Wachstum durch Kredite
Die Welt hat die größte Schuldenmenge aller Zeiten aufgehäuft. Ihre Hauptquelle ist der US-Dollar. Die exorbitant hohen Dollar-Devisenreserven, die weltweit lagern, sind nichts anderes als eine Tributzahlung der Welt an die USA. Es handelt sich um Kredite, mit denen die USA Waren, Dienstleistungen und ihr Militär bezahlen. Wahrscheinlich werden sie diese Schulden nie begleichen. Seit 60 Jahren wächst die Kreditmenge in der westlichen Welt schneller als die Wirtschaftsleistung. Der resultierende Wohlstandseffekt war nur aufrechtzuerhalten, weil das Kreditwachstum anhielt. Sobald dieser Prozess der zunehmenden Verschuldung stockte, wurde nachgeholfen. So mobilisierten die USA, als die Kreditnachfrage nachließ, nach der Jahrtausendwende den „Volkssturm des US-Kreditsystems“: Nicht kreditwürdige Familien konnten sich dank Hypothekenverbriefungen für den Immobilienkauf verschulden. Die Nachfrage sorgte für einen Boom. Als die Blase platzte, kam es zur weltweiten Wirtschaftskrise. Inzwischen sorgen die Notenbanken sowie Schattenbanken und Hedgefonds für die weitere Expansion der Kreditvergabe. Versicherungen sind Komplizen der Schuldenstaaten: Sie gewährleisten – auch aufgrund gesetzlicher Regelungen –, dass die Staaten ihre Haushaltsdefizite billig mit dem Geld ihrer Bürger finanzieren können.
Das Ende der Schuldenorgie
In der Geschichte hat es immer wieder Kreditkrisen gegeben. Die Frage lautet: Wie wird die Kreditorgie diesmal enden? Grundsätzlich gilt, dass Kredite die Wirtschaft antreiben. Werden bestehende Kredite zwar getilgt, aber weniger neue vergeben, fallen Geldmenge und Nachfrage. Aus stetem Wachstum wird lang anhaltender Rückgang, es droht die wirtschaftliche Depression. Die Wahl, vor der die Welt steht, wird deutlich an der Situation der USA: Sie können ihre Verschuldung durch eine Geldflut loswerden, also durch Inflation. Oder sie entscheiden sich fürs harte Sparen – dann droht Deflation. Deflation ist gekennzeichnet durch rückläufige Löhne und Preise, sinkende Gewinnspannen der Unternehmen und hohe Produktivitätszuwächse. Deflation ist keine wachstumsfreie Zeit: In Japan etwa – seit 20 Jahren in der Deflation – hat die Wirtschaftsleistung real zugelegt.
„Ohne monetäre und fiskalische Disziplin geraten wir in ein inflationäres Umfeld.“
Wie sich die Welt entwickeln wird, ist ungewiss. Aber es lassen sich sechs Basisszenarien beschreiben, die eintreten könnten – fünf davon negativ, eins positiv. Sie können in einer beliebigen Folge nacheinander geschehen, es könnte aber auch ein einziges Szenario in Zukunft dominieren. Die Wirklichkeit wird sich natürlich nicht genau an diese idealtypischen Szenarien halten, sondern ihnen nur ähneln.
Szenario 1: globale Deflation
Die weltweit aufgehäufte Dollarschuldenpyramide wird in diesem Szenario schrittweise abgebaut. Nach der Abwertung des Dollars – vor allem gegenüber dem chinesischen Yuan – wird die Sparneigung der Amerikaner stark zunehmen. Damit fallen sie als die Superkonsumenten dieser Welt aus. Darunter leiden die Exportnationen China, Deutschland und Japan sowie Rohstoffexporteure wie Australien und Brasilien. Die Preise fallen weltweit und mit ihnen die Aktienkurse, die für mindestens ein Jahrzehnt unter ihren Höchstständen verharren. Gläubiger zahlungsunfähiger Länder werden ihr Geld verlieren. Handelt es sich dabei um Banken und Versicherer, hat dies Folgen für Sie als Sparer und Versicherter. Die hohen Auslandsschulden der USA könnten sich bei Deflation für das Land als Segen erweisen – dann nämlich, wenn die Auslandsdollars in Form von Auslandsnachfrage in die USA zurückströmen. Bereits unter Präsident Obama wurden viele Rüstungsgüter der USA zum Export freigegeben, damit Gläubigerländer wie Saudi-Arabien auf Einkaufstour gehen können. Die Schulden werden also durch den Konsum liquidiert. Damit dieser Effekt nicht durch den Abfluss von Dollars für Ölimporte kompensiert wird, werden die USA mehr in die eigene Energieversorgung investieren. Außerdem wird das Land seine Infrastruktur erneuern, um die Beschäftigung zu stabilisieren.
