Mnemotechniken: Eselsbrücken und Geschichten
Es ist im Durchschnitt 1,4 Kilogramm schwer und beinhaltet bis zu 1 Billion Nervenzellen, außerdem verfügt es über Ihr gesamtes Wissen: Ihr Gehirn. Wenn Sie lernen, gehen die Nervenzellen (Neuronen) Verbindungen miteinander ein, Bekanntes wird mit Unbekanntem verknüpft; das funktioniert in der Regel bis ins hohe Alter. Es wird allerdings nicht jede Information gespeichert: Nur was Sie interessiert, wandert zunächst vom sensorischen Speicher ins Kurzzeitgedächtnis. Ist es interessant genug, landet es im Langzeitgedächtnis, entweder in der Abteilung deklarativ (Fakten und Ereignisse) oder nichtdeklarativ (Fähigkeiten, Handlungen, Gewohnheiten). Im deklarativen Gedächtnis sind u. a. die semantischen Informationen (Fremdwörter, Umsatzahlen, Namen usw.) abgelegt, und um dieses Wissen geht es im Gedächtnistraining.
„Das Verknüpfen von zwei u. U. vollkommen unzusammenhängenden Informationen bildet die Basis für viele Mnemotechniken.“
Sie können Dinge bewusst wiederholen, um sie sich einzuprägen – oder Sie versuchen es mit Mnemotechniken (griech. „mneme“ = „Gedächtnis, Erinnerung“). Damit sind bestimmte Merkhilfen, z. B. Eselsbrücken, gemeint. Für den Geburtstag Ihrer Schwester, Ihren Lieblingsfilm oder kollektiv wichtige Informationen wie das Datum 11. September brauchen Sie solche Techniken wahrscheinlich nicht. Andere Fakten bleiben aber nicht so leicht an einem Sonderplatz in Ihrem Gehirn, von dem Sie sie jederzeit abrufen können. Ist die Information dennoch wichtig – z. B. der schwierige Ortsname Ihrer indischen Niederlassung –, können Sie den Begriff mit verschiedenen Sinneseindrücken untermalen. So entsteht eine kleine Filmszene, die Sie mit Ihrer Firma und dem unaussprechlichen Ortsnamen verknüpfen – und schon haftet dieser im Gedächtnis.
„Die Verknüpfung sollte möglichst plastisch und für das Gehirn sehr anregend gestaltet werden, damit sie leicht zu merken ist.“
Der Trick ist, die Informationen mit möglichst ungewöhnlichen Dingen zu kombinieren, damit sie haften bleiben. So wäre es etwa zu banal, das Mittagessen mit Tisch und Teller zu verbinden, genauso wie die Kombination Pflanze und Terrakottatopf. Aber eine Pflanze, die den Terrakottatopf in Ihre Richtung schleudert, das ist eine Verknüpfung, die Sie nicht wieder vergessen. Nehmen Sie ein eindrucksvolles Bild, Emotionen, Über- oder Untertreibungen, Farben, Gerüche – daraus stricken Sie eine bunte, ausgefallene und etwas verrückte Geschichte und streuen die Begriffe ein, die Sie sich merken möchten. Eine Liste mit 15–20 Begriffen können Sie sich auf diese Art problemlos merken.
Die Loci-Methode: Orte für die Erinnerung
Sollen noch mehr Dinge in Ihrem Gedächtnis bleiben, verwenden Sie die Loci-Methode (lat. „loci“ = „Orte“). Legen Sie einen Weg fest, den Sie in Gedanken abgehen, und an bestimmten Punkten deponieren Sie Informationen. So ein Weg kann beispielsweise Ihr Körper sein, die einzelnen Wegpunkte sind dann etwa Augen, Nase, Mund, Schulter, bis hinunter zu den Füßen. Jeden Wegpunkt verknüpfen Sie nun mit einer Information, z. B. mit den einzelnen Fragen, die Sie in einem Vorstellungsgespräch stellen wollen. Die Frage nach dem möglichen Arbeitsbeginn des Kandidaten vergessen Sie nicht, wenn Sie sich beispielsweise vorstellen, einen Terminkalender auf der Nase zu balancieren. Die Frage nach ehemaligen Arbeitgebern verbinden Sie mit dem Bauchnabel, in dem zahlreiche Firmenlogos stecken. Im Gespräch gehen Sie den Körperweg dann ab und werden garantiert keine Frage auslassen.
