Gottes Werk und Teufels Beitrag

Buch Gottes Werk und Teufels Beitrag

New York, 1985
Diese Ausgabe: Diogenes,


Worum es geht

Moralisch, parteiisch, politisch – ein Buch mit Wucht

Irvings Bestseller Gottes Werk und Teufels Beitrag ist ein politisches Statement, verpackt in einen Mix aus Hoch- und Un­ter­hal­tungslit­er­atur, wie er fĂŒr den US-Buch­markt typisch ist. Anhand einer in der Ver­gan­gen­heit an­ge­siedel­ten Geschichte wird ein bran­dak­tuelles Thema verhandelt: die ethische Au­seinan­der­set­zung ĂŒber die Abtreibung. Als das Buch 1985 erschien, platzte es in die aufgeheizte AtmosphĂ€re zwischen der kon­ser­v­a­tiven Wende unter Reagan und dem liberalen Feminismus. Der Streit zwischen fun­da­men­tal-kon­ser­v­a­tivem und sozial­lib­eralem Lager schwelt bis heute. Irvings Buch bleibt also aktuell. Die QualitĂ€t des Romans liegt daher nicht bloß in seinem lit­er­arischen oder sprach­lichen Wert, sondern auch in seiner kom­pro­miss­losen Parteinahme fĂŒr die Selb­st­bes­tim­mung der Frau – und zwar in­ter­es­san­ter­weise aus durchweg mĂ€nnlicher Fig­uren­per­spek­tive. Pro-Life-Ak­tivis­ten bekĂ€mpfen die zentralen Thesen des Romans, Lit­er­aturkri­tiker bemĂ€ngeln seine schlichte Kon­struk­tion, doch offen eingestellte Leser finden einen plastisch geschilderten, emotionalen Zugang zum Thema und einen Aufruf, den eigenen moralischen Kompass neu zu justieren – ohne erhobenen Zeigefinger.

Take-aways

  • John Irvings Roman Gottes Werk und Teufels Beitrag ist ein wichtiges Buch fĂŒr die Debatte zur Selb­st­bes­tim­mung der Frau in den USA.
  • Inhalt: Homer Wells wĂ€chst im Waisenhaus auf. Sein vĂ€terlicher Mentor Dr. Larch nimmt dort illegale Ab­trei­bun­gen vor. Homer will dabei nicht mitmachen, er geht in die Welt, lernt das Leben kennen und kehrt zurĂŒck, um Dr. Larchs Erbe im Dienst der unterdrĂŒckten Frauen anzutreten.
  • Der Roman zeigt die Überlegen­heit ethischer Entschei­dun­gen ĂŒber feste Regeln.
  • Ver­schiedene Beziehungskon­stel­la­tio­nen (homosexuell, asexuell, Dreiecks­beziehung) werden gle­ich­berechtigt nebeneinan­dergestellt.
  • Der Roman ist ein politisches Statement im kon­ser­v­a­tiver werdenden Amerika unter Ronald Reagan in den 1980er-Jahren.
  • Der Text orientiert sich in Stil und ErzĂ€hlper­spek­tive an Charles Dickens, der auch mehrfach zitiert wird.
  • Irving griff beim Schreiben auf ErzĂ€hlungen seines Großvaters zurĂŒck.
  • Der Roman schaffte es auf Anhieb auf Platz eins der Best­sellerliste.
  • Irving verfasste selbst das Drehbuch fĂŒr den gle­ich­nami­gen Film von 1999. Er erhielt dafĂŒr einen Oscar.
  • Zitat: „Gott (oder wer immer) verzeihe mir. Ich habe eine Waise geschaffen; ihr Name ist Homer Wells, und er wird immer nach St. Cloud’s gehören.“
 

Zusammenfassung

Das Haus der ungewollten Kinder

In St. Cloud’s in Maine betreibt Dr. Wilbur Larch in den 1920er-Jahren mit UnterstĂŒtzung der Kinderkranken­schwest­ern Edna und Angela ein Waisenhaus. Larch schreibt auch als Chronist eine Kleine Geschichte von St. Cloud’s. Die Schwestern geben den Waisen vorlĂ€ufige Namen, bis sie von Adop­tivel­tern neue bekommen. Nur der Junge Homer Wells findet keine Adop­tivel­tern. Nach vier gescheit­erten Versuchen steht fĂŒr Dr. Larch fest, dass Homer nach St. Cloud’s gehört. Homers erste Adoption scheitert an seiner ungewöhnlichen Wortkargheit. Die zweite Familie nimmt Homer zwar mit, schlĂ€gt ihn aber, bis Larch den mis­shan­del­ten Jungen zurĂŒckholt. In der dritten Familie wird Homer beschuldigt, sexuell ĂŒbergriffig geworden zu sein. Die vierten Pflegeel­tern sterben im Wildwasser vor Homers Augen. Als er zum Waisenhaus zurĂŒckkehrt, beschließt Dr. Larch, ihn dort zu behalten, wenn er sich „nĂŒtzlich mache“.

