Unternehmenskultur und Strategie

Buch Unternehmenskultur und Strategie

Herausforderungen im globalen Wettbewerb

Frankfurter Allgemeine Buch,


Rezension

Eine The­men­samm­lung rund um das Stichwort „Un­ternehmen­skul­tur“ – Hermann Simons ehrgeiziger Plan, echte Praxis-Tipps zu geben, ist auch aufgegangen. Vor allem erfreut, dass trotz zahlreicher mitwirk­ender Autoren der Stil einheitlich sachlich und dennoch nicht langweilig ist. Manchmal nur erweist sich das formale Korsett von maximal zwei Seiten pro Thema als luftabschnürend. Etwa das Kapitel „Kultur messbar machen“ schafft es nicht, auf eineinhalb Seiten konkret Ver­fahrenswege zu beschreiben, um dem viel ver­sprechen­den Titel gerecht zu werden. Trotzdem: Es bleibt fast keine Frage offen. Kulturelle Un­ter­schiede zwischen Old und New Economy werden erläutert, eine Kapi­telserie über andere Kulturen (von den USA bis zu Asien) verlockt zum Bench­mark­ing, wieder ein anderer Abschnitt geht auf Fusionen und ihre besonderen Ansprüche an Un­ternehmen­skul­turen ein. Interessant, nützlich und dank guter Gliederung auch selektiv lesbar – der Beweis, dass vo­rauss­chauende Literatur nicht unbedingt aus Amerika kommen muss. BooksInShort empfiehlt dieses Buch allen, die ihrer Un­ternehmen­skul­tur den letzten Schliff geben wollen.

Take-aways

  • Un­ternehmen­skul­tur ist das von allen Mi­tar­beit­ern anerkannte, fest­geschriebene und als Verpflich­tung angenommene Werte- und Zielsystem eines Un­ternehmens.
  • Dieses System regelt auch Aus- und Weit­er­bil­dungsmöglichkeiten des Personals und gibt ihm so über das spezifische Unternehmen hinaus eine Perspektive.
  • Ins­beson­dere in wis­sens­basierten Unternehmen vermag eine fest verankerte Un­ternehmen­skul­tur die Produktivität erheblich zu steigern.
  • Künstliche Programme zur Mi­tar­beit­er­mo­ti­va­tion bringen nichts – die wichtigsten Bausteine für eine stabile Un­ternehmen­skul­tur sind Vertrauen und Vorbild.
  • Sie können Ihre Un­ternehmen­skul­tur kaum fertig vorgeben und durchsetzen; sie muss vielmehr eigenständig wachsen und kann nur wenig kanalisiert werden.
  • Un­ternehmen­skul­tur wächst am besten auf geeignetem Nährboden, also im richtigen Per­so­n­enkreis.
  • Sorgen Sie für Pluralität, für die optimale Mischung zwischen Kreativen und Ausführenden, zwischen Chaotischen und Ord­nungslieben­den.
  • Kun­den­zufrieden­heit ist direkt abhängig von der Qualität der Un­ternehmen­skul­tur.
  • Die eigentliche Her­aus­forderung bei Fusionen ist das Abstimmen der Un­ternehmen­skul­turen.
  • Eine schlechte Un­ternehmen­skul­tur lässt sich heute kaum noch durch Geld kom­pen­sieren.
 

Zusammenfassung

Warum Kultur?

Beantworten Sie sich selbst die zwei Fragen: Wie viel Prozent Ihrer Zeit verbrauchen Sie für die Überwindung un­ternehmensin­terner Widerstände? Wie würden Sie das Unternehmen führen, wenn es Ihnen gehörte? Manager aus deutschen Grossun­ternehmen nennen bei der ersten Frage einen Anteil von 50-80 % – in mittelständischen Firmen dagegen nur 20-30 %. Auf die zweite Frage antworten viele, wesentlich er­fol­gre­icher arbeiten zu können – wenn man sie liesse. Beide Bereiche weisen auf die eklatanten Gegensätze zwischen den Wertesys­te­men und dem realen Be­trieb­sall­tag hin. Die Basis einer stabilen Kultur ist die Vision, die dem Unternehmen seinen Platz in der Zukunft zeigen soll. Nicht nur grosse, expansive Firmen brauchen sie – gerade auch Hersteller von so nüchternen Produkten wie Min­er­al­wasser oder Dübeln können aus der Eigen­dy­namik einer starken Vision Nutzen ziehen. Unternehmer mit Kon­troll­sucht werden schnell lernen, dass Kultur nicht planbar ist. Sie entsteht vielmehr im in­ter­ak­tiven Prozess mit viel Eigen­dy­namik, der kaum steuerbar ist und ständiger Beobachtung bedarf. Der Unternehmer ist also, so scheint es, zur Passivität verdammt.