„Sobald die gesamtwirtschaftliche Verschuldung schneller zunimmt als der Nutzen, den der zusätzliche Kapitalstock einbringt, kann man von einem finanziellen Schneeballsystem sprechen.“
Ihre Investitionschance: Anleihen von Staaten und Unternehmen mit guter Bonität zu kaufen, ist in deflationärem Umfeld ebenso sinnvoll wie der Kauf von Gold und von dividendenstarken, konjunkturresistenten Aktien. Monopolisten und Nischenanbieter versprechen Gewinne, beispielsweise SAP, Microsoft, Eon, RWE, Deutsche Telekom und Vodafone. In der Pharmabranche kommen Roche und Novartis sowie – wegen des Kostendrucks – Generikahersteller infrage. Meiden Sie Aktien von Exportunternehmen, Investitionsgüterherstellern und Unternehmen der Konsumbranche. Der Kurs des US-Dollars könnte vom weltweiten Schuldenabbau profitieren, während Industriemetallpreise unter Druck geraten. Aber: Nicht viele Ökonomen erwarten eine Ausbreitung deflationärer Tendenzen.
Szenario 2: Hyperinflation
In diesem Szenario müssen die Notenbanken immer mehr Staatsanleihen aufkaufen, um die Zinsen niedrig und die Wirtschaft am Laufen zu halten. Dieses immer schnellere Gelddrucken ist in Ansätzen bereits zu beobachten: in den USA, Großbritannien, Japan und der Eurozone. Sobald die Anleihekäufe aufhören, werden die Zinsen drastisch steigen und es wird eine schwere Rezession ausbrechen. In einer extremen Variante dieses Szenarios werden die USA vom Papiergeld zu einem Gold- und Silberstandard wechseln, nachdem die galoppierende Inflation den Schuldenberg abgetragen hat. Daraufhin wird das Vertrauen zurückkehren. Allerdings wird das Wirtschaftsgeschehen zuvor weltweit großen Schaden genommen haben, von politischen Umwälzungen ganz zu schweigen. Die US-Währung wird bei Hyperinflation ihren Status als Weltreservewährung verlieren, woraufhin der Lebensstandard in den USA drastisch sinkt. Aus diesem Grund ist es derzeit wahrscheinlicher, dass die USA nicht hemmungslos mehr Geld drucken, sondern sparen werden. Gewiss ist das aber nicht. Die US-Notenbank Fed kauft beispielsweise bereits heute über 70 % aller US-Staatsanleihen. Hier wie auch in anderen Ländern ist es durchaus wahrscheinlich, dass Inflation künftig eine Rolle spielen wird.
„Ein von Krediten erzeugter Boom muss weiter durch Kreditvergabe gestützt werden, um einen Rückgang der Nachfrage zu vermeiden.“
Ihre Investitionschance: Falls Sie Inflation erwarten, entfernen Sie Anleihen aus Ihrem Depot. Schichten Sie um in Immobilien, Rohstoffe und Edelmetalle. Noch attraktiver als Sachwerte sind Geldanlagen in stabile Währungen. Auch Aktien sind interessant – vor allem jene von konjunkturabhängigen Unternehmen, Minen sowie Öl- und Industriekonzernen. Eine Anlage in ausländische oder multinationale Firmen schützt Sie bei einheimischer Hyperinflation. Steigen Sie bei Aktien erst dann ein, wenn die Kurse lange hinter der Geldentwertung zurückgeblieben sind.
Szenario 3: Staatspleiten und Währungsreformen
Eine Politik der Austerität, d. h. des drastischen Sparens, ist in demokratischen Staaten schwer durchzusetzen. Ob durch Ausgabenkürzungen, Schuldenschnitt oder Währungsreform: Letztlich werden die Bürger geschröpft; entsprechend radikalisiert sich die Mittelschicht. Die Kreditvergabe wird drastisch einbrechen und die Perspektiven der Unternehmen werden sich radikal verschlechtern, während Gold extrem gefragt ist. In jedem Fall ist eine Staatspleite der USA für Europa eine Katastrophe – und umgekehrt. Um Panik zu verhindern, kann der Staat den Zugriff auf Bankguthaben einschränken.
„Der Prozess des Deleveraging (Schuldenreduktion) dürfte ein Jahrzehnt andauern.“
Ihre Investitionschance: Kommt es zu solchen drastischen Änderungen, unter denen Banken und Versicherungen als große Investoren sehr leiden werden, wird es für Sie meist zu spät sein. Nur vorausschauendes Handeln hilft. Sie sollten keine Anleihen von Wackelkandidaten der Eurozone sowie von Großbritannien und den USA kaufen. Mit nicht verschuldeten Immobilien kommen Sie gut durch eine solche Krise.
