Probleme lösen
Stellen Sie sich vor, ein Arbeiter in einem Unternehmen hat ein Problem: Er muss sein Werkzeug vorübergehend auf der laufenden Maschine ablegen, um andere Handgriffe tätigen zu können. Durch die Vibration der Maschine bewegt sich das Werkzeug und stürzt irgendwann in diese hinein. Nun wird es kompliziert: Der Arbeiter muss die Abdeckung öffnen und sein Werkzeug mühselig wieder herausholen. Das passiert immer wieder, und es kostet Zeit. Doch der Arbeiter schafft Abhilfe: Er klebt eine selbst gebaute Ablage aus Pappe an der Maschine fest. Die Kollegen finden diese Lösung praktisch und ahmen sie nach, und irgendwann lässt das Unternehmen stabile Ablagen für alle anbringen. Hier hat ein Beteiligter ein Problem erkannt und gelöst. In vielen Unternehmen läuft es anders: Die Mitarbeiter nehmen Probleme einfach hin, statt selbst nach Lösungen zu suchen. Oder ihre Klagen und Vorschläge werden nicht ernst genommen. Dabei sind es gerade die Mitarbeiter vor Ort, die genau wissen, welche Schwierigkeiten auftreten und was man besser machen könnte. Hier setzt der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) an.
Was ist der kontinuierliche Verbesserungsprozess?
Unternehmen können sich nicht auf ihren Erfolgen ausruhen, denn die Geschäftswelt verändert sich zu rasch. Ein Produkt kann noch so perfekt sein – sobald es fertiggestellt ist, beginnt es zu altern. Wenn Ihr Unternehmen erfolgreich bleiben soll, müssen Sie alle Produkte und Prozesse permanent verbessern. Das ist das Ziel des KVP. Ein Vorschlagswesen gibt es in vielen Betrieben, doch beim KVP geht es nicht nur um Verbesserungsvorschläge. Er ist eher eine Art Philosophie, die alle Tätigkeiten durchzieht, ähnlich dem japanischen Kaizen: Alle Mitarbeiter haben die Aufgabe, kontinuierlich nach Verbesserungen zu suchen und Verschwendung zu minimieren. So erhöhen sie die Wertschöpfung und erleichtern sich selbst die Arbeit. Jeder steht dabei in der Verantwortung und hat den Freiraum, selbst Probleme anzupacken und Lösungen zu finden. Die Führungskräfte nehmen die Vorschläge der Mitarbeiter ernst und werten sie nicht ab.
Eine Revolution von unten
Üblicherweise kommt der Anstoß zu Rationalisierungsprozessen im Unternehmen von oben. Das Management beschließt die Maßnahmen und sorgt für die Umsetzung. Die Mitarbeiter müssen die Veränderungen akzeptieren, ob sie wollen oder nicht. Das kann ausgesprochen frustrierend und demotivierend sein. Beim KVP dagegen sind es die Mitarbeiter selbst, die darauf achten, Arbeitsvorgänge möglichst rationell zu gestalten – und sie werden zusätzlich motiviert, weil sie Einfluss nehmen können. Achten Sie aber darauf, dass Sie den Rationalisierungsaspekt beim KVP nicht zu sehr in den Mittelpunkt stellen. Erfahrungsgemäß führen die wenigsten Vorschläge zu wirklichen Einsparungen. Trotzdem machen viele Verbesserungsmöglichkeiten Sinn, sei es, weil die Arbeit für einzelne Mitarbeiter erleichtert, die Unfallverhütung optimiert oder der Umweltschutz erhöht wird. Möglicherweise ist die Umsetzung sogar mit Kosten verbunden. Nehmen Sie die Vorschläge trotzdem unbedingt ernst. Jede Verbesserung wirkt sich positiv auf das Unternehmen und seine Mitarbeiter aus, weil diese leichter arbeiten können und sich respektiert fühlen.
Die praktische Umsetzung
So läuft der KVP in der Praxis ab: Ein Mitarbeiter hält ein Problem und mögliche Lösungen auf einer KVP-Karte fest. Diese wird an der KVP-Tafel veröffentlicht. Das ist eine Art Pinnwand, zu der alle Mitglieder des Teams Zugang haben. Hier werden die Vorschläge gesammelt und nach Bearbeitungsgrad geordnet. Dafür ist der KVP- Moderator zuständig. Er ist der Ansprechpartner für das Team, bereitet die Vorschläge auf und pflegt die KVP-Tafel. Erachtet man eine Lösung als sinnvoll, werden alle Beteiligten informiert und die Lösung wird umgesetzt. Ungelöste Probleme werden im Team besprochen. Findet auch das Team keine Lösung, entscheiden die Fachabteilungen über das weitere Vorgehen. Sie kommunizieren ihre Entscheidung dann wieder an den Mitarbeiter bzw. den Moderator. Auch abgelehnte Ideen werden gesammelt, vielleicht sind sie später nützlich. Die KVP-Moderatoren sind dem KVP-Koordinator unterstellt, der den KVP unternehmensweit steuert und Ressourcen bereitstellt. Es hat sich in der Praxis bewährt, dass Moderatoren und Koordinator über kleinere Beträge selbst entscheiden können; größere Ausgaben für den KVP bewilligt der Steuerungskreis, das für die KVP- Einführung zuständige Gremium.