Die Geschichte von Dr. Larch

Dr. Larchs Vater war Trinker, seine Mutter Putzfrau beim BĂŒrgermeister von Portland, der in Maine die Prohibition eingefĂŒhrt hat. Larch begann sein Studium an der Medi­zinis­chen Hochschule. Sein stolzer Vater spendierte ihm eine Nacht mit Mrs. Eames, einer Hure, die ihn mit Gonorrhö ansteckte. Am Morgen danach lernte er auch deren Tochter– ebenfalls eine Pros­ti­tu­ierte – kennen. Larch entwickelte infolge seiner Infektion ein Interesse an Bakterien, entdeckte seine Vorliebe fĂŒr den Ätherrausch und entsagte auf Lebenszeit dem Sex. Er wurde Arzt in Boston und lernte die schlimmen UmstĂ€nde kennen, unter denen die Armen ihre Kinder zur Welt bringen. Eines Nachts wurde Mrs. Eames in die Klinik ein­geliefert. Larch konnte nur noch ihr totes Kind entbinden. Drei Tage darauf starb die Mutter an den Folgen ihrer selbst versuchten Abtreibung.

„Gott (oder wer immer) verzeihe mir. Ich habe eine Waise geschaffen; ihr Name ist Homer Wells, und er wird immer nach St. Cloud’s gehören.“ (Dr. Larch, S. 39)

Als auch Mrs. Eames’ Tochter mit einem Ab­trei­bungswun­sch zu Larch kam, lehnte dieser aus Angst vor den rechtlichen Folgen ab. Nach einer anderswo versuchten Abtreibung starb die Frau. Larch suchte die ve­r­ant­wortliche Kurp­fuscherin auf, die ihn schwer beschuldigte: Sie handle, wĂ€hrend er dem Elend nur tatenlos zusehe. Larch nahm eine 13-JĂ€hrige von dort mit in die Klinik, fĂ€lschte ihre Krankengeschichte und nahm seine erste Abtreibung vor – offiziell aus medi­zinis­chen GrĂŒnden, tatsĂ€chlich aus ethischen. Kein Kollege widersprach, doch merkte Larch, dass er zum Außenseiter wurde. Ab jetzt kamen die ungewollt Schwangeren zu ihm und verlangten seine Hilfe. Larch floh nach Portland und folgte schließlich einem Angebot aus St. Cloud’s, wo er ein Waisenhaus mit Ent­bindungs- und Ab­trei­bungssta­tion grĂŒndete.

„Er war GynĂ€kologe; er holte Babys auf die Welt. Seine Kollegen nannten das ,Gottes Werk‘. Und er war ein Abtreiber, er half auch MĂŒttern zurĂŒck in die Welt. Seine Kollegen nannten das ,Teufels Beitrag‘, aber fĂŒr Wilbur Larch war beides ,Gottes Werk‘.“ (S. 101)

Larchs ehemalige Kollegen nannten den Vorgang der Geburt „Gottes Werk“ und den der Abtreibung „Teufels Beitrag“, doch Dr. Larch ist ĂŒberzeugt, dass in St. Cloud’s nur Gottes Werk vollbracht wird. Eines Tages, im Alter von 13 Jahren, findet Homer Wells einen Fötus. Larch beschließt, Homer einzuweihen und ihn zu seinem Gehilfen zu machen.

Der nĂŒtzliche Homer

Homer beginnt, den Jungen im Waisenhaus abends David Copperfield von Charles Dickens vorzulesen, etwas spĂ€ter auch den MĂ€dchen. Alle MĂ€dchen lauschen ruhig – bis auf Melony, die etwas Ă€lter als Homer ist. Sie ist ein ĂŒbergewichtiger Teenager, sitzt aufreizend knapp bekleidet auf dem Bett und provoziert Homer. Melony wurde einst ausgesetzt. Niemand kennt ihr genaues Alter. Alle Adop­tionsver­suche sind gescheitert – erst wegen ihrer unbĂ€ndigen Wut, spĂ€ter wegen sexueller Kontakte zu PflegevĂ€tern. Larch bittet Homer um UnterstĂŒtzung. Homer trifft sich mit Melony in einer verlassenen HĂŒtte von St. Cloud’s. Melony gibt Homer ein altes Foto, auf dem eine Frau beim Oralsex mit einem Pony zu sehen ist. Homer ist verstört und fasziniert. Melony bietet Homer einen Deal an: Er soll fĂŒr sie die Akte mit den Daten ihrer leiblichen Eltern aus dem Archiv stehlen – im Tausch gegen Sex.

