So finden Sie sich in Ihrer neuen Rolle zurecht
Niemand wird als Führungskraft geboren. Der Wechsel von der Mitarbeiterebene ins untere Management ist ein toller Karriereschritt, aber gleichzeitig der Beginn einer Metamorphose – ähnlich der einer Raupe zum Schmetterling. Die damit verbundene existenzielle Krise trifft die Raupe genauso wie Sie, denn Ihr bisheriges Verhalten passt nicht zur neuen Situation. Für Führungskräfte, d. h. auf Leistungsstufe zwei, gelten andere Spielregeln als auf Leistungsstufe eins, der Mitarbeiterebene. Nun gilt es, Mitarbeiter zu führen, und die Teamleistung steht im Vordergrund. Der Wechsel vom unteren ins mittlere Management bringt dann zwar neue Aufgaben, die Gesetzmäßigkeiten ändern sich aber noch nicht. Das passiert erst wieder, wenn Sie ins Topmanagement (Leistungsstufe drei) aufsteigen, wo Sie erneut völlig andere Regeln erwarten. Auf jeden Fall sollten Sie nicht in die neue Position hineinstolpern. Bereiten Sie sich gründlich vor, gerade auch wenn Sie bei Ihrem Aufstieg das Unternehmen nicht wechseln. Meist gibt es Angebote wie ein Führungskräfteseminar oder ein Coaching. Ein ausführliches Gespräch mit Ihrem neuen Chef ist absolut lohnend; erarbeiten Sie darin, möglichst gemeinsam, einen Plan, um die Maßnahmen und Ressourcen, die Sie für Ihre Ziele benötigen, festzuschreiben. Bereiten Sie sich gut auf Ihren Antrittstag vor und auch darauf, wie Sie die berühmten ersten 100 Tage meistern, damit die Mannschaft hinter Ihnen steht. Auf jeden Fall müssen Sie sich positionieren, sonst sind Sie bald Erfüllungsgehilfe Ihres Teams oder Ihres Vorgesetzten.
Ihr Draht zu den Mitarbeitern
Nachdem Sie sich über Ihre künftigen Mitarbeiter, Ihre Rolle und die der Abteilung informiert haben, klären Sie die Rahmenbedingungen: Welche Führungsrolle übernehmen Sie (z. B. Projektleiter oder Linienführungskraft)? Sind alle Teammitglieder vor Ort? Sind diese fest angestellt oder Freelancer, multikulturell oder aus dem gleichen Land? Wie sieht die Organisationsstruktur aus? Hören Sie beim ersten Kennenlernen Ihren Mitarbeitern gut zu und erklären Sie Ihnen die Strategien und Ziele der Abteilung; beides schafft Vertrauen. Auch Ihre Erwartungen sind jetzt wichtig, genauso wie klare Spielregeln, die dafür sorgen, dass Ihr Team vernünftig arbeiten kann. Dazu braucht es auch den regelmäßigen Austausch untereinander – und zwar nicht erst, wenn die Gewitterwolken schon am Himmel stehen.
„In der neuen Position als Führungskraft lernen Sie neue Zusammenhänge und Grenzen, die Sie nicht ignorieren können.“
Auch wenn es Ihnen schwerfällt: Lassen Sie die Finger von den Projekten. Sie sind jetzt Führungskraft, und das bedeutet: Sie steuern, das Team führt aus. Wer nicht delegiert, hat zu wenig Vertrauen in seine Mitarbeiter. Dagegen hilft nur eines: enge Feedbackschleifen. Damit bauen Sie Vertrauen auf und können im Notfall rechtzeitig eingreifen. Außerdem brauchen Sie klare Delegationsaufträge gemäß den sechs W-Fragen: was, wer, warum, wie, womit und wann. Vielleicht gelingt Ihnen all das ja schon recht gut, Sie möchten aber dennoch besser werden. Bevor Sie dazu einen Seminarmarathon absolvieren, beseitigen Sie lieber erst mögliche Hindernisse, z. B. eigene festgefahrene Verhaltensweisen oder eine Diskrepanz zwischen Ihrer Aufgabe und Ihrer inneren Überzeugung.
So klappt es mit dem Chef
Das Wetter können Sie nicht ändern – und Ihren Vorgesetzen ebenso wenig. Nehmen Sie ihn also, wie er ist, aber führen Sie ihn: So bekommen Sie, was Sie brauchen. Solange es um alltägliche Entscheidungen geht, die Sie von Ihrem Vorgesetzten benötigen, ist die Sache noch einfach. Die Kunst ist aber, von ihm auch Unterstützung für Ihre Ideen und Ziele zu erhalten. Das Topmanagement ist ein sensibles Beziehungsgefüge, vergleichbar mit einem sich selbst steuernden, komplexen Ökosystem. Dieses Zusammenspiel müssen Sie verstehen. In der Sandwichposition des oberen Managements, also zwischen mittlerem und Topmanagement, ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Ihr Vorgesetzter erwartet, dass Sie klare Ziele formulieren, dass Sie auf seine Bedürfnisse eingehen und ihm mit Respekt und Wertschätzung begegnen.