Phasen

Der Prozess der Entwicklung eines Un­ternehmens und seiner Kultur kann in vier Phasen eingeteilt werden:

  1. Gründungsphase – Ursprung einer Kultur sind die Werte des Menschen, der das Unternehmen ins Leben ruft und weitergibt.
  2. Aufbau- und Reifephase – Die Mitarbeiter lernen Werte, die diejenigen des Gründers ergänzen und sich im stetigen Vergleich mit der Umwelt erfolgreich durchsetzen.
  3. Krisenphase – Verändern sich die inneren wie äusseren Bedingungen radikal, versagt die bisherige Kultur; sie wird in Subkulturen (etwa in ver­schiede­nen Filialen) zer­split­tert.
  4. Phase der Neuori­en­tierung – Ist Überflüssiges verworfen, nehmen die Mitarbeiter den kulturellen Lernprozess wieder auf.

Bench­mark­ing USA

Die Un­ternehmen­skul­turen der USA un­ter­schei­den sich erheblich von denen Deutsch­lands oder der Schweiz: In Europa definieren sich Betriebe v. a. über ihre Geschichte, in der mobilen amerikanis­chen Gesellschaft liegt die Betonung auf „Vision“, „Mission Statement“ und „Core Values“ – Regeln, die aus­for­muliert werden. Mit zunehmender Mobilität hierzulande und entsprechen­der Mi­tar­beit­er­fluk­tu­a­tion könnte es nötig werden, diesem Beispiel zu folgen, da die „Einar­beitungszeiten“ in eine Kultur nicht mehr ausreichen. In einem sehr mobilen Umfeld wird stärker und de­tail­lierter geführt; auch die Macht amerikanis­cher Vorge­set­zter ist – im Gegensatz zum plakativen auch informellen Gebaren – höher als hierzulande. Während die Problemlösung bei uns eher deduktiv und grundsätzlich erfolgt, wird im US-Raum ex­per­i­mentell geführt. Nachdem eine Führungskraft die „Objectives“ definiert hat, sind alle Mitarbeiter zum Ideen­sam­meln aufge­fordert. Dann legt der Chef fest, wie das Problem gelöst werden könnte. Die Lösung wird zusammen erarbeitet. In einem Umfeld sich beschle­u­ni­gen­der Märkte dürfte der amerikanis­che Weg Vorteile bieten.

Kultur messbar machen

Mit einem mech­a­nis­chen Verfahren lassen sich die komplexen Ausprägungen von Un­ternehmen­skul­turen nicht erfassen – viele Aspekte sind verborgen, die Faktoren zu vielfältig. Es lässt sich jedoch mit Hilfe von quan­ti­ta­tiven Verfahren z. B. ein Kul­tur-Bench­mark­ing durchführen. Kriterien für die ver­gle­ichende Un­ter­suchung des Kul­tur­pro­fils sind die Faktoren „Geschäftszweck“, „Er­fol­gs­massstäbe“, „Entschei­dungsstruk­turen und kognitive Prozesse“, „Management und Führungsstil“ sowie „Arbeits- und Kom­mu­nika­tion­sstil“. Wie in einem Unternehmen die genannten Aspekte ausgeführt werden, lässt sich natürlich nicht von vornherein positiv oder negativ beurteilen.

Wandel managen

Wenn Sie versuchen, eine Kultur zu ändern, müssen Sie diese erst verstehen – ihr Muster und ihre Grund­struk­tur. Kultureller Wandel zielt direkt auf Köpfe und Herzen der Mitarbeiter, denn sie sind die Träger der Kultur. Sie müssen nun Werte, die dem Geschäftserfolg schaden, beseitigen – und auf der anderen Seite solche, die ihn steigern, ergänzen. Kultur ist keine Disziplin wie Fi­nanzierung oder Absatz – sie durchdringt jeden be­trieblichen Kontext. Stellen Sie sicher, dass

  • die neue Kultur allen mitgeteilt und erklärt wird.
  • Argumente, warum die neue Kultur von Vorteil sein soll, lieferbar sind.
  • Ihre Führungskräfte in der Lage sind, die Kultur zu verstehen und mit ihr umzugehen.
  • Ihr Stab als einen Bestandteil von Führung auch die Bee­in­flus­sung der Un­ternehmen­skul­tur versteht.
  • das Führungsteam eine klare Vorstellung entwickelt, wie die Fähigkeiten zur Bee­in­flus­sung aussehen müssen – or­gan­isieren Sie Fort­bil­dun­gen zur Schulung dieser Fähigkeiten.
  • neues Personal routiniert in die neue Kultur integriert wird.
  • Ihr bestehendes Wertesystem kon­tinuier­lich mit der gewünschten Kultur in Einklang gebracht wird.
„Wie kann eine Un­ternehmen­skul­tur greifbar gemacht und doku­men­tiert werden? Wie kann ein Fisch feststellen, dass er im Wasser schwimmt?“