„,Gute Nacht!‘ pflegte er zu rufen. ,Gute Nacht – ihr Prinzen von Maine, ihr Könige Neuenglands!‘“ (ĂŒber Dr. Larch, S. 107)

Dr. Larch bewahrt die Daten der leiblichen Eltern bewusst nicht auf. Als Homer ihr das erzĂ€hlt, wird Melony so wĂŒtend, dass sie die HĂŒtte halb zerstört. Nachdem Homer ihr versprochen hat, St. Cloud’s nicht frĂŒher als sie zu verlassen, bedankt sie sich bei ihm mit Oralsex – doch seine anfĂ€ngliche Erregung lĂ€sst allzu schnell nach. GedemĂŒtigt und wĂŒtend zerstört Melony den Rest des Hauses. Das Pornofoto landet schließlich bei Larch, der in der Frau auf dem Bild sofort Mrs. Eames’ Tochter, der er damals nicht helfen wollte, erkennt. Larch beschließt, Homer zum Chirurgen auszubilden. Nachdem der Waisenjunge Fuzzy Stone gestorben ist, macht Larch dessen Tod zu Homers Aufgabe: Wie bringt man es den anderen bei? Homer behauptet, Fuzzy sei ebenfalls adoptiert worden. Eines Tages rettet Homer eine Patientin und ihr Baby im Alleingang. Larch kĂŒsst den ver­meintlich schlafenden Homer vĂ€terlich. FĂŒr die Akten fingiert Larch einen Herzfehler, den Homer angeblich seit seiner Geburt hat, um ihn vor dem MilitĂ€rdienst bei einem eventuellen Krieg zu schĂŒtzen.

Gebrochene Versprechen und erfundene Geschichten

In den Orten Heart’s Haven und Heart’s Rock verlieben sich Wally Worthington, Sohn eines Apfelbauern, und Candy Kendall, Tochter eines Hum­mer­fis­ch­ers, ineinander. Candy wird ungewollt schwanger, die perfekte Leben­s­pla­nung der beiden droht zu scheitern. Über eine Arbeiterin auf der Apfelfarm erfĂ€hrt Wally von St. Cloud’s. Als er und Candy dort ankommen, hat Homer Dr. Larch mitgeteilt, dass er nie Ab­trei­bun­gen vornehmen werde. Larch möchte, dass Homer trotzdem die Praktiken kennenlernt, er will ihn aber nicht zur DurchfĂŒhrung zwingen. Bei Candy, in die Homer sich auf den ersten Blick verliebt, will er nicht einmal dabei sein. Die Abtreibung gelingt, und Homer, Wally und Candy finden Gefallen aneinander. Homer bricht sein Versprechen gegenĂŒber Melony und geht mit den beiden fort. Larch weiß, dass er nicht nur fĂŒr kurze Zeit geht. Melony beschließt, Homer zu folgen, stiehlt Geld und macht sich auf den Weg zur KĂŒste.

„,Ich sage nicht, dass es richtig ist, verstehst du? Ich sage, dass es ihre Entschei­dung ist – es ist die Entschei­dung der Frau. Sie hat ein Recht darauf, sich so zu entscheiden, verstehst du?‘ fragte Dr. Larch. – ,Richtig‘, sagte Homer Wells.“ (S. 160 f.)

Homer genießt sein Leben auf der Apfelfarm. Er macht sich nĂŒtzlich und wird von allen geschont, denn Larch hat ohne Homers Wissen von dessen angeblichem Herzfehler berichtet. Homer lernt mit Candys Hilfe schwimmen und wĂ€chst in die Familie hinein. Derweil denkt der Waisen­hausauss­chuss ĂŒber die Ablösung des 70-jĂ€hrigen Larch nach. Larch hat aber in der Zwis­chen­zeit schon seinen eigenen Nachfolger erfunden: Fuzzy Stone, der verstorbene Junge, wird in Larchs Unterlagen zum Arzt. Larch fĂ€lscht eine Ko­r­re­spon­denz mit „Dr. Stone“ und legt so den Grundstein fĂŒr die Zukunft von St. Cloud’s.

