Herausforderungen des E-Commerce für den Handel
Die New Economy erzielt Effekte, die bisherige Dimensionen sprengen. Die Anzahl der Lieferanten, der Kunden und Wettbewerber sowie ihrer Beziehungen untereinander ist mit den traditionellen Geschäftsmodellen nicht mehr vergleichbar. Besonders deutlich wird dies bei digitalen Produkten, weil dort sämtliche Transaktionsphasen über das Netz abgewickelt werden können.
„Dank des Mediums Internet geschieht ein Umbruch im Markt wie seit 50 Jahren nicht mehr. Und hier gilt der Satz: ‚Wer mitmacht, kann verlieren, wer nicht mitmacht, hat schon verloren.’“
Zwar sind die Marktchancen weniger sicher, als es manche Prognosen glauben machen wollen, aber ein Nichtengagement in den neuen Geschäftsmodellen führt zu nicht kalkulierbaren Risiken für Unternehmen. Die von Herstellern beklagte Nachfragemacht des Handels spiegelt lediglich den Engpass wieder: die kaufkräftige Nachfrage der Endverbraucher nach den Produkten einer Branche. Insbesondere kleine Hersteller können durch den Electronic Commerce ihre Marktchancen deutlich verbessern, indem sie einen neuen Vertriebsweg aufbauen und sich vom Handel emanzipieren. Doch auch im Online-Vertrieb sind Konzentrationstendenzen erkennbar.
„Es werden auch Neulinge in den Markt eintreten und deutlich bessere Marktchancen vorfinden als die etablierte Konkurrenz.“
Bedeutender ist die durch zunehmende Markttransparenz im Internet wachsende Macht des Verbrauchers. Sie verlangt eine auf Bequemlichkeit und auf seine Interessen abgestimmte Gestaltung virtueller Shopping-Welten. Bei der Bewertung künftiger Entwicklungen ist zu bedenken, dass sich Komfort und Geschwindigkeit der Internetnutzung mit der technischen Entwicklung ständig verbessern. Zugleich nähert sich die demographische Struktur der Internet-User fortschreitend derjenigen der Bevölkerung an. Mit steigender Akzeptanz stellt sich nur noch die Frage, wie das Medium Internet effizient eingesetzt werden kann.
„Internetverkauf wird neben den traditionellen Verkauf treten und eine neue Vermarktungsmöglichkeit von Produkten eröffnen, damit die bisherigen Möglichkeiten ergänzen, aber nicht ablösen.“
Am Ende dieses Prozesses steht einerseits der mündige Konsument, der endlich das auf ihn persönlich zugeschnittene Waren- und Dienstleistungsangebot findet, und andererseits der gläserne Verbraucher, dessen Vorlieben, ob anonymisiert oder nicht, allgemein bekannt sind.
Auswirkungen des Internets auf Geschäftsprozesse zwischen Unternehmen
Der Grossteil des internetbasierten Umsatzes wird gegenwärtig im "Business to Business" (B2B) genannten Geschäftsverkehr der Unternehmen untereinander generiert. Mit der Einrichtung von Netzplattformen zwischen zwei oder mehreren Unternehmen, einem so genannten Extranet, können Entscheidungs- und Kommunikationsprozesse schneller und effektiver gestaltet werden. Die Zeit zwischen Verkauf und Bestellung ist kürzer, Lagerkosten können vermieden werden, die Reaktionszeit auf veränderte Kundenbedürfnisse schrumpft. Allgemein gilt es, im E-Management eine Unternehmenskultur zu schaffen, die den Austausch von Informationen fördert, sowohl intern als auch zwischen den Handelspartnern.