„Sobald die Regeln stehen und von allen Mitarbeitern akzeptiert sind, können die einzelnen Teammitglieder autonom agieren – vergleichbar mit Herz, Lunge oder Magen im menschlichen Organismus.“
Ab und zu braucht jedes Team mal ein Lob, damit die Motivation nicht leidet. Stupsen Sie Ihren Vorgesetzten ruhig ein wenig an. Er merkt sonst vielleicht nicht, dass Sie auf sein Feedback Wert legen. Allerdings gilt es im Topmanagement schon als Lob, wenn nicht kritisiert wird. Stillschweigen ist dagegen nicht angebracht, wenn man sich von oben in Ihre Arbeit einmischt, wenn man Ihnen z. B. Mitarbeiter wegnimmt. Nehmen Sie sich die Natur zum Vorbild: Jeder Wolf im Rudel hält sich an Regeln und übernimmt geeignete Aufgaben, hat aber auch genügend Freiraum. Exakt das beanspruchen Sie für sich.
„Den Überblick behalten, die Projekte erfolgreich steuern, über den eigenen Tellerrand hinausblicken, Vernetzungen herstellen, Schnittstellen managen – darin liegen die Aufgaben und Kompetenzen einer Führungskraft.“
Mancher Chef verbindet Lob gleich mit einer neuen Aufgabe, und vor lauter Stolz trauen Sie sich dann nicht, Nein zu sagen. Passen Sie aber auf, dass Sie sich nicht zu viel zumuten. Lassen Sie sich nicht täglich neue Projekte aufs Auge drücken. Wenn der Chef ein unrealistisches Ziel anpeilt, müssen Sie ihn bremsen. Es ist Ihre Pflicht, für Unmögliches keine Verantwortung zu übernehmen. Verbinden Sie Ihr Nein mit einem konstruktiven Vorschlag. Konsequenz ist auch angesagt bei einem entscheidungsschwachen Chef. Setzen Sie ihn unter Zugzwang, helfen Sie ihm gleichzeitig mit relevanten Informationen. Wenn er dann immer noch nicht reagiert, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als die betreffende Aufgabe ruhen zu lassen, bis eine Entscheidung gefällt ist.
Überleben im Topmanagement
Wer ins Topmanagement gelangt, betritt eine andere Welt. Leider werden Sie auf Ihre Rolle selten vorbereitet, und das, was Sie dort erwartet, ist erst mal schwer durchschaubar. Das liegt auch daran, dass Ihre Leistung jetzt am Gesamterfolg des Unternehmens gemessen wird. Es kommt nun ganz stark auf Ihr strategisches Geschick, aber auch auf Ihr Durchsetzungsvermögen nach innen und Ihren Einfluss nach außen an, dazu auf Diplomatie und Souveränität. Wo Einflussnahme und politisches Taktieren im Spiel sind, gehen die Äußerungen nicht mehr unbedingt mit den persönlichen Motiven Hand in Hand. Was gesagt wird, ist nicht immer auch so gemeint. Hier die wichtigsten sieben Regeln:
- Nicht auf vertraute Werte setzen, sondern sich lieber auf neue Gesetzmäßigkeiten einlassen.
- Nicht auf Augenhöhe mit dem Vorgesetzten sprechen, sondern den höheren Rang respektieren.
- Kein direktes Feedback geben, niemals den Vorgesetzten kritisieren, sein Verhalten nur durch Empathie zu beeinflussen suchen.
- Nicht fachlich argumentieren, lieber auf die Anliegen des Gegenübers eingehen.
- Den für Ihre Rolle gültigen Verhaltenskodex einhalten.
- Fehlende Kritik nicht als Zustimmung ansehen. Stattdessen auf andere Hinweise achten, etwa darauf, ob der Vorgesetzte sich für Sie Zeit nimmt.
- Genau hinhören, denn manche Botschaften sind doppelbödig.
„Es geht zunächst darum, die eigene Karriere im Blick zu behalten und gegen vermeintliche Chancen, unpassende Angebote und andere externe Einflüsse zu verteidigen.“
Ohne ein gutes Netzwerk werden Sie in der obersten Etage nicht weit kommen. Wenn Sie Ihr Ziel kennen, suchen Sie nach der passenden Zielgruppe. Knüpfen Sie z. B. Kontakte zu Leuten, die in jenem Bereich arbeiten, in den Sie wechseln möchten. Vergessen Sie beim Networking aber nie, dass es ein Geben und Nehmen ist und dass auf Topebene oft Misstrauen herrscht – fast so wie bei den von Natur aus misstrauischen Kolkraben, die sich gegenseitig ausgiebig testen und durch Geben und Nehmen allmählich ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Fallen lauern in parasitären Beziehungen, in denen der eine vom anderen ausgenutzt wird, oder im introvertierten Wohlfühlnetzwerk, über das man die Beziehung zu externen Schlüsselpersonen vernachlässigt. Letztlich sollte Ihnen immer klar sein, dass die Kontakte Ihrer Position gelten, weniger Ihrer Person.