„Und darum endete ihre erste Nacht der Lei­den­schaft, die sich so langsam zwischen ihnen aufgebaut hatte, in der typischen Hast der Maßnahmen, die ergriffen werden, um eine ungewollte Schwanger­schaft zu vermeiden (
)“ (ĂŒber Candy und Homer, S. 567)

Melony gerĂ€t bei ihrer Suche nach Homer auf eine andere Apfelfarm. Zwei Arbeiter versuchen, sie zu verge­walti­gen. Das MĂ€dchen schlĂ€gt sie kranken­haus­reif. WĂ€hrend sie einen Job annimmt, bereitet Homer mit Wally das Ciderhaus auf die Ankunft der schwarzen Erntehelfer vor. Dazu gehört, die Regeln aufzuhĂ€ngen, die dort gelten. Wallys Vater stirbt noch vor der Ernte und Wallys Mutter bietet Homer ein Zuhause an, zumal Wally fortgeht, um das College zu besuchen. Homer geht zur Highschool und hilft bei der Apfelernte. Er lernt den ChefpflĂŒcker, Mr. Rose, kennen, der ĂŒberaus geschickt mit dem Messer umgehen kann.

Liebe und ihre FrĂŒchte

Melony zieht weiter nach Bath, beginnt dort in einer Fabrik zu arbeiten und freundet sich mit Lorna an, einer Kollegin. Eines Abends gehen die beiden ins Kino, um sich einen Film anzusehen. Genau das haben auch Homer und Candy vor. Doch bevor sie das Kino betreten, passiert Homer ein Miss­geschick. Aus seiner Geldbörse fĂ€llt ein BĂŒschel von Candys Schamhaar, das er bei ihrer Abtreibung heimlich eingesteckt hat. Homer gesteht Candy, dass er sie liebt. Candy erwidert seine GefĂŒhle. Aber sie bittet Homer um Geduld – er akzeptiert. Als sich die Nachricht vom japanischen Angriff auf Pearl Harbour verbreitet, beschließt Wally, Pilot zu werden und in den Krieg zu ziehen – gegen den Willen von Candy.

„Wenn die Zeit verstreicht, möchte man die Menschen, die einen einst kannten, gern wiedersehen; mit ihnen kann man richtig sprechen. Wenn genug Zeit verstrichen ist – was macht es dann schon, was sie einem angetan haben?“ (S. 634)

Die nĂ€chste Apfelernte steht bevor. Mr. Rose rĂŒckt mit neuen MĂ€nnern und einer Frau an. Die anderen PflĂŒcker sind alle im Krieg. Homer beginnt eine TĂ€tigkeit im nahe gelegenen Spital. Die Ärzte – und Schwester Caroline, eine zupackende junge Sozialistin – bemerken bald, dass Homer ĂŒber medi­zinis­che Kenntnisse verfĂŒgt. Wally wird im Anschluss an eine Pi­lote­naus­bil­dung nach Indien geschickt. Wenig spĂ€ter kommt die Nachricht, dass er ĂŒber Birma abgeschossen wurde. WĂ€hrend sich Dr. Larch immer hĂ€ufiger an Äther berauscht und wĂ€hrend Melony und Lorna ein Liebespaar werden, kommen sich Homer und Candy immer nĂ€her. Schließlich verbringen die beiden im Ciderhaus ihre erste Nacht miteinander. Drei Monate spĂ€ter ist klar: Candy ist schwanger. Sie und Homer beschließen, nach St. Cloud’s zu gehen – offiziell, um dort zu helfen, in Wahrheit aber, um dort heimlich ihr Kind zur Welt zu bringen. Homer und Candy verbringen glĂŒckliche Monate in St. Cloud’s. Nachdem ihr Sohn geboren ist – Homer nennt ihn Angel –, erhalten sie ein Telegramm: Wally ist lebend gefunden worden. Er ist in Birma Opfer einer Infektion geworden und von der HĂŒfte abwĂ€rts gelĂ€hmt. Candy und Homer tischen bei ihrer RĂŒckkehr zur Apfelfarm eine LĂŒgengeschichte auf: Homer habe Angel adoptiert.

Neue Zeiten, alte Zeiten

15 Jahre sind vergangen. Melony erfĂ€hrt, dass Lorna sie betrogen hat und nun schwanger ist. Sie schickt Lorna nach St. Cloud’s, damit sie das Kind dort abtreibt. Als sie einen Artikel ĂŒber Wallys Rettung liest, erinnert sie sich, dass sie ihn damals in St. Cloud’s ken­nen­gel­ernt hat. Sie beschließt, nach Heart’s Rock aufzubrechen und ihre Suche nach Homer wieder aufzunehmen. Candy hat in der Zwis­chen­zeit den im Rollstuhl sitzenden Wally geheiratet und lebt mit ihm, Homer und Angel wie eine Familie unter einem Dach. Die drei ĂŒbernehmen die Ve­r­ant­wor­tung fĂŒr die Apfelfarm. Von Zeit zu Zeit treffen sich Homer und Candy heimlich, doch Angel bleibt offiziell der Adoptivsohn von Homer. Unterdessen ist der Ausschuss bei der Ablösung von Dr. Larch erfolglos geblieben: Kein anderer Arzt will nach St. Cloud’s. Nur Schwester Caroline unterstĂŒtzt jetzt auf Empfehlung von Homer das Team im Waisenhaus.

