Die Kursmacher

Buch Die Kursmacher

Analysten - Astrologen oder neue Finanzelite?

DVA,


Rezension

Die Autoren Manfred Schumacher und Dorothee Kagelmann zeichnen in "Die Kursmacher" ein objektives und kritisches Bild der Zunft der Analysten, die ja mit­tler­weile fast schon Kultstatus und viel Macht an den Börsen errungen hat. Ein harter Konkur­ren­zkampf, die Schnel­llebigkeit der Börsenwelt und häufig mangelhafte In­for­ma­tion­squellen lassen den Beruf des Analysten dem eines Luftakro­baten ohne sicherndes Netz gleichen. Doch einigen von ihnen gelingt es, sich fest in den Sattel des Bullen zu setzen. Sie zählen auf Men­schenken­nt­nis, fundierte Recherchen, klare und ehrliche Empfehlun­gen - und dabei muss auch gele­gentlich mal ein "Verkaufen" fallen. Solche Köpfe braucht der in­ter­na­tionale Finanzmarkt. Im Textteil des Buches finden sich viele informative Charts und Tabellen. Zusätzlich bietet ein um­fan­gre­icher Anhang mehrere Rankings von In­vest­ment­banken und Analysten sowie ein Glossar und ein Stich­wortreg­is­ter. BooksInShort.​com empfiehlt dieses Werk allen, die die Welt der Analysten besser kennen lernen, verstehen und ihre Methoden nachvol­lziehen möchten.

Take-aways

  • Aus den wenig beachteten Analy­seabteilun­gen der Fi­nanzin­sti­tute en­twick­el­ten sich in den letzten Jahren wichtige Ressorts.
  • Analysten sollten möglichst genau recher­chieren und in ihren Prognosen objektiv bleiben.
  • Ständiger Kontakt zu den Un­ternehmensvorständen sowie Besuche vor Ort sind das A und O für die Arbeit der Analysten.
  • Der Er­fol­gs­druck ist gross: Wer häufig Fehl­prog­nosen erstellt, ist schnell weg vom Fenster.
  • Trotz ihrer stets betonten Objektivität sprechen Analysten eher selten Verkauf­sempfehlun­gen aus.
  • Es herrscht eine of­fenkundige Diskrepanz zwischen dem, was die Analysten sagen, und dem, was sie meinen.
  • Gravierende Fehleinschätzungen der Analysten bezüglich des Börsengangs junger Unternehmen haben in den letzten Monaten katas­trophale Auswirkun­gen gehabt.
  • Wenn die Un­ternehmensvorstände wenig in­for­ma­tions­bereit sind, ist für Analysten die Abgabe einer Prognose mehr eine Glaubens­frage.
  • Es werden in der Regeln nur Unternehmen gecovert, die einen Börsenwert von mindestens 200 Millionen Euro haben.
  • Der Weg an die Spitze ist für Analysten sehr steinig, aber er lohnt sich.
 

Zusammenfassung

Die Götter in Grau

Die Analysten sind zu Stars an der Börse aufgestiegen. Konz­ern­bosse lauschen gebannt ihren Worten. In den USA spielen die Analysten bereits seit Jahren eine gewichtige Rolle in der Wirtschaft, ein Konzernboss verbringt 20-30 % seiner Arbeitszeit in Gesprächen mit ihnen. Aus den bis vor wenigen Jahren wenig beachteten Analy­seabteilun­gen der Fi­nanzin­sti­tute en­twick­el­ten sich wichtige Ressorts, die die Wirtschaft ankurbeln und ideale Mark­tin­stru­mente darstellen. Doch brachte diese Entwicklung auch Schwierigkeiten mit sich: Auf der einen Seite fehlt aufgrund der schnellen Entwicklung der fähige Nachwuchs, auf der anderen Seite zieht das "grosse Geld", das man als Analyst verdienen kann, viele Scharlatane an. Besonders über Unternehmen aus dem Umfeld des Neuen Marktes und der Nasdaq wurden Fehlurteile aus­ge­sprochen, die schlimme Auswirkun­gen hatten. Ziel eines jeden Analysten ist es natürlich, an die Spitze zu kommen, auf den vorderen Plätzen der Ranglisten renom­mierter Börsen­magazine zu stehen. Inzwischen sind auch Vertreter der deutschen An­a­lystengilde dort zu finden.