„Im Prinzip haben alle Nachnamen irgendeine Bedeutung, die sich jedoch den meisten Menschen nicht automatisch erschließt, sodass wir uns Bilder überlegen, die dem Klang des Namens entsprechen.“
Routen können Sie auch in vertrauten Räumen anlegen, in Ihrem Büro oder in einem Zimmer Ihrer Wohnung. Stopfen Sie ein Zimmer aber nicht mit unzähligen Routenpunkten voll, wählen Sie lieber zehn für das Bad, 20 für das Wohnzimmer, zehn für Ihr Büro usw. Wenn Sie sich z. B. 37 Begriffe merken wollen, kann Ihr Weg vom Bad ins Wohnzimmer und von dort in Ihr Büro führen. Die einzelnen Routenpunkte sollten einen festen Platz in Augenhöhe haben, also Tür, Garderobenhaken, Wandbild, Aktenschrank usw. Die Reihenfolge, in der Sie den Weg ablaufen, bleibt immer gleich. Diesen Weg müssen Sie sich zu Beginn exakt einprägen, sonst funktioniert die Loci-Methode nicht.
„Damit ich nun den Notruf – die 110 – nicht mehr vergesse, merke ich mir: Heinz aus Mainz braucht Mull!“
Angenommen, Sie verwenden Ihr Büro als Route für zehn anstehende Tagesaufgaben, dann gehen Sie die vorher festgelegte Strecke der Reihe nach ab. Die Tür verknüpfen Sie mit der Aufgabe „Aktenvernichter bestellen“. Allerdings nicht so plump, sondern lieber so: Sie kriegen die Tür nicht auf, weil der Aktenvernichter davorsteht. Die Aufgabe „Blumenstrauß für die Sekretärin kaufen“ merken Sie sich mithilfe des Lichtschalters, der beim Einschalten einen Blumenregen verursacht. Beim dritten Routenpunkt, der Garderobe, stellen Sie sich einen Zug vor, der auf Sie wartet, und werden so daran erinnert, dass Sie eine Zugverbindung abklären müssen. Auf dem Schirmständer sitzt ein Yogalehrer, der Sie an die Anmeldung zum firmeninternen Yogakurs erinnert. So fahren Sie fort, bis Sie beim Routenpunkt zehn angekommen sind.
Herr und Frau Soundso
Viele Menschen können sich Namen und Gesichter nicht merken und das eine dem anderen nicht zuordnen. Wenn ihnen dann der im weißen Kittel wohlbekannte Arzt unerwartet im Baumarkt in Freizeitklamotten gegenübersteht, wissen sie nicht gleich, wen sie vor sich haben. Leichter wird es, wenn Sie mit einer positiven Einstellung an die Sache herangehen und bereit sind, sich mit Ihrem Gegenüber auseinanderzusetzen. Dazu gehört als Erstes, dass Sie bei der Namensnennung genau hinhören. Haben Sie den Namen nicht verstanden, fragen Sie nach. Zum Abspeichern nutzen Sie Bilder, für den Namen „König“ z. B. eine Krone, für „Gerlach“ jemanden, der gerne lacht. Oder Sie prägen sich bestimmte Merkmale besonders gut ein, z. B. große Ohren oder eine Glatze, und verknüpfen sie mit dem Namen. Die Glatze etwa, auf der ein Wolf schläft, gehört zu Herrn Wolf.
