PR-Gags und wie sie entstehen
Genau genommen ist der Untertitel des Buches grober Unfug: Es gibt eigentlich keine PR-Gags, und schon gar keine, die Geschichte machten. Das Wort existiert gar nicht. Kein Lexikon weiss Rat. Wenn in den Medien von „PR-Gags“ die Rede ist, dann meist im negativen Sinne. Dann nämlich, wenn sich Oberflächlichkeiten, Gerüchte und absichtlich gestreute Unwahrheiten in ein vakuumverpacktes Nichts auflösen: „Britney Spears’ Busen – Operation oder PR-Gag?“ Aber trotzdem: Das Wort „PR-Gag“ hat auch etwas Geheimnisvolles, das uns Bewunderung abfordert. Und – PR-Gags sind immer bewusst inszeniert, um ein Ziel zu erreichen. Die Absicht ist wichtig. Bestes Beispiel: Der schwäbisch-mazedonische Automechaniker Zlatko versteht von PR so viel wie von Malerei. Doch das Medienunternehmen von John de Mol machte aus dem „Big Brother“-Verlierer in Windeseile einen Medienstar. Wer in die Medien will, muss v. a. eine gute Taktik haben. Die Klaviatur des gelungenen PR-Gags hat sieben Tasten. Wer auf allen souverän spielen kann, der hat eben einen hohen „PR-Q“. Die Geschichte ist voll von gelungenen Aktionen dieser Art: von der Antike bis ins 21. Jahrhundert.
Taktik 1 – Selbstinszenierung bis zur Selbstaufgabe
Schon der Apostel Paulus, ehemals Saulus, war ein Meister der PR. Mit grösstem Stolz schreibt er, dass er den Griechen zum Griechen, den Römern zum Römer und den Juden zum Juden wurde. Diese Chamäleon-Strategie war massgeblich für seinen Erfolg, schliesslich musste seine Botschaft von den unterschiedlichsten Kulturkreisen verstanden werden. Dabei war er ebenso erfolgreich wie Martin Luther rund 1500 Jahre später. Der verstand es mit seinen 95 Thesen, ein Tabu zu brechen. Die Aufmerksamkeit war ihm sicher. Die Übersetzung des Neuen Testamentes in die deutsche Sprache machte ihn zum Volkshelden. Schlichtweg genial war jedoch, dass er konsequent Hightech verwendete: Zu seiner Zeit war das die Drucktechnik. Mit Unterstützung von Albrecht Dürer wurden mehrere Porträts des Reformators angefertigt und vervielfältigt. Seine Bekanntheit stieg unaufhörlich.
Madonna, Lady Di, Evita: Meisterinnen der Personality-PR
Schon mit der Wahl ihres Künstlernamens macht Madonna klar, worauf es ihr ankommt. Im Interview gestand sie: „Richtig glücklich bin ich erst, wenn ich so berühmt bin wie Gott.“ Die ketzerische Pop-Sirene hat aber keinen so geschickten Marketing-Mix zu bieten wie einst Luther. Madonna ist das „Material Girl“, das Kunstprodukt, das nur durch sich und mit sich wirkt. Gestern war sie noch das sexy Dummchen mit Marylin-Monroe-Touch, morgen schon die gestrenge Managerin. Schneller Wechsel, immer wieder was Neues: das ist die Methode.
„PR-Gags sind das prachtvolle Ergebnis planmässiger Effekthascherei, das die spröde Wahrheit aus dem dunklen Schatten an das grelle Licht der Öffentlichkeit zieht.“
Der Ruhm zu Lebzeiten lässt sich dann eben nur durch einen grossen letzten Vorhang toppen. Lady Diana Spencer und Evita, die Gattin des argentinischen Diktators Juan Perón, wurden durch ihren Tod zu symbolträchtigen Frauengestalten. War es bei Lady Di die Ikone der von Thron, Ehemann und Medien geknechteten Königin der Herzen, so setzte Eva Duarte-Perón bewusst schon zu Lebzeiten geschickt und skrupellos auf PR. Zuerst zieht sie aus ihrem Heimatdorf nach Buenos Aires und dort wird sie zur Meisterin des „Networking“ nach Evita-Stil: Alle Männer, mit denen sie sich einlässt, sind nur dafür gut, sie zu promoten. Mit Perón gelangt sie an die Macht, stilisiert sich zu einer Frau des Volkes und gründet grosszügige Stiftungen. Nach ihrem Tod weint ganz Argentinien und Evita wird zur Heiligen.
Taktik 2: Tabubruch – oder: Die Kunst des Polarisierens
Aufmerksamkeit bekommt man, indem man feste Regeln, Normen oder Dogmen aushebelt. Der geschickte Tabubruch zur rechten Zeit sorgt für ein dauerhaftes Renommee. Aber Vorsicht: Wer sich hier wie ein Stümper verhält, ist vielleicht für den Rest des Lebens oder zumindest der Karriere gebrandmarkt. Galileo Galilei beispielsweise hatte den Tabubruch par excellence begangen. Der Satz: „Die Erde bewegt sich um die Sonne“, war mit den gängigen theologischen Dogmen nicht in Einklang zu bringen. Seine heroische Attitüde wurde Galilei jedoch erst nach seinem Tod verpasst. Erst im 20. Jahrhundert wurde aus ihm der besserwisserische Querdenker, dem Brecht mit dem todesmutigen „Und sie bewegt sich doch!“-Zitat den nötigen Heldenspruch verlieh.
