Die veränderten Anforderungen an das Controlling
Das moderne Rechnungswesen kann sich den Veränderungen nicht mehr entziehen, die das E-Business mit sich bringt. Insbesondere das Controlling muss sich immer neuen Aufgaben stellen, da die Anforderungen permanent steigen und es z. T. völlig neuen Aspekten gegenübersteht. Der "Knackpunkt" ist erreicht, wenn man bemerkt, dass man mit herkömmlichen Mitteln und Finanzinstrumenten bei der Beurteilung des Unternehmens nicht mehr weiterkommt. Die Beschäftigung mit den Problemen der Abgrenzung und Konsolidierung betriebswirtschaftlicher Leistungen führt auch zu der Erkenntnis, dass die bisher getätigten Internetaktivitäten insgesamt ein eher schlechtes Bild auf die Bilanz werfen, auch wenn sie erfolgreich anlaufen. Nur ein Bruchteil der Kraft, der Mittel und der Zeit, die das Unternehmen in seine Aktivitäten gesteckt hat, schlägt sich in der Bilanz nieder. Aus der Sicht des Rechnungswesens ist die grosse Masse in den Kosten aufgegangen und damit als Belastungsfaktor gebucht worden. Die entscheidenden Faktoren für den erstaunlichen Erfolg des Unternehmens erscheinen als Belastungsgrössen! Wie ist das zu verstehen?
Immaterielle Werte im heutigen Rechnungswesen
Unser heutiges Rechnungswesen ist schon sehr alt und kann auf mehrere tausend Jahre Geschichte zurückblicken. Den Gegenstand des sich entwickelnden Rechnungswesens bildeten faktisch ausschliesslich materielle Gegenstände: zunächst in ihrer konkreten Form als Vieh, Korn etc., später dann in ihrer abstrakten Form als Geld oder Vermögen. Geistige Fähigkeiten, Erfindungsgabe und immaterielle Werte spielten in diesem Zusammenhang zunächst schlechthin keine Rolle. Erst mit Beginn der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts begann die Bedeutung immaterieller Faktoren zu steigen, sorgten diese für entscheidende Impulse für die Veränderungen im wirtschaftlichen Leben der Menschen. Langsam fanden wissenschaftliche Entdeckungen und technische Erfindungen als geschützte Rechte Eingang in das betriebliche Rechnungswesen.
„Kunden nutzen das Internet als ein Medium zur Information über verschiedene Angebote und Preise. Aber ein Kauf resultiert daraus noch lange nicht.“
Während sich im Management allmählich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Wissen einer der wichtigen, vielleicht sogar der wichtigste Produktionsfaktor ist und zu einem Paradigmenwechsel im Management Anlass geben sollte, scheint diese Einsicht im Rechnungswesen noch nicht angekommen zu sein! Nach wie vor wird in traditioneller Weise das in der Vergangenheit akkumulierte bzw. in einer abgelaufenen Periode geschaffene oder verlorene Vermögen erfasst. Immaterielle Werte spielen nur dann eine Rolle, wenn sie entgeltlich erworben wurden oder als Entwicklungsaufwendungen im Rahmen der Herstellkosten für Objekte des Umlaufvermögens aktiviert werden können. Bei dieser bislang üblichen Darstellungsform bilden die vergangenheitsorientierten Werte den Kern der Betrachtung und haben nur ein Ziel: die Optimierung des auszuweisenden Gewinns. Zukunftsorientierte Aktivitäten wie beispielsweise eigene Software-Lösungen oder Personalentwicklung schmälern demzufolge den Gewinn, da sie entweder unmittelbar als Kosten oder zeitversetzt als Abschreibungen erfasst werden. Bilanzen sagen insofern so gut wie nichts über künftige Potenziale oder Entwicklungen des Unternehmens aus.
Problem der Erfassung von immateriellen Werten
Bislang gelten Zukunftsaufwendungen, die über Investitionen im engeren Sinne (Erweiterung des Sachanlagevermögen und des Working Capitals) hinausgehen, als nicht aktivierungsfähig. Wenn allerdings die Bestimmung des Rechnungswesens darin besteht, ein wahres Bild des darzustellenden Unternehmens zu zeichnen, dann gehören in der heutigen Zeit die immateriellen Werte und die geschaffenen Potenziale dazu. Eine realistischere Widerspiegelung der Unternehmenswerte erhalten wir folglich, wenn wir die Zukunftsaufwendungen in einer gesonderten Rechnung verbuchen ("aktivieren"). Eine blosse Verbuchung der Zukunftsaufwendungen allein reicht allerdings nicht aus, um den immateriellen Wert darzustellen. Die durch sie geschaffenen Potenziale müssen nach einheitlichen Regeln bewertet werden. Und damit tut man sich bisher schwer.
