Den Kunden verstehen
Wenn Menschen einen Energydrink kaufen, eine Universität auswählen oder sich für ein umweltfreundliches Auto entscheiden, laufen interaktive Prozesse mit verschiedenen Einflussgrößen ab. Die Konsumentenforschung versucht diese Prozesse zu verstehen. Analysiert werden die inneren Prozesse kognitiver und aktivierender Art, die Einflüsse durch die Umwelt sowie das konkrete Verhalten. Ein einfaches Beispiel: Eine Frau sieht eine Werbung (physische Umwelt) für einen Fernseher, die sie emotional anspricht und ihr Interesse weckt (innerer Prozess). Sie geht ins Geschäft (Verhalten) und sieht, dass andere Kunden ein anderes Fernsehmodell anschauen (soziale Umwelt). Sie möchte sich dieses nun ebenfalls anschauen (innerer Prozess), tut dies und kauft das Gerät letztlich (Verhalten).
„Unser Verhalten, unsere Entscheidungen, aber auch unsere täglichen Gewohnheiten sind Gegenstand der Erforschung des Konsumentenverhaltens.“
Die Konsumforschung vereint verschiedene Disziplinen: Psychologie, Soziologie sowie Kommunikations- und Medienwissenschaften. Sie alle helfen, den Verbraucher zu verstehen. Wie und warum Menschen konsumieren, ist für Unternehmen und Organisationen wie Verbraucherschutzverbände von Interesse. Insbesondere für das Marketing hat die Konsumforschung eine große Bedeutung: Aus den Forschungsergebnissen können strategische und operative Maßnahmen abgeleitet werden. Dazu ist es sinnvoll, den Kaufprozess in die Phasen „vor dem Kauf“, „während des Kaufs“ und „nach dem Kauf“ zu unterteilen. Außerdem ist es wichtig, die jeweilige Konsumentenperspektive (Wie wird die Frau auf das Fernsehgerät aufmerksam?) wie auch die Marketingperspektive (An welchen Hinweisen macht sie fest, welcher Fernseher besser ist?) zu verstehen. Wer die beiden sich gegenseitig bedingenden Perspektiven kennt, kann erfolgreiche Marketingmaßnahmen entwickeln, die die inneren Prozesse und das Verhalten der Konsumenten beeinflussen.
Der Kaufprozess im Inneren der Konsumenten
Psychische Vorgänge, die mit Spannung oder Erregung verbunden sind, nennt man elementare aktivierende Prozesse. Im Unterschied dazu sind elementare kognitive Prozesse Vorgänge der Informationsverarbeitung, wie das Speichern und Abrufen von Wissen. Die gesammelten Informationen der beiden elementaren Prozesse werden in komplexen Prozessen weiterverarbeitet. Herrschen die aktivierenden Komponenten vor, lösen diese Prozesse Emotionen, Motivation, Einstellung und Involvement aus; Prozesse, die in erster Linie kognitive Komponenten haben, sind Gedächtnis, Wahrnehmung, Lernen und Wissen. Die inneren Prozesse interagieren miteinander und bestimmen das Verhalten. Das vereinfachende S-O-R-Modell bringt es auf den Punkt: Ein Stimulus (S) wirkt auf einen Organismus (O), der daraufhin reagiert (R). Stimuli können von außen (z. B. Werbung) oder von innen (z. B. Hunger) kommen und aktivieren Erregungszustände oder Gefühle. Dabei sind immer kognitive Prozesse beteiligt: Im Gedächtnis werden Handlungsabläufe abgespeichert, die abgerufen und wiedergegeben werden können. Reize werden immer kognitiv verarbeitet und interpretiert, was dazu führt, dass nicht Fakten entscheidungsrelevant sind (z. B. der Preisunterschied zweier Fernsehgeräte), sondern das persönliche Empfinden („Das ist teuer“).
„Psychologische Prozesse im Inneren von Konsumentinnen und Konsumenten beeinflussen, ob wir ein Produkt oder eine Dienstleistung kaufen.“
Es lohnt sich daher ein Blick auf die wichtigsten aktivierenden und kognitiven Prozesse.
- Die Wahrnehmung ist ein zentraler kognitiver Prozess. Externe und interne Reize werden über die fünf Sinne (sehen, hören, schmecken, riechen, fühlen) registriert. Diese Grundinformationen gleicht unser Gehirn mit abgespeicherten Informationen und Erfahrungen ab: Sinnesreize werden zu einer sinnvollen Gestalt kombiniert und fehlende Informationen ergänzt. So wird den Reizen eine Bedeutung zugeschrieben. Allerdings nehmen wir nur einen kleinen Teil der vielen Reize wahr – entweder aktiv, wenn wir hoch involviert sind, oder passiv, wenn wir zufällig etwas entdecken.