Das Spiel mit Ziffern und Zahlen
Sie kennen das vielleicht: Immer haben Sie die PIN unbewusst richtig eingegeben und plötzlich vertippen Sie sich. Vor lauter Schreck fällt Ihnen die richtige Zahl jetzt nicht mehr ein, und gespeichert haben Sie sie auch nirgends. Wie also kann man sich Zahlen gut merken? Den PIN-Code könnten Sie sich z. B. als Muster auf der Telefontastatur, als Melodie oder als Bilderfolge merken (z. B. für die Eins eine Kerze, für die Zwei ein Schwan, für die Neun ein Monokel). Oder aber Sie verbinden die Ziffern mit klangähnlichen Begriffen (eins: Mainz, Heinz; zwo: Klo, Stroh usw.). Auch eine symbolische Bedeutung kann hilfreich sein: Die Eins ist der Sieger, die Zwei ein Ehepaar, die Drei die Heiligen Drei Könige, die Vier der Glücksklee usw.
„Es gibt ein paar Dinge, die wir regelmäßig tun – und genau deshalb wissen wir manchmal nicht, ob wir sie nun gerade heute getan haben.“
Richtig professionell wird die Zahlenarbeit mit dem Mastersystem, mit dem schon Gedächtnisweltmeister Erfolge feierten. Sie können sich damit die Preise Ihrer Waren merken, als Reiseleiter historisch versiert wirken oder als Journalist die richtige Frage stellen. Beim Mastersystem werden Ziffern in Konsonanten umgewandelt, diese werden dann Begriffen zugeordnet, die man wiederum als intensive Bilder ins Gedächtnis brennt. Die Ziffer Eins z. B. wird dem t (hat nur einen senkrechten Strich) zugeordnet, daraus wird der Begriff „Tee“ und daraus das Bild einer dampfenden Teetasse. Es existieren verschiedene Systeme für die Zuordnung von Ziffern und Konsonanten, und nach einem bestimmten Prinzip werden daraus die Masterbegriffe. Ein Beispiel: Die Zahl 14 aus den Ziffern Eins und Vier lässt sich in einen Masterbegriff mit t (für die Eins) und r (für die Vier) umformen; also etwa Tier, Tor oder Teer. Mit Masterbegriffen für Zahlen bis 99 kommen Sie hervorragend durch den beruflichen Alltag.
„Konzentration ist ein wichtiger Faktor unserer mentalen Fitness, bildet die Grundlage für unsere Merkfähigkeit und bedeutet, die Aufmerksamkeit für einen bestimmten Zeitraum gezielt auf eine Sache zu lenken, diese aufzunehmen und zu verarbeiten.“
Zum Lernen der Masterbegriffe eignen sich u. a. Karteikarten mit Zahl und Bild, mit denen Sie sich z. B. im Flugzeug oder in der Mittagspause beschäftigen können. Der letzte Schritt besteht darin, die Begriffe wieder in Zahlen und Ziffern umzuwandeln. So wissen Sie sofort, dass z. B. das Wort „Bar“ die Zahl 94 bedeutet. Sie brauchen jetzt also nur vier Begriffe, um sich eine achtstellige Zahl wie 99754153 zu merken, und diese vier Begriffe verpacken Sie in eine kleine Geschichte. Etwa so: „Der Papa (99) holt die Kohle (75) aus dem Keller. Dort trifft er eine Ratte (41), die ihm eine Limo (53) anbietet.“ Ein bisschen üben müssen Sie natürlich schon, bis Sie das System beherrschen.