Schwierige Entscheidungen treffen
Im Topmanagement müssen Sie viele Entscheidungen treffen. Ohne Klarheit über Ziel und Situation werden ohnehin schwierige Entscheidungen zum Drama. Die Natur ist uns hier um einiges voraus: Der menschliche Körper etwa erkennt ohne Umschweife das höchste Ziel, wenn Sie sich z. B. in den Finger geschnitten haben: überleben – und schon tritt das Blutgerinnungssystem in Aktion, sofort, präzise und zuverlässig. Im Manageralltag müssen Sie bei schwierigen Entscheidungen Klarheit gewinnen, nach Lösungen und Alternativen suchen, Szenarien durchspielen, Entscheidungen treffen und die Spielregeln festlegen. Um nun tatsächlich das Richtige zu tun, haben Sie verschiedene Strategien zur Auswahl:
- Strategie eins fragt nach dem höchsten Ziel (z. B.: „Liquidität sichern“). Die Zielklärung holt Sie aus der Negativspirale, die von der Unsicherheit bis zur Lähmung führt.
- Mit Strategie zwei verlagern Sie ein ungutes Bauchgefühl in den Kopf, wo die aktuelle Situation kritisch analysiert wird.
- Strategie drei verhindert, dass Sie Entscheidungen treffen, die gar nicht zu Ihrem Verantwortungsbereich gehören. Ob Mitarbeiter oder Vorgesetzter: Sehen Sie zu, dass derjenige die Entscheidung trifft, der dafür zuständig ist.
- Wenn Sie entscheiden, übernehmen Sie gemäß Strategie vier auch uneingeschränkt die Verantwortung und haben damit die Freiheit, die Art und Weise der Umsetzung zu bestimmen.
- Bei Strategie fünf (aktiver Leerlauf) wirbeln Sie herum, ohne wirklich etwas zu bewegen. Sie erkennen dann rasch, welche Mitarbeiter das von Ihnen erzeugte Entscheidungsvakuum ausfüllen und welche nicht.
- Strategie sechs erfordert, Mitstreiter ins Boot zu holen, damit Sie das Ziel Ihrer Entscheidung auch erreichen.
Denken Sie an sich – und an Ihre Karriere
Dass Sie in Ihrem Job gut sein wollen, ist in Ordnung, solange Sie nicht in die Perfektionismusfalle geraten. In Ihrem Aufgabengebiet dürfen Sie durchaus perfekt sein, das ist professionell. Aber überall perfekt sein zu wollen, wird Sie überfordern. Darunter würde früher oder später Ihr Kerngebiet leiden. Professionalität bedeutet auch, Erwartungen punktgenau zu erfüllen: Wo 80 % erwartet werden, brauchen Sie keine 100 % zu liefern. Orientieren Sie sich an den Vorstellungen Ihres Vorgesetzten und an seinen pragmatischen Erwartungen. Ihren Leistungsanspruch dürfen Sie dann vermutlich nach unten schrauben. Damit Sie Ihre Leistung auf Dauer erbringen können, arbeiten Sie Ihrem Leistungstyp entsprechend. Als Einzelgänger und Sprinter müssen Sie sich regelmäßig Pausen gönnen – das macht der Gepard nach der Jagd auch so. Als Teamplayer sind Sie dagegen ein Löwentyp, einer, der mit mäßigem Tempo und mit Ausdauer an der Arbeit dranbleibt.
„Anstatt sich primär an den äußeren Vorgaben zu orientieren, wird das eigene Profil zum Maßstab.“
Letzteres gilt auch für Ihre Karriereziele. Gut gemeinte Ratschläge aus Ihrem Umfeld oder aus Karriereratgebern ignorieren Sie am besten. Erstellen Sie lieber eine „U-Liste“ mit den für Sie persönlich unbedingt notwendigen fünf bis sieben Bedingungen, die für Sie auf jeden Fall erfüllt sein müssen. Nur wenn ein Jobangebot alle Muss-Bedingungen erfüllt, nehmen Sie es an, andernfalls verkümmern Sie wie eine Pflanze, der eine lebenswichtige Rahmenbedingung fehlt.
„Der Spitzensportler weiß, dass er die notwendigen Leistungen niemals durch ein normales Training erreichen kann. Immer mehr Spitzenmanager sehen das genauso.“
Vielleicht brauchen Sie gar keinen Stellenwechsel und müssen sich nicht bewerben und schon gar nicht verbiegen, um Karriere zu machen. Nach dem Evolutionsprinzip gewinnt nämlich nicht der Stärkere, sondern der, der seine Stärken kennt und sich den stets wechselnden Rahmenbedingungen anpasst. Entwickeln Sie Ihr persönliches Profil und speichern Sie es wie auf einer Chipkarte. Sie können dieses Profil dann mit einer ausgeschriebenen Stelle abgleichen oder einem Unternehmen direkt ein Angebot machen. Der Arbeitgeber kann Sie so viel einfacher an der richtigen Stelle platzieren. Manchmal entsteht aus einem solchen Angebot auch eine Idee, die zu einer ganz neuen Position im Unternehmen führt.