„,Irgendwie dachte ich, du wĂŒrdest am Ende etwas Besseres machen als die Frau eines armen KrĂŒppels bumsen und dein eigenes Kind verleugnen‘, sagte Melony zu Homer Wells.“ (S. 698)

Melony taucht auf der Apfelfarm auf. Als sie Homer, Angel und Candy sieht, begreift sie au­gen­blick­lich, dass sie es mit Vater, Mutter und Sohn zu tun hat. Als sie auch Wally kennenlernt, kon­fron­tiert sie Homer mit seiner Arm­seligkeit: Ein mittelstĂ€ndischer Heuchler sei er geworden, der einen Freund betrĂŒgt und sein eigenes Kind belĂŒgt. Als der gedemĂŒtigte Homer sieht, dass Melony ein Exemplar des Fragebogens an sich genommen hat, den der Ausschuss verschickt hat, um Dr. Larch zu diskred­i­tieren, ruft er im Waisenhaus an und warnt, dass der Ausschuss mit Melonys zweifellos schlechten Kommentaren ĂŒber St. Cloud’s neues Material gegen Dr. Larch in die HĂ€nde bekomme. Homer bekommt von Dr. Larch eine Arzttasche mit den Initialen F. S. zugesandt. Er beginnt zu verstehen, dass Larch ihn fĂŒr die fingierte Rolle des Dr. Fuzzy Stone in St. Cloud’s vorbereitet. Larch, mit­tler­weile in seinen 90ern, weiht nun sein Team in den Plan ein, Homer unter falschem Namen als seinen Nachfolger einzusetzen. Auch Homer erhĂ€lt einen Brief von Larch mit allen Details des Plans. Er ahnt, dass er nach St. Cloud’s zurĂŒckkehren wird.

Die Regeln brechen

WĂ€hrend Melony und Lorna wieder zusam­menkom­men, steht die nĂ€chste Erntesaison an. Nach der Ernte will Homer Wally alles beichten: dass Angel sein und Candys Sohn ist und dass er und Candy ĂŒber Jahre ein VerhĂ€ltnis hatten. Mr. Rose bringt diesmal seine Tochter und deren Baby mit. Rose Rose, die Tochter, ist etwa in Angels Alter. Angel verliebt sich in sie. Es stellt sich heraus, dass Mr. Rose seine Tochter mit dem Messer verletzt hat und dass sie schwanger ist. Angel ertrĂ€umt eine gemeinsame Zukunft, doch Rose, die sich weigert, den Vater des ungeborenen Kindes zu nennen, weiß, dass das nicht geht. Sie will eine Abtreibung. Angel fragt Homer und dieser ruft in St. Cloud’s an. ErschĂŒttert erfĂ€hrt er, dass Dr. Larch gestorben ist – ein Unfall mit Äther hat ihn getötet. Homer hadert mit sich. Er sorgt sich um St. Cloud’s und meint erstmals, doch Ab­trei­bun­gen vornehmen zu können. Candy holt Rose aus dem Ciderhaus und stellt mit Abscheu fest, wer der Vater des ungeborenen Kindes ist: Mr. Rose, Roses Vater. Sie bringt Rose zu Homer, teilt ihm mit, was sie erfahren hat, und nach kurzem Zögern fĂŒhrt er die Abtreibung durch. Jetzt ist ihm klar, dass er auch anderen Frauen helfen muss. Rose bringt ihrem Vater eine tödliche Messerwunde bei und flieht. Der verblutende Mr. Rose tarnt sein Sterben als Selbstmord.

„,Ich weiß nicht, ob Du ein Kunstwerk in Dir trĂ€gst‘, schloß Larch seinen Brief an Homer Wells, ,aber ich weiß, was Deine Aufgabe ist, und das weißt Du genauso. Du bist der Arzt.‘“ (S. 727)

