Privates ganz öffentlich
Wäre Facebook ein Land, dann wäre es mit seinen 500 Millionen Nutzern das drittgrößte Land der Welt – und Mark Zuckerberg wäre sein Regierungschef. Die Hälfte der „Bürger“ klopft täglich bei der „Zentrale“ an. 700 Milliarden Minuten verbringen die Nutzer pro Monat im Austausch mit ihren durchschnittlich 130 „Freunden“; 3 Milliarden Fotos und 10 Millionen Videos laden sie dabei monatlich hoch. 40 000 Großserver speichern ohne Zeitlimit alles: private Daten, Konsumvorlieben, Abneigungen, politische Haltungen. Über 1 Milliarde Dollar hat Facebook 2010 durch zielgenau platzierte Werbung eingenommen. Doch die Zurschaustellung des eigenen Lebens birgt Risiken: Die Privatsphäre wird öffentlich. Der Personaler findet bei seiner Onlinerecherche Fotos oder Statements eines Bewerbers aus längst vergangenen Tagen – und sagt das Bewerbungsgespräch ab. An Schulen wird Cybermobbing betrieben wie nie zuvor; 35 % der Schüler und viele Lehrer waren schon einmal Opfer. Wehren kann man sich, wenn überhaupt, nur mit den richtigen Privatsphäre-Einstellungen. Die Profil-Grundeinstellungen bei Facebook sehen vor, dass alle Daten, Fotos und Kommentare für jedermann sichtbar sind und alle „Freunde“ gleichberechtigt sind. Wer das ändern will, muss sich durch 50 Einstellungsmöglichkeiten mit insgesamt 170 Optionen klicken.
Datenschutz kleingedruckt
Als registrierter Facebook-Nutzer sitzt man im Glashaus – doch das Unternehmen interessiert sich auch für noch nicht registrierte Menschen. Der „Freunde-Finder“ macht’s möglich: Man verrät Facebook einfach sein E-Mail-Passwort, und schon sammelt es die E-Mail-Adressen der persönlichen Kontakte ein, egal ob die bereits im Netzwerk registriert sind oder nicht. Freunde, die noch nicht dabei sind, erhalten umgehend Einladungsmails von Facebook – Widerspruch zwecklos. Das funktioniert auch mit den auf dem iPhone gespeicherten Daten. Sicherheitsexperten der Fachhochschule Gelsenkirchen fingen mit einem speziellen Programm die Daten ab, die beim Klick auf den „Freunde-Finder“ übertragen wurden. Und es ging nicht etwa nur um die E-Mail-Adressen, sondern um alles: Adressen, Fotos, Telefonnummern und sogar private Notizen. Datenschutz? Fehlanzeige!
Gefällt mir – nicht
Als beste Geschäftsidee aller Zeiten bezeichnet Facebook seinen „Gefällt mir“-Button. Damit kann der Nutzer seinen Onlinefreunden ganz einfach zeigen, was er alles mag. „Gefällt“ einem Mercedes, wird man plötzlich mit Mercedes-Werbung bombardiert. Mittlerweile haben 350 000 Websites den besagten Button integriert. Besucht man eine solche, nistet sich ein Cookie zwei Jahre lang auf der Nutzer-Festplatte ein. Facebook erstellt damit von jedem Nutzer ein individuelles „Gefällt mir“-Profil – das sind wertvolle Daten für die Werbeindustrie. Der Clou ist, dass Facebook auch die Daten von Nichtmitgliedern speichert. Melden sich jene später bei Facebook an, bekommt die IP-Adresse ein Gesicht, und Facebook weiß, auf welchen Websites die Person die letzten Jahre so herumgesurft ist – personalisierte Werbung folgt. Regelmäßig alle Cookies zu löschen ist daher Pflicht.
„Menschen, die sich Zuckerbergs Netzwerk Facebook anvertraut haben, stehen vor einem kaum zu lösenden Problem: unangenehme Spuren im Netz zu löschen.“
Wen es interessiert, was er Facebook mit seiner Registrierung alles zeigt, der darf sich durch die seitenlange Datenschutzbestimmung quälen. Innerhalb von sechs Jahren wuchs das Pamphlet von 1004 Wörtern auf 5830. Änderungen pflegt Facebook kontinuierlich in die Bestimmungen ein – um auf dem neuesten Stand zu sein, muss man den Text also regelmäßig lesen. Das macht kaum jemand, und so „unterschreiben“ Millionen Nutzer ungelesen, dass sie sämtliche Rechte an ihren Texten, Fotos und Videos an Facebook abgeben. Natürlich speichert Facebook, wer was hochlädt und sogar was andere Nutzer über einen schreiben. Werbetreibende auf Facebook dürfen Cookies im Browser hinterlegen; Kontodaten von Transaktionen gehen ebenfalls an den Konzern.