„Durch das Internet wird eine direkte Rückkopplung vom Kunden zum Hersteller ermöglicht. Dadurch besteht für den Anbieter die Möglichkeit, den Kunden kennen zu lernen, ihn individuell anzusprechen, seine Gewohnheiten zu entdecken und auf diese Gewohnheiten einzugehen. Eine Folge ist, dass die Marktmacht des Kunden wesentlich stärker wird.“
Doch die verbesserte Kommunikation zwischen Handel und Hersteller sollte auch zu einer optimierten Angebotsstruktur führen. Völlige Warenverfügbarkeit ist der eine Erfolgsfaktor, die Umsetzung der auf elektronischem Wege leicht zu gewinnenden Erkenntnisse über Verhaltensmuster, Einstellungen und Kaufverhalten in gezielte und auf den einzelnen Verbraucher zugeschnittene Angebote ein anderer.
Internet als neuer Vertriebsweg zum Endverbraucher
Zeit und Raum verlieren durch das Internet an Bedeutung, Preisvergleiche sind schneller durchführbar - der Markt ist gezwungen, sich zur Nachfrageseite hin zu orientieren. Der Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen über das Internet an den Endverbraucher wird als "Business to Consumer" (B2C) bezeichnet. Die konträren Positionen bei der Entscheidung für oder gegen ein Engagement lauten, dass ein schnellstmöglicher Eintritt dringend und chancenreich ist, während die Gegenposition das Internet als Modeerscheinung abqualifiziert. Aber die Mitspieler haben in bestimmten Märkten längst ein Niveau erreicht, das Newcomern die Eroberung einer guten Position beträchtlich erschwert. Die wichtigsten Motive für die Schaffung eines Online-Shops sind, Präsenz zu zeigen, Erfahrungen zu sammeln und die Kundenbindung zu verstärken.
„Die Penetration in immer mehr Warengruppen und Märkte, bald sogar die absehbare Durchdringung aller Marktsegmente, zeigt, dass es in naher Zukunft für den Einzelhandel nicht mehr sinnvoll sein wird, sich dem Thema Electronic Shopping zu verschliessen.“
Für die Bereitschaft der Verbraucher, den Einkauf über das Internet zu akzeptieren, gibt es mehrere so genannte Megatreiber. Weil die Verbraucher anspruchsvoller werden und für ihren Lebensstil lange arbeiten, wird der Faktor Zeit immer wichtiger. In gehobenen sozioökonomischen Schichten lehnen die Konsumenten beispielsweise den klassischen Lebensmitteleinkauf am stärksten ab und würden ihre Einkäufe gerne komplett online erledigen, wenn sie mit dem Service zufrieden sind. Die Technologiebegeisterung ist ein weiterer wichtiger Faktor. Folglich müssen Online-Händler in erster Linie die Bevölkerungssegmente "Time-Starved" (unter ständigem Zeitmangel leidende Menschen) und "Modern Responsibles" ansprechen - zusammen 35 % der Bevölkerung in Europa. Mit jedem Besuch einer Seite und jedem Einkauf hinterlässt der Verbraucher Daten, die ausgewertet und dazu genutzt werden können, ihm ein personalisiertes Angebot zu unterbreiten, in dem die ihn vermutlich nicht interessierenden Waren oder Dienste nicht mehr erscheinen. Die Struktur eines Internetshops muss also individualisierbar sein.
Faktoren erfolgreicher Geschäftsmodelle
Haben Sie sich für ein Engagement im E-Commerce entschieden, sollten sie einige Erfolgsfaktoren kennen und umsetzen. Schaffen Sie eine überlegene Internet-Marke: entweder durch die Entwicklung einer völlig neuen Marke oder durch die Übertragung der Marke Ihres Stammgeschäfts in das Netz. Für die Kreation einer neuen Marke spricht zum einen, dass sich dies schon häufig als erfolgreich erwiesen hat, und zum anderen, dass bei einem eventuellen Misserfolg der Imageschaden für die bereits bestehende Marke begrenzt ist. Zudem sparen Sie Anfangsinvestitionen und können Werbesynergien nutzen.