Nach diesen Ereignissen machen Candy und Homer reinen Tisch. Homer weiht Angel ein, Candy beichtet Wally alles. Homer geht zurĂŒck nach St. Cloud’s, wo er schließlich als Dr. Stone die Zustimmung des Ausschusses erhĂ€lt, das Waisenhaus zu leiten. Er lebt mit Schwester Caroline, studiert Dr. Larchs Chronik (aus der er erfĂ€hrt, dass er gar keinen Herzfehler hat) und empfĂ€ngt Wally, Candy und Angel jeweils zu Weihnachten. Eines Tages wird die Leiche von Melony in St. Cloud’s angeliefert. Lorna hat sie auf Melonys Wunsch zu Stu­dien­zwecken an Dr. Stone in St. Cloud’s gesandt. Homer, gerĂŒhrt durch diese spĂ€te Geste der Versöhnung, lĂ€sst sie neben dem Waisenhaus begraben.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Handlung von Gottes Werk und Teufels Beitrag erstreckt sich von den 1920er- bis in die 1950er-Jahre. In elf Kapiteln werden die Lebenswege der Hauptcharak­tere weitgehend chro­nol­o­gisch erzĂ€hlt. Der Text ist figurennah in der dritten Person geschrieben und versammelt eine große Zahl Neben­fig­uren, deren Lebens­geschichten in die Haupthand­lung eingebettet werden. In die ErzĂ€hlung sind oft Passagen aus Dr. Larchs Chronik einge­flochten, deren EintrĂ€ge meist mit „Hier in St. Cloud’s“ oder mit „In anderen Teilen der Welt“ beginnen. Irving nutzt weitgehend einfache Prosa, an einigen Stellen streut er medi­zinis­ches Fach­vok­ab­u­lar ein. Plastische Schilderun­gen, etwa von Ab­trei­bun­gen, Krankheiten und sozialen ZustĂ€nden sowie de­tail­lierte Beschrei­bun­gen von RĂ€umen erzeugen oft eine dichte AtmosphĂ€re, die eine filmische Umsetzung nahelegt. Historische Details vermitteln zudem AuthentizitĂ€t – in den Anmerkungen werden vom Autor konkrete Recherchequellen genannt. An einigen Stellen finden sich Andeutungen ĂŒber kĂŒnftige Schicksale der Figuren. Das ErzĂ€hltempo variiert: Im neunten Kapitel werden zum Beispiel Szenen motivisch so miteinander verwoben, dass man an das filmische Mittel des „Split Screen“, der geteilten Leinwand, erinnert wird.

In­ter­pre­ta­tion­sansÀtze

  • Der Roman liefert An­schau­ungs­ma­te­r­ial fĂŒr eine moralische Urteils­bil­dung zum Thema Abtreibung. Dr. Larch ist geprĂ€gt von seinen Erlebnissen in den Ar­men­vierteln von Boston. Homers Entschei­dung, nicht bei Ab­trei­bun­gen mitwirken zu wollen, basiert dagegen auf Unkenntnis der Welt. Erst als er außerhalb von St. Cloud’s das Leid ver­schiedener Frauen persönlich kennenlernt, ist er bereit, seine Entschei­dung zu ĂŒberdenken.
  • Am Schluss des Romans ist die Rede von den Herzen von Homer und Dr. Larch, an denen es „nichts auszusetzen“ gebe. Damit wird betont, dass nicht Regeln, sondern das menschliche MitgefĂŒhl und in­di­vidu­elle, ethisch fundierte Überlegungen darĂŒber entscheiden, was richtig und was falsch ist.
  • Regeln sind nicht in Stein gemeißelt, sie mĂŒssen permanent ĂŒberprĂŒft werden. So wie die Cider­haus-Regeln jedes Jahr neu verfasst und ausgehĂ€ngt werden, mĂŒssen auch die Regeln, von denen ein Mensch sein Handeln leiten lĂ€sst, mit zunehmender Erfahrung neu angepasst werden.
  • Der Roman zeigt lesbische, asexuelle, rassen- und klassenĂŒbergreifende sowie Dreiecks­beziehun­gen als gle­ich­berechtigte Lebens­for­men und ist insofern ein PlĂ€doyer fĂŒr Toleranz und DiversitĂ€t.
  • BĂŒcher bereiten auf das Leben vor: Larch hĂ€lt Homer fĂŒr gut vorbereitet auf das Leben, weil dieser Dickens gelesen hat. Mit dieser Aussage ĂŒber die Wirkung von Literatur formuliert der Text auch einen Anspruch an sich selbst.
  • NĂ€chstenliebe und Mitleid sind zentrale Motive: Der areligiöse Dr. Larch zeigt mit seiner Hilfe fĂŒr Not leidende Frauen mehr Anteilnahme als die christlich-kon­ser­v­a­tiven Regeln, die vom Rest der Gesellschaft befolgt werden.
  • Man kann den Apfel als Symbol verstehen: Apfelfarm und Ciderhaus stehen fĂŒr den Baum der Erkenntnis, der Homer letztlich zurĂŒck nach St. Cloud’s fĂŒhrt.