Der Einstieg in den KVP
Der KVP ist ein strategisches Instrument, das von der Geschäftsleitung eingeführt wird. Sie stellt die Ressourcen zur Verfügung und benennt die Verantwortlichen. Den Ein- stieg in den KVP organisiert der Steuerungskreis. Er besteht aus dem KVP-Koordinator sowie Vertretern der Unternehmensleitung und des Betriebsrats. Der Betriebsrat stellt sicher, dass den Mitarbeitern durch den KVP keine Nachteile entstehen, dass etwa mögliche Rationalisierungen nicht zu Stellenabbau oder Mehrbelastungen führen. Mit dem Betriebsrat wird auch geklärt, ob und wie mögliche Gewinnsteigerungen den Mitarbeitern zugutekommen sollen. Der Steuerungskreis legt das Budget und die grundsätzlichen.
„Verbesserungen, die ausschließlich auf technologische Innovationen fokussieren, sind nicht mehr ausreichend.“
Ziele des KVP fest; die KVP-Ziele orientieren sich an den Unternehmenszielen. Wenn dieser äußere Rahmen steht, wird der KVP zunächst nur in einem Bereich des Unternehmens eingeführt. Wählen Sie dafür eine Abteilung, die recht gut funktioniert, aber noch Verbesserungspotenzial hat. Die Mitarbeiter dieses Bereichs sollten dem Projekt positiv gegenüberstehen. Der Pilotbereich hat eine Vorbildfunktion für das gesamte Unternehmen. Sorgen Sie deshalb unbedingt dafür, dass die Abläufe von Anfang an funktionieren und die Vorschläge rasch bearbeitet und umgesetzt werden.
Die Einführung im gesamten Unternehmen
Wenn die Mitarbeiter des Pilotbereichs Vorteile vom KVP haben, werden andere Abteilungen bald nachziehen wollen. Lassen Sie sich aber nicht drängen: Ist die Pilotphase abgeschlossen, dann führen Sie unbedingt erst eine KVP-Review durch. Mitarbeiter, Moderatoren und Koordinator überlegen gemeinsam, was im KVP bisher gut lief und was sich noch optimieren lässt. Erst danach führen Sie den KVP mit den entsprechenden Verbesserungen im gesamten Unternehmen ein. Planen Sie auch weiterhin in regelmäßigen Abständen Reviews. Bei aller Begeisterung für den KVP: Mit Sicherheit ist nicht jede Maßnahme machbar, etwa kostspielige Umbauten an den Gebäuden oder ähnlich aufwändige Umgestaltungen. Stellen Sie deshalb von Anfang an klar, wo die Grenzen des KVP liegen, damit Sie nicht zu viele Vorschläge ablehnen müssen und die Mitarbeiter dadurch frustriert werden.
Der Kick-off
Achten Sie darauf, Ihre Mitarbeiter umfassend zu informieren, gerade in der Anfangsphase. Mangelnde Information sorgt für Unsicherheit, und das führt dazu, dass Neues schnell schlechtgeredet wird. Im Pilotbereich und bei der Gesamteinführung beginnt der KVP jeweils mit einer Kick-off-Veranstaltung, in der Sie die Mitarbeiter über Sinn und Philosophie des KVP informieren. Spielen Sie den konkreten Ablauf durch, stellen Sie die KVP-Tafel und die Karten anhand anschaulicher Beispiele vor. Einen guten Einstieg bietet eine Rote-Karte-Aktion: Die Mitarbeiter markieren in ihrem Bereich mit roten Karten, wo ihrer Meinung nach Verschwendung vorliegt. So lassen sich erste Verbesserungsmöglichkeiten rasch identifizieren. Gute Anstöße für Verbesserungsvorschläge geben auch Schwierigkeiten bei der täglichen Arbeit, etwa wenn Mitarbeiter Dinge suchen oder Informationen erfragen müssen. Kundenbeschwerden können ebenfalls wertvolle Hinweise enthalten.