„E-Business verändert zwar Prozesse. Nicht aber die grundsätzliche Struktur von Unternehmen.“
Ein weiterer Punkt ist, dass Potenziale nur Möglichkeiten darstellen. Inwieweit wir sie tatsächlich nutzen, können wir heute nicht genau bestimmen. In dieser Hinsicht scheint eine Erfassung von Potenzialen der exakten Buchführung nicht zugänglich. Die gerne vorgetragene Unschärfe bei der Erfassung entpuppt sich beim näheren Hinsehen eher als Farce, da auch die traditionelle Buchführung viele Unschärfen besitzt. Man denke hier an die zumeist problematischen Abgrenzungen oder Wertberichtigungen, bei denen wir uns mit relativ willkürlichen Zuordnungen und Abschätzungen begnügen. So wie wir es gewohnt und daher bereit sind, bei der traditionellen Buchführung diese Unschärfe zu ertragen, sollten wir dieselbe Akzeptanz auch der Potenzialbewertung zukommen lassen. Wir müssen geeignete Wege finden, um die Potenzialrechnung als eigenständigen Teil des Rechnungswesens zu etablieren und so dem wahren Wert eines Unternehmens näher zu kommen.
Neue Ansätze für die Bilanzierung
Für neue Wege muss man aber nicht völliges Neuland betreten. Denn der Ansatz der wertorientierten Unternehmensführung - besser bekannt unter dem Begriff "Shareholder-Value" - bietet einen bereits weithin bekannten Schritt. In Analogie zu einer Immobilie, bei der Gewinne aus Mietüberschüssen und der Wertsteigerung des Gebäudes resultieren, kann man auch Unternehmen anhand von Cashflow und Unternehmenswertzuwachs bewerten. Wie bei einer Immobilie drückt sich eine Wertsteigerung durch die Einschätzung bisher nicht realisierter Potenziale aus und zeigt die Möglichkeit zukünftiger Generierung von Cashflow. Der Ansatz ist allerdings noch sehr finanzlastig und widerspiegelt damit nur mittelbar die Potenziale in ihrer Gesamtwirkung. Im Rahmen der wertorientierten Unternehmensführung bietet es sich zwar an, so genannte Werttreiber als "Stellhebel des Unternehmenswertes" zu definieren, welche als konkret handhabbare Grössen die etablierten monetären Steuerungsgrössen ergänzen; eine direkte Erfassung der Potenzialentwicklung erfolgt damit aber nicht.
„Die Umwälzungen, die jedes Unternehmen in den nächsten Jahren betreffen werden, sind so gewaltig, dass sich die Aufgabengebiete des Controllings massiv ausweiten und verändern.“
Erst das so genannte "Linzer Modell" bietet eine Potenzialrechnung, die unmittelbar in die Buchhaltung integriert werden kann. Das Modell knüpft an die Idee der Werttreiber an, die sich normalerweise durch jene Zukunftsaufwendungen entwickeln, die dazu dienen, Risiken und Widerstände abzubauen, die sich der zukünftigen Erwirtschaftung von Cashflow entgegenstellen. Mit anderen Worten: Verschiedene Aktivitäten in Form von Zukunftsaufwendungen - wie z. B. die Markterschliessung oder die Personalentwicklung - helfen, Widerstände abzubauen und bestehende Risiken einzugrenzen. Sie erhöhen folglich unsere Chancen für zukünftiges erfolgreiches Handeln. Dafür zahlen wir heute den Preis in Form geringerer Gewinne. Bei der Vorgehensweise werden die Zukunftsaufwendungen in einen Potenzialspiegel übertragen und dort als Potenziale bewertet. Wichtig für den Erfolg eines Unternehmens ist es, nicht wahllos alle möglichen Potenziale zu bestimmen und zu entwickeln, sondern die auszuwählen, deren immaterielle Werte für die Zukunft entscheidend sind. Potenzialentwicklung wird somit zur Frage der Strategie.
„Funktionsübergreifende Prozesse fördern Projektstrukturen und Know-how-Fluss.“
Die Balanced Scorecard als systematische Methode hilft dem Unternehmen bei der Beschreibung der Werttreiber und bei der Führung und Steuerung der strategischen Aktivitäten aller Mitarbeiter. Letztlich bestimmt sie die klare Ausrichtung des Unternehmens: die Strategie. Aus der Kombination von Cashflow-Rechnung und Potenzialspiegel entsteht eine Potenzialbilanz, die die akkumulierten Potenzialwerte zeigt. Durch die Kombination von wertorientierter Unternehmensführung und Potenzialbilanzierung entsteht ein zwingendes zukunftsorientiertes System für das Rechnungswesen. Es beruht auf einer sinnvollen Verknüpfung der wertorientierten Unternehmensführung und der Bewertung und Bilanzierung jener Potenziale, die als Werttreiber den Unternehmenswert in der Zukunft bestimmen. Es geht dabei nicht um eine Alternative zum eher vergangenheitsorientierten klassischen Rechnungswesen oder gar um dessen Ersatz, sondern vielmehr um eine ausgewogene Kombination zwischen Wissen um die Vergangenheit und Orientierung in die Zukunft.
