Onlineshopping heute
Kauferlebnis, individuelle Beratung, emotionale Kundenansprache, Zuhören – die bewährten Rezepte erfolgreicher Verkäufer scheinen beim Onlineshopping nicht so recht zu funktionieren. Die meisten Shops bieten überfrachtete Navigationsbäume, rein sachliche Produktinfos, öde Bilder und oft genug auch noch völlig sinnfreie Cross-Selling-Angebote. Welcher Kunde, der sich etwa für einen Privatkredit interessiert, will sich ganz nebenher mit seiner Altersvorsorge befassen oder – noch schlimmer – mit dem Probeabo einer Zeitschrift? Die meisten Websites reagieren nicht auf die per Mausklick klar und deutlich kommunizierten Kundenwünsche, sie hören schlicht und ergreifend nicht zu. Wenn man sich dann endlich für ein Produkt entschieden hat, wird auch der eigentliche Kauf oft so abschreckend wie möglich gestaltet: Komplizierte Bestellprozesse, bei denen man seitenlange Formulare mit allen möglichen Daten ausfüllen oder das bereits ausgewählte Produkt nochmals in allen Details neu konfigurieren muss, sorgen nicht unbedingt für ein positives Kauferlebnis. Beliebt ist auch die Verwendung standardisierter Warenkorb-Lösungen, was im Extremfall zu regelrecht zynischen Ergebnissen führen kann: So kann man sich bei einer Organisation, die Kinderpatenschaften vermittelt, ein Kind in den virtuellen Einkaufskorb legen und es zur Kasse tragen. Kein Wunder, dass die Abbruchraten hoch sind – lebendige Verkäufer würden bei solchen Quoten schnellstens gefeuert.
„Es wird Zeit für natürliche Kommunikation über das Internet.“
Der Grund dafür, dass Onlineshops häufig allen verkaufspsychologischen Erkenntnissen widersprechen, ist einfach: Die technikbegeisterten Internetagenturen und Unternehmen können sich kaum vorstellen, wie man Gefühle in ein Frameset bringen soll. Dazu kommt die Tatsache, dass eine emotionale, gehirngerechte Kundenansprache teuer ist. Emotional funktionierender Content kann nicht mal eben schnell von der Fachabteilung eingepflegt werden, sondern benötigt qualifizierte, meist externe Dienstleister. Auch Content-Management-Systeme sind nicht auf emotionale Aspekte ausgerichtet, deshalb sind die Seiten meist schwierig zu aktualisieren und zu warten. Und nicht zuletzt: Emotion kommt bei Google nicht vor. Die meisten Webshops sind suchmaschinenoptimiert; Emotion spielt für das Ranking und damit auch für die Gestaltung der Website kaum eine Rolle. Die Folge: Es dominieren Texte, die eher den Verstand als den Bauch ansprechen – dabei wird im Internet noch weniger gelesen als in den Printmedien. Der Kunde ist emotional kaum bei der Sache, die Produkte und die Anbieter wirken für ihn austauschbar, und bei der kleinsten Irritation ist er weg. Im schlimmsten Fall nimmt er dabei noch ein negatives Kauferlebnis mit. Das ist auf Dauer tödlich für die Marke.
Arten von Kaufentscheidungen
Das Internet ist heute die zentrale Informationsquelle für Kaufentscheidungen – egal ob diese on- oder offline getroffen werden: Mehr als die Hälfte aller Kunden informiert sich vor dem Kauf im Internet. Wie im klassischen Handel kann man auch im Netz vier Typen von Kaufentscheidungen unterscheiden:
- Habitualisierte Käufe: Die tägliche Zeitung, der übliche Kaffee, die Lieblingsschokolade – bei solchen Gewohnheitskäufen wird nicht nachgedacht. Im Internet bieten sich hier Favoritenlösungen an, bei denen man mit einem Klick die üblichen Dinge bestellt.
- Impulskäufe: Gesehen, gekauft – spontan und ohne große Planung. Im Internet können beispielsweise zeitlich befristete Aktionen solche Impulse auslösen.
- Extensive Käufe: Diese gehen mit Vorabrecherche, Fragen im sozialen Netzwerk oder ausgiebigem Produktvergleich einher. Wer sich noch nicht auskennt oder wem bei Fehlentscheidungen negative Konsequenzen drohen, der informiert sich umfassend. Das Internet bietet hier mit zahlreichen Infokanälen und sozialen Netzwerken einen unschätzbaren Mehrwert gegenüber dem stationären Handel.
- Limitierte Käufe: Auch hier wird ein gewisser Aufwand getrieben, er ist aber wesentlich geringer als beim extensiven Kauf. Sobald man etwas Passendes gefunden hat, beendet man die Recherche. Das Internet kann hier über gezielte Produktvorschläge die Anzahl der wahrgenommenen Alternativen erhöhen.
