Wann ist kommunale Haushaltskonsolidierung erfolgreich?
Reiche Kommunen mit zahlungskräftigen Steuerzahlern haben weniger Probleme beim Haushaltsausgleich als arme mit hohen Arbeitslosenzahlen oder überalterter Bevölkerung. Das ist wenig überraschend. Bei Kommunen mit vergleichbaren sozioökonomischen Rahmenbedingungen sind unterschiedliche Kennzahlen zur Finanzsituation jedoch verwunderlich. Hat die schlechte Finanzlage mancher Kommunen mehr mit Verschwendung und internen Ursachen zu tun, als die Verantwortlichen zugeben wollen? Warum sind einige Kommunen im Umgang mit begrenzten finanziellen Ressourcen erfolgreicher als andere? Gibt es bestimmte Konstellationen, die Einfluss auf die kommunale Haushaltskonsolidierung haben?
„Die Haushaltspolitik ist das Herzstück der Kommunalpolitik. Die hier auftretenden Konflikte finden im Spannungsfeld von Fachpolitik und Steuerungspolitik statt.“
Keine entscheidende Auswirkung auf die Haushaltskonsolidierung haben offenbar die rechtlichen und institutionellen Bedingungen, z. B. die Gemeindeordnungen. Sie sind in Deutschland Ländersache. Seit den 80er Jahren wird immer wieder diskutiert, ob eine starke Stellung des Bürgermeisters bzw. des Oberbürgermeisters die Haushaltsdisziplin fördert und eine schwache Stellung tendenziell zu Defiziten führt. Die beiden Extrempole sind die Gemeindeordnungen Baden-Württembergs (starke Stellung des Bürgermeisters) und Nordrhein-Westfalens (schwache Stellung). Sollte sich diese Theorie als richtig herausstellen, dürften die Kennziffern zur Haushaltsstruktur innerhalb eines Landes allerdings nicht allzu große Unterschiede aufweisen. Das tun sie aber: Zwar geht es den Kommunen in Baden-Württemberg im Schnitt besser als den NRW-Kommunen, aber auch innerhalb des Landes gibt es deutliche Unterschiede. Umgekehrt gibt es auch im armen NRW etliche Kommunen, die weniger Probleme mit dem Haushaltsausgleich haben als andere. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind also nicht die Ursache für die Unterschiede – aber was ist es dann? Infrage kommen etwa folgende Faktoren:
- parteipolitische Einstellungen zur Haushaltspolitik,
- persönliche Einstellungen der Politiker, der Führungskräfte und auch der Bürgerinnen und Bürger zur Haushaltsdisziplin,
- Hemmnisse durch fehlende oder unsichere Mehrheiten,
- das Führungskönnen und Führungswollen des Bürgermeisters.
„Es geht in Verteilungskämpfen zwischen den staatlichen Ebenen um Geld und Autonomie, zwischen den Kommunen um Unternehmen und Arbeitsplätze, um Steuerkraft und Zuweisungsanteile und zwischen gesellschaftlichen Gruppen um knappe Ressourcen.“
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die jeweiligen kommunalpolitischen Akteure den Haushaltsausgleich wollen, ob sie ihn durchsetzen können – und ob sie überhaupt negative Konsequenzen fürchten müssen, wenn sie es nicht tun.
Wollen die Akteure den Haushaltsausgleich?
Konservative sind sparsam mit den Staatsausgaben, Sozialdemokraten wollen hohe Sozialleistungen und viel Personal im öffentlichen Dienst, Liberale senken die Steuern – so lauten einige gängige Annahmen. Außerdem müssen Volksparteien – ob linke oder rechte –zur Stimmenmaximierung angeblich viele Wählerwünsche befriedigen, was dem Haushaltsausgleich nicht gut bekomme. Weitere gängige Behauptungen: Koalitionsregierungen machen mehr Kompromisse als Alleinregierungen, daher fällt der Haushaltsausgleich in reinen Mehrheitsdemokratien leichter als in Verhandlungsdemokratien. Und mit eindeutigen Mehrheiten sind harte Sparbeschlüsse einfacher durchzusetzen als mit knappen.
„Allgemeine, übergreifende Interessen, die eigentlich jeder hat, lassen sich gegenüber spezielleren Interessen nur sehr schwer durchsetzen. Generalisten sind fachpolitischen Koalitionen in Detailinformationen und -argumenten regelmäßig unterlegen.“
Die empirische Lage bestätigt diese Annahmen nur teilweise. In Wahrheit machen konservative Regierungen oft sogar noch mehr Schulden als linke. Sie schätzen zwar einen schlanken Staat, aber noch mehr schätzen sie eine geringe Steuer- und Abgabenquote. Linke Regierungen nehmen zur Finanzierung des Sozialstaats auch höhere Steuern in Kauf. Für die Kommunen gilt diese Erkenntnis allerdings nur eingeschränkt, da sie kaum eigene Rechte zur Steuererhebung haben.