Advokaten der Aktionäre

Die Analysten sind zu Kon­trol­lor­ga­nen der in­ter­na­tionalen Finanzmärkte geworden. Dabei ist ein fähiger Analyst angewiesen auf eine grosse Anzahl intensiver Kontakte, um möglichst viele wichtige und verlässliche In­for­ma­tio­nen zu sammeln. Das Urteil sollte kurz und objektiv und im Sinne der Anleger ausfallen. Doch v. a. hin­sichtlich der Objektivität ergeben sich oft In­ter­essen­skol­li­sio­nen, beispiel­sweise wenn das zu beurteilende Unternehmen Kunde der eigenen In­vest­ment­bank ist.

Ein Tag im Leben eines Analysten

Analysten stehen unter aussergewöhnlich hohem Zeitdruck. Sie müssen immer auf dem aktuellsten Stand sein und möglichst schnell ihr Urteil fällen, ansonsten ist die gerade erhaltene Information vielleicht wieder veraltet. Hauptinhalt ihrer Tagesarbeit ist die Recherche. Als Quellen dienen dabei sowohl Zeitungen als auch Mark­t­stu­dien, Reisen zu den Unternehmen, Telefonate mit Vorständen oder Mark­t­beobachtern oder auch das Internet. Die mitunter wochenlange Recherche zuzüglich ausgeklügelter Modelle und die nötige Men­schenken­nt­nis führt schliesslich zum Aussprechen eines von drei Worten: Kaufen - Halten - Verkaufen.

Analysten - Medienstars?

Mit­tler­weile ist es nicht nur so, dass Medien sich auf jeden Analysten stürzen, der gewagte Prognosen macht (auch wenn er damit nicht richtig liegt), sondern auch die Zun­ft­mit­glieder selbst nutzen ganz bewusst die Medien, um mit ihrer Hilfe an die Öffentlichkeit zu treten, sich zu verkaufen, bekannt zu werden. Die Medien wurden zum Selb­stver­mark­tungsin­stru­ment der Analysten. Mit dieser Art der Selbstpräsentation stieg natürlich deren Marktwert und auch ihr Gehalt - mitunter in as­tronomis­che Höhen. Aber damit war nicht automatisch eine Überschwem­mung des Marktes mit Analysten verbunden. Ganz im Gegenteil, die Anzahl der Analysten ist erstaunlich gering, es herrscht Nach­wuchs­man­gel. Der harte Konkur­ren­zkampf und der Er­fol­gs­druck bewirken eine strenge Auslese. Wer mehrfach falsche Prognosen aufstellt, ist schnell weg vom Fenster. Vielen Analysten fehlt zudem die nötige Branchenken­nt­nis. Aus diesem Grund sind Quere­in­steiger, die aus gefragten Branchen ins Börsengeschäft wechseln, besonders interessant für die Fi­nanzin­sti­tute und werden von diesen gesucht.

Warum Analysten so selten zum Verkauf raten

Analysten stehen häufig im Kreuzfeuer der Kritik, weil sie eher zum Kaufen raten - weniger zum Verkaufen. Sind sie zu wenig objektiv? Handeln sie im Grunde nur im Interesse der Un­ternehmen­skun­den und lassen die privaten Anleger völlig ausser Acht? Un­ter­suchun­gen haben tatsächlich ergeben, dass sich die Kur­spropheten nur in 5 von 100 Fällen zu einer klaren Verkauf­sempfehlung durchringen können. Meistens sitzen die Analysten zwischen den Stühlen. Eine schlechte Kaufempfehlung wird eher verziehen, doch eine falsche Verkauf­sempfehlung endet nicht selten mit der Kündigung - denn man tritt damit vielen auf die Füsse.

