Was eine Strategie ist und wofür sie gut ist
Der Begriff „Strategie“ im Umfeld betriebswissenschaftlicher Forschung und Praxis ist ein schillerndes Konzept: Obwohl sich erst seit etwa 1960 eine eigene wissenschaftliche Forschungsrichtung mit strategischem Management beschäftigt, gibt es bereits eine grosse Vielfalt von Modellen und Entwürfen. Eine eindeutige Definition des Begriffes fehlt jedoch.
„Ein strategisches Management strebt an, die Entwicklung von Unternehmen zu gestalten.“
Robert Allen, der ehemalige CEO des Telekommunikationsgiganten AT&T sagte einmal: „Wenn jemand behauptet, er wisse, wie dieses Geschäft in fünf Jahren aussieht, stellt sich für mich nur die Frage: Was hat der als Letztes geraucht?“ Allen deutet damit an, dass jedes Unternehmen ein grundlegendes Dilemma hat: Es weiss nicht, was die Zukunft bringt. Die Entwicklung der Wirtschaft oder auch nur einer Branche ist unprognostizierbar, vielfältige Ereignisse bedingen sich wechselseitig und führen zu teilweise entgegengesetzten Ergebnissen. Strategisches Management ist der Versuch, die Entwicklung eines Unternehmens bewusst zu gestalten. Es versucht, die Tücken des „Sich-Durchwurstelns“ zu eliminieren und eine geplante Evolution zu entwerfen.
Lotse durch strategische Untiefen: Der General Management Navigator
An der Universität St. Gallen wurde ein Schema entwickelt, das den Prozess der Entwicklung und Durchführung von Strategien anhand von fünf Feldern abbildet. Die fünf Abschnitte dieses General Management Navigators (GMN) heissen: Initiierung, Positionierung, Wertschöpfung, Veränderung und Performance-Messung. Der GMN erfüllt mehrere Funktionen: Er stellt einen Theorienspeicher und eine Werkzeugkiste dar, die den unüberschaubaren wissenschaftlichen Fundus der Strategieforschung ordnet und in eine feste Bahn lenkt. Gleichzeitig erleichtert er durch ein gemeinsames und einheitliches Denkraster die Kommunikation über Strategie. Das Schema erzeugt einen einfachen Bezugsrahmen, um Ideen zu generieren. Das Ganze ist als integratives Konzept gedacht: Strategie- und Wandelarbeit sollen in einem gemeinsamen Ansatz integriert werden.
Initiierung: Starten Sie Initiativen zur Beeinflussung des Unternehmens
Ausgangspunkt jeder wichtigen Entwicklung für Ihr Unternehmen ist eine strategische Initiative. Sie ist das Ereignis, das den Stein ins Rollen bringt. Beispielsweise wollen Sie vielleicht in ein neues Geschäftsfeld eintreten oder machen sich darüber Gedanken, eine Kooperation mit einem Mitbewerber einzugehen. Letzteres wird nicht ohne Grund oft als „strategische Allianz“ bezeichnet.
„Strategisches Management ist ein evolutionärer Prozess.“
Die strategische Initiative ist der Anfang eines Veränderungsprozesses. Jedoch erfolgt der Anstoss dazu nicht unbedingt von oben nach unten, also nach dem klassischen Muster: Der Chef entscheidet sich für eine Strategie und die Mitarbeiter müssen sich um die Umsetzung kümmern. Im Gegenteil: Viele Schlachtrufe der Geschäftsführung, z. B. nach „Null-Fehler-Toleranz“, kamen zuerst im mittleren Management auf. Das Topmanagement von Intel wollte ursprünglich eine strategische Neuausrichtung auf Speicherchips durchsetzen – jedoch gegen das mittlere Management, das eher Mikroprozessoren vorzog. Nach einer Phase der heftigen Auseinandersetzungen setzte sich schliesslich die strategische Ausrichtung der mittleren Führungsschicht durch, die näher am Markt orientiert war.
„Mit dem General Management Navigator schlagen wir einen Bezugsrahmen vor, der die Disziplin des strategischen Managements nach einer spezifischen Logik strukturiert.“
Strategien wachsen in Bodennähe. Falsch ist die weit verbreitete Annahme, dass eine strategische Neuausrichtung zunächst geplant und dann erst in einem gesonderten zweiten Schritt durchgeführt wird – ganz nach Plan. Anstelle dieses präskriptiven Strategieansatzes entstehen strategische Initiativen in einer Art Basisprozess, der sich dynamisch entwickelt und immer wieder um neue Facetten ergänzt wird.
„Zentrale Herausforderung eines strategischen Managements sind die Unprognostizierbarkeit des Umfeldes, die Vielfalt der Ereignisse, ihre Widersprüchlichkeit und Mehrdeutigkeit sowie die mangelnde Zerlegbarkeit dieser komplexen Probleme.“
17 Stellhebel für strategische Initiativen Insgesamt 17 Stellhebel, zusammengefasst in sechs Gruppen, lassen sich unterscheiden, die wichtige Einflussgrössen für die Initiierung von strategischen Prozessen sind:
- Ort: Wichtig ist der Kontext, in den eine Initiative eingebettet wird. Neben diesen Rahmenbedingungen, muss die Verantwortlichkeit (zentral oder dezentral?) und die Einflussrichtung (top-down oder bottom-up?) klar geregelt sein.