Das Facebook-Internet
Mark Zuckerberg will aus Facebook das Fenster zum Internet machen. In Facebook sollen die Webseiten integriert werden, die wir außerhalb des Netzwerks besuchen – der „Gefällt mir“-Button ist ein großer Schritt in diese Richtung: Freunde sehen, welche Seiten einem gefallen, und so multipliziert sich das Interesse; denn was Freunde empfehlen, ist schließlich glaubwürdig. Aus dem Freundesnetzwerk wird zunehmend ein Konsumentennetzwerk; Werbung ist nicht nur da – sie wird auch als Inhalt in den Freundeskreis eingebettet und Teil privater Interaktion. Mit den persönlichen Daten und dem Wissen um die Vorlieben der Nutzer hat Facebook gute Verkaufsargumente für Werbetreibende: Verbraucher werden zielgenau angesprochen, jede Mailingaktion erscheint dagegen als rausgeschmissenes Geld. Pro Nutzer macht Facebook rund 2 $ Umsatz im Jahr; 176 Milliarden Onlinewerbungen verkaufte das Unternehmen im ersten Quartal 2010.
„Wer seine Kontaktdaten bei Facebook hochlädt, übergibt dem Netzwerk sämtliche vertraulichen Informationen aus seinen Adress- und Kontaktdateien.“
Mit Anwendungen wie „Places“ verfolgt Facebook seine Mitglieder sogar über die Virtualität hinaus – das Programm zeigt allen Freunden (und natürlich Facebook und seinen Werbekunden), wo man sich gerade befindet. Bald soll auch die Suchmaschine Bing vom Facebook-Anteilseigner Microsoft auf Facebook integriert werden. Mit einem sozialen Algorithmus wird dann bei der Suche stärker berücksichtigt, was unseren Freunden bereits gefallen hat. Der Facebook-Algorithmus filtert heraus, was für den Nutzer „relevant“ sein soll. Wer sich darauf verlässt, gibt einen Teil seiner kritischen Urteilskraft auf. Facebook gewinnt so mehr Wissen darüber, was die Nutzer interessiert, und versucht zu verhindern, dass für Recherchen weiter Google genutzt wird. Ebenso will Facebook mit Skype kooperieren. Jede Art von Kommunikation soll eines Tages über Facebook laufen: interne Nachrichten, E-Mail, Instant Messaging, Telefonie. E-Mail-Anbieter wie Google Mail würden überflüssig werden, und niemand müsste Facebook mehr verlassen, um zu kommunizieren. Selbst im Finanzbereich ist Facebook tätig. Mit so genannten Facebook-Credits – einer virtuellen Währung – kann man bereits Spiele oder virtuelle Waren bezahlen. Kreditkarten oder PayPal als Bezahlsysteme werden überflüssig, wenn man mit dem Facebook-Geld bald echte Güter im Internethandel bezahlen kann.
Die CIA-Connection
Informationen, die Menschen offen und ungefiltert ins Internet stellen, sind nicht nur für die Werbeindustrie interessant – auch Staaten und deren Geheimdienste freuen sich über Stimmungsbilder, Aufmerksamkeitswellen oder Hinweise zu Terrornetzwerken. Barack Obama plant Gesetze, die es den US-Behörden erlauben sollen, weltweit das gesamte Internet – inkl. der sozialen Netzwerke – abzuhören. Dafür benötigt die Regierung natürlich IT-Kompetenz. Und die bekommt sie, indem sie sich in IT-Firmen einkauft und gute Kontakte zur Branche pflegt. So gründete das CIA eine IT-Firma namens In-Q-Tel, die an einer Vielzahl von IT-Unternehmen beteiligt ist, beispielsweise an Visible Technologies, wo Onlinedialoge im Kontext und inhaltlich analysiert werden – und die Regierung mit den ausgewerteten Daten versorgt wird.
„Für Facebook sind die Cookies Gold wert, denn sie markieren Benutzer eindeutig und ermöglichen eine Wiedererkennung.“
Das Zusammenführen und Herausfiltern von Informationen ist das Ziel der Geheimdienste; sie überwachen daher Chatrooms, E-Mails und die Kommunikation in sozialen Netzwerken. Wer glaubt, dass Facebook da neutral ist, der irrt. Zwar gibt es keine politischen Statements von Zuckerberg, aber ein Blick auf Facebooks Stakeholder offenbart eine Vernetzung zu Konservativen, US-Militärs und Geheimdiensten. Investor Peter Thiel (Mitbegründer von PayPal) engagiert sich politisch bei The Vanguard, einer konservativ-marktradikalen Organisation, die gegen demokratische Werte wettert. Howard E. Cox, ein Manager des Facebook-Investors Greylock Partners, unterhält beste Kontakte zum US-Geheimdienst – bis 2009 saß er im Beratungsteam des US-Verteidigungsministeriums und nun ist er im Aufsichtsrat von In-Q-Tel. Das alles bringt Facebook gefährlich nahe an die CIA heran. Ebenso hat der Facebook-Lobbyist Timothy Sparapani intensiven Kontakt mit dem Heimatschutzministerium, dem Verteidigungsnachrichtendienst und der Armee. Diese Facebook-Verflechtungen sind besorgniserregend, auch wenn niemand ganz sicher weiß, was da genau passiert und welche Auswirkungen es hat.
