Schwere Hypotheken, leichtes Geschäft
Steve Eisman hasste seinen Job als Anwalt. Seine Eltern, beide Makler beim Wall-Street-Unternehmen Oppenheimer, verschafften dem damals schon 31 Jahre alten Harvard-Absolventen ebendort einen neuen Job. Er sollte Aktien analysieren. Einige spektakuläre Konkurse sagte er richtig voraus, doch mangelte es ihm an sozialer Kompetenz: So bezeichnete er den Jahresabschluss einer japanischen Firma gegenüber deren Präsidenten als Toilettenpapier und bezichtigte Vortragende öffentlich der Inkompetenz. Eisman wurde darauf angesetzt, jene Unternehmen zu durchleuchten, die Hypothekenkredite vergaben. Das Geschäft mit den Schulden der Amerikaner sahen die Investmentbanken seit den 80er Jahren als vielversprechendes neues Betätigungsfeld. Man emittierte Anleihen, deren Geldströme von der Rückzahlung eines Bündels an Hypotheken abhängig waren. Pech hatten die Anleger aber nicht dann, wenn verspätet gezahlt wurde; sie fürchteten sich vielmehr vor einer frühzeitigen Tilgung der Schulden – schließlich zahlen Eigenheimbesitzer dann am schnellsten, wenn die Zinsen niedrig und eine Refinanzierung günstig ist. Das heißt aber auch, dass die Investoren Geld, das sie früher als erwartet erhalten, nur mit einer vergleichsweise niedrigen Rendite wieder anlegen können.
„Die große Angst der Hypothekeninvestoren der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts war, dass ihr Kapital zu schnell zurückgezahlt werden könnte – nicht, dass sie es nicht wiedersehen würden.“
Interessant wurden daher ab den 1990er Jahren nicht die todsicheren Papiere, sondern jene, die auf so genannten Subprime-Hypotheken beruhten, auf Krediten für wenig wohlhabende Menschen. Genau dafür wurde Eisman Spezialist. Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Vincent (Vinny) Daniel, einem zurückhaltenden und genauen ehemaligen Wirtschaftsprüfer aus einfachen Verhältnissen, versuchte er aus den Berichten jener Firmen schlau zu werden, die die Hypotheken verbrieften, d. h. bündelten und zu einem Wertpapier machten. Eismans Fazit vom September 1997 war vernichtend: Die Erträge dieser Firmen waren abstrusen Bilanzierungsmethoden zu verdanken und reichlich windig. Und tatsächlich: Der Markt dafür brach – vorerst – zusammen.
„Anfang 2005 hatte Eismans Gruppe einhellig den Eindruck, dass sehr viele, die an der Wall Street arbeiteten, keine Ahnung von dem hatten, was sie da taten.“
2004 arbeitete Eisman immer noch mit Vinny zusammen. Mittlerweile betreuten die beiden einen Investmentfonds für Morgan Stanley. Und sie hatten etwas gelernt: Der kleine US-Bürger wurde systematisch mit Subprime-Hypotheken abgezockt. Man köderte ihn mit einem niedrigen Lockzins, der nach einigen Jahren in die Höhe schnellte. Offensichtlich lernte die Branche nichts aus den Fehlern der Vergangenheit und vergab mehr Kredite an quasi mittellose Personen als je zuvor. In den 90er Jahren konnten es pro Jahr 30 Milliarden Dollar sein, 2005 waren es bereits 625 Milliarden. Eisman sah seine Chance: Er könnte ein Vermögen verdienen, indem er gegen die Aktien der Firmen spekulierte, die Subprime-Kredite vergaben.
Ein Einäugiger unter Blinden
Dass die Kreditgeber kein Halten mehr kannten, sah auch der ehemalige Neurochirurg und nunmehrige Fondsmanager Michael Burry. Er litt am Asperger-Syndrom, einer Krankheit, die sich u. a. darin äußert, dass der Patient kein Mittelmaß kennt, dass er sich entweder brennend für ein Thema interessiert oder es komplett ignoriert. Im gesellschaftlichen Umgang tun sich diese Menschen schwer. Doch Burry kam seine enorme Wissbegierde rund um das Thema Hypothekenanleihen zugute: Mit seinem einen Auge – er hatte als Kind einen Tumor, durch den er das andere verlor – las er auch das Kleingedruckte in den 100-seitigen Prospekten der Hypothekenanleihen; offenbar als Einziger in der Branche. Auf das Fallen dieses Marktes zu setzen, war umständlich und teuer. Er war aber sicher, dass sich irgendwann, sobald die Lockzinsperiode ausgelaufen war, die Kreditausfälle häufen und die Hypotheken an Wert verlieren würden.
