Warum Kultur?
Beantworten Sie sich selbst die zwei Fragen: Wie viel Prozent Ihrer Zeit verbrauchen Sie für die Überwindung unternehmensinterner Widerstände? Wie würden Sie das Unternehmen führen, wenn es Ihnen gehörte? Manager aus deutschen Grossunternehmen nennen bei der ersten Frage einen Anteil von 50-80 % – in mittelständischen Firmen dagegen nur 20-30 %. Auf die zweite Frage antworten viele, wesentlich erfolgreicher arbeiten zu können – wenn man sie liesse. Beide Bereiche weisen auf die eklatanten Gegensätze zwischen den Wertesystemen und dem realen Betriebsalltag hin. Die Basis einer stabilen Kultur ist die Vision, die dem Unternehmen seinen Platz in der Zukunft zeigen soll. Nicht nur grosse, expansive Firmen brauchen sie – gerade auch Hersteller von so nüchternen Produkten wie Mineralwasser oder Dübeln können aus der Eigendynamik einer starken Vision Nutzen ziehen. Unternehmer mit Kontrollsucht werden schnell lernen, dass Kultur nicht planbar ist. Sie entsteht vielmehr im interaktiven Prozess mit viel Eigendynamik, der kaum steuerbar ist und ständiger Beobachtung bedarf. Der Unternehmer ist also, so scheint es, zur Passivität verdammt.
Phasen
Der Prozess der Entwicklung eines Unternehmens und seiner Kultur kann in vier Phasen eingeteilt werden:
- Gründungsphase – Ursprung einer Kultur sind die Werte des Menschen, der das Unternehmen ins Leben ruft und weitergibt.
- Aufbau- und Reifephase – Die Mitarbeiter lernen Werte, die diejenigen des Gründers ergänzen und sich im stetigen Vergleich mit der Umwelt erfolgreich durchsetzen.
- Krisenphase – Verändern sich die inneren wie äusseren Bedingungen radikal, versagt die bisherige Kultur; sie wird in Subkulturen (etwa in verschiedenen Filialen) zersplittert.
- Phase der Neuorientierung – Ist Überflüssiges verworfen, nehmen die Mitarbeiter den kulturellen Lernprozess wieder auf.
Benchmarking USA
Die Unternehmenskulturen der USA unterscheiden sich erheblich von denen Deutschlands oder der Schweiz: In Europa definieren sich Betriebe v. a. über ihre Geschichte, in der mobilen amerikanischen Gesellschaft liegt die Betonung auf „Vision“, „Mission Statement“ und „Core Values“ – Regeln, die ausformuliert werden. Mit zunehmender Mobilität hierzulande und entsprechender Mitarbeiterfluktuation könnte es nötig werden, diesem Beispiel zu folgen, da die „Einarbeitungszeiten“ in eine Kultur nicht mehr ausreichen. In einem sehr mobilen Umfeld wird stärker und detaillierter geführt; auch die Macht amerikanischer Vorgesetzter ist – im Gegensatz zum plakativen auch informellen Gebaren – höher als hierzulande. Während die Problemlösung bei uns eher deduktiv und grundsätzlich erfolgt, wird im US-Raum experimentell geführt. Nachdem eine Führungskraft die „Objectives“ definiert hat, sind alle Mitarbeiter zum Ideensammeln aufgefordert. Dann legt der Chef fest, wie das Problem gelöst werden könnte. Die Lösung wird zusammen erarbeitet. In einem Umfeld sich beschleunigender Märkte dürfte der amerikanische Weg Vorteile bieten.
Kultur messbar machen
Mit einem mechanischen Verfahren lassen sich die komplexen Ausprägungen von Unternehmenskulturen nicht erfassen – viele Aspekte sind verborgen, die Faktoren zu vielfältig. Es lässt sich jedoch mit Hilfe von quantitativen Verfahren z. B. ein Kultur-Benchmarking durchführen. Kriterien für die vergleichende Untersuchung des Kulturprofils sind die Faktoren „Geschäftszweck“, „Erfolgsmassstäbe“, „Entscheidungsstrukturen und kognitive Prozesse“, „Management und Führungsstil“ sowie „Arbeits- und Kommunikationsstil“. Wie in einem Unternehmen die genannten Aspekte ausgeführt werden, lässt sich natürlich nicht von vornherein positiv oder negativ beurteilen.