Demokratie im Facebook-Gewand
Für Zuckerberg ist sein Unternehmen ein Instrument der Demokratie: Jeder Mensch bekomme auf Facebook eine Stimme. So lassen sich auch die Stimmen von Politikern online hören: sei es Barack Obama, Angela Merkel oder ein x-beliebiges Bundestagsmitglied. Meist stecken hinter den Onlineprofilen jedoch nur PR-Agenturen, die Meinung machen sollen. Die CDU verteilte im Wahlkampf 2009 Postkarten, auf die Sympathisanten schrieben, warum sie Angela Merkel unterstützen. Die Statements wurden mithilfe einer automatischen Software nummeriert und jeweils als ein Nutzer auf Facebook registriert. So gewann die CDU kurzerhand 9000 neue Facebook-„Freunde“, wenngleich sich hinter diesen nur anonyme Unterstützer versteckten.
„Soziale Netzwerke wie Facebook werden in Zukunft einer der wesentlichen Faktoren für die Infektion von Rechnern mit Schadsoftware sein.“
Auch Konzerne engagieren Agenturen, um Stimmung für oder gegen etwas zu machen. Die Organisation LobbyControl entlarvte jüngst die Deutsche Bahn, die 1,65 Millionen Euro an eine Lobbyagentur zahlte, um verdeckt im Netz für die Bahnprivatisierung zu werben. Über Facebook lassen sich zwar unkompliziert Flashmobs organisieren oder Menschen für Anti-Atomkraft-Demos mobilisieren – insofern kann es ein demokratisches Instrument sein –, doch Staat und Geheimdienste können die Drahtzieher leicht ausfindig machen. So wie im Iran: Während der „Twitter-Revolution“ tauschten Regimegegner Informationen über Facebook aus. Der iranische Geheimdienst sammelte das Beweismaterial und inhaftierte viele Demonstranten. Ein Geschenk für Ahmadinedschad – eine Falle für die Demokratie.
Kriminelle auf Facebook
Facebook ist auch ein Sammelbecken für Kriminelle, Betrüger und Rechtsextremisten. Einige von ihnen sind so dumm, dass sie mit ihren Taten online angeben und der wachsenden Zahl von im Internet recherchierenden Polizisten wertvolle Hinweise geben. Manche Gangster hingegen suchen ihre Opfer gezielt auf Facebook: Wer offen postet, dass er im Urlaub ist, muss sich nicht wundern, wenn Einbrecher die Gelegenheit nutzen. Als getarnte Onlinefreunde kommen sie anonym an die Information; niemand muss sich mehr auf die Lauer legen und ein Haus tagelang beobachten. Eine andere Masche ist der Vorschussbetrug: Gauner kopieren das Profil eines Freundes und bitten um Geld – man sei gerade bestohlen worden und stehe nun mittellos in Paris. Auf diesen „Hilferuf“ sind schon viele reingefallen.
„Je mehr wir uns Facebook anvertrauen, desto verletzlicher wird unsere Kommunikationsfähigkeit.“
Gefährlich sind auch Viren und Trojaner: Im Namen von Freunden werden Nachrichten, Links und Videos verschickt. Einen Klick später ist der Trojaner auf der Festplatte und sucht nach Onlineaktivitäten, Passwörtern und Bankkonten. Als Paradebeispiel gilt der infizierte „Dislike“-Button, den eine clevere Hackerbande programmierte. Wer sucht, der findet auch Naziparolen auf Facebook. Ob rechte Musikbands, Parteien oder Politiker – sie alle haben ein Profil. Nazis tarnen sich wie Betrüger häufig mit einem sympathischen, unauffälligen Profil. Als mitdiskutierende Mitglieder in verschiedenen Facebook-Gruppen verstreuen sie ihre braune Propaganda. Leicht beeinflussbare Jugendliche geraten so schnell in ihren Sog.
Wahre Freundschaft?
200, 500, ja sogar über 1000 „Freunde“ haben manche Facebook-Nutzer. Doch der inflationäre Begriffe „Freund“ täuscht: Durchschnittlich 6,6 echte Freunde hat jeder Nutzer in seiner Liste – 130 Facebook-„Freunde“ stehen diesen gegenüber. Für viele scheint es ohne Facebook nicht mehr zu gehen. Wissenschaftler baten Nutzer, 30 Tage ohne das soziale Netzwerk zu leben. Entzugserscheinungen und sozialer Druck waren die Folge. Die Nutzer verpassten Partys und wichtige Neuigkeiten aus dem Freundeskreis und mussten sich sogar von Freunden anhören, dass sie unfähig seien, mit der modernen Technik umzugehen. Facebook ist bereits ein Teil unseres Beziehungsgeflechts geworden: Allein können wir kaum noch sein, aber zugleich tauschen wir uns im Internet vor allem mit oberflächlichen Bekannten aus. Echte Gemeinsamkeit entsteht nicht, wenn wir ausschließlich online kommunizieren. Die Abstinenzler der Studie beschrieben, dass sie ohne Facebook die Zeit mit ihren echten Freunden viel intensiver erlebten. Und eine Hochzeit ist sicher auch romantischer, wenn man darauf verzichtet, am Altar via Smartphone noch schnell seinen Beziehungsstatus zu ändern.