„Welcher Verrückte würde ihm so viele Versicherungen für Anleihen verkaufen, die er unter dem Aspekt handverlesen hatte, dass der Schuss nach hinten losgehen würde?“
Es war das Jahr 2005 und Burry hatte das Kapital seiner Klienten in wenigen Jahren mehr als verdreifacht, während der gesamte Aktienmarkt knapp 7 % verloren hatte. Nun wollte er Credit Default Swaps auf minderwertige Hypothekenanleihen kaufen. Diese sind mit Versicherungen vergleichbar: Der Käufer der Anleihe zahlt dem Verkäufer eine vorab vereinbarte Prämie und erhält im Gegenzug Geld, wenn das Papier – in diesem Fall die Anleihe – an Wert verliert. Burry überzeugte mehrere Wall-Street-Banken, solche Ausfallversicherungen für Schrottanleihen an ihn weiterzuverkaufen. Es waren Papiere, die er akribisch ausgewählt hatte – im Gesamtwert von mehr als 1 Milliarde Dollar. Die Frage, die er sich nun stellte, war: Warum bot man ihm die einzelnen Versicherungen so billig an, und wer war sein Gegenüber? Die Banken traten nämlich nur als Makler auf. Erst drei Jahre später wurde bekannt, dass es sich u. a. um „dumme Deutsche“ und den Versicherungsriesen AIG handelte, die sich des Risikos nie bewusst waren.
Der Mann, dem niemand trauen wollte
Steve Eisman kannte sich mittlerweile gut genug mit dem Rentenmarkt aus, um skeptisch zu sein, als Greg Lippmann, ein Anleihenhändler der Deutschen Bank, in sein Büro trat. Lippmanns äußere Erscheinung trug zum Misstrauen bei: Er war dünn, sah mit seinen Koteletten aus wie ein Pornostar und betrieb schamlos Eigenwerbung. Lippmann wollte Eisman davon überzeugen, gegen Hypothekenanleihen zu spekulieren – eine Idee, die er womöglich von Michael Burry geklaut hatte. In einer 42-seitigen Präsentation legte er dar, warum die Unterschicht Amerikas ihre Darlehen vermutlich in einiger Zeit nicht mehr zahlen könne. Die Häuserpreise stagnierten, die Schuldner konnten ihre Immobilien nicht weiter beleihen. Eisman war aber zurückhaltend: Warum riet ihm Lippmann, gegen genau die Anleihen zu wetten, die sein Arbeitgeber emittierte? Eisman und seine Kollegen kamen nicht dahinter, willigten aber nach langem Hin und Her schließlich in das Geschäft ein.
„Ein CDO war de facto nichts anderes als eine Kreditwäscherei für die Angehörigen der unteren Mittelschicht Amerikas.“
Neben der Deutschen Bank hatte auch Goldman Sachs das Geschäft gerochen. Die Investmentbank erfand Collateralized Debt Obligations, CDOs. Kaum jemand verstand diese Wertpapiere, denn sie bestanden aus Hunderten einzelner Hypothekenanleihen. Diese wurden gebündelt und wie ein Hochhaus gestapelt: Die Käufer der untersten Tranche mit dem Kreditrating BBB würden als erste Verluste erleiden, wenn die Schuldner nicht zahlten. Dafür erhielten sie eine höhere Rendite. Die oberste Tranche war mit AAA bewertet, der Höchstnote. Es handelte sich dabei zwar ebenfalls um Ramschanleihen, die genauso schnell wertlos sein würden wie jene der untersten Ebene. Aber die unterbezahlten Mitarbeiter von Ratingagenturen wie Moody’s und Standard & Poor’s ließen sich erfolgreich einreden, dass es sich aufgrund der Unterschiedlichkeit der Anleihen um ein gut diversifiziertes Portfolio handle. Einen genauen Blick warf niemand darauf. Das Risiko war versteckt. Und damit die Investmentbanken genügend Profit mit den CDOs machen konnten – sie erhielten eine Gebühr beim Verkauf dieser Konstrukte –, waren sie froh, wann immer mehr Leute ohne Einkommen Kredite erhielten.
Erleuchtung in Las Vegas
Im Januar 2007 fanden sich die wichtigsten Spieler am Hypothekenmarkt bei einer Konferenz in Las Vegas ein. Darunter waren auch Eisman und sein Team. Sie wurden bei einem Essen der Deutschen Bank von Greg Lippmann an einen Tisch mit dem Hedgefondsmanager Wing Chau platziert. Chau trug den Wohlstandsbauch eines Neureichen zur Schau und war entsprechend blasiert. Er war einer der Käufer der untersten CDO-Tranchen. Als er sich herablassend dafür bedankte, dass Leute wie Eisman die Gegenseite dieser Deals übernahmen, war Eisman klar, wer der Doofe in dem Spiel war. Es war offenbar tatsächlich nicht so, dass die anderen mehr wussten als er, im Gegenteil, sie waren naiv und unwissend. Lippmann hatte ihn nicht über den Tisch gezogen. Leute wie Wing Chau waren die Dummen, und Lippmann hatte das Essen benutzt, um Eisman genau das klarzumachen. Nach der Veranstaltung steuerte Eisman, der kaum mehr an sich halten konnte, auf Lippmann zu und gab ihm zu verstehen, dass er gegen alles spekulieren wolle, was Chau kaufte – ohne es vorher zu prüfen.