Können die Akteure den Haushalt ausgleichen?
Wenn schon die Kommunalverfassungen keine entscheidende Auswirkung auf den Haushaltsausgleich haben, dann vielleicht andere institutionelle Rahmenbedingungen:
- In der Verwaltung gibt es einen Antagonismus von Spezialisten und Generalisten. Sie ringen bei der Zuteilung von Ressourcen miteinander, wobei die Spezialisten (Fachpolitiker, Fachbereichsleiter usw.) ein größeres Stück vom Kuchen für ihren Bereich wollen, wohingegen die Generalisten auch den Haushaltsausgleich im Blick haben. Spezialisten fällt es leichter, ihre Interessen zu organisieren. Sie bilden Fachkoalitionen zwischen Verwaltungskräften, Fachpolitikern und Fachbeamten in den Landesbehörden. In diesem Spiel haben die Spezialisten stets einen Informationsvorsprung und die Generalisten eher schlechte Karten. Der Antagonismus dieser beiden Gruppen erschwert also den Haushaltsausgleich.
- Beim Haushaltsausgleich hilft eine Zentralisierung der Haushaltspolitik, etwa bei einem starken Kämmerer oder einem durchsetzungsfähigen Bürgermeister. Sitzt niemand auf dem Geld, greifen Interessengruppen nach Herzenslust zu: Jeder will seinen Teil, niemand behält das Ganze im Blick. Allzu viel Hierarchie sorgt allerdings bei den dezentralen Akteuren für mangelnde Motivation, in der Zentrale für Informationsprobleme und insgesamt für Konflikte in der Organisation.
- Verwaltungszentrierte Bürgermeister sind bei der Haushaltskonsolidierung erfolgreicher als politikzentrierte. In der Regel hat ein Bürgermeister entweder eine politische oder eine Verwaltungslaufbahn hinter sich. Es gibt Bürgermeister mit einem juristischem oder einem Verwaltungsstudium auf der einen Seite und solche mit einem fachfremden Studium auf der anderen. Je nach Werdegang wird der Bürgermeister sein Amt politikzentriert oder verwaltungszentriert wahrnehmen. In jedem Fall ist er der zentrale Akteur der Haushaltssteuerung.
- Einen erheblichen Einfluss haben so genannte Vetospieler. Das sind Personen oder Institutionen, deren Unterstützung für den Erfolg einer Sache von entscheidender Bedeutung ist. Umgekehrt erschwert oder verhindert ihre Ablehnung den Erfolg. Bei der Haushaltskonsolidierung zählen unterschiedliche Parteibuchkonstellationen von Bürgermeister und Ratsmehrheit dazu. Auch die Kommunalaufsicht, die Mitglieder des Verwaltungsvorstands oder starke Partei- und Fraktionsvorsitzende haben Vetopositionen inne. Je mehr Vetospieler und je unterschiedlicher ihre Einstellungen und Interessen, desto schwieriger ist die Haushaltskonsolidierung.
- Politiker ebenso wie auf Zeit gewählte Spitzenführungskräfte in den Verwaltungen richten ihr Handeln auch an Wiederwahlinteressen aus. In der Regel gilt: Haushaltssanierung ist bei der Bevölkerung eher unpopulär, Wohltaten kommen bei den Wählern besser an. In manchen Regionen ist es allerdings umgekehrt: Die sparsamen Schwaben etwa honorieren ein ausgeglichenes Budget und wählen auch sparsame Bürgermeister.
Müssen die Akteure den Haushalt ausgleichen?
Hohe Sozialleistungen, die Kosten der deutschen Einheit, die Steuerpolitik des Bundes, die Aufgabenüberwälzung durch höhere Ebenen und steigende Standards machen es objektiv schwieriger, einen Haushalt ins Lot zu bringen – aber muss das überhaupt sein? Welche Konsequenzen hat es, wenn ein Haushalt unausgeglichen bleibt? Praktisch keine. Aufsichtsorgane wie die Rechnungshöfe oder die Kommunalaufsicht, die bei den Ländern angesiedelt ist, haben kaum Durchgriffsrechte; die Verletzung der Haushaltsgesetzgebung bleibt in der Regel straffrei. Da stellt sich natürlich die Frage: Wenn ein Bürgermeister seinen Haushalt ausgleichen könnte, warum sollte er die nötigen Anstrengungen aufbringen, wenn er nicht muss?
