auf dem bis dahin ausschliesslich mit Übersetzungen amerikanischer oder europäischer Software gearbeitet wurde.
„Linux war flexibler als andere Systeme auf dem Markt. Man war damit sein eigener Herr.“
1999 ging Red Hat, das erste Linux-Unternehmen, mit Erfolg an die Börse. Anders als Windows NT und Unix-Derivate ist Linux nicht „aufgebläht“, sondern klein, schnell und flexibel. Es macht Betriebe nicht abhängig von Lizenzauflagen und unveränderlichen, überflüssigen Systemfunktionen – für viele IT-Entscheidungsträger in den Unternehmen ein wichtiges Kriterium. Etwa 25 Millionen Menschen und Tausende von Firmen arbeiten derzeit auf Basis von Linux. Linus Torvalds wurde zum Star, und sein Porträt schmückte die Titelseite des Forbes Magazine. Die Headline lautete: „Friede, Liebe, Software“.
Wie funktioniert Open Source?
Das Netzwerk-Unternehmen Linux im Internet verknüpft hunderttausende Teilnehmer und umfasst derzeit rund 4000 firmengesponserte Projekte. Die Devise heisst Geben und Nehmen: Wer als Firma oder als Einzelner eine Systemverbesserung oder zusätzliche Funktionen entwickelt hat, stellt sie ins Netz zum Test und zur freien Verfügbarkeit der anderen Nutzer. Durch die ständigen Rückkoppelungen entsteht ein sich selbst steuernder, kontinuierlicher Verbesserungsprozess und eine echte lernende Organisation, in der die Nutzer zugleich Mitarbeiter und Kunden sind. Dieses Prinzip der Selbstorganisation gilt auch, wenn zwei Leute ähnliche Lösungen für ein Problem gefunden haben: Dann wartet Torvalds ab, welche sich bei den Anwendern durchsetzt. Wer versuchen sollte, die Quellcodes einer Linux-Weiterentwicklung für eine kommerzielle Nutzung geheim zu halten, den würde die Gemeinde ganz einfach von künftigen Updates ausschliessen.
„Ich habe Linux, um ehrlich zu sein, nicht aus so hehren Gründen als Open-Source-Software freigegeben. Mir ging es um Rückmeldungen. Und ausserdem war das das übliche Verfahren.“
Eine offizielle Linux-Version gibt es nicht. Die ultimative Entscheidung darüber, was zum Kern des Betriebssystems gehört, obliegt zwar exklusiv Torvalds – doch dies beruht allein auf dem Vertrauen, das er innerhalb der Linux-Gemeinde geniesst. Der Linux-Erfinder ist nicht Boss und Eigentümer, sondern Schiedsrichter und Obmann. Das Netzwerk-Management funktioniert ganz ohne Vorgaben, Abstimmungen oder gar Befehle. Mit der Zeit bildete sich eine Kerngruppe von fünf Entwicklern heraus, die als eine Art Filter fungieren und die Pflege einzelner Entwicklungsbereiche übernehmen. Andere kümmern sich um die PR. Jeder technische Beitrag wird in Form einer Credit-List namentlich gewürdigt – eine Fundgrube für Unternehmen auf der Suche nach Entwickler-Cracks.
„Open Source lässt alle mitspielen. Warum sollte die Wirtschaft, die für einen so grossen Teil des technologischen Fortschritts verantwortlich ist, davon ausgeschlossen sein – vorausgesetzt, sie hält die Spielregeln ein?“
Linux ist ein paradoxes Unternehmen, das eigentlich niemand je gegründet hat und mit dessen Produkten dennoch Milliarden von Dollars erwirtschaftet werden. Es ist in einem viel tieferen Sinn „virtuell“ als die Firmen, deren Mitarbeiter zwar aus der Ferne per IuK-Technik kommunizieren, im Grunde jedoch in traditionellen Strukturen arbeiten. Analog zur Entwicklung biologischer Zellen sind hier Produkt und Produktion nicht voneinander zu trennen. Das Unternehmen Linux lebt von dem Gesetz, dass Wissen als einzige Ressource bei Gebrauch nicht ab-, sondern zunimmt – und daher allen Beteiligten Gewinne bringt.
