Lobbying im neuen Europa

Buch Lobbying im neuen Europa

Erfolgreiche Interessenvertretung nach dem Vertrag von Lissabon

Wiley-VCH,


Rezension

Lobbying ist keine Mauschelei, sondern ein legitimes Mittel der In­ter­essen­vertre­tung – sagt der pro­fes­sionelle Lobbyist und EU-Insider Klemens Joos. Mit seinem Buch will er Ori­en­tierung geben für die Lobbyarbeit auf europäischer Ebene. Er stellt die wichtigsten In­sti­tu­tio­nen der EU vor und beschreibt mit akademis­cher Akribie die vielver­sprechend­sten Lob­by­ing­wege. Wem das zu theoretisch ist, der findet am Schluss eine Fallstudie, die das konkrete Vorgehen eines Branchen­ver­bands in Brüssel zeigt. Das Buch lässt sich auf zwei Arten lesen: Laien, die einen ersten Überblick suchen, können sich diesen mit den Executive Summaries verschaffen, die am Ende jedes Kapitels stehen. Wer beruflich in die Materie einsteigen will, findet in den einzelnen Kapiteln äußerst detailreich und gut verständlich aufbereitet, was für die In­ter­essen­vertre­tung nötig ist. Kritische Fragen zum Thema sucht man in Klemens Joos’ Buch natürlich vergeblich, aber nützlich und informativ ist es allemal. BooksInShort empfiehlt das sorgfältig recher­chierte Grund­la­gen­werk allen Un­ternehmern und Führungskräften, die wissen wollen, wie sie ihren Einfluss auf EU-Ebene geltend machen können.

Take-aways

  • Ein Großteil der in den EU-Staaten geltenden Gesetze wird in Brüssel beschlossen.
  • Mit dem Vertrag von Lissabon wurde das EU-Recht über das nationale Recht gestellt.
  • Durch Lobbying entwickeln Unternehmen ein Frühwarnsystem, bee­in­flussen politische Entschei­dun­gen und legen die Basis fürs Krisen­man­age­ment.
  • Wichtige In­sti­tu­tio­nen für Lobbying sind das Europäische Parlament, die Europäische Kommission, der Europäische Rat und der Rat der Europäischen Union.
  • Die Kommission besitzt das Ini­tia­tivrecht für die Geset­zge­bung, Parlament und Rat können aber mi­tentschei­den.
  • Neben kollektiven In­ter­essen­vertretern (z. B. Verbänden) gibt es auch nicht kollektive, z. B. Un­ternehmen­srepräsentanzen und Gov­ern­men­tal-Re­la­tions-Agen­turen.
  • Das White Paper zählt zu den wirksamsten In­stru­menten der Lobbyarbeit.
  • Prüfen Sie am Anfang eines Lob­byprozesses, ob Ihre Ziele politisch re­al­isier­bar sind.
  • Begleiten Sie die politischen Entschei­dung­sprozesse persönlich.
  • Im Unterschied zu den USA gibt es in Europa noch keinen Zwang zur Eintragung in ein Lob­by­in­greg­is­ter.
 

Zusammenfassung

Lobbying, ein Bestandteil demokratis­cher Politik

Etwa 80 % der in den EU-Mit­gliedsstaaten geltenden Gesetze werden in Brüssel beschlossen. Mit dem 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon beeinflusst die Union nationales Recht noch stärker als zuvor. Unternehmen sind darum gut beraten, sich nicht nur auf nationaler, sondern zunehmend auch auf europäischer Ebene bei Legislative und Exekutive Gehör zu verschaffen. Schließlich entstehen hier die Rah­menbe­din­gun­gen, innerhalb derer sie sich bewegen können, und damit auch Wet­tbe­werb­svorteile oder -nachteile. Dieses Mitreden in politischen Dingen wird mit dem Begriff „Lobbying“ bezeichnet. Konkret verbergen sich dahinter die Beschaffung und Auswertung von In­for­ma­tio­nen über geplante Gesetze oder Richtlinien sowie die Bee­in­flus­sung von politischen Entschei­dungsträgern. Seinen teilweise negativen Beigeschmack verdankt der Begriff einigen schwarzen Schafen, die mit Korruption und anderen zweifel­haften Methoden weit über das Ziel hin­aus­geschossen sind. Tatsächlich ist Lobbying ein wichtiger Bestandteil demokratis­cher Politik, deren Kern das Abstimmen ver­schiedener Interessen ist.

