Recruiting reloaded
90 % aller Deutschen im Alter von 14 bis 29 Jahren nutzen das Internet. Einen Großteil ihrer Onlinezeit kommunizieren sie mit anderen. Viele konsumieren und produzieren gleichzeitig Inhalte und lassen sich immer weniger von herkömmlichen Marketingmethoden beeindrucken. Das Web-2.0-Marketing wächst rasant, eine Entwicklung, der die Personalabteilungen noch hinterherhinken. Dabei eignen sich die sozialen Netzwerke hervorragend zum Employer-Branding. Gerade die „Digital Natives“, die das Internet quasi mit der Muttermilch aufgesogen haben, wollen als Bewerber dort abgeholt werden, wo sie sich ohnehin schon aufhalten.
„Die Digital Natives suchen Unternehmen, die ihnen in einem Umfeld aus Kollegialität und flachen Hierarchien die Möglichkeit zu selbstständigem Arbeiten bieten.“
Der Kampf um Talente wird sich weiter verschärfen und folglich auch die Bedeutung von „Sourcing“, der direkten Ansprache geeigneter Kandidaten. In Zukunft werden sich die Unternehmen bei den Jobsuchenden bewerben und nicht umgekehrt. Systematisches Talent-Relationship-Management (TRM) garantiert, dass Sie einen Pool an potenziellen Topkandidaten immer weiter ausbauen und pflegen, um bei Bedarf darauf zurückgreifen zu können. Egal ob ehemalige Praktikanten, Doktoranden oder Bewerber, denen Sie einst keine passende Stelle anbieten konnten: Social Media sind eine exzellente Plattform, um Ihre Talent-Pipeline zu einem machtvollen Recruiting-Tool auszubauen.
„Ein beliebtes Spiel ist mittlerweile, den Namen des potenziellen Chefs in Kombination mit gängigen Schimpfwörtern zu googeln.“
Das Kosten-Nutzen-Verhältnis eines Engagements in sozialen Netzwerken ist exzellent. Sie brauchen nicht einmal externe Berater anzuheuern, wenn es in Ihrem Unternehmen genügend engagierte und kreative Mitarbeiter mit Web-2.0-Affinität gibt. Je länger Sie aber warten, desto eher wird die Konkurrenz an Ihnen vorbeiziehen.
Auf Facebook Freunde finden
Eine Xing- oder Facebook-Präsenz kann und soll kein Ersatz sein für das persönliche Gespräch auf einer Recruiting-Messe. Vielmehr sollten Sie Social Media ergänzend und eng verzahnt mit den etablierten Kanälen einsetzen. In der Zielgruppe der unter 26-Jährigen ist Facebook das mit Abstand wichtigste aller Netzwerke. Ehemalige Mitarbeiter oder Praktikanten gründen oft Gruppen, in denen sie sich über ihren Arbeitgeber austauschen. Aber Sie können auch selbst eine Karriere-Fansite für Ihr Unternehmen einrichten. Im Idealfall verbreitet sie sich viral und zieht Tausende von Interessenten an. Auf der Careers-Seite von Ernst &Young in den USA waren im September 2010 mehr als 50 000 Fans registriert. Der Vorteil: Sie können ganz persönlich mit den Zielgruppen Schüler, Studenten und Absolventen ins Gespräch kommen. Anders als auf der Karriere-Homepage geht es nicht um konkrete Rekrutierungsschritte, sondern darum, auf Augenhöhe mit Ihren Fans zu kommunizieren und sie für eine Karriere in Ihrem Unternehmen zu begeistern. Und zwar so:
- Verschwenden Sie keine Ressourcen mit einer aufwändigen Gestaltung der Seiten. „Handgemacht“ wirkt am authentischsten.
- Veröffentlichen Sie drei- bis fünfmal in der Woche Neuigkeiten, z. B. Interviews, Bewerbungstipps, Filme oder Highlights aus dem Leben des Facebook-Teams.
- Regen Sie im Diskussionsforum Debatten über aktuelle Unternehmensthemen an.
- Beachten Sie den Facebook-Knigge: Beiträge sollten maximal 400 Zeichen lang sein, und Duzen ist die Regel.
Tweeting on time
Auf Twitter müssen Sie Ihre Botschaft in 140 Zeichen auf den Punkt bringen und Interessenten überzeugen, Ihrem Angebot zu folgen. Twitter erweitert die Präsenz von Unternehmen im Netz, weil die Stichwörter in den Tweets von Suchmaschinen erkannt werden. So genannte Hashtags (ein Doppelkreuz vor einem festgelegten Begriff) ermöglichen es Nutzern, Tweets in Gruppen gesammelt zu einem Stichwort oder Event zu erhalten. Wie auch bei Facebook ist das Anlegen eines Kontos kinderleicht. Die Arbeit beginnt danach:
- Bestimmen Sie jemanden, der die Twitter-Präsenz acht bis zehn Stunden pro Woche pflegt. Twitter-Follower erwarten regelmäßige Neuigkeiten. Wenn die nicht kommen, melden sie sich wieder ab.