Klon-Arzt und Leichenfledderer
Einige Jahrhunderte später: Der Tabubrecher unserer Tage heisst Severino Antinori, ist italienischer Arzt und ganz wild aufs Klonen. Mit seinem Vorhaben, den ersten Menschen zu klonen, wenn nötig auf hoher See, entsetzt er in regelmässigen Abständen alle ethisch denkenden Klon-Gegner. Egal ob er das irgendwann wirklich wahr macht oder nicht: Medienrummel ist ihm heute schon sicher.
„Wenn sich Intelligenz wirklich mit IQ messen lässt, gibt es vielleicht auch so etwas wie PR-Q, einen Gradmesser, der anzeigt, ob jemand ein Händchen für PR-Aktivitäten hat.“
Sein Kollege aus der Pathologie ist der liebevoll als „Frankenstein vom Neckar“ betitelte Gunther von Hagens. Als er in wissenschaftlichen Ausstellungen Organe, die mit seiner neuartigen Plastinationstechnik präpariert wurden, ausstellte, krähte kein Hahn danach. Doch seitdem seine Wanderausstellung „Körperwelten“ tote aufgeschnittene Menschen beim Schachspielen oder Reiten zeigt, rennen ihm Besucher und Medien die Bude ein. Nicht immer aus Freude an den Exponaten: Von Hagens wurde beschimpft als „Leichenfledderer“ und „Dr. Mabuse“. Doch der Hype bescherte dem hageren Pathologen Rekordbesucherzahlen. Darum kann er beim Dozieren zufrieden lächeln, während er in skurriler Lederweste und Beuys-Hut durch die Runde der aufgebockten Körper marschiert: Das ist wirklich gruselig.
Taktik 3: Die inszenierte Niederlage – oder: Die souveräne Demutsgeste
Im März 1998 beherrschte eine Woche lang ein geflügeltes Wort die Medien und Menschen, ob sie nun fussballbegeistert waren oder nicht: „Ich habe fertig“ von Giovanni Trapattoni. Die Schimpftiraden des Italo-Trainers der Bayern in gebrochenem Deutsch wurden zur Lachnummer. „Struuuuuuuntz!“ und „Flasche leer“ prangte schon bald auf jedem T-Shirt. Zwar hatte sich Trapattoni den Respekt der Mannschaft verscherzt, jedoch die Sympathien der Zuschauer gewonnen. Es war einfach mal Zeit, dass der Trainer ohne Dolmetscher dem „lahmen Haufen“ die Wache ansagte. Zurück in Italien wurde „Trap“ dann auch gleich Nationaltrainer. Auf populären Grammatikschwächen kann man aufbauen.
„Will ein Medienstar glorreich zugrunde gehen, muss er im Idealfall einen Heldentod sterben.“
Wie man eine Niederlage in einen Sieg verwandelt, zeigte auch Daimler mit dem „Baby-Benz“. Nachdem ein schwedischer Elchtest die hoffnungsvolle A-Klasse zum Kippen brachte, war erst mal guter Rat teuer. Beschwichtigungen hätten wenig geholfen: Die ganze Nation lachte über die stolzen Stuttgarter. Doch die PR-Maschinerie rollte an und machte es richtig: Die Verbraucher wurden an den Verbesserungen beteiligt und informiert, wie das wacklige Auto kuriert wurde. Heute hängt in vielen Daimler-Büros ein Plüsch-Elch als Symbol des Erfolges.
Taktik 4: Ruhmestausch – oder: Sich im Glanze anderer sonnen
Wer sich im Glanze der Stars sonnt, hofft damit ein Stück ihrer Popularität zu erheischen. Neudeutsch nennt man das Imagetransfer. Eines der besten Beispiele für gelungenen Imagetransfer sind die Anzeigenkampagnen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Qualität statt Quantität ist die Botschaft der FAZ. Schon in den fünfziger Jahren verwendete sie daher ein ganz einfaches Motiv: Ein unbekannter Leser, die Beine leger übereinander gelegt, ist tief in die Zeitung vertieft. Sein Kopf wird ganz von der aufgeschlagenen Zeitung verdeckt. Doch erst später wurde das Motiv variiert: Mit dem Slogan „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ und Prominenten wie dem Starkritiker Marcel Reich-Ranicki, gelang es der FAZ, das Image der hochwertigen Intellektuellen-Zeitung aufzubauen.