- Beteiligte: Die Frage der beteiligten Personen ist von zentraler Bedeutung, wenn eine strategische Initiative gelingen soll. Der Beteiligungsgrad regelt, ob nur ein elitärer Kreis oder viele an der Ideenfindung teilnehmen. Der Perspektivenmix ist eine Stellgrösse, die mitbestimmt, ob das Ergebnis einseitige oder vielfältige Perspektiven einschliesst. Schliesslich ist festzulegen, ob mono- oder interdisziplinäre Fähigkeiten gefordert sind.
- Timing: Die Dauer und der Zeithorizont spielen in dieser Gruppe eine Rolle. Sie bestimmen, ob es sich eher um kurz- oder langfristige Initiativen handelt. Als Auslöser für bestimmte Strategieprozesse können auch ungeplante Ereignisse integriert werden.
- Mittel: Der Mitteleinsatz kann auf zwei Dimensionen beschränkt werden: Es muss entschieden werden, welche Ressourcenmenge (gering oder hoch?) und welche Methoden (wenige oder viele?) eingesetzt werden. Bei den Methoden können Sie sich bewusst auf bewährte Strategietools beschränken oder auf einen ganzen Baukasten vieler Speziallösungen zurückgreifen.
- Vorgehen: Die Arbeitsweise kann intuitive Vorschläge einbeziehen oder sich nur auf analytische Ideen berufen. Ähnlich verhält es sich mit der Darstellungsweise: Verlassen Sie sich nur auf „harte“ quantitative Fakten oder haben auch qualitative Ansätze eine Chance? Schliesslich sollten Sie noch einplanen, ob die Ideen fein oder grob strukturiert werden. Ein hoher Detaillierungsgrad lässt sich angesichts der unvorhersehbaren Zukunft nicht immer rechtfertigen.
- Zusammenarbeit: Machen Sie sich klar, wie alle Beteiligten zusammenarbeiten sollen. Das fängt bei der Entscheidungsform an (demokratisch oder patriarchalisch?), weil sie Einfluss darauf hat, ob Konflikte als treibende Kräfte erwünscht sind oder nicht. Soll die Initiative transparent sein oder wird zunächst nur hinter verschlossenen Türen darüber beraten?
Positionierung: Definieren Sie das Verhältnis zu den Stakeholders
Ihr Unternehmen ist in eine komplexe Umwelt eingebettet: Kunden, Lieferanten, Aktionäre und Banken beeinflussen das Unternehmen. Sie sollten sich also fragen: Wie positioniert sich das Unternehmen gegenüber allen Anspruchsgruppen? Um den Ansprüchen gerecht zu werden, müssen sich Unternehmen darüber klar sein, wo sie stehen und was sie erreichen wollen.
„Um die Mitarbeiter zum Wandel zu befähigen, werden die entsprechenden organisatorischen Rahmenbedingungen (Struktur, Kultur, Politik) geschaffen.“
Ein absolutes Muss ist eine Vision bzw. eine Mission, die Sie auch eindeutig formulieren müssen. Wenn Sie sich ohne Strassenkarte in den Berufsverkehr begeben, werden Sie sich garantiert verfahren; vor diesem Hintergrund sollten zunächst einmal strategische Geschäftsfelder identifiziert werden, in denen das Unternehmen überhaupt tätig werden will. Der Philips-Konzern z. B. hat sich acht Geschäftsfelder ausgesucht, darunter Unterhaltungselektronik, Beleuchtung und Halbleiter. Das Gegenstück zu den strategischen Geschäftsfeldern in der Unternehmensumwelt sind die strategischen Geschäftseinheiten innerhalb des Unternehmens: Diese sind überschneidungsfrei abgegrenzte Handlungseinheiten, die selbstständig die Geschäftsfelder bearbeiten können.
„Performance-Messung wird hier weniger als Kontrollinstrument begriffen, sondern mehr als Möglichkeit zur Beschleunigung organisatorischer Lernprozesse.“
Mit Hilfe von Stärken-Schwächen-Analysen kann jede Geschäftseinheit durchsetzbare Pläne für die Weiterentwicklung erstellen. Ein wichtiges Tool dabei ist die SWOT-Analyse: Auf einer Achse werden die Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) Ihres Unternehmens aufgelistet und auf der anderen Achse die Chancen (Opportunities) und Gefahren (Threats) der Umwelt. So entsteht ein Raster, in dessen Überschneidungen spezifische strategische Optionen eingefügt werden können.