Fundis gegen Realos: der Mythos Linux
„Friede, Liebe, Software“ – ist hier im Internet eine heile Welt entstanden? Keineswegs. Als Torvalds schliesslich Vater wurde und nach dem Studium eine Stelle in Kalifornien bei der Firma Transmeta antrat, bezichtigten ihn viele per E-Mail, zum Establishment und Kommerz übergelaufen zu sein. Denn für die Hardliner in der Gemeinde galten Linux und Open Source als exklusives System für Studenten und Hacker. Dabei vermied Torvalds kommerzielle Interessenkonflikte konsequent und wählte unter den Job-Angeboten mit Transmeta bewusst keine Linux-Firma aus.
„Stellen Sie sich Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums vor, die Offenheit und gegenseitigen Austausch ermutigen. Natürlich können Sie Ihre technischen oder religiösen Geheimnisse auch weiterhin für sich behalten, aber diese Geheimnistuerei sollte nicht unter dem Schutz des Gesetzes stehen.“
Doch Fronten wie der „böse“ Bill Gates gegen den edlen Volkshelden Linus Torvalds, Aktiengesellschaften gegen altruistische Computerfreaks oder Anzugträger gegen Hacker, hat die Presse auch künstlich geschürt. Torvalds betont, dass es ihm nicht um den Kampf gegen Microsoft geht, in dessen Büros angeblich eine Zeit lang sein Konterfei überall präsent war – auf Dartscheiben. Für Torvalds ist Open Source mehr: nämlich eine neue und besonders lebendige Methode, Technologie, Wissen, Wohlstand und Spass zu verteilen, die es in der Welt des Kommerzes bisher so nicht gibt.
„Das wirklich Fesselnde am Programmieren ist die Tatsache, dass du den Computer dazu bringen kannst, zu tun, was du willst, aber du musst herausfinden, wie.“
Vergebens hatte einst der Vater versucht, mit dem Sohn die Vorzüge des Kommunismus zu diskutieren. Denn Heldentum, Ideologien und simples Schwarz-Weiss-Denken lehnt er ebenso ab wie die radikale Position von Richard Stallmann, dem Vater der freien Software-Bewegung. Sämtliche Entwicklungsprojekte unter die GPL (General Public Licence) zu stellen, ist für ihn religiöser Fanatismus. Jeder soll sich frei entscheiden, alle dürfen mitspielen – auch die Wirtschaft. Denn die sponsert Projekte und sorgt für die Wartung. Zudem: Nicht jedes Projekt eignet sich für ein Open-Source-Verfahren.
Pseudo-Open-Source
Immer mehr kommerzielle Anbieter sprangen schliesslich auf den Zug der Open-Source-Bewegung auf. Allerdings halbherzig. Zum Beispiel Apple: Zwar wurde der Quellcode des Betriebssystemkerns offen gelegt, nicht aber die darüber liegende Mac-Schicht. Schein-Open-Source auch bei Sun Microsystems: Sobald man bei Jini, der Erweiterung der Programmiersprache Java, den Code verändern oder ihn in die eigene Infrastruktur einbetten will, werden Lizenzen benötigt. Über Java behielt Sun die Kontrolle, indem es den Anwendern per Lizenz zusätzliche Tools aufbürdete.
„Ein Grossteil des Erfolgs von Linux kann auf meine persönlichen Unzulänglichkeiten zurückgeführt werden: 1) Ich bin faul. Und 2) ich geniesse es, Anerkennung für die Arbeit anderer einzuheimsen.“
Doch Sun, das mittlerweile auch Linux-Anwender auf seinen Servern unterstützt, hatte die Rechnung ohne die Kunden gemacht: Hewlett Packard und IBM etwa entwickelten flugs ihre eigenen Java-Implementierungen. Das erste kommerzielle Projekt, das sich dem Open-Source-Gedanken wirklich öffnete, war das Mozilla-Projekt für den Browser von Netscape. In den riesigen Umfang des Codes allerdings konnten sich nur die Netscape-Entwickler hineindenken – und bildeten eine Zeit lang ein Insider-Bollwerk gegen externe Entwickler. Auf die Old-Boys-Networks zu achten, ist daher besonders wichtig, wenn man Open Source machen will – sie sind das grösste Erfolgshindernis.