His­torischer Hintergrund

Die Ab­trei­bungs­de­batte in den USA

Die ersten geset­zlichen Verbote von Schwanger­schaft­sun­ter­brechun­gen in den USA kamen in den 1820er-Jahren auf. Schon damals waren Mediziner besorgt, dass die Verbote Frauen reihenweise in illegale Kliniken treiben könnten. Doch das Ă€nderte nichts daran, dass immer mehr Bun­desstaaten Ab­trei­bungsver­bote gesetzlich festschrieben. 1873 verbot das Com­stock-Gesetz landesweit den postal­is­chen Versand von VerhĂŒtungsmit­teln und von In­for­ma­tion­s­ma­te­r­ial zur VerhĂŒtung. 1965 verfĂŒgten sĂ€mtliche 50 US-Bun­desstaaten ĂŒber eigene Gesetze zum Ab­trei­bungsver­bot.

Doch dann kam im Januar 1973 mit dem Roe-v.-Wade-Urteil das Ende der strikten Verbote. Der Supreme Court entschied mit sieben zu zwei Stimmen, dass allen Frauen generell das Recht zustehe, ĂŒber einen Schwanger­schaftsab­bruch selbst zu entscheiden. Lediglich die letzten drei Monate der Schwanger­schaft konnten danach durch Bun­des­ge­setze noch re­gle­men­tiert werden. Im Gegenzug feierte die An­tiab­trei­bungslobby mit dem Hyde Amendment 1976 ihren ersten Erfolg nach der Le­gal­isierung: Die staatliche finanzielle Ab­trei­bung­shilfe fĂŒr bedĂŒrftige Frauen wurde landesweit gestrichen, sofern der Abbruch nicht medizinisch notwendig war. Bis dahin wurde rund ein Drittel aller Ab­trei­bun­gen ĂŒber die staatliche Zuwendung Medicaid bezahlt.

In der Ära Reagan ab 1981 formierten sich als Reaktion auf das Roe-v.-Wade-Urteil zahlreiche Gruppen, die mit Blockaden von Kliniken auf sich aufmerksam machten. Bomben­dro­hun­gen und AnschlĂ€ge gegen Ab­trei­bungskliniken waren bald an der Tage­sor­d­nung. In den 1980er-Jahren gaben 80 Prozent aller BeschĂ€ftigten von Kliniken und Praxen, die Ab­trei­bun­gen anboten, an, sie seien von Ab­trei­bungs­geg­n­ern belĂ€stigt und in ihrer Arbeit behindert worden. In vielen FĂ€llen wurden Ärzte sogar bis nach Hause verfolgt und mit dem Tod bedroht. 1994 und 1995 wurden fĂŒnf Klinikangehörige tatsĂ€chlich ermordet. Der öffentliche Druck sorgte dafĂŒr, dass immer weniger Ärzte das Stigma „Abtreiber“ auf sich nehmen wollten. Von 1983 bis 1995 sank die Zahl der FachĂ€rzte, die bereit waren, eine Abtreibung durchzufĂŒhren, von 42 auf 33 Prozent. Abtreibung war an den UniversitĂ€ten kaum ein Thema. Übrig blieben so zumeist Ă€ltere Ärzte.

Entstehung

Nach den Bestsellern Garp und wie er die Welt sah und Das Hotel New Hampshire war John Irving einer der meist­ge­le­se­nen Autoren der USA. Dass auch sein nĂ€chstes Buch ein Erfolg werden wĂŒrde, war relativ sicher. Mit Gottes Werk und Teufels Beitrag ließ Irving seiner Begeis­terung fĂŒr Charles Dickens (der vielfach im Roman zitiert wird) freien Lauf. Von Dickens ĂŒbernahm er die auktoriale ErzĂ€hlper­spek­tive, die weitgehend chro­nol­o­gis­che Abfolge der Hand­lungsstrĂ€nge und die moralische Stel­lung­nahme einer Geschichte ĂŒber soziale MissstĂ€nde. Irving recher­chierte intensiv den his­torischen Hintergrund und die medi­zinis­chen Grundlagen seines Plots. Seine Hauptquelle war neben Fach­lit­er­atur wie Henry Grays Anatomie von 1858 vor allem sein eigener Großvater Frederick C. Irving, der in der Zeit, in der der Roman spielt, prak­tizieren­der GynĂ€kologe unter anderem in Boston war. Irvings Großvater verfasste zudem das Expectant Mother’s Handbook, das ebenfalls eine Quelle fĂŒr das medi­zinis­che Vokabular des Romans war. Auch Teile von Irvings persönlicher Biografie schlugen sich im Entste­hung­sprozess nieder. Sein leiblicher Vater, den er nie ken­nen­lernte, stĂŒrzte im Zweiten Weltkrieg ĂŒber Birma ab.