Wandel managen
Wenn Sie versuchen, eine Kultur zu ändern, müssen Sie diese erst verstehen – ihr Muster und ihre Grundstruktur. Kultureller Wandel zielt direkt auf Köpfe und Herzen der Mitarbeiter, denn sie sind die Träger der Kultur. Sie müssen nun Werte, die dem Geschäftserfolg schaden, beseitigen – und auf der anderen Seite solche, die ihn steigern, ergänzen. Kultur ist keine Disziplin wie Finanzierung oder Absatz – sie durchdringt jeden betrieblichen Kontext. Stellen Sie sicher, dass
- die neue Kultur allen mitgeteilt und erklärt wird.
- Argumente, warum die neue Kultur von Vorteil sein soll, lieferbar sind.
- Ihre Führungskräfte in der Lage sind, die Kultur zu verstehen und mit ihr umzugehen.
- Ihr Stab als einen Bestandteil von Führung auch die Beeinflussung der Unternehmenskultur versteht.
- das Führungsteam eine klare Vorstellung entwickelt, wie die Fähigkeiten zur Beeinflussung aussehen müssen – organisieren Sie Fortbildungen zur Schulung dieser Fähigkeiten.
- neues Personal routiniert in die neue Kultur integriert wird.
- Ihr bestehendes Wertesystem kontinuierlich mit der gewünschten Kultur in Einklang gebracht wird.
„Wie kann eine Unternehmenskultur greifbar gemacht und dokumentiert werden? Wie kann ein Fisch feststellen, dass er im Wasser schwimmt?“
Letztendlich gibt es keine „richtige“ Kultur. Führungskräfte müssen jenes Wertesystem formen, das für ihr spezifisches Geschäft richtig ist. Wichtig ist bei der Implementierung neuer Kultur auch die Aufdeckung verborgener Elemente: Häufig klaffen Lücken zwischen der gewünschten Kultur – den offiziellen Werten – und der tatsächlich gelebten Ordnung.
Widerstand
Oft werden die Projektleiter der Veränderung von unerwarteten Widerständen frustriert. Die Geschichte der Menschheit ist v. a. eine Geschichte des Widerstandes gegen Innovation und Veränderung. Die Verhinderer von Veränderung sind quantitativ bei weitem in der Mehrheit. Folglich werden sich Veränderer nur durchsetzen, wenn sie über mehr Macht und Qualität als die Verhinderer verfügen.
Slogans
Sichtbar wird die Kultur eines Unternehmens in seinen (Werbe-) Slogans und Logos. Besonders nachhaltig wirkt ein Slogan, wenn er sich auf eine möglichst konkrete Eigenschaft bezieht: Audis „Vorsprung durch Technik“ und BMWs „Freude am Fahren“ sind hierfür gute Beispiele. Weniger stark produktbezogene Äusserungen wie Fords „Die tun was“ richten sich direkt an die Menschen – Mitarbeiter werden damit herausgefordert, aktiv und kreativ zu werden. Idealerweise ist ein Slogan eindeutig zuzuordnen; etwa bei dem bekanntesten Getränkehersteller mit „Always Coca-Cola“ oder bei der Versicherung mit „Hoffentlich Allianz-versichert“. Einen guten Slogan entwickeln Sie durch Ergründung Ihrer Kernkompetenzen – mittels Kunden- und Mitarbeiterbefragungen sowie interner Workshops. Aus der Essenz ist ein Slogan zu entwickeln – am besten von der Unternehmensführung. Nur wenn sich Ihr Personal mit ihm identifiziert, erzielt der Slogan seine volle Wirkung.
Kultur als Lockmittel
Unternehmenskultur wird immer wichtiger für die Aussenwirkung – gute Nachwuchskräfte legen zunehmend Wert auf „weiche Faktoren“ wie „Spass an der Arbeit“, „interessante Aufgaben“, „herausfordernde Tätigkeiten“ und „Freiraum zur Verwirklichung eigener Ideen“ sowie „Eigenverantwortung“. In einem immer härteren Wettbewerb um gutes Personal können sich Unternehmen nicht leisten, bei der Elite wegen einer Steinzeitkultur abzublitzen. Eine schlechte Unternehmenskultur und ebensolches Führungsverhalten lassen sich heute kaum noch durch Geld kompensieren.
Chaos und Kultur
Unternehmen stehen auf dem schmalen Grat zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Vorausplanung und Überraschung. Erst seit kurzem weiss man um die Bedeutung des Chaos für die Weiterentwicklung dynamischer Systeme. Eine Unternehmenskultur muss auch Raum für die Unordnung lassen, zu viel Ordnung führt zu Erstarrung. Geordnete Reaktionen verleihen Stabilität, chaotische Reaktionen ermöglichen dagegen Flexibilität und durch experimentelles Vorgehen (trial and error) die rasche Anpassung an veränderte Umweltbedingungen. Grossunternehmen entwickeln immer mehr Ordnung und ein Immunsystem gegen Chaos. Doch durch Ordnung lassen sich nur altbekannte Probleme lösen.