Eigentor Kontrolle
Kontrolle und Abschottung entstehen aus Gier, und Gier führt zu paranoiden Entscheidungen. Sich niemals von Gier leiten zu lassen, empfiehlt daher Torvalds allen Unternehmern. Er glaubt, dass Microsoft letztlich wie alle Monopolisten scheitern wird. Jeden Versuch etwa, Linux-Produkte zu bündeln, wie das Microsoft tut, würden die übrigen Nutzer und die Systemkräfte der Selbstorganisation vereiteln. So verhindert Open Source, dass Technik gehortet wird. Zudem sind die Qualitätsstandards geschlossener Softwareprogramme vergleichsweise niedrig.
„Tatsache ist, ich habe das Image des aufopfernden Mönches immer verabscheut, weil es so uncool ist. Es ist ein langweiliges Image. Und es stimmt nicht.“
Monopolisierung und Kontrolle in der Technik rufen gerade das hervor, was sie vermeiden sollen: nämlich die Entwicklung effizienterer Alternativen. Beispiel DVDs: Ihre Verschlüsselungstechnik verhinderte zusammen mit einem Regionalcode, Filme auf den neuen Datenträgern aus den USA z. B. in Europa zu spielen. Doch der Code wurde geknackt – von Leuten, die gar keine DVDs kopieren, sondern sie sich nur unter Linux ansehen wollten.
Neue Regeln zum Schutz geistigen Eigentums
Ein zentrales Anliegen von Open Source sieht Torvalds darin, den Krieg um das geistige Eigentum zu beenden – oder ihn zumindest zu entschärfen. Dabei sorgt auch er sich, dass ein Einzelner Linux an sich reissen könnte und eine Klage wegen Verletzung des Copyrights in den USA oder gar China dann womöglich chancenlos wäre. Wogegen er sich wendet, ist die Überbetonung der Autorenrechte. Zum Beispiel, dass Lizenzierung den Verbraucherschutz aushebelt, oder dass viele Schutzmassnahmen es verhindern, die Arbeit anderer Menschen legal zu nutzen.
„Was Sie bei Ihren Überlegungen zur Technik wirklich berücksichtigen müssen, sind die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen.“
Was ist, wenn zwei Erfinder eine ähnliche Lösung entdecken? Wer kann Patentanmeldungen in den Ämtern wirklich beurteilen? Wie lässt sich Willkür bei der Definition von Geschäftsgeheimnissen vermeiden? Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums sollen die Rechte auch anderer Menschen mit berücksichtigen. Bessere Lösungen erhofft sich Torvalds vom Open Law Project: ein Netzwerk aus ehrenamtlichen Anwälten und Jurastudenten, gegründet mit dem Ziel, die Erweiterung des amerikanischen Urheberrechts anzufechten. Analog zur Open-Source-Bewegung werden auf den Webseiten des Netzwerks die Arbeitsergebnisse veröffentlicht und die besten Argumente gesammelt.
Die Zukunft von Open Source und der Sinn des Lebens
Wie sieht die Zukunft von Open Source aus Sicht des Linux-Schöpfers aus? Man wird diese Organisations- und Produktionsform nutzen, um neue Techniken populär zu machen. Und es werden Sekundärindustrien entstehen. So wie im Fall von Palm Computing, das seine Entwicklungstools auch Drittherstellern und Einzelpersonen offen legte und auf diese Weise seinen Markt vergrösserte. Ein anderes Beispiel ist das finnische Unternehmen Wapit, ein Serviceanbieter für interaktive Geräte, das durch Open Source immense Entwicklungszeit für seine neue Service-Infrastruktur einspart.
„Das erste Motiv ist das Überleben, das zweite die Gesellschaftsordnung und das dritte Vergnügen und Unterhaltung. Alles im Leben geschieht in dieser Reihenfolge.“
Und was ist der Sinn des Lebens? Laut „Linus’ Gesetz“ haben Menschen drei Antriebsfedern: Die erste ist das Überleben, die zweite ist die Gestaltung von gesellschaftlichen Beziehungen und einer gesellschaftlichen Ordnung, und die dritte ist Unterhaltung, Vergnügen und Spass. In dieser Reihenfolge entwickelt sich auch die Technik. Beispiel Internet: Ursprünglich diente es dem Militär. Heute wird es zur Kommunikation, also zur Bildung gesellschaftlicher Vernetzungen eingesetzt und dringt in Riesenschritten immer weiter in die Welt der Unterhaltung und Spiele vor. Für Linus Torvalds ist das höchste Ziel im Leben das persönliche Erreichen der dritten Entwicklungsstufe von Linus’ Gesetz: Spass zu haben. Etwas Sinnvolleres gibt es nicht.