- Was Konsumenten wahrnehmen, das verarbeiten und speichern sie – dieser Wissenserwerb wird als Lernen bezeichnet. Durch klassische Konditionierung (bei der ein Bezug zwischen zwei Reizen hergestellt wird), instrumentelles Lernen (z. B. positive und negative Verstärkung), Modell-Lernen (Beobachtung) oder kognitives Lernen (Informationen werden interpretiert) eignen wir uns neues Wissen an.
- Einmal erlernt, wird das Wissen abgespeichert: als Bündel von Merkmalen (Beispiel Auto: PS, Sitzplätze, Spritverbrauch, Preis), als Nutzenbündel (funktional: bringt schnell ans Ziel; psychosozial: andere beneiden mich darum; riskant: rostet schnell) und als Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung (z. B. Erfolg im Leben).
- Bei der Bewertung von Produkten spielen Emotionen eine große Rolle. Sie dienen als Hinweisreize für gespeichertes Wissen – an gut gelaunt Erlerntes erinnert man sich positiv. Der so genannte Mere-Exposure-Effekt zeigt, wie Emotionen unbewusst wirken: Werden Konsumenten häufig demselben Reiz ausgesetzt (z. B. durch Werbung), führt das zu einer positiven Einstellung dem Reiz gegenüber. Durch Farben, Bilder und Düfte in der Werbung werden die Emotionen des Verbrauchers angesprochen.
- Emotionale und kognitive Prozesse haben Antriebswirkung. Diese Motivation steuert unser Verhalten. Motive sorgen dabei für die Richtung: Ob Status, soziale Anerkennung oder Sex – Ziele gibt es viele. Doch auch Werte beeinflussen die Motivation. Eine lange Produktlebensdauer beispielsweise ist ein von Konsumenten geschätzter Markenwert.
- Von unseren Einstellungen hängt es ab, ob wir Gegenstände, Personen oder Sachverhalte negativ oder positiv beurteilen. Einstellungen haben eine affektive Komponente (z. B. „Autos mag ich nicht“), eine kognitive („Autos verschmutzen die Umwelt“) und eine handlungsbezogene („Ich fahre Fahrrad“). Je positiver die Einstellung zu einem Produkt, desto größer ist die Kaufabsicht. Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen können das beeinflussen.
- Ob wir uns mit Marketinginformationen überhaupt beschäftigen, hängt vom Involvement ab, d. h. davon, wie wichtig uns Objekte, Ereignisse oder Aktivitäten sind. Hoch involviert suchen wir gezielt Informationen und beschäftigen uns aktiv mit einer Sache. Gering involviert handeln wir gewohnheitsgesteuert und sind eher passiv. Der Grad des Involvements hängt u. a. von unseren Einstellungen und von der Situation ab.
- Die Kaufentscheidung schließlich bezieht sich auf das Verhalten, etwas zu kaufen, um damit aktuelle Bedürfnisse und Ziele zu erreichen. Das kann extensiv, impulsiv oder habitualisiert erfolgen. Bei der Kaufentscheidung beschäftigt man sich entweder intensiv mit der Sache (starke kognitive Kontrolle) oder man lässt sich von emotionalen Reizen treiben (schwache kognitive Kontrolle). Menschen verwenden häufig Faustregeln (Heuristiken), um Informationen zu vereinfachen und zu reduzieren – rational sind Kaufentscheidungen nur selten.
Die Umwelt und das Kaufverhalten
Neben den inneren Prozessen beeinflusst die Umwelt unsere Konsumentscheidungen.
- Die physische Umwelt umfasst beispielsweise die Beschaffenheit von Produkten oder die Gestaltung des Point of Sale (PoS) mit Preisschildern, der Anordnung der Ware im Regal oder der Ladenatmosphäre, aber auch die jeweilige Situation, z. B. Zeitmangel (Snack für zwischendurch).
- Wesentlich wichtiger ist jedoch die soziale Umwelt. Die Kultur einer Gesellschaft umfasst Normen und Werte, die das Zusammenleben vereinfachen. Sie informieren darüber, wie man sich verhalten soll, und belohnen einen mit sozialer Anerkennung. Jeder Mensch ist auch Teil einer oder mehrerer Subkulturen, beispielsweise der Wirtschaftsstudierenden oder der Snowboarder. Menschen einer Subkultur ähneln sich bezüglich ihrer Verhaltensweisen sowie ihrer emotionalen und kognitiven Reaktionen. Bezugsgruppen wie Familie, Kollegen oder Freundeskreis haben einen ebenso starken Einfluss auf unser Verhalten: Von ihnen erhalten wir Informationen und Belohnungen, wir bestätigen unser Selbstkonzept durch sie und drücken als Mitglied bestimmte Werte und Einstellungen aus. Interessant für das Marketing sind die Meinungsführer. Als Experten für eine bestimmte Produktkategorie ist ihr Rat besonders gefragt, ihre Meinung beeinflusst die Entscheidungen anderer Verbraucher. Lebenszyklen und -stile sollten ebenfalls berücksichtigt werden: Mit der Geburt des ersten Kindes ändern sich die Konsumbedürfnisse ebenso wie mit dem Eintritt in die Rente; und Statusorientierte kaufen anderes als Postmaterielle.