Wirkungs­geschichte

Die Kritik ging mit Irvings Roman zum Teil hart ins Gericht. In einer Rezension wurde Gottes Werk und Teufels Beitrag als „Ziegelstein von einem Buch“ bezeichnet, das „verdiene, durch John Irvings Fenster zurĂŒckgeworfen zu werden“. Gle­ichzeitig lobten ver­schiedene Rezensionen den Un­ter­hal­tungswert und die detailliert aus­gear­beit­eten Charaktere. Auch im Ausland gab es ein geteiltes Echo. Matthias Horx bescheinigte dem Roman 1988 in der Zeit „enorme Kon­struk­tion­ss­chwĂ€chen, der Roman langweilt nach 200 Seiten, verliert sich in Details und öden Dialogen, dra­matur­gisch kommt er bis zum Schluss nicht wieder auf die Beine“ – und dennoch kommt er zu einem positiven ResĂŒmee. Das Thema Abtreibung und Irvings klare Position sorgten in liberalen Kreisen fĂŒr große Zustimmung, bei der Pro-Life-Be­we­gung dagegen fĂŒr Proteste. Ein Großteil der Kritiker fĂŒhrte die Au­seinan­der­set­zung auf der politischen BĂŒhne, nicht auf der lit­er­arischen. Irving hatte im kon­ser­v­a­tiver werdenden Amerika der Reagan-Ära einen Nerv getroffen. Im Er­schei­n­ungs­jahr 1985 verkaufte sich der Roman rund 300 000 Mal und landete prompt auf Platz 1 der Best­sellerliste. Schon 1986 begann Irving mit einer Drehbuch­fas­sung. Der vierte Anlauf fĂŒr eine Verfilmung wurde 1999 von Regisseur Lasse Hallström umgesetzt. Tobey Maguire spielte Homer und Michael Caine Dr. Larch. Caine (bester Neben­darsteller) und Irving (bestes adaptiertes Drehbuch) erhielten jeweils einen Oscar. Das Buch wurde im Jahr nach dem Filmdebut erneut zum Bestseller.

Über den Autor

John Irving wird am 2. MĂ€rz 1942 in Exeter im US-Bun­desstaat New Hampshire geboren. Wie viele seiner Ro­man­fig­uren stammt er aus einer Großfamilie. John ist das Ă€lteste von vier Kindern. Sein Stiefvater ist Lehrer an Johns Schule. Trotz seiner Legasthenie liest der Junge viel und gern, was seinen Noten eher abtrĂ€glich ist. Als Teenager beginnt er mit dem Ringen. Sein Coach erkennt bei ihm ganz klar zu wenig Potenzial, um zu den Spitzen­ringern aufzuschließen, aber John lĂ€sst nicht locker und trainiert umso hĂ€rter. Erst als Irving an der UniversitĂ€t Pittsburgh mit den besten Ringern des Landes trainiert und feststellen muss, dass er wirklich nicht mithalten kann, gibt er seinen Traum auf, Profi zu werden. Er wechselt daraufhin an die UniversitĂ€t New Hampshire, wo er an einem Kurs fĂŒr kreatives Schreiben teilnimmt und seinen Mentor John Yount kennenlernt, der ihn ermuntert, mit dem Schreiben fortz­u­fahren. Im Rahmen eines Aus­tausch­jahres geht Irving nach Wien. WĂ€hrend eines Deutschkurses zur Vor­bere­itung auf den Austausch lernt er seine erste Frau Shyla Leary kennen. Kurz nach der Hochzeit wird ihr Sohn Colin geboren. Als jung ver­heirateter Student mit einem Kleinkind entgeht Irving der Einberufung und so dem Viet­namkrieg. 1968 veröffentlicht er seinen ersten Roman Lasst die BĂ€ren los! (Setting Free the Bears). Er nimmt eine Stelle als Dozent an einem College in Vermont an und verbringt zwis­chen­durch wieder ein Jahr in Wien, wo auch sein zweiter Sohn Brendan geboren wird. Nachdem sein neuer Verlag 1978 seinen vierten Roman Garp und wie er die Welt sah (The World According to Garp) mit einer großen Kampagne einem Mil­lio­nen­pub­likum bekannt gemacht hat, kann Irving von der Schrift­stellerei leben – und das von Bestseller zu Bestseller besser. 1985, wĂ€hrend er Gottes Werk und Teufels Beitrag (The Cider House Rules) verfasst, trennt er sich von seiner ersten Frau und heiratet spĂ€ter seine Agentin Janet Turnball, mit der er seinen dritten Sohn Everett hat. John Irving lebt mit seiner Familie in Vermont und Toronto.