Sprachen lernen – Fremdwörter behalten
Vielleicht wird Ihr Unternehmen international, oder Sie haben Kollegen aus einem anderen Land und müssen darum eine Fremdsprache lernen. Das geht natürlich ganz traditionell mit Karteikarten und Wiederholungen – erfolgreicher können Sie sein, wenn Sie die eigene Muttersprache als Hilfsmittel verwenden. Hier spricht man von der Ersatzwort- oder Schlüsselwortmethode. Das französische Wort für Bahnhof, „gare“, klingt wie das deutsche Wort „gar“. In der Verknüpfung wir daraus: „Am Bahnhof sind die Würste immer gar.“
„Auch damit ist Ihrem Geist gedient: dem sicheren Wissen, dass sich um bestimmte Informationen jemand anders kümmert.“
Mit dem Klang eines Wortes arbeiten Sie auch, um sich Fremdwörter einzuprägen. Wie heißt gleich wieder die Fachkraft für Obstanbau? Richtig: Pomologe. Sie merken sich das per Verknüpfung so: „Als Fachkraft hält der Po Monologe über den Obstbau.“ Fachbegriffe aus Ihrem neuen Einsatzgebiet verlieren ihren Schrecken, wenn Sie sie mit einem ausgefallenen Bild in Ihrem Gedächtnis verankern. Als neuer Fachverkäufer in der Supermarkt-Pflanzenabteilung etwa merken Sie sich die Übersetzung „Lantana = Wandelröschen“ mit dem Merkvorschlag: „Im Land von Anna gibt es viele Röschen, die sich dauernd wandeln.“
Mnemotechniken im beruflichen Alltag
Wie jede andere Fertigkeit muss auch die Gedächtnisoptimierung trainiert werden, bevor Sie damit Erfolg haben. Frei reden ohne Spickzettel ist eine Übung, bei der Sie die Loci-Methode anwenden können. Die Stichpunkte Ihrer Rede legen Sie auf einer Route ab, z. B. in Ihrem Arbeitszimmer, und während der Rede gehen Sie in festgelegter Reihenfolge in Gedanken durch diesen Raum. Den Heizkörper könnten Sie mit dem Stichwort „Zusammenarbeit“ verknüpfen, etwa so: „100 Wichtelmännchen reinigen in bester Zusammenarbeit die Heizung.“ Auch für das Zuhören in einem Verkaufsgespräch eignet sich die Loci-Methode. Stichpunkte, die der Kunde Ihnen gibt, legen Sie auf der Körperroute ab und verknüpfen sie mit einem Bild. Im anschließenden Gespräch wandern Sie die Route von den Füßen zum Kopf ab. Natürlich können Sie auch mehrere Methoden miteinander verbinden und sich so z. B. ein Kennwort aus Buchstaben und Zahlen merken. Nehmen Sie als Beispiel 57gT6408. Gemäß dem Mastersystem werden die Zahlen zu Locke (57), Schere (64) und Seife (08) und die Buchstaben zu den Begriffen „Giraffenbaby“ (für den Kleinbuchstaben g) und „Tiger“. Kreieren Sie eine lustige Geschichte, und Sie werden das komplizierte Kennwort immer parat haben. Im neuen Job merken Sie sich Namen und Informationen der künftigen Kollegen mit den drei Methoden: Namen mit Gesichtern verbinden, Mastersystem und Dinge miteinander verknüpfen.
Organisieren Sie Ihre Gedanken
Kennen Sie das: Sie haben den Safe abgeschlossen, die Kreditkarte eingesteckt, das Licht ausgeschaltet – nur wissen Sie das später nicht mehr mit Sicherheit. Erledigen Sie solche Dinge ganz bewusst, dann bekommen Sie den Kopf frei, und das schafft Raum für mehr Leistung. Achten Sie darauf, dass Sie Stress reduzieren, den Tag planen und zeitliche Puffer für spontane Aktivitäten einbauen. Dass es effektiv sein soll, mehrere komplizierte Aufgaben gleichzeitig zu erledigen, ist ein Irrglaube. Multitasking klappt nur bei nicht gleichwertigen Aufgaben, also etwa dem Brillenputzen beim Telefonieren. Wichtig für Ihre mentale Fitness ist Konzentration. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die eine Sache, die Sie gerade erledigen. Ein aufgeräumter Schreibtisch, eine lärmfreie Umgebung, regelmäßige Pausen und Offenheit gegenüber neuen Arbeitsmethoden unterstützen Sie dabei – genauso wie das Wissen, dass Sie nicht alles wissen müssen. Auch das organisiert Ihr Gedächtnis.