Funktionen des Lobbyings

Unternehmen versuchen natürlicher­weise, ihre Interessen zu vertreten – auch und gerade in der Politik. Lobbying kann hierbei drei Funktionen haben:

  1. Dank aktueller In­for­ma­tio­nen über Trends entwickeln Sie eine Art Frühwarnsystem.
  2. Sie können Entschei­dung­sprozesse in der Politik aktiv begleiten.
  3. Sie betreiben Lobbying als Krisen­man­age­ment.
„Lobbying ist kein obskures Strip­pen­ziehen und keine halbseidene Tätigkeit. Vielmehr handelt es sich um harte Arbeit.“

Um ein zuverlässiges Frühwarnsystem zu entwickeln, müssen Sie laufend Themen und Trends beobachten, die kritisch für Ihr Unternehmen werden könnten. In­ter­essen­vertre­tung fußt auf Vertrauen und muss langfristig betrieben werden. Dazu gehört ein stabiles Netzwerk mit politischen Entschei­dern, PR-Agenten, Jour­nal­is­ten, Branchenkol­le­gen und Fachanwälten. In­ter­essen­vertre­tung als Krisen­man­age­ment ist deshalb so wichtig, weil eine unerwartete Entwicklung eine schnelle Reaktion erfordern kann. Ein Beispiel ist die 2003 eingeführte Steuer auf Al­copop-Getränke. Je besser vernetzt Sie in einer solchen Situation sind, desto effizienter und schneller können Sie in Entschei­dun­gen eingreifen.

Die EU-In­sti­tu­tio­nen

Eine effiziente In­ter­essen­vertre­tung verlangt nach profunden Kenntnissen darüber, wie der EU-Apparat aufgebaut ist. Neben den EU-Or­gan­i­sa­tio­nen wirken auch die Mit­gliedsstaaten an der Gestaltung der Politik mit. Weil mit dem Vertrag von Lissabon aber das Unionsrecht über das Recht der Mit­gliedsstaaten gestellt worden ist, sind EU-Gesetze auch national bindend. Reichweite und Bindungswirkung variieren je nach Rechtsnatur des Akts. Un­ternehmerische In­ter­essen­vertreter stehen vielen Ansprech­part­nern zahlreicher In­sti­tu­tio­nen gegenüber. Die wichtigsten sind:

  • Europäisches Parlament: Das Parlament vertritt die europäischen Völker und agiert damit als Vermittler zwischen den Mit­gliedsstaaten und der EU. Die Ab­ge­ord­neten erarbeiten in Ausschüssen die fachlichen Beschlussvor­la­gen für das Plenum.
  • Europäische Kommission: Die Kommission überwacht die Einhaltung des Union­srechts und besitzt das Ini­tia­tivrecht bei der EU-Geset­zge­bung. Sie ist das Ex­eku­tivor­gan der EU, sozusagen die EU-Regierung. Jeder der 27 EU-Staaten stellt einen Kommissar, an der Spitze steht der Kom­mis­sion­spräsident.
  • Europäischer Rat: Er ist das höchste Gremium der EU und bestimmt die allgemeinen Ziele sowie die strate­gis­chen Interessen der Gemein­schaft. Im Rat kommen die Staats- und Regierungschefs aller Mit­gliedsstaaten und der Präsident der Kommission zusammen.
  • Rat der Europäischen Union: Dieses Gremium, auch Ministerrat genannt, legt die Politik der EU fest. In seiner Ve­r­ant­wor­tung stehen sämtliche Rechtsakte. Aus­ges­tat­tet ist der Rat mit einem indirekten Ini­tia­tivrecht gegenüber der Kommission, deren Mitglieder er auch ernennt. Der Rat wird aus Ministern der Mitgliedsländer gebildet, wobei je nach Poli­tik­bere­ich ver­schiedene Rats­for­ma­tio­nen möglich sind.
  • Gerichtshof der EU: Der Gerichtshof ist die Judikative der EU. Er ist für alle Rechtsakte zuständig. Gegen die hier gefällten Urteile kann keine Berufung eingelegt werden.

Möglichkeiten der In­ter­essen­vertre­tung

An der Recht­set­zung sind in der EU gewöhnlich mindestens zwei oder drei In­sti­tu­tio­nen beteiligt. Nor­maler­weise geht die Initiative von der Kommission aus, während Parlament und Rat mi­tentschei­den, wobei das Mit­spracherecht des Parlaments mit dem Vertrag von Lissabon deutlich gewachsen ist. An der Entschei­dungs­find­ung sind auch Fachausschüsse beteiligt, in denen Sachverständige und nationale Beamte mitwirken. Wer seine Interessen in der EU vertreten will, sollte wegen der Komplexität des Gebildes die wichtigsten In­sti­tu­tio­nen im Visier haben, allen voran den Rat den Europäischen Union mit seiner geset­zgeben­den Gewalt. Weil der Rat auch Impulse für zahlreiche Entschei­dun­gen gibt, lohnt es sich, ein für ein Unternehmen wichtiges Thema durch einen nationalen Vertreter in den Rat zu bringen. Dieser spricht es dann im Rat an und kann so ein Gesetz auf den Weg bringen.