„Analysten gehören heute in der Tat zu den Schlüsselfiguren der in­ter­na­tionalen Finanzmärkte.“

Ein weiteres Argument ist, dass man sich schon aus Zeitgründen nur mit Kaufempfehlun­gen beschäftigen könne, denn auf der Kaufliste stünden genügend Firmen. Für eine genauere Analyse der un­at­trak­tiv­eren Firmen, die aus welchen Gründen auch immer von der Liste ver­schwinden würden, sei einfach keine Zeit. Hinzu kommen bankpoli­tis­che Gründe. Ist das Unternehmen, für dessen Aktien man eigentlich eine Verkauf­sempfehlung aussprechen müsste, Kunde der eigenen In­vest­ment­bank, so wirkt sich das natürlich negativ auf das Haus aus. Trotzdem betonen die Re­search-Abteilun­gen der deutschen und in­ter­na­tionalen Grossbanken immer wieder ihre Unabhängigkeit und verweisen auf die strengen Regeln ihrer Zunft.

Der Sprachcode der Analysten

Mehr als in jeder anderen Branche bereitet die Fachsprache der Analysten dem Laien grosse Probleme. Dabei sind nicht etwa kom­plizierte Fachausdrücke die Ursache der Verständi­gungss­chwierigkeit, sondern die of­fenkundige Diskrepanz zwischen dem, was die Analysten sagen, und dem, was sie damit meinen. Das beste Beispiel dafür ist die Empfehlung "Halten": Jeder Laie versteht bei dieser Empfehlung zunächst, er solle seine Aktie "behalten". Doch weit gefehlt! Je nachdem, ob die Aktie vorher zum Kauf oder zum Verkauf empfohlen wurde, ist "Halten" als "Behalten" oder "Abstossen" zu verstehen. Da die Analysten jedoch aus Konkur­ren­zgründen und aus Sorge, den Ar­beit­splatz zu verlieren, selten eine direkte Verkauf­sempfehlung aussprechen, ist "Halten" zur schlecht­esten Empfehlung geworden und damit zur verkappten Verkauf­sempfehlung.

Analysten und IPO (Initial Public Offering)

Natürlich ist das offizielle Ziel der Analysten, den Gang an die Börse (IPO) nur für Unternehmen zu empfehlen, von denen sie absolut überzeugt sind. Doch schaut man hinter die Kulissen, wird auch dem Laien schnell bewusst, dass die Analysten keineswegs die unabhängigen Wächter oder Richter der Börse sind.

„Ohne die Arbeit der Analysten funk­tion­iert ein moderner Kap­i­tal­markt nicht mehr.“

Bei grösseren Emissionen werden entsprechend grosse Konsortien gebildet, wodurch auch Analysten einer Nicht-Lead­bank die Einschätzung des Un­ternehmens und des Emis­sion­spreises ermöglicht wird. Doch in der Regel wird das Unternehmen von den Analysten der Kon­sor­tial­bank gecovert. Fatal wird es bei einer Überschätzung des Wertpapiers, was be­dauer­licher­weise nicht selten vorkommt: Von 105 Neue­mis­sio­nen am Neuen Markt seit April 2000 konnte nur ein knappes Drittel einen Gewinn gegenüber dem Aus­gabepreis vorweisen. Das führte natürlich zu einem starken Ver­trauensver­lust gegenüber den Analysten allgemein.

„Die fundierte und treffende Analyse ist nur die eine Seite der Medaille, sie richtig zu vermarkten, kommt mindestens eine ebenso grosse Bedeutung zu.“

Grössere Bankhäuser trennen ihre IPO- und Sell-Side-An­a­lysten. Erstere analysieren noch nicht notierte Ak­tienge­sellschaften. Sie erstellen mit dem IPO-Team des Un­ternehmens das "Factbook" - ein Grund­la­gen­pa­pier über den Börsenkan­di­daten. Ihr Job ist mit dem Tag, an dem das Unternehmen an die Börse geht, beendet. Nun wird es von den Sell-Side-An­a­lysten begleitet und beobachtet. Sie empfehlen die Aktie zum Kauf - oder auch nicht. Doch die Unabhängigkeit der Analysten ist damit nicht garantiert und wird es wohl auch nie sein. Die Vorstände der Börsenkan­di­daten erwarten, dass die Analysten ihnen auch noch nach dem Börsengang die Stange halten und nicht gleich wieder mit einem "Verkaufen" das Genick brechen. Vielleicht wäre es aber besser gewesen, solche Neg­a­tivempfehlun­gen viel öfter auszus­prechen, dann hätte sicherlich am Neuen Markt einiges verhindert oder gemildert werden können.