„Die Medien sind die wichtigste Waffe in der grossen Schlacht, in der es um die Verteilung von Marktanteilen geht.“
Aussagen von Prominenten heissen in der Werbebranche „Testimonials“. Genau wie beim Sponsoring soll die Ausstrahlung auf das Produkt übergehen. Das geht v. a. beim Massenthema Sport: Jägermeister beispielsweise führte als Erster eine Bandenwerbung im Fussballstadion ein. Coca-Cola war ebenfalls sehr geschickt: Die Brause warb nicht nur mit dem Weihnachtsmann, sie hat ihn optisch sogar neu erfunden: So wie wir Santa Claus kennen, wurde er 1931 von der Coca-Cola Company für eine Anzeigenkampagne entwickelt. Mit durchschlagendem Erfolg.
Taktik 5: Geheimnistuerei – oder: Bewusst etwas nicht erzählen
Die achtziger und neunziger Jahre sind dann die Jahrzehnte des Okkulten: Uri Geller und Elisabeth Tessier beherrschen die Medien und in manchem Haushalt verbiegen sich Löffel und zerplatzen Uhren. Doch man muss sich nicht mit übersinnlichen Kräften verbünden, um das Interesse der Zuschauer und Medien zu wecken: Manchmal reicht es, nur so zu tun, als ob. Künstliche Legenden kommen immer gut an. Durch „Akte X“ und Co. ist das Publikum bereits darauf eingeschworen, dass „die Wahrheit irgendwo da draussen“ ist. Nur wo?
Blair Witch – Realität oder Fiktion?
Ein Beispiel, wie mit Geheimnistuerei Interesse geweckt wurde, ist der Film „Blair Witch Project“. Im Vorfeld des schaurigen Low-Budget-Films von 1999 wurde auf mysteriösen Websites das Gerücht verbreitet, dass die im Film geschilderten Vorfälle tatsächlich geschehen sind. Mit gefälschten Zeitungsberichten und immer neuen Halbwahrheiten wurde die Spannung ins Unermessliche gesteigert. Als der Film dann herauskam, suggerierte die Kameraführung, dass die Akteure tatsächlich einsam und allein in der Wildnis unterwegs seien, um den Mysterien der Hexe Blair auf den Grund zu gehen. Allerdings zeigten sich die meisten Zuschauer des fertigen Films relativ unbeeindruckt vom Horror, der sich auf den Gesichtern abbildet. Viel interessanter war die Diskussion in Internet-Foren und der Öffentlichkeit: „Was ist echt?“ Die PR-Profis der Produktionsfirma jedenfalls hatte eine moderne Legende erschaffen.
Taktik 6: Pointierende Täuschung
Übertreibung macht anschaulich. Auch für PR-Gags ist es manchmal notwendig, die Wahrheit ein wenig zurechtzubiegen. Von Sir Isaac Newton kennt jedes Kind die Anekdote, dass ihm beim Picknick im Garten ein Apfel auf dem Kopf fiel und er auf diese Weise das Gravitationsgesetz entdeckt haben soll. Allerdings gab Newton diese anschauliche Geschichte erst 60 Jahre später zum Besten und dann auch noch, um einer schönen Frau zu gefallen. Man könnte also tatsächlich annehmen, dass der Wissenschaftler, der sich sonst nie um die Verständlichkeit seiner Theorien scherte, bei seiner berühmten Anekdote ein wenig geflunkert hat. Trotzdem steht sie heute in jedem Physik-Buch.
„Erst mit dem richtigen PR-Gag wird die Grosszügigkeit auch der Rede wert sein.“
Überhaupt scheinen kleine Schummeleien in der Welt der Wissenschaft besonders beliebt zu sein. Wenn Sie an das „Archimedische Prinzip“ denken, erinnern Sie sich wahrscheinlich nicht an die entsprechenden Formeln, sondern an das Bild des badenden Archimedes, dessen voluminöser Körper das Wasser über den Wannenrand fliessen lässt. Und danach soll er dann auch noch splitternackt auf die Strasse gelaufen und sein berühmtes „Heureka!“ gerufen haben. Alles ein PR-Gag, der vermutlich auf den Schriftsteller Plutarch aus dem ersten Jahrhundert zurückgeht und sich ebenfalls bis heute hartnäckig gehalten hat.
Taktik 7: Das Absurde – oder: Die Verknüpfung von Unsinn zu Neusinn
Mit Absurditäten fängt man Kunden und mit lila Kühen Naschkatzen. Auch heute antworten einige Kinder bei Umfragen, dass Kühe doch eigentlich lila seien. So erfolgreich ist die Milka-Kuh, die schon seit 1950 auf einer saftigen Almwiese steht und für den sahnigen Schmelz wirbt. Genauso absurd wie eine lila Kuh ist der Slogan „Für das Beste im Mann“, der den Werbespot eines Nassrasierers begleitete. Was bitte sollte denn das Beste im Mann sein? Die Bartstoppeln? Der Spruch war unsinnig, aber er schlug ein wie eine Bombe: Die Spots mussten sogar kurzzeitig abgesetzt werden, weil die Produktion nicht mehr liefern konnte. Der Gott der PR ist eben ein Schelm.