Szenario 4: Handelsstreit und Ende der Globalisierung
Eine unkooperative Strategie, z. B. in Form von Schutzzöllen, haben viele Staaten im Zuge der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre sowie zu Beginn des Ersten Weltkriegs verfolgt. Ansätze dazu gab es auch in den USA nach dem 11. September 2001. Wirtschaftsstreitigkeiten können ganze Nationen gegeneinander aufhetzen. Wenn die USA sich für bankrott erklären, wird China als großer Gläubiger reagieren. Es wird Ausländern, die in China investiert haben, die Vermögenswerte abnehmen und sie mit wertlos gewordenen US-Staatsanleihen abfinden. Europa wird nicht abseitsstehen können, sondern wird sich für eine Seite entscheiden müssen – mit entsprechenden Folgen für seine Auslandsinvestitionen.
„Der Versicherungsmoloch führt dem Schuldenstaat ahnungslose, entmündigte Gläubiger zu.“
Ihre Investitionschance: Diese Entwicklung ist besonders tückisch für Investoren. Da es hier zu einer Lagerbildung kommt, sind all jene Anlagen für Sie verloren, die Sie als multinational diversifizierter Investor in Ländern des nun feindlichen Lagers besitzen. Aktien von Unternehmen, deren Geschäft auf weltweiter Verflechtung basierte, werden abstürzen.
Szenario 5: Stellvertreterkriege
Durch das Bevölkerungswachstum wird der Wettbewerb um Nahrung und Energie sich verschärfen. Es ist vorstellbar, dass aus Währungs- und Handelskriegen zwischen großen Machtzentren gewaltsame Konflikte werden. Die Rivalität zwischen großen Wirtschaftsblöcken kann nicht von Dauer sein, sondern wird früher oder später in einen Krieg ausarten. Beispiele dafür finden sich in der Geschichte mehr als genug. So führten Verbündete der jeweiligen Hegemonialmacht zur Zeit des Kalten Krieges Stellvertreterkriege. Der japanische Angriff auf Pearl Harbour war eine Reaktion auf den Ölboykott des Westens. Gelänge es den USA, zwischen zwei von ihren Gläubigern einen Krieg anzuzetteln, käme es zu einer Kriegshausse in den USA.
„Die moderne Notenbankpolitik macht Bargeld praktisch zu Schwundgeld durch ein Inflationsziel oberhalb von 0 % der Preissteigerungen für die Konsumenten.“
Ihre Investitionschance: Wie bei Währungs- und Handelskonflikten sind Ihre Investments außerhalb der eigenen Wirtschaftszone in Gefahr. Krieg ist zudem ein Inflationstreiber.
Szenario 6: Megazyklus
Irgendwann in der Zukunft wird wieder einmal eine Art Goldenes Zeitalter anbrechen. Ein Machtgleichgewicht sorgt dann international für Frieden. Der Freihandel blüht. Allerorten wird investiert. Energie wird umweltfreundlich produziert. Überschuldete Staaten wenden dank des Wachstums den Bankrott ab. Die G20 küren Deutschland zum Vorbild. Die Zinsen steigen wieder, die Preissteigerungen sind moderat. Leider ist es sehr wahrscheinlich, dass es zu dem glücklichen Szenario erst kommen wird, nachdem eines der anderen Wirklichkeit geworden ist.
„Die Vermögenspreisblase ist nur entstanden, weil die Vermögenspreise schneller als andere Preise auf die Änderungen der Geldmenge reagieren.“
Ihre Investitionschance: Kaufen Sie Aktien. Lösen Sie dafür, sofern vorhanden, Ihre Edelmetallreserven teilweise auf. Am besten laufen Papiere von Unternehmen in Wachstumsbranchen. Den Zeitpunkt zum Einsteigen erkennen Sie an niedrigen Aktienkursen, steigenden Zinsen, gesunden Staatsfinanzen, niedrigen Inflationsraten und einer Fülle an Innovationen. Spekulationsblasen sind nicht zu erwarten.
Was der Verhaltensökonom weiß
Aus den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie lassen sich folgende Tipps und Erkenntnisse ableiten:
- Suchen Sie sich eine langfristige Strategie und folgen Sie dieser konsequent. So gehen Sie Modeinvestments nicht auf den Leim.
- Misstrauen Sie Voraussagen konkreter Kennzahlen. Prognosen sind immer unsicher.
- Analysten überschätzen die Höhe der Unternehmensgewinne systematisch.
- Anleger machen viele Fehler: Sie handeln nicht immer rational, folgen der Herde, nehmen nur selektiv wahr und hinterfragen Informationen zu wenig. Viele unterliegen Fehleinschätzungen, so genannten Heuristiken.
- Zweifeln Sie an Ihrem Selbstbewusstsein. Das schützt vor Selbsttäuschung bei der Geldanlage. Eine Methode ist gründliche Buchführung. Meiden Sie Schnellschüsse.