Let­z­tendlich gibt es keine „richtige“ Kultur. Führungskräfte müssen jenes Wertesystem formen, das für ihr spez­i­fis­ches Geschäft richtig ist. Wichtig ist bei der Im­ple­men­tierung neuer Kultur auch die Aufdeckung verborgener Elemente: Häufig klaffen Lücken zwischen der gewünschten Kultur – den offiziellen Werten – und der tatsächlich gelebten Ordnung.

Widerstand

Oft werden die Pro­jek­tleiter der Veränderung von uner­warteten Widerständen frustriert. Die Geschichte der Menschheit ist v. a. eine Geschichte des Wider­standes gegen Innovation und Veränderung. Die Verhinderer von Veränderung sind quantitativ bei weitem in der Mehrheit. Folglich werden sich Veränderer nur durchsetzen, wenn sie über mehr Macht und Qualität als die Verhinderer verfügen.

Slogans

Sichtbar wird die Kultur eines Un­ternehmens in seinen (Werbe-) Slogans und Logos. Besonders nachhaltig wirkt ein Slogan, wenn er sich auf eine möglichst konkrete Eigenschaft bezieht: Audis „Vorsprung durch Technik“ und BMWs „Freude am Fahren“ sind hierfür gute Beispiele. Weniger stark pro­duk­t­be­zo­gene Äusserungen wie Fords „Die tun was“ richten sich direkt an die Menschen – Mitarbeiter werden damit her­aus­ge­fordert, aktiv und kreativ zu werden. Ide­al­er­weise ist ein Slogan eindeutig zuzuordnen; etwa bei dem bekan­ntesten Getränke­hersteller mit „Always Coca-Cola“ oder bei der Ver­sicherung mit „Hoffentlich Al­lianz-ver­sichert“. Einen guten Slogan entwickeln Sie durch Ergründung Ihrer Kernkom­pe­ten­zen – mittels Kunden- und Mi­tar­beit­er­be­fra­gun­gen sowie interner Workshops. Aus der Essenz ist ein Slogan zu entwickeln – am besten von der Un­ternehmensführung. Nur wenn sich Ihr Personal mit ihm iden­ti­fiziert, erzielt der Slogan seine volle Wirkung.

Kultur als Lockmittel

Un­ternehmen­skul­tur wird immer wichtiger für die Aussen­wirkung – gute Nachwuchskräfte legen zunehmend Wert auf „weiche Faktoren“ wie „Spass an der Arbeit“, „in­ter­es­sante Aufgaben“, „her­aus­fordernde Tätigkeiten“ und „Freiraum zur Ver­wirk­lichung eigener Ideen“ sowie „Eigen­ver­ant­wor­tung“. In einem immer härteren Wettbewerb um gutes Personal können sich Unternehmen nicht leisten, bei der Elite wegen einer Steinzeitkul­tur abzublitzen. Eine schlechte Un­ternehmen­skul­tur und ebensolches Führungsver­hal­ten lassen sich heute kaum noch durch Geld kom­pen­sieren.

Chaos und Kultur

Unternehmen stehen auf dem schmalen Grat zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Vo­raus­pla­nung und Überraschung. Erst seit kurzem weiss man um die Bedeutung des Chaos für die Weit­er­en­twick­lung dynamischer Systeme. Eine Un­ternehmen­skul­tur muss auch Raum für die Unordnung lassen, zu viel Ordnung führt zu Erstarrung. Geordnete Reaktionen verleihen Stabilität, chaotische Reaktionen ermöglichen dagegen Flexibilität und durch ex­per­i­mentelles Vorgehen (trial and error) die rasche Anpassung an veränderte Umweltbe­din­gun­gen. Grossun­ternehmen entwickeln immer mehr Ordnung und ein Immunsystem gegen Chaos. Doch durch Ordnung lassen sich nur altbekannte Probleme lösen.