Bitte zum Verhör

Zuhören, verstehen, in­ter­pretieren - das müssen Analysten können, um möglichst sichere Prognosen abgeben zu können. Dabei ist der Umgangston in Deutschland wesentlich "ziviler" als in der angelsächsischen Finanzwelt. Die Gespräche zwischen amerikanis­chen Unternehmen und ihren Analysten werden scherzhaft auch "Grill­par­ties" genannt und sind von einem sehr scharfen Ton geprägt. Ihre verhörähnlichen Methoden, so ar­gu­men­tieren die Engländer und Amerikaner, demon­stri­eren und un­ter­stre­ichen die Unabhängigkeit der Analysten, deren Einfluss und Macht.

Hauptsache Coverage

Bank­an­a­lysten sollten bei der Auswahl, welches Unternehmen sie covern, im Interesse der Aktionäre handeln. Stehen die Aktien eines Un­ternehmens aber im Mittelpunkt des Interesses von Fonds­man­agern und grösseren Pri­vatan­legern, nimmt eine Vielzahl von Analysten diesen Kandidaten zumindest auf ihre "Watchlist", d. h. sie beobachten ihn eine Zeit lang regelmässig. Es werden in der Regel keine Unternehmen gecovert, die einen Börsenwert von weniger als 200 Millionen Euro haben, da sich der ganze Aufwand in solchen Fällen überhaupt nicht lohnt.

Zwischen Kalkulation und Kaffeesatz

Besonders am Neuen Markt haben Analysten grosse Schwierigkeiten, aufgrund fundierter Recherchen verlässliche Prognosen abzugeben. Hier können viele Unternehmen keinerlei Un­ternehmensgeschichte vorweisen, Quar­tals­berichte werden generell ungern abgegeben, oft bleibt den Analysten nur das Vertrauen zu dem jeweiligen Un­ternehmensvor­stand. Gut vor­bere­it­ete Analysten kommen mit einer ausgeklügelten Frageliste zu ihrem Kandidaten. Einen grossen Vorteil haben natürlich die Analysten, die fundierte Branchenken­nt­nisse mitbringen. Doch letztlich bleibt jede Prognose immer mit einem Risiko behaftet, denn die Situation an der Börse kann sich aufgrund einer Vielzahl von un­berechen­baren Faktoren sehr schnell ändern.

„Es gibt Phasen, in denen man mit den Wölfen heulen muss, wenn man keine Mark­tan­teile verlieren will, man im Zweifel aber besser die eine oder andere Emission auslässt.“

Die Analysten untersuchen zunächst den Wettbewerb und den Markt, in dem sich ihr Kandidat bewegt: Konkur­renten und deren Geschäftsstrate­gien, Marktführer, tech­nol­o­gis­che En­twick­lun­gen, Po­si­tion­ierung des Kandidaten in diesem Umfeld. Dann werden ver­schiedene Formen des Be­trieb­sergeb­nisses verglichen. In der Regel braucht ein junger Analyst sechs Monate, um sich in ein neues Unternehmen einzuar­beiten und die entsprechen­den Markttrends zu erkennen.

Bewertung vor und nach dem IPO

Je tiefer die Bewertung, umso höher ist die Gewin­n­chance des Anlegers nach Aufnahme des Börsenhandels. Zu hohe Aus­gabekurse können schnell von der Realität eingeholt werden und so kurz nach Börsengang zum Absturz der Aktie und des Ansehens des Börsenkan­di­daten führen. Nach dem IPO gilt natürlich: Je höher die Bewertung, umso besser. Aufgabe der Analysten ist, nach dem IPO den wahren Wert des Un­ternehmens festzulegen. Am stabilsten, das hat sich in den letzten Monaten wiederholt bestätigt, erweisen sich hier immer noch die Unternehmen der Old Economy.

Über die Autoren

Manfred Schumacher, geboren 1942, Dipl.-Volkswirt, gehörte zur Gründungs­man­nschaft des Nachricht­en­magazins Focus, wo er bis Ende 1999 das Wirtschaft­sres­sort leitete. Seit 2000 arbeitet er als freier Print- und Fernse­hjour­nal­ist und Fi­nanzber­ater. Dorothee Kagelmann, geboren 1964, berät börsen­notierte Unternehmen im Marketing ihrer Aktie und betreut junge Unternehmen beim Gang an die Börse.