Fünf Städte und ihre Haushaltslage
Die oben genannten Annahmen wurden in fünf kreisangehörigen Ruhrgebietsstädten mit einer Einwohnerzahl zwischen 23 000 und 99 000 überprüft. Das geschah anhand von Haushaltskennzahlen, Dokumenten der Verwaltungen und Parteien und ausführlichen Interviews mit politischen Spitzenkräften sowie dem Bürgermeister. Die Situation in den Städten stellte sich wie folgt dar:
- Stadt A: SPD-Mehrheit, verwaltungszentrierter SPD-Bürgermeister,
- Stadt B: CDU-Mehrheit, verwaltungszentrierter CDU-Bürgermeister,
- Stadt C: SPD-Mehrheit, politikzentrierter SPD-Bürgermeister,
- Stadt D: CDU-Mehrheit, politikzentrierter CDU-Bürgermeister,
- Stadt E: keine Ratsmehrheit für den verwaltungszentrierten parteilosen Bürgermeister.
„Konsolidierungsprozesse gehen von den Bürgermeistern aus.“
Die Untersuchungen ergaben, dass die politische Mehrheit keinen entscheidenden Einfluss auf die Haushaltslage hat. Große Unterschiede gab es allerdings bei der Ausrichtung des Bürgermeisters: Die Haushaltspolitik der verwaltungszentrierten Bürgermeister in den Städten A und B war deutlich erfolgreicher als die der politikzentrierten Bürgermeister in C und D. Der verwaltungszentrierte Bürgermeister ohne eigene Ratsmehrheit in der Stadt E schnitt allerdings auch wesentlich schlechter ab als seine Kollegen in A und B. Die Haushaltslage von E war eher mit den Städten C und D vergleichbar.
Führungsqualität und Führungswille des Bürgermeisters
Die umfassende Untersuchung der fünf Ruhrgebietsstädte bestätigt die wichtige, vermutlich ausschlaggebende Rolle des Bürgermeisters bei der Haushaltskonsolidierung. Er ist der zentrale Akteur auf dem Spielfeld. Alles, was ihn schwächt, schadet auch dem Haushaltsausgleich.
„Gelingt es dem Bürgermeister, Konsolidierungsansätze gegen Spezialinteressen der Fachpolitik und parteipolitische Ideologie durchzusetzen, bestehen Chancen, das städtische Budget in der Balance zu halten.“
Auch ein Bürgermeister kann in seinem Amt nicht alle persönlichen Ziele erreichen, sondern muss abwägen. Bei einigen Amtsinhabern steht der Haushaltsausgleich in der Zielhierarchie weit oben, anderen ist er weniger wichtig. Hier ist der Werdegang des Bürgermeisters offenbar entscheidend: Ein verwaltungsorientiertes Studium und/oder eine Berufslaufbahn in der Verwaltung (verwaltungszentrierte Amtsführung) führen in der Regel zu einer Präferenz für die Haushaltskonsolidierung. Das fehlt bei einem verwaltungsfremden Studium und/oder einer politischen Laufbahn (politikzentrierte Amtsführung).
„Fehlt es am Führungswollen und Führungskönnen des Bürgermeisters, gerät der Haushalt schnell in die Schieflage, brechen sich Spezialinteressen und ideologische Dispositionen Bahn.“
Hat ein verwaltungszentrierter Bürgermeister das gleiche Parteibuch wie die Ratsmehrheit oder zumindest die Führungspartei einer Koalition, ist das für die Haushaltsdisziplin von Vorteil. Bei einem politikzentrierten Bürgermeister hingegen kompensiert die Parteibuchidentität mit der Ratsmehrheit die Nachteile seines Werdegangs nicht. Schlecht sind fehlende Mehrheiten im Rat (Kohabitation); dadurch wird der Bürgermeister blockiert und der Haushaltsausgleich erschwert.
„Ziel ist es, Spezialistenmacht, Parteiideologien, Vetopositionen und Informationsdefizite zu brechen und zu überwinden.“
Ist die Zahl der Vetospieler begrenzt, unterstützt das den verwaltungszentrierten Bürgermeister bei einer haushaltsorientierten Amtsführung. Als Vetospieler erweisen sich z. B. die Fachdezernenten im Verwaltungsvorstand. Die untersuchten Kommunen mit günstigerer Finanzlage verzichteten weitgehend auf Beigeordnete. Auch die Macht der Fachpolitiker war in diesen Kommunen beschränkt. Und stets gilt: Nur eine zentralisierte Haushaltspolitik gewährleistet Entscheidungsfähigkeit.