Wertschöpfung: Schaffen Sie die Voraussetzungen für den Erfolg
Die dritte Ebene des General Management Navigators ist eng mit der Ebene der Positionierung verzahnt. Bei der Positionierung spielt das Aussenverhältnis eine grosse Rolle. Um eine bestimmte Aussenwirkung zu ermöglichen, sind jedoch interne Strukturen und v. a. Ressourcen nötig, die diesen Ansprüchen genügen.
„Nach dem Motto eines ‚Strategy follows Resources’ wird darauf verwiesen, dass z. B. Organisationsstrukturen und Mitarbeiter eine Eigendynamik aufweisen, die auch bei der Strategieentwicklung explizit zu berücksichtigen ist.“
Gemeint ist die Perspektive der internen Wertschöpfung: Wie schafft das Unternehmen Mehrwerte, wenn es einen Input in einen Output mit höherem Wert transformiert? Wenn z. B. ein Uhrenproduzent gross in das Geschäft mit billigen Modeaccessoires einsteigen möchte, weil er in diesem Geschäftsfeld grosses Wachstum erwartet, so muss er zuerst sicherstellen, dass er die Ressourcen dafür zur Verfügung hat. Vier Ressourcen sind besonders wichtig:
- Mitarbeiter: Dass Mitarbeiter wichtig für ein Unternehmen sind, ist unstrittig. Es ist aber auch wichtig, dass das Personal adäquate Funktionen erhält, regelmässig beurteilt und geschult wird. Diese Aufgaben übernimmt das Human Resource Management.
- Strukturen: Die Organisationsstrukturen haben einen wichtigen Einfluss darauf, ob und wie effektiv die Wertschöpfung vorangetrieben werden kann. In der Aufbauorganisation unterscheidet man Organisationen, die nach Funktionen, Produktgruppen oder Regionen gegliedert sind. Matrixorganisationen besitzen den Vorteil, dass immer zwei Stellen für eine Aufgabe verantwortlich sind (z. B. Produktmanager und Regionalmanager).
- Managementsysteme: Sie dienen der Diagnose, Planung und Kontrolle betrieblicher Aktivitäten. Besonders wichtig sind Anreiz- und Belohnungssysteme, mit denen die Leistung und das Verantwortungsgefühl der Mitarbeiter erhöht werden. Kontrollsysteme hingegen werden zur Steuerung des Unternehmens benötigt. So wird z. B. durch Budgets eine Soll-Ist-Analyse ermöglicht.
- Wissen: Diese Ressource war und ist entscheidend. Daher sollten Sie aktives Wissensmanagement betreiben: Ausgehend von Ihren Wissenszielen können Sie relevante Ressourcen identifizieren, über die ein Erwerb des Wissens möglich ist. Dieses Wissen muss aber entwickelt, also gepflegt und aktualisiert werden, bis es schliesslich genutzt werden kann.
Veränderung: Strategische Initiativen zum Leben erwecken
Strategien werden zum Leben erweckt, indem sie in Change-Management-Prozesse eingefügt werden. Aber Vorsicht: Stellen Sie Ihr Unternehmen nicht gleich ganz auf den Kopf, denn Sie werden mit der Gegenwehr Ihrer Mitarbeiter rechnen müssen. Viel besser ist Wandel in kleinen Schritten, das so genannte „Pacing“. Aktuellen Forschungsergebnissen zufolge ist schrittweiser Wandel ein zentraler Erfolgsfaktor für die langfristige Entwicklung von Unternehmen. Machen Sie sich ein „Drehbuch für den Wandel“, das eine eigene Dramaturgie und Inszenierung benötigt. So erfolgte die strategische Neuausrichtung bei dem Telekommunikationsanbieter Alcatel zwischen 1989 und 1992 in insgesamt drei Wellen.
Performance-Messung: Kontrollieren Sie Ihre Erfolge
Dieser Abschnitt des General Management Navigators betrifft die Messung der strategischen Prozesse. Dabei ist es wichtig, dass Sie nicht nur in finanziellen Kennzahlen stecken bleiben. Besonders die Balanced Scorecard hat sich in den letzten Jahren viele Freunde erworben, wenn es darum geht, die Leistungstreiber des Unternehmens zu identifizieren und zu kontrollieren.
„Je besser es Unternehmen gelingt, Wissen zu lokalisieren, gezielt einzusetzen und neu zu schaffen, desto mehr kann es sich – nach dieser Lesart – von seinen Konkurrenten nachhaltig absetzen.“
Die „Balance“ dabei ist vor allem darin zu suchen, dass ein Ausgleich zwischen internen Messgrössen (z. B. Prozessoptimierung) und externen Einflüssen (z. B. Kundenzufriedenheit) anzustreben ist. Ausserdem halten sich vergangenheitsbezogene (z. B. Finanzkennzahlen) und zukunftsgerichtete Masszahlen (z. B. Lernpotenzial der Mitarbeiter) die Waage.
Prof. Dr. Günter Müller-Stewens und Dr. Christoph Lechner lehren und forschen am Institut für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen. Dort entwickelten sie den „General Management Navigator“ als integrativen Ansatz für strategisches Management.