- Ein besonders wichtiger Beeinflussungskanal ist die Medienumwelt – insbesondere die Massenmedien. Worüber die Medien berichten, das steht auf unserer Agenda; sie konstruieren durch ihre selektive Berichterstattung eine Realität für die Öffentlichkeit. Wie unterschiedlich wir Medieninformationen verarbeiten, beschreibt beispielsweise das folgende Modell: Wenn wir wenig aufmerksam und gering involviert Informationen ausgesetzt sind, verarbeiten wir diese mithilfe von Heuristiken. Ob wir unsere Einstellung ändern, hängt vor allem von der Glaubwürdigkeit der Quelle ab – Experten in der Werbung sind ein Beispiel dafür. Hoch involviert und interessiert verarbeiten wir Informationen intensiv und rational – die Qualität der Argumente ist in diesem Fall relevant (z. B. eine umfangreiche Broschüre über ein Auto). Ob Werbung wirkt, hängt generell von den Merkmalen der Quelle (Glaubwürdigkeit, Attraktivität des Kommunikators), den Merkmalen der Botschaft (Bilder, Farben, Emotionen, Reihenfolge der Argumente) und den Merkmalen der Rezipienten (Involvement, Motivation, Wissen, Einstellungen) ab. Eine zu offensichtliche Beeinflussungsabsicht führt allerdings zu Reaktanz – die Werbung wird vom Rezipienten abgelehnt.
Marketingziel: kaufende Verbraucher
Alle Marketingaktivitäten sind umsonst, wenn die Konsumenten nicht das gewünschte Verhalten zeigen und die beworbenen Produkte kaufen. Das Konsumverhalten als eine Abfolge von aktivierenden und kognitiven Prozessen verändert man, indem man die inneren Prozesse beeinflusst, z. B. indem man Aufmerksamkeit erregt oder Einstellungen ändert. Die Marktforschung liefert die nötigen Informationen über die inneren Prozesse und das gezeigte Verhalten. Daraus werden Marketingstrategien abgeleitet und konkrete Marketingmaßnahmen entwickelt. Der Marketingmix umfasst sämtliche Maßnahmen, von der Produktgestaltung über die Distribution bis hin zur Preisgestaltung. Diese Maßnahmen wiederum beeinflussen die aktivierenden und kognitiven Prozesse sowie das konkrete Verhalten, was mithilfe von Marktforschung und Marktdaten (Absatz, Umsatz, Marktanteile) gemessen werden kann. Marketingstrategien können aktivierend (sie sprechen positive Emotionen und Wertvorstellungen an), kognitiv (sie fokussieren auf Wahrnehmung, Wissen und Lernen) oder verhaltensorientiert (z. B. Verkaufsförderungsmaßnahmen am PoS) sein.
„Die Kundenbindung zeigt sich vor allem in gesättigten Märkten mit zunehmend austauschbaren Marktleistungen als zentraler Erfolgsfaktor für Unternehmen.“
Ideal ist es natürlich, wenn Verbraucher das gewünschte Verhalten nicht nur einmalig zeigen, sondern treue Kunden werden. Die Kundenbindung durch Kundenzufriedenheit steht daher im Fokus des Marketings. Zufriedene Kunden sind loyaler, empfehlen Produkte weiter, sind offener für Zusatzkäufe und tolerieren eher Preiserhöhungen. Durch Verträge, Garantieleistungen oder Produktgebundenheit lässt sich eine faktische Kundenbindung erreichen. Viel bedeutender ist jedoch die emotionale Kundenbindung. Studien zeigen: Je zufriedener ein Kunde ist, desto höher ist seine Kundenbindung. Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit entstehen beim Kunden durch den Vergleich der erhaltenen Ist-Leistungen mit den erwarteten Soll-Leistungen. Man unterscheidet dabei die als selbstverständlich erwarteten Basisfaktoren (z. B. ein sauberes Hotelzimmer), die Leistungsfaktoren (der Preis des Hotelzimmers) und die Begeisterungsfaktoren (Kundenerlebnis: der Rezeptionist empfiehlt einen hervorragenden Nachtklub). Fehlen die Basisfaktoren, kommt Unzufriedenheit auf; gute Leistungs- und Begeisterungsfaktoren hingegen verursachen Zufriedenheit. Die Kundenzufriedenheit sollte regelmäßig gemessen werden: implizit über Beschwerdemanagement oder explizit mittels Befragungen. Unzufrieden machende Faktoren können dadurch schnell eliminiert werden.