„Die Consumer-Direct-Webseiten sind im Prinzip intelligenter als traditionelle Geschäfte, weil sie bei jedem Einkauf erhebliches Personalisierungspotenzial bieten.“
Legen Sie bei der Gestaltung des Internet-Shops grossen Wert auf die Schaffung wirklich virtueller Welten, in denen der Nutzer durch zahlreiche Anregungen animiert wird, immer tiefer in den virtuellen Shop vorzudringen. Beispielhaft sind die Auftritte von Amazon und Dell. Vorstufen auf dem Weg zu diesem Ziel sind Image-, Marketing- und Shopping-Websites. Der Aufbau individueller Kundenbeziehungen ist ein Erfolgsfaktor, weil durch die elektronische Erfassung von Kundengewohnheiten eine Stammkundenbindung möglich ist, die gegenüber der kostspieligen Neukundenwerbung kostengünstig zu realisieren ist. Eine zielgruppenspezifische Ansprache von Kunden setzt die genaue Kenntnis ihrer Bedürfnisse und Wünsche voraus. Schliesslich sollten Sie den Geschäftsprozess aus Kundensicht gestalten: Eine schnelle und effiziente Abwicklung des Kaufprozesses gibt dem Kunden letztlich das Gefühl, er stehe im Mittelpunkt. Die Einfachheit und Sicherheit des Zahlungsweges ist ebenfalls von hohem Stellenwert.
Die Intermediäre - Bedrohung ihrer Rolle und neue Möglichkeiten
Interessant und vielfältig sind auch die Auswirkungen auf die Intermediäre, die an zahlreichen Positionen der Wertschöpfungskette Aufgaben als Mittler zwischen Hersteller und Verkäufer erfüllen, beispielsweise durch die Beurteilung von Marktchancen eines Produktes. Es ist eine beliebte These, das Internet führe auf Dauer gesehen zur Ausschaltung von Zwischenhändlern, weil die Kosten eines Produktes bei Direktvermarktung in einem Online-Shop drastisch gesenkt werden könnten. Übersehen wird hierbei, dass die Intermediäre eine Reihe von Aufgaben erfüllen. Für den Produzenten haben sie folgende Vorteile: Sie lenken den Kunden durch Produktplatzierung in eine bestimmte Richtung, stellen Analysen über das Kaufverhalten zur Verfügung und minimieren das Herstellerrisiko. Dem Kunden erleichtern sie die Suche und Bewertung von Produkten, u. a. durch die Verbreitung von Produktinformationen, und gewährleisten einen gewissen Qualitätsstandard.
„Die Internettauglichkeit eines Produktes hängt grundsätzlich von zwei Determinanten ab: erstens von bestimmten Produktmerkmalen und zweitens von der Art und Intensität der Kaufentscheidung.“
So mag es durchaus Bereiche geben, in denen Zwischenhändler durch den Verkauf über das Internet überflüssig werden. Andererseits erschliesst E-Commerce Intermediären völlig neue Tätigkeitsbereiche. So ermöglichen beispielsweise Finanzintermediäre den Geldtransfer vom Kunden zum Anbieter. Eine für alle Seiten interessante Verkaufsform sind Spotmärkte und Auktionen, mit denen der Anbieter neue Formen der Preisfindung testen kann, während der Konsument zugleich das ihm zusagende Produkt findet. Der ökonomische Erfolg der Auktionsplattform eBay spricht für Popularität und Profitabilität dieser Verkaufsform - die natürlich nicht für jedes Produkt geeignet ist. Schliesslich sind intelligente virtuelle Agenten eine völlig neue Form von Intermediären. Sie unterstützen den Nutzer durch Lernen aus seinem Surfverhalten und unterbreiten ihm Vorschläge für die Suche. Preisvergleiche sind über das Internet unkomplizierter als in herkömmlichen Märkten und lassen sich ebenfalls mittels spezialisierter Intermediäre effizient durchführen.