- Microblogs wie Twitter sind besonders unmittelbar und eignen sich deshalb ideal dazu, Veranstaltungen wie z. B. Recruiting-Messen anzukündigen und live über diese zu berichten.
- Analysieren Sie kontinuierlich Ihre Follower: Wer meldet sich an und wer wieder ab? Erreichen Sie die anvisierte Zielgruppe?
Bloggende Botschafter
Unternehmens-Blogs erscheinen im Google-Ranking viel eher unter den Topplätzen als statische Websites. Leser schreiben Kommentare und geben den Verantwortlichen die Chance, kompetent und glaubwürdig darauf zu antworten. Überprüfen Sie die Kommunikationspolitik in Ihrem Unternehmen: Oft gilt die veraltete Regel, dass alle Mitarbeiter „mit einer Stimme“ sprechen müssen. Das ist in der sozialen Netzwerkwelt jedoch nicht praktizierbar. Mitarbeiter müssen die Möglichkeit haben, auf die Entwicklungen im Netz zu reagieren und selbst Beiträge zu verfassen. Erstellen Sie Social-Media-Richtlinien, die die Blogger nicht zensieren, sondern simple Regeln festsetzen: Begründete Kritik ist erwünscht, unternehmensschädigende Aussagen oder das Ausplaudern von Betriebsgeheimnissen nicht. Schulen Sie bloggende Mitarbeiter in der Anwendung der Regeln. Bieten Sie ihnen redaktionelle Hilfe an. Schließlich verbirgt sich nicht hinter jedem Programmierer eine Edelfeder.
„Ein Netzwerk ist immer nur so relevant für die Teilnehmer, wie die Verbindungen, die untereinander bestehen.“
Regeln Sie, wer sich um die Kommentare der Leser kümmert und wie damit umgegangen werden soll: Dürfen verunglimpfende Kommentare im Zweifel gelöscht werden? Natürlich schüren Social Media Ängste. Manager fürchten die Kontrolle zu verlieren, wenn sie ihre Mitarbeiter zu eigenverantwortlichen Botschaftern für das Unternehmen machen. Viele verbieten ihnen sogar die Nutzung von Facebook & Co. Ein Kompromiss könnte so aussehen, dass privates Netzwerken nur während der Mittagspause erlaubt ist, unternehmensrelevante Social-Media-Aktivitäten hingegen durchgehend zulässig sind. Hinterfragen Sie die gelebte Unternehmenskultur: Teilen Mitarbeiter ihr Wissen gerne mit anderen? Sind Offenheit, gegenseitiges Vertrauen und Transparenz fest im Wertekanon verankert? In der direkten Kommunikation mit Kandidaten lassen Sie am besten die Kollegen vom Fach zu Wort kommen. Ein Ingenieur kann die Frage eines Fachmanns besser beantworten als ein Personaler. Im Employer-Branding der Zukunft werden HR-Mitarbeiter zunehmend die Rolle von „Brokern“ einnehmen: Sie fungieren als Kontaktanbahner zwischen Kollegen und Kandidaten, also zwischen den heutigen und den zukünftigen Experten ihres Fachs.
Netz im Netz
Eine Social-Media-Präsenz steht und fällt mit den Inhalten. Erstellen Sie Videos, in denen Mitarbeiter offen und ehrlich über ihren Arbeitsalltag berichten, denn nichts wirkt so authentisch wie die Stimmen von ganz normalen Menschen. Alternativ können Sie aufwändige Filme drehen lassen, in der Hoffnung, dass sie sich aufgrund ihrer Originalität viral verbreiten. Um alle Kanäle optimal zu nutzen, sollten Sie sie ineinander integrieren: Verlinken Sie Ihre Karrierewebsite mit Social Media und umgekehrt, und stimmen Sie die Inhalte aufeinander ab. Sie können beispielsweise die Karriereseite mit den Xing-Profilen der Recruiter verlinken und so die Hemmschwelle für einen ersten Kontakt senken. Umgekehrt lassen sich potenzielle Interessenten von Arbeitgeberbewertungsportalen wie Kununu durch Links auf die Karriereseiten der betreffenden Unternehmen lenken. Ziel muss es sein, alle Verlinkungen miteinander zu verknüpfen und so ein engmaschiges Netz zu spinnen, in dem Internetsurfer früher oder später hängen bleiben.