„Das Internet ist inzwischen das Medium zur Vorbereitung von Kaufentscheidungen.“
Allerdings gilt es immer zu beachten: Der rationale Kunde ist eine Illusion. Auch im Internet sind Kaufentscheidungen zum größten Teil Bauchentscheidungen. Deshalb ist es wichtig, dass der Kunde richtig angesprochen wird. Wissenschaftler haben nämlich schon länger erkannt, dass rund 95 % aller Kaufentscheidungen weitgehend unbewusst vom so genannten Autopiloten getroffen werden. Das ist ein System aus erlernten emotionalen und kognitiven Codes (z. B. Marken oder Produkte), Emotionen, Assoziationen, Einstellungen usw., das uns durch die überwältigende Informationsfülle des täglichen Lebens steuert und das auf der Basis erlernter Entscheidungsmuster und individueller Vorlieben für uns arbeitet.
„Der unbewusst handelnde Autopilot darf auch im Internet nicht vernachlässigt werden.“
Die entscheidende Schaltzentrale in unserem Gehirn ist das limbische System, das für die emotionale Bewertung von Sachverhalten zuständig ist. Dort findet sich auch der so genannte Nucleus accumbens, das Belohnungszentrum, das immer dann aktiv wird, wenn wir etwas Angenehmes erwarten. Erst wenn das Belohnungszentrum aktiviert ist, kommt es zur eigentlichen Handlung, sprich zum Kauf des Produkts. Mithilfe moderner technischer Methoden kann man die Aktivitäten des Gehirns live sichtbar machen. DaimlerChrysler hat beispielsweise mit Versuchen im Kernspintomografen herausgefunden, dass Fotos von Sportwagen im Nucleus accumbens männlicher Probanden deutlich mehr Aktivität hervorrufen als Fotos von Kleinwagen und Limousinen.
Multisensorik und Emotionssysteme
Es ist keine neue Erkenntnis, dass sich Informationen umso besser festsetzen, je mehr Sinneskanäle involviert sind (Multisensorik). Am besten merkt man sich Dinge, die man selbst getan hat; der Inhalt gelesener Texte dagegen verschwindet nach kurzer Zeit wieder im See des Vergessens. Das Internet bietet mit seinen interaktiven Möglichkeiten die ideale Voraussetzung, genau diese maximale Wirkung zu erreichen. Allerdings: Wie im klassischen Verkauf entscheiden auch beim Internetauftritt die ersten Millisekunden über Sympathie oder Antipathie. Stimmt der erste Eindruck also nicht, wird es auch nichts mit der Interaktion – der Kunde ist schon wieder weg.
„Unsere Großmütter hatten viele gute Weisheiten auf Lager. Aber sie taten halt auch noch Mehl auf Brandwunden. Und viele E-Commerce-Manager glauben nach wie vor an den bewusst und vernünftig handelnden Kunden, um abends nach der Arbeit in ihren BMW zu steigen, den sie wegen der ,Freude am Fahren‘ gekauft haben.“
Die zentralen Emotionssysteme sind Balance (Harmonie), Stimulanz (Anregung) und Dominanz (Kontrolle/Macht). Sie sind bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlich ausgeprägt; außerdem gibt es noch Mischtypen. Klassischerweise ordnet man Marken in dieses System ein, aber auch Websites kann man entsprechend gestalten. Es lohnt sich also auch für den Internetauftritt, Zielgruppen gemäß den limbischen Typen zu klassifizieren und die Website entsprechend zu gestalten.
Spiegelneuronen und Storytelling
Spiegelneuronen sind weitere Lieblinge der Neuromarketingfachleute. Sie kommen beispielsweise zum Einsatz, wenn Gähnen ansteckend wirkt. Emotionen können also über andere Menschen und über Bilder von Menschen vermittelt werden – natürlich auch im Internet. Das Potenzial des Webs ist hierbei noch nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft. Dabei bietet das Internet ideale Möglichkeiten, Menschen nicht nur abzubilden, sondern sie live und in Aktion zu zeigen – etwa in Videoclips – und damit die Spiegelneuronen so richtig in Schwung zu bringen.
„Für das Gehirn sind Internetseiten wertlos, die keine Emotionen auslösen.“
Auch eine gute Geschichte rund um das Produkt steigert den Verkaufserfolg enorm. Und das Internet, allen voran soziale Netzwerke, ist das ideale Medium für dieses Storytelling. Wer sich schon mal aufgrund einer Horrorstory über Kakerlaken und dreckige Bettwäsche in einem Hotelbewertungsportal für eine andere als die ursprünglich anvisierte Unterkunft entschieden hat, weiß genau, wie stark solche Geschichten wirken.