Auswirkungen des Internets auf das Marketing
Die meisten kommerziellen Internetseiten zählen zu der Kategorie "Transaktion und Information". Für deren Betreiber ist eine neue Spielregel in Form des Netzwerkeffektes von Bedeutung: Der Wert eines Netzwerks steigt exponentiell mit der Zahl seiner Nutzer. Es ist wichtig, frühzeitig einen Markt zu besetzen, weil die Grösse eines Netzwerkes Vorteile bringt, die von Wettbewerbern kaum zu erreichen sind. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Erfolgsgeschichte des Softwareriesen Microsoft. Der Konsument als Nutzer eines Produkts befindet sich in einer "Lock-in-Situation", weil der Wechsel zu einem anderen Anbieter mit Kosten oder Mühen verbunden ist, die ihn als unattraktiv erscheinen lassen.
„Es sind nicht nur die betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Aufbau von Electronic Commerce zu klären. Vielmehr ist zu bedenken, dass Einkaufen mehr als ein Mausklick ist. Die reale Warenwelt mit echten Einkaufserlebnissen und persönlicher Kommunikation ist doch vielerorts nicht zu ersetzen.“
Im Internet wächst der Ertrag nach Erreichen einer "kritischen Masse" überproportional an. Diese "Überwindung des klassischen Ertragsgesetzes" (dem zufolge die Erträge in klassischen Märkten schnell steigen und nach einem Scheitelpunkt wieder absinken) erklärt u. a. die vorübergehend hohe Börsenkapitalisierung einzelner Internetanbieter. Schliesslich werden traditionelle Wertschöpfungsketten wie der Buchhandel zunehmend durch den Internethandel ersetzt und Banktransaktionen immer häufiger über das Internet abgewickelt. Die Internet-Ökonomie ist ein fast vollkommener Markt, weil die Markttransparenz aufgrund verringerter Informations-Ungleichgewichte zwischen Anbieter und Nachfrager zunimmt und die globale Verfügbarkeit die Transaktionskosten senkt.
„Aufgrund der höheren Markttransparenz verringert sich die Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Nachfrager. Die globale Verfügbarkeit von Informationen und die Möglichkeit, ... von jedem Ort zu jeder Zeit Transaktionen abzuwickeln, senken die Transaktionskosten.“
Als Konsequenz dieser Entwicklungen steht das strategische Marketing vor neuen Herausforderungen. Insbesondere mit der Auswertung der Protokollierung sämtlicher Bewegungen des Nutzers auf einer Website lassen sich die Konsumgewohnheiten so genau studieren, dass bei konsequentem Einsatz von Database-Management sich das Angebot zunehmend individuell auf den Nutzer abstimmen lässt. Die Bildung von Communities steigert die Kundenbindung zusätzlich. Auch die Zusammenstellung individueller Angebote ist automatisierbar. Die so mögliche "Massenindividualisierung" erhöht die Loyalität der Kunden und generiert zusätzliche Umsätze. Der direkte Kundendialog beschleunigt den Wandel vom Transaktions- zum Relationship-Marketing, die Kundenorientierung gewinnt an Stellenwert. Das Tempo der Technologie- und Marktentwicklung schliesslich erfordert eine drastische Verkürzung der Planungshorizonte im Management. Der Umwandlungsprozess betrifft nicht zuletzt die Schwachstelle vieler Unternehmen, denn auch die Kommunikationsstrukturen müssen angepasst werden.
Dem vorliegenden Buch liegt eine Tagung zu Handelsinformationssystemen in Münster zugrunde. Die Herausgeber, Prof. Dr. Dieter Ahlert, Prof. Dr. Jörg Becker, Peter Kenning und Dr. Reinhard Schütte, sind Wissenschaftler verschiedener betriebswirtschaftlicher Disziplinen an der dortigen Universität. Die einzelnen Beiträge stammen sowohl von ihnen selbst als auch von anderen hochrangigen Experten aus Theorie und Praxis.