„Solange ein amerikanischer Unternehmer bei einem Konkurs nicht betrügerisch gehandelt hat, hat er eben Pech gehabt. Wenn er eine neue gute Idee entwickelt, werden sich sicher Partner und Kapitalgeber finden. In Deutschland ist der Konkurs doch noch mit ganz anderen Stigmata behaftet.“
Selbst die bewährteste Regel bedarf von Zeit zu Zeit der Hinterfragung. Wie Sie die Angst vor dem Chaos überwinden:
- Trainieren Sie sich und Ihren Mitarbeitern das Bewusstsein an, dass Chaos zum Überleben notwendig ist.
- Sorgen Sie für Pluralismus der Meinungen. Ein gefährliches Symptom von zu viel Ordnung ist das so genannte „Groupthink“-Phänomen, bei dem alle gleich denken, voll auf einer Linie liegen. Ist zu schnell ein Konsens erreicht, besteht die Gefahr, dass die verschiedenen Seiten eines Problems nicht ausreichend bedacht werden.
- Reorganisieren Sie von Zeit zu Zeit, um der Erstarrung von Ordnungen einerseits, aber auch dem Fortbestehen von Chaos andererseits entgegenzuwirken.
- Wechseln Sie zyklisch zwischen Chaos und Ordnung. Wachstumsschüben sollen Konsolidierungsphasen folgen, in denen sich neue Ordnungen bilden können.
Fusionen
Viele Merger schlagen fehl, weil die Verschmelzung zweier Betriebskulturen – die eigentliche Herausforderung einer Fusion – nicht gelingt. Stattdessen fühlen sich die einen oder sogar beide Betriebsteile als Verlierer. Zusätzlich zu der Sorge um den eigenen Arbeitsplatz belastet sie, dass alte Werte auf einmal nicht mehr gelten – und der Kulturschock, ein völlig neues Wertesystem übergestülpt zu bekommen. Motivationseinbrüche, Orientierungslosigkeit, Misstrauen, Ablehnung und letztendlich Abwanderung von erfahrenen Mitarbeitern belasten die beteiligten Unternehmen.
„Letztendlich gibt es keine ‚richtige’ Kultur. In einer Versicherungsgesellschaft mag zum Beispiel eine risikoscheue Kultur angemessen sein, während eine risikofreudige Einstellung in einer Investmentbank entscheidend ist.“
Natürlich wollen Sie möglichst viele fähige Mitarbeiter der Akquisition, das wahrscheinlich grösste Kapital, mit übernehmen. Sie können Kulturtrennung versuchen, indem Sie die beiden Kulturen nebeneinander existieren lassen. Das schützt zwar vor dem Kulturschock, doch verzichten Sie auf das, was eigentlich Hauptgrund für eine Fusion sein könnte – Synergie und Verbundvorteile durch Eingliederung und Umstrukturierung des Neuzuganges.
„Hervorragende Unternehmenskulturen räumen Kunden, Aktionären und Mitarbeitern – allen dreien – einen hohen Rang ein. Dies ist offensichtlich ein sehr anspruchsvoller Standard. Ebenso fordern sie starke Führung auf allen Ebenen der Hierarchie.“
Kulturanpassung ist der Versuch, durch Angleichung beider Kulturen ein gänzlich neues, vereinendes Wertesystem zu schaffen. Massnahmen hierfür können Kulturseminare oder Integrationsteams aus beiden Korporationen sein. Sie sollten dabei Wert darauf legen, die Betroffenen durch Informationen und Argumente ehrlich zu überzeugen, anstatt die Fusion schönzureden. Nur wenn Mitarbeiter den Bedarf an Kulturveränderung verstehen, werden sie ihn auch verinnerlichen.
„Man kann Kulturen nicht wie einen Haarschnitt verändern. Kultur ist weder sicht- noch greifbar. Sie ist das Ergebnis spezifischer Handlungsweisen einer Gruppe und der Belohnungen für diese Handlungen über einen bestimmten Zeitraum hinweg.“
Das braucht aber seine Zeit: Kulturanpassung ist ein mühevoller, über Jahre dauernder Prozess. Auf jeden Fall sollte eine Strategie nicht erst in der Integrationsphase, sondern schon vor Beginn der Fusionsverhandlungen entwickelt werden.