„Es ist kaum vorhersehbar, in welche Richtung sich eine Aktion, möglicherweise getragen durch die Masse der Nutzer, bewegt.“
Weitere mögliche Web-2.0-Anwendungen sind Recruiting-Wikis, d. h. Plattformen mit informativen Texten über das Unternehmen und den Bewerbungsprozess, die permanent von den Nutzern verändert werden. International tätige Unternehmen können Jobangebote an verschiedenen Standorten in eine Google-Maps-Anwendung integrieren. Innovationen mit Zukunftspotenzial sind das Online-Assessment und Mobile Recruiting. Bei Letzterem kommt es darauf an, Art und Menge der Informationen auf mobile Endgeräte zuzuschneiden. Mithilfe von Location-Based Services (LBS) wie 4sq oder Gowalla können Sie Karriere- und Jobinformationen so platzieren, dass diese die Nutzer am richtigen Ort und zum optimalen Zeitpunkt erreichen.
Mithören und mitbestimmen
Das Grundrauschen im Social Web wird von Tag zu Tag lauter, und viele HR-Mitarbeiter würden sich am liebsten die Ohren zuhalten. Einen Überblick zu behalten und immer angemessen zu reagieren, ist ohne Strategie und Struktur schlicht unmöglich. Am Anfang eines Engagements stehen deshalb Beobachten und Zuhören. Bestimmen Sie, welches Ziel Sie mit einer Social-Media-Analyse verfolgen:
- Fokus: Sie recherchieren die Vorlieben und die Sprache Ihrer Zielgruppe sowie deren Entscheidungen für oder gegen bestimmte Arbeitgeber. Versetzen Sie sich in die Lage der Kandidaten und überlegen Sie, wie sich Ihr Unternehmen den Wünschen der Zielgruppe annähern kann.
- Monitor: Verfolgen Sie alle Informationen, die sich verändern, wie z. B. Erfahrungsberichte über Unternehmen. Sie erhalten so ständig ein Update darüber, was von wem zu bestimmten Themen und Unternehmen gesagt wird.
- Sonar: Entdecken Sie potenziell gefährliche oder auch vorteilhafte Diskussionen im Netz so früh wie möglich, um gegenzusteuern bzw. einen Hebel zu setzen. Es gilt, blitzschnell zu reagieren, da es im Netz schnell zur Lawinenbildung kommt.
„Social Media macht es auch und vor allem den Hidden Champions aus dem Mittelstand möglich, aktiv auf die ,richtigen‘ Talente zuzugehen – auch international.“
Anschließend müssen Sie die relevanten Quellen identifizieren. Sie werden feststellen, dass Ihre Zielgruppe sich nicht nur auf Facebook und Twitter aufhält. Inhaltlich tiefer gehende Diskussionen finden eher in Blogs und Foren statt. Die quantitative, semantische Analyse ermittelt, wie oft bestimmte Begriffe in den ausgewählten Beiträgen vorkommen. Mithilfe einer Tonalitätsanalyse stellen Sie fest, wie geredet wird. Computer-linguistische Methoden sind hilfreich, sollten aber um qualitative Analysen einiger Beiträge ergänzt werden. Sobald Sie wissen, wo sich Ihre Zielgruppe tummelt und was sie interessiert, können Sie sich dort unverfänglich positionieren, noch bevor die Zielpersonen aktiv auf Jobsuche gehen. In der Bewerbungsphase sollten Sie Ihre Vorzüge gegenüber Wettbewerbern hervorheben, um dann in der Abschlussphase konkrete Tipps zum Bewerbungsprozess zu geben.
Kluges Krisenmanagement
Natürlich bergen Social Media Risiken. Jedes Unternehmen ist auf irgendeinem Feld angreifbar. Wenn es zu einer Panne kommt, kann das die Reputation schwer beschädigen. Im Juli 2009 wurden im Onlineshop des Versandhauses Otto z. B. 1700 € teure Laptops fälschlicherweise für 49 € angeboten – Otto reagierte richtig: Besteller erhielten statt des Geräts einen Einkaufsgutschein über 100 €, ein Entschuldigungsschreiben und die Möglichkeit, an der Verlosung von 50 Laptops teilzunehmen. Twitter-Nutzer, die das kritisierten, wurden direkt kontaktiert, und die ganze Aktion konnte über Twitter verfolgt werden. Fazit: Wenn Sie Kritik im Netz ignorieren, Tatsachen abstreiten, Unzufriedene auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten, abmahnen oder Inhalte löschen, ist der Ruf schnell ruiniert. Diese Fehler haben andere gemacht. Sie müssen sie nicht wiederholen.