„Solange ein amerikanis­cher Unternehmer bei einem Konkurs nicht betrügerisch gehandelt hat, hat er eben Pech gehabt. Wenn er eine neue gute Idee entwickelt, werden sich sicher Partner und Kap­i­tal­ge­ber finden. In Deutschland ist der Konkurs doch noch mit ganz anderen Stigmata behaftet.“

Selbst die bewährteste Regel bedarf von Zeit zu Zeit der Hin­ter­fra­gung. Wie Sie die Angst vor dem Chaos überwinden:

  • Trainieren Sie sich und Ihren Mi­tar­beit­ern das Bewusstsein an, dass Chaos zum Überleben notwendig ist.
  • Sorgen Sie für Pluralismus der Meinungen. Ein gefährliches Symptom von zu viel Ordnung ist das so genannte „Groupthink“-Phänomen, bei dem alle gleich denken, voll auf einer Linie liegen. Ist zu schnell ein Konsens erreicht, besteht die Gefahr, dass die ver­schiede­nen Seiten eines Problems nicht ausreichend bedacht werden.
  • Re­or­gan­isieren Sie von Zeit zu Zeit, um der Erstarrung von Ordnungen einerseits, aber auch dem Fortbeste­hen von Chaos an­der­er­seits ent­ge­gen­zuwirken.
  • Wechseln Sie zyklisch zwischen Chaos und Ordnung. Wach­s­tumsschüben sollen Kon­so­li­dierungsphasen folgen, in denen sich neue Ordnungen bilden können.

Fusionen

Viele Merger schlagen fehl, weil die Ver­schmelzung zweier Be­trieb­skul­turen – die eigentliche Her­aus­forderung einer Fusion – nicht gelingt. Stattdessen fühlen sich die einen oder sogar beide Be­trieb­steile als Verlierer. Zusätzlich zu der Sorge um den eigenen Ar­beit­splatz belastet sie, dass alte Werte auf einmal nicht mehr gelten – und der Kul­turschock, ein völlig neues Wertesystem übergestülpt zu bekommen. Mo­ti­va­tion­seinbrüche, Ori­en­tierungslosigkeit, Misstrauen, Ablehnung und let­z­tendlich Abwanderung von erfahrenen Mi­tar­beit­ern belasten die beteiligten Unternehmen.

„Let­z­tendlich gibt es keine ‚richtige’ Kultur. In einer Ver­sicherungs­ge­sellschaft mag zum Beispiel eine risikoscheue Kultur angemessen sein, während eine risikofreudige Einstellung in einer In­vest­ment­bank entschei­dend ist.“

Natürlich wollen Sie möglichst viele fähige Mitarbeiter der Akquisition, das wahrschein­lich grösste Kapital, mit übernehmen. Sie können Kul­turtren­nung versuchen, indem Sie die beiden Kulturen nebeneinan­der existieren lassen. Das schützt zwar vor dem Kul­turschock, doch verzichten Sie auf das, was eigentlich Hauptgrund für eine Fusion sein könnte – Synergie und Ver­bund­vorteile durch Eingliederung und Um­struk­turierung des Neuzuganges.

„Her­vor­ra­gende Un­ternehmen­skul­turen räumen Kunden, Aktionären und Mi­tar­beit­ern – allen dreien – einen hohen Rang ein. Dies ist of­fen­sichtlich ein sehr anspruchsvoller Standard. Ebenso fordern sie starke Führung auf allen Ebenen der Hierarchie.“

Kul­tur­an­pas­sung ist der Versuch, durch Angleichung beider Kulturen ein gänzlich neues, vereinendes Wertesystem zu schaffen. Massnahmen hierfür können Kul­tursem­inare oder In­te­gra­tionsteams aus beiden Ko­r­po­ra­tio­nen sein. Sie sollten dabei Wert darauf legen, die Betroffenen durch In­for­ma­tio­nen und Argumente ehrlich zu überzeugen, anstatt die Fusion schönzureden. Nur wenn Mitarbeiter den Bedarf an Kulturveränderung verstehen, werden sie ihn auch verin­ner­lichen.

„Man kann Kulturen nicht wie einen Haarschnitt verändern. Kultur ist weder sicht- noch greifbar. Sie ist das Ergebnis spez­i­fis­cher Hand­lungsweisen einer Gruppe und der Belohnungen für diese Handlungen über einen bestimmten Zeitraum hinweg.“

Das braucht aber seine Zeit: Kul­tur­an­pas­sung ist ein mühevoller, über Jahre dauernder Prozess. Auf jeden Fall sollte eine Strategie nicht erst in der In­te­gra­tionsphase, sondern schon vor Beginn der Fu­sionsver­hand­lun­gen entwickelt werden.

Über den Autor

Der Wis­senschaftler und Dozent Hermann Simon ist Vor­sitzen­der der Be­ratungs­firma Simon, Kucher & Partners. Bis 1995 war er Inhaber des Lehrstuhls für Management und Marketing an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz sowie zahlreicher Gast­pro­fes­suren, darunter an der Harvard Business School und der University of Stanford. Mit ihm haben 44 Wis­senschaftler, Berater und Unternehmer Beiträge zu diesem Buch geliefert.