Den KVP erfolgreich umsetzen
Der praktische Nutzen des KVP zeigt sich an vielen Stellen im Unternehmen. Weniger Verschwendung bedeutet geringere Ausgaben für Material. Vereinfachte Abläufe sparen Zeit, und Termine werden leichter eingehalten. Außerdem steigt die Qualität bei der Produktion, der Ausschuss nimmt ab. Die Motivation und die Zusammenarbeit werden erhöht, weil die Mitarbeiter gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Doch der KVP wird sich nur lohnen, wenn Sie die zentralen Erfolgsfaktoren beachten: Wichtig ist vor allem eine schnelle Reaktion. Kein Mitarbeiter möchte monatelang warten, bis er eine Antwort auf seinen Verbesserungsvorschlag erhält. Schaffen Sie Transparenz bei der Bearbeitung der Vorschläge. Wenn die Entscheidung etwas länger dauert, sollte der Mitarbeiter immer informiert sein, wer gerade seinen Vorschlag bearbeitet und bis wann er mit einer Entscheidung rechnen kann. Diese Entscheidung sollte möglichst ausführlich und individuell begründet sein; so wirkt auch eine Absage nicht allzu demotivierend.
Mitarbeiter motivieren
Die Motivation für den KVP muss im Prinzip von jedem Mitarbeiter selbst kommen. Wenn jemand nicht aktiv werden will, können Sie ihn auch nicht zwingen. Das ist aber noch das geringere Problem. Schwieriger wird es, wenn Mitarbeiter offen Widerstand leisten und den KVP sabotieren. Widerstand hat meistens tiefere Ursachen, denen Sie auf den Grund gehen sollten. Vielleicht fürchtet jemand, seinen Expertenstatus zu verlieren, mehr leisten zu müssen oder gar wegrationalisiert zu werden. Nehmen Sie diese Befürchtungen ernst, dann sinkt auch die Gegenwehr. Darüber hinaus können Sie einiges tun, damit Ihre Mitarbeiter nicht demotiviert werden. Planen Sie genügend Zeit und Ressourcen ein, sonst geht der KVP in der Hektik des Alltags unter. Achten Sie darauf, dass die Mitarbeiter durch den KVP keine Nachteile haben, z. B. Mehrarbeit. Legen Sie auch fest, ob und wie Sie die Vorschläge Ihrer Mitarbeiter honorieren möchten. Individuelle Belohnungen für den Ideengeber, etwa Einmalzahlungen oder eine Beteiligung an den Gewinnsteigerungen, können das Klima im Team vergiften und zu Neid und Ideenklau führen. Besser sind Sachpreise oder eine Belohnung für das ganze Team.
Der KVP und die Führungskräfte
Auch wenn die Unternehmensleitung die Einführung des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses unterstützt und die Mitarbeiter an der Basis ihm positiv gegenüberstehen, gibt es noch genug Faktoren, die den KVP zum Scheitern bringen können. Denn KVP bedeutet mehr Verantwortung und Entscheidungsfreiheit für den einzelnen Mitarbeiter. Das kann gerade für Führungskräfte auf unterer und mittlerer Ebene zum Problem werden, denn es schmälert ihren Einfluss. Schnell kann es da geschehen, dass sie den KVP belächeln und abwerten – und ebenso schnell folgen Konflikte und Motivationsverlust. Je weniger die Führungskräfte hinter dem KVP stehen, umso größer ist die Gefahr, dass er im Tagesgeschäft untergeht. Machen Sie den Führungskräften bewusst, welche Vorteile der KVP auch für sie hat: Sie können sich auf die wirklich wichtigen Aufgaben konzentrieren, wenn die Mitarbeiter vieles allein regeln. Auch die Führungskräfte können Probleme in den KVP einbringen, aber übertreiben Sie es nicht damit – der KVP sollte vor allem Sache der Mitarbeiter bleiben.
Wenn der KVP einschläft
Üblicherweise kommen zu Beginn des KVP zahlreiche Vorschläge. Doch dann sind die wichtigsten Verbesserungen umgesetzt, neue Ideen bleiben aus, und der KVP schläft langsam ein. Vielleicht hat die Bearbeitung der Vorschläge zu lange gedauert, und die Mitarbeiter sind frustriert. Oder das Unternehmen hat mit anderen Belastungen zu kämpfen, und der KVP rückt in den Hintergrund. Ein gewisser Rückgang ist ganz natürlich. Wenn Sie aber merken, dass der KVP ganz einzuschlafen droht, starten Sie Maßnahmen, um den Prozess möglichst bald von Neuem anzustoßen. Optimieren Sie die Abläufe. Machen Sie deutlich, was der KVP bereits gebracht hat. Sparen Sie nicht mit Anerkennung für die Mitarbeiter, die sich engagieren. Schaffen Sie Anreize, bereits eingereichte Ideen auf andere Anwendungsbereiche zu übertragen. Versuchen Sie jedoch nicht, mit Wettbewerben u. Ä. die Zahl der Vorschläge künstlich hochzuhalten; dadurch sinkt nur ihre Qualität.