Neuromarketing im Internet
Inzwischen zeigen erste Studien, dass die unterschiedliche Gestaltung von Onlineshops tatsächlich messbare, signifikant unterschiedliche Aktivierungsmuster im Gehirn auslöst. Je intensiver die emotionale Aktivierung durch einen Internetauftritt ist, desto geringer sind die Abbruchquoten und desto höher sind die Konversionsraten beim betreffenden Anbieter. Ebenfalls belegt ist die positive Wirkung so genannter anthropomorpher Interface-Agenten. Das sind menschenähnlich gestaltete, virtuelle Figuren, die mit dem Nutzer interagieren. Sind solche Figuren vorhanden, bleiben die Nutzer länger auf der entsprechenden Seite, kommunizieren intensiver und sind weniger desinteressiert und gelangweilt als bei herkömmlichen Seiten.
„Die neue Generation von Websites bietet echtes Kauferlebnis.“
Weitere Studien zeigen, dass die Gedächtnisleistung der Nutzer bei dynamisch gestalteten, multisensorischen Websites, die mit einer Kombination aus Bild, Ton, Text und Video arbeiten, erheblich besser ist als bei statischen Seiten. Besonders wirksam hinsichtlich Response und Konversionsraten sind so genannte Video-Interfaces, vorproduzierte Videosequenzen mit Moderatoren, die je nach Bedarf und Kundenreaktion eingespielt werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Versuchspersonen im Interview solche virtuellen Verkäufer ausdrücklich ablehnten. Der Eindruck eines persönlichen, interaktiven Dialogs aktiviert die Spiegelneuronen. Versuchspersonen reagierten beispielsweise intensiv auf die Mimik und Gestik des Moderators. Allerdings kann der Schuss auch nach hinten losgehen: Schon kleine Irritationen können die Person zum Abbruch bewegen.
Der Blick des Kunden zählt
Wenn Sie Ihre Internetseite neu ausrichten möchten, müssen sie bei der Grundkonzeption anfangen: Statt klassischer Navigation sollten der Blickwinkel und die Bedürfnisse des Kunden im Mittelpunkt stehen, genauso wie beim realen Verkauf auch. Gut gemachte Internetportale sind heute schon sehr nah am natürlichen Einkaufserlebnis. Bereits rund 400 vorproduzierte Videosequenzen mit virtuellen Moderatoren reichen aus, um sehr natürliche Verkaufsgespräche zu gestalten, bei denen der Kunde kaum noch merkt, dass er nicht mit einem realen Menschen kommuniziert. Auch die professionelle Behandlung von Einwänden ist kein Hexenwerk. Die Vorteile dieser Onlineverkäufer liegen auf der Hand: Sie sind immer top geschult, werden niemals müde und haben immer genug Zeit, auch mitten in der Nacht. Bei der Produktpräsentation können sie mit Darstellungstechniken (Videos, Animation usw.) punkten, von denen der reale Verkäufer nur träumen kann. Welches Reisebüro kann seine Kunden schon mitten in der Nacht an einen tropischen Traumstrand mit Wellenrauschen katapultieren? Speziell die Entwicklungen der Spieleindustrie lassen hier noch viel Interessantes für die Zukunft erwarten. Zunehmend werden sich außerdem virtuelle und reale Bilder mischen (Mixed Reality), etwa wenn das Fernsehgerät Zusatzinfos aus dem Internet präsentiert oder wenn das Smartphone in ein gerade fokussiertes Bild der Umgebung Informationen aus Google Maps einblendet (Augmented Reality).
„Die Website der Zukunft verkauft aktiv und geht auf den Kunden ein.“
Fazit: Der Faktor Mensch, die möglichst natürliche, emotional ansprechende Kommunikation mit dem Kunden, unterscheidet erfolgreiche Websites von weniger erfolgreichen. Die Zukunft des Handels liegt im Internet – und zwar nicht nur vom stationären PC und Laptop aus, sondern auch mittels interaktiver Fernseher, Smartphones und Tablet-Computer. Wer nicht im Meer austauschbarer Angebote untergehen will, muss die emotionale Kundenansprache im Internet genauso vehement vorantreiben wie auf den klassischen Verkaufskanälen. Der stationäre Handel wird sich zunehmend zu Showrooms entwickeln – gekauft wird dann online, egal ob an der virtuellen Käsetheke oder in der Baumschule. Und das ist keineswegs Zukunftsmusik, sondern schon heute mit den aktuell verfügbaren technischen Mitteln möglich.