„Politik ist, besonders unter den Rah­menbe­din­gun­gen der Demokratie, immer von Au­seinan­der­set­zung, Aushandeln, Ab­stim­mungen und Kom­pro­miss­find­ung geprägt.“

Auch die Kommission darf auf keinen Fall vernachlässigt werden, gestaltet sie doch letztlich die Richtlinien und Verord­nun­gen. Ein­flussnahme ist hier am besten bei der Leitung einer Gen­eraldirek­tion möglich. Außerdem können Sie die Beamten des für Sie relevanten Fachrefer­ats mit In­for­ma­tio­nen versorgen. Wegen seiner gewachsenen Macht sollten Sie auch das Parlament berücksichtigen. Immerhin kann es Geset­zesvorhaben inhaltlich bee­in­flussen. Hier empfiehlt sich der Kon­tak­tauf­bau zu Ab­ge­ord­neten und zu dauerhaften Ar­beits­grup­pen sowie die Teilnahme an Ex­pertenge­sprächen und öffentlichen Anhörungen.

Akteure

In­ter­essen­vertreter oder Lobbyisten lassen sich grundsätzlich in kollektive und nicht kollektive Akteure unterteilen. Kollektive Akteure sind beispiel­sweise Verbände, nicht kollektive sind Un­ternehmen­srepräsentanzen oder Gov­ern­men­tal-Re­la­tions-Agen­turen. Verbände eignen sich gut als In­for­ma­tion­squelle für Branchen­the­men. Auch können sie die Interessen eines Mit­glied­sun­ternehmens, beispiel­sweise bei Anhörungen, vertreten; allerdings muss sich das Unternehmen immer dem Ver­bandsin­ter­esse unterwerfen.

„Es ist eine Tatsache, dass die Güte und Überzeu­gungskraft eines Sachar­gu­ments nie im ‚luftleeren Raum‘ bewertet wird, sondern immer in Abhängigkeit des Umfeldes, aus dem das Argument kommt.“

Effizienter, aber auch weitaus teurer sind eigene Un­ternehmen­srepräsentanzen. Laut Register der Europäischen Kommission beliefen sich beispiel­sweise die Lob­byaus­gaben der Deutschen Telekom im Jahr 2008 auf 1,2 Millionen Euro. Mit der Repräsentanz geben Sie Ihrem Unternehmen in Brüssel ein Gesicht. Der Vorteil des Repräsentanten gegenüber dem Verband liegt zudem darin, dass er an die Weisungen des Un­ternehmens gebunden ist und ausschließlich in dessen Interesse handelt, also keine Kompromisse eingehen muss. Bedenken Sie aber, dass hierbei alle Kontakte in einer Hand liegen.

„Der In­ter­essen­vertreter kann in einem White Paper unter Beweis stellen, dass sein Anliegen nicht nur einem Par­tiku­lar­in­ter­esse seines Auf­tragge­bers entspricht, sondern weit­erge­hende Sachar­gu­mente für seine Position streiten.“

Die Tätigkeit des Repräsentanten wie auch die einer Gov­ern­men­tal-Re­la­tions-Agen­tur hat eher prozes­sualen als in­haltlichen Charakter: Beide knüpfen und halten Kontakte. Für die inhaltliche Arbeit können Sie auf Pub­lic-Af­fairs-Agen­turen und Recht­san­walt­skan­zleien zurückgreifen. Diese überwachen die politischen Diskus­sio­nen und Verfahren, analysieren Profile und Positionen von Par­la­men­tari­ern, entwickeln Kom­mu­nika­tion­skonzepte und or­gan­isieren Ve­r­anstal­tun­gen, beispiel­sweise politische Podi­ums­diskus­sio­nen. Ein Se­nior­ber­ater kostet 1400–1800 € pro Tag.