Ein Spiel auf Zeit
Lippmanns Plan, die Parteien an einen Tisch zu bringen, hatte einen Hintergrund: Der Häusermarkt brach zusammen, mehr und mehr Kredite wurden nicht bezahlt, und dennoch blieben die Hypothekenanleihenkurse, wo sie waren. Doch am Tag nach der Konferenz schien Lippmanns Plan aufzugehen: Ein Index für minderwertige Hypothekenanleihen brach ein. Dennoch fuhren Großbanken wie Wachovia fort, Ausfallversicherungen billig zu gewähren, und die Wall-Street-Firmen emittierten zwischen Februar und Juni 2007 CDOs in der Höhe von 50 Milliarden Dollar. Offenbar gab es immer noch Dumme. Einen Zusammenbruch des Marktes konnte oder wollte sich angesichts der Katastrophe, die das zur Folge gehabt hätte, niemand vorstellen. Man stellte sich blind und taub und pries die CDOs, die aus Anleihen bestanden, deren Kurse abstürzten.
„Aus gesellschaftlicher Sicht war der langsame Zusammenbruch des mehrere Billionen schweren US-amerikanischen Anleihenmarktes eine einzige Katastrophe.“
Für Michael Burry bedeutete dies eine Notsituation. Obwohl der Hypothekenmarkt immer schlechtere Zahlen bekannt gab, beharrten Goldman Sachs und Morgan Stanley darauf, dass alles in Ordnung sei und sie ihm im Rahmen ihrer Credit-Default-Swap-Vereinbarung nichts schuldeten. Sie bestimmten den Preis selbst, da es für die Produkte, die Burry besaß, keinen richtigen Markt gab. Burry musste Mitarbeiter entlassen und fuhr statt eines satten Gewinns Verluste ein. Seine Investoren saßen ihm im Nacken und drängten ihn, seine Milliardenwette aufzulösen. Doch er blieb hart. Irgendwann würde sich dieses Schneeballsystem am Hypothekenmarkt nicht mehr aufrechterhalten lassen.
Die Katastrophe und ihre Gewinner
Der Zusammenbruch von Bear Stearns Asset-Management am 14. Juni 2007 brachte schließlich die Lawine ins Rollen. Die CDO-Einheit von Bear Stearns hatte mit Subprime-Hypothekenpapieren schwere Verluste eingefahren und hatte nun keine andere Wahl, als den Markt mit 3,8 Milliarden Dollar schweren Papieren zu überschwemmen. Investmentgiganten wie HSBC, Morgan Stanley oder Merrill Lynch hatten bereits massive Einbußen durch Subprime-Geschäfte bekannt geben oder sollten es in kurzer Zeit tun. Am 17. Juli berichtete der US-Notenbank-Chef, er gehe von 100 Milliarden Dollar Verlust auf dem Markt aus. Wenige Monate später schätzte der Internationale Währungsfonds den Schaden bereits auf 1 Billion Dollar. Michael Burry und die anderen Spekulanten kamen endlich zu ihrem Geld, wurden Millionäre und Milliardäre – weil andere es verloren. Goldman Sachs schien noch glimpflich davongekommen zu sein: Das Unternehmen hatte rechtzeitig umgeschwenkt und ebenfalls gegen den Markt spekuliert.
„In der merkwürdigen Schwebephase von Anfang Februar bis Juni 2007 ähnelte der Markt einem gigantischen Fesselballon, der von gut einem Dutzend Wall-Street-Unternehmen am Boden gehalten wurde.“
Die Katastrophe kannte also durchaus Gewinner. Was jedoch niemand vorhersah, war das Ausmaß, das sich erst 2008 in aller Deutlichkeit zeigte. Die Banken standen jeweils bei anderen Banken in der Kreide, das Netzwerk war dicht. Sollten wichtige Institute in Konkurs gehen, würde dies das gesamte System bedrohen. Eine Kreditausfallversicherung bei einer Bank, die es nicht mehr gab, würde dann auch nichts mehr nützen.
„Lehman Brothers war verschwunden, Merrill Lynch hatte aufgegeben, und Goldman Sachs und Morgan Stanley würden innerhalb von nur einer Woche aufhören, Investmentbanken zu sein.“
Während Steve Eisman am 14. März 2008 bei einer Konferenz eine Tirade gegen das Bankensystem feuerte, fiel der Aktienkurs von Bear Stearns von über 50 $ auf unter 30 $. Die Rede des ehemaligen US-Notenbank-Präsidenten Alan Greenspan danach wollte kaum einer hören: Die Investoren waren aus dem Saal gestürmt, um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Dies war ein Freitag. Bis Montag würde Bear Stearns für 2 $ je Aktie an J. P. Morgan verkauft und damit vor dem Konkurs gerettet werden. Die Krise am Anleihenmarkt hatte nun auch den Aktienmarkt eingeholt. Im September wurde Lehman Brothers in die Insolvenz geschickt, während AIG von der US-Notenbank mit einem Kredit über Wasser gehalten wurde. Merrill Lynch gab CDO-bedingte Verluste in Höhe von mehr als 55 Milliarden Dollar bekannt und wurde von der Bank of America übernommen. In der Finanzbrache war nichts mehr so, wie es einmal gewesen war.