Die Rolle des Controllings im Zeitalter des E-Business
Die grundsätzlichen Aufgabengebiete für Controller liegen in der Schaffung betriebswirtschaftlicher Transparenz durch Informations-, Entscheidungs- und Koordinationsservice sowie als Planungsmoderator. In dieser Hinsicht nimmt Controlling eine Rolle als Dienstleister ein, die in der Regel organisatorisch in den Unternehmen als Stabsstelle eingerichtet ist. Herkömmliches Controlling hat demzufolge die Aufgabe, dem Management zu berichten, und trägt keinerlei Entscheidungsverantwortung.
„Für Controllingzwecke werden auch solche Unternehmen einbezogen, an denen keine Beteiligung oder nur eine Minderheitsbeteiligung besteht, allerdings nur dann, wenn sie organisatorisch in das Unternehmen integriert sind.“
Dieses Bild wird sich allmählich ändern, denn bedingt durch die moderne Technik haben die Kommunikationsmöglichkeiten enorm zugenommen. In grosser Menge, mit hoher Geschwindigkeit und sehr zeitnah werden inzwischen Informationen ausgetauscht; Entfernungen spielen (fast) keine Rolle mehr. Die zur Verfügung stehenden Daten und Informationen nehmen immer mehr und rascher zu, sodass die Manager heute die Masse an Daten und Informationen nicht mehr sinnvoll und effizient überschauen können. Hier kommt nun Controlling im verstärkten Masse zum Einsatz, da es die relevanten Informationen für die erforderlichen Entscheidungen im Unternehmen herausfiltert und "in Form" bringt. Allerdings entsteht auch für den Controllerservice vermehrt die Schwierigkeit, die Kriterien seiner Datenauswahl und Datenverdichtung sinnvoll zu bestimmen, wenn er in die wichtigsten Entscheidungsprozesse nicht eingebunden ist.
Controlling der Zukunft
Unter dem Aspekt der Schnell- und Kurzlebigkeit der Prozesse erscheint es immer weniger wichtig, was in der Vergangenheit war. Die ständigen Veränderungen lassen die Zahlen von gestern kaum vergleichbar mit den Strukturen von heute erscheinen. Andererseits wird die Zukunft aus unseren Gedanken verdrängt, weil wir von den Anforderungen des Tages beherrscht sind. Jedes Unternehmen, das sich ein Controlling leistet, ist gut beraten, Vergangenheit und Zukunft in ausgewogener Weise miteinander zu verbinden. Die Vergangenheit hat zwar weniger mit Daten zu tun, dort aber liegen die Wurzeln des Unternehmens, und damit erzählt sie auch von den Menschen im Unternehmen, von ihren Erfahrungen, von der Kultur des Umgangs miteinander, mit den internen und externen Machtstrukturen und den daran gebundenen Interessen.
„Man benötigt kein betriebswirtschaftliches Studium, um zu erkennen, dass es eine grosse Korrelation von Frühindikatoren (Leistungstreiberkennzahlen) und Spätindikatoren (Ergebnis- oder auch ‚Kernkennzahlen’) geben sollte.“
Aber auch die Zukunftsgedanken sind wichtig: Das Unternehmen schafft sich Nutzenpotenziale und folglich einen erweiterten Handlungsrahmen. Hierzu gehören die immateriellen Werte, deren Potenzial darin besteht, zukünftigen Cashflow und somit zukünftige Gewinne zu generieren. Insofern ist es notwendig, dass die immateriellen Werte immer stärker vom Controlling berücksichtigt werden. Somit wird auch die Zukunftsorientierung zur Tagesaufgabe und rückt direkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit, da die vergangenheitsorientierte Rechnungslegung um eine zukunftsorientierte Potenzial- und Wertrechnung erweitert wird. Die neuen Technologien erweitern die Möglichkeiten, Controlling umzusetzen; sie erschweren diesen Prozess aber auch. Bedingt durch das E-Business erlangen Individualität, Netzwerke, Zahlungsströme und eine zukunftsorientierte Rechnungslegung eine neue Bedeutung. Fragen, die in dieser Form früher so nicht gekannt bzw. nicht gestellt wurden, erfordern ein Um-, zumindest aber ein Weiterdenken. Die Konsequenz ist die adäquate Entwicklung und Nutzung neuer bzw. modifizierter Instrumente für das Controlling. Unter diesen Bedingungen wird es in Form eines E-Controllings zu einem unmittelbaren Teil des Managements.