Instrumente

Zu den wichtigsten In­stru­menten der Lobbyarbeit gehören Ve­r­anstal­tun­gen, Telefonate, E-Mails, persönliche Gespräche, Stel­lung­nah­men und White Papers. Das White Paper ist ein Ar­gu­men­ta­tion­spa­pier, dessen Urheber nicht genannt wird. Der politische Entschei­dungsträger findet hier Argumente für anstehende Entschei­dun­gen und kann das Papier mit anderen diskutieren, ohne dessen Herkunft preiszugeben. So trägt der Entschei­dungs­find­ung­sprozess nicht das Stigma der Bee­in­flus­sung durch einen In­ter­essen­vertreter. Würde beispiel­sweise ein Gener­ika­her­steller davon sprechen, dass die Ver­schrei­bung von Generika kostengünstiger für das Gesund­heitssys­tem ist als Orig­i­nalmedika­mente, würde der Entschei­dungsträger sofort puren Eigennutz vermuten und den Nutzen des Vorschlags für die All­ge­mein­heit anzweifeln.

Lobbying konkret

Ein Lob­by­ing­prozess durchläuft in der Regel fünf Schritte:

  1. Zuerst definieren Sie Ihre Ziele und prüfen, ob die Inhalte politisch durch­set­zbar sind. Dazu ein Beispiel: Ein Branchen­ver­band hatte von einer in Arbeit befind­lichen Richtlinie gehört, die seine Mit­glied­sun­ternehmen in eine schwächere Wet­tbe­werb­spo­si­tion rücken würde. Eine daraufhin beauftragte Gov­ern­men­tal-Re­la­tions-Agen­tur nahm nicht nur die relevanten Kontakte auf, sondern wurde auch inhaltlich tätig. So stellte sie fest, dass die vom Verband gesetzten Ziele nicht durch­set­zbar waren, und erarbeitete neue Kernziele.
  2. Entwickeln Sie einen Plan und legen Sie die Ansprech­part­ner fest. Im Beispielfall sollte in ein Geset­zge­bungsver­fahren einge­grif­fen werden, darum mussten die Europäische Kommission, der Rat der EU und das Europäische Parlament kontaktiert werden. Neben der Kon­tak­tauf­nahme wurde eine Überwachung der Arbeiten an der Richtlinie in die Wege geleitet, und für offene rechtliche Fragen sprach man eine Brüsseler An­walt­skan­zlei an.
  3. Entwerfen Sie ein White Paper und stellen Sie es den Adressaten zu. Im vor­liegen­den Fall war es wichtig, darin die Bedeutung des Anliegens für ganz Europa her­auszustellen. Auf den ersten Blick betraf es nämlich nur einen Mit­gliedsstaat und stieß darum auf wenig politisches Gehör.
  4. Flankieren Sie die Wirkung des White Papers durch unterstützende Maßnahmen wie den stetigen In­for­ma­tion­saus­tausch mit den Entschei­dungsträgern.
  5. Belgeiten Sie die Entschei­dung­sprozesse. So initiierte beispiel­sweise die Agentur persönliche Gespräche mit dem Gen­eraldirek­tor Binnenmarkt. Auch der Rat und das Parlament wurden kontaktiert. Bei Letzterem musste vor allem der Berichter­stat­ter im Recht­sauss­chuss ange­sprochen werden, da dieser die Vorlage für das Plenum erarbeitet hatte. Im Ergebnis hat der Verband es geschafft, den Richtlin­ienen­twurf nach seinen Vorstel­lun­gen zu bee­in­flussen.

Vergleich EU – USA

In den USA gehört Lobbyismus seit Langem zum politischen Alltag. Während sich die Ar­beitsweisen der europäischen und der amerikanis­chen In­ter­essen­vertreter inzwischen weitgehend angeglichen haben, gibt es einen gravieren­den Unterschied in der Regulierung: 1995 wurden in den USA strenge Vorschriften zur Reg­istrierung von Lobbyisten eingeführt. Besonders nennenswert ist die vorgeschriebene Offenlegung von Entgelten, mit der sich die EU noch sehr schwertut. Zwar gibt es auch in der Union ein Lob­by­is­ten­reg­is­ter, die Eintragung ist jedoch jedem freigestellt. Die Medien, heute schon ein wichtiger Faktor im amerikanis­chen Lobbying, dürften in Zukunft auch in Europa vermehrt mitein­be­zo­gen werden.

Über den Autor

Klemens Joos war bereits während seines Studiums der Be­trieb­swirtschaft­slehre persönlicher Referent eines Ab­ge­ord­neten des Europäischen Parlaments. Während dieser Zeit gründete er die Firma EUTOP In­ter­na­tional, die Unternehmen und Or­gan­i­sa­tio­nen gegenüber den EU-In­sti­tu­tio­nen vertritt.