Die flexible Produktion

Buch Die flexible Produktion

Praxisbuch für Entscheider

mi-Wirtschaftsbuch,


Rezension

Mehr Praxis geht nicht – zumindest nicht in einem Buch. Was Jürgen Abel Un­ternehmern und Managern in puncto Pro­duk­tions­flex­i­bil­isierung an die Hand gibt, sollte künftig der Maßstab für Wirtschaft­slit­er­atur sein. Außeror­dentlich kompetent und informativ führt der Berater den Leser durch die An­forderun­gen an ein modernes und flexibles Pro­duk­tion­s­man­age­ment in den heute vorherrschen­den Käufermärkten. Anhand zahlreicher Beispiele aus seiner beruflichen Tätigkeit lässt Abel die aktuellen Probleme in der Fertigung so plastisch werden, dass eigentlich jeder Praktiker die Umsetzung der Methode des En­g­pass­man­age­ments nicht länger aufschieben kann. Und die notwendigen Mittel dazu liefert Abel gleich mit. Leicht verständlich und spannend beschreibt der Sup­ply-Chain-Ex­perte den Weg zu einer neuen Pro­duk­tion­skul­tur. Dabei lässt er sich nie von Euphorie oder eigenen Erfolgen leiten, im Gegenteil: Abel weist ein­dringlich auf die Schwierigkeiten und die notwendige Disziplin bei der Einführung des En­g­pass­man­age­ments hin. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Un­ternehmern und Managern, die ihre Produktion gewinnsteigernd auf die neuen An­forderun­gen ihres Marktes ausrichten wollen.

Take-aways

  • Auf immer mehr Märkten bestimmt heute die Macht der Käufer, welche Produkte zu welchen Preisen produziert werden.
  • Das Streben nach hoher Produktivität wird in Käufermärkten zur Wach­s­tums­bremse.
  • In Unternehmen kann es letztlich nur ein Ziel geben: die Gewin­n­max­imierung.
  • Um den höchstmöglichen Kun­denser­vice bieten zu können, müssen Sie das schwächste Glied in Ihrer Fer­ti­gungs­kette aufspüren.
  • Der Engpass muss nicht unbedingt in der eigentlichen Produktion liegen. Er kann auch im Vertrieb, der Ma­te­ri­alan­liefer­ung oder der Logistik auftauchen.
  • In einem flexiblen Pro­duk­tion­sprozess werden die Kapazitäten des Engpasses mit der Nachfrage in Einklang gebracht.
  • Alle Aufgaben und Prozesse ordnen sich dem Engpass unter.
  • Das Einplanen von Zeitpuffern im Pro­duk­tion­sprozess sichert den Ma­te­ri­alfluss am Engpass.
  • Das En­g­pass­man­age­ment rev­o­lu­tion­iert die Un­ternehmensstrate­gie.
  • Psy­chol­o­gis­che Widerstände sind die größten Hindernisse einer flexiblen Produktion.
 

Zusammenfassung

Die Produktivitätsfalle

Es ist eine paradoxe Situation: Da predigen Un­ternehmensführungen fast überall, dass der Kunde König sei. Doch schaut man genauer hin, gibt es kaum eine Firma, die die An­forderun­gen der Kunden in puncto Service wirklich erfüllt. Nicht einge­hal­tene Liefer­t­er­mine oder unvollständige Lieferungen sind die Regel. Was läuft da schief?

„Mehr und mehr bestimmen die Kunden, welche Produkte sie zu welchen Preisen kaufen.“

Das Grund­prob­lem liegt darin, dass die Unternehmen die Märkte von heute mit Man­age­ment­meth­o­den von gestern bearbeiten. Längst ist aus der einstigen Verkäufer­dom­i­nanz eine Käufer­vor­ma­cht­stel­lung geworden. Konkret bedeutet das: Auf den meisten Märkten übersteigt das Angebot die Nachfrage. Damit bestimmen zunehmend die Käufer, welche Produkte zu welchen Bedingungen und Preisen umgesetzt werden. Für die Unternehmen heißt das, dass die alten Strategien zur Gewin­n­max­imierung nicht mehr greifen.

„Im Verkäufermarkt, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, kommt es darauf an, die Produktivität immer weiter zu erhöhen.“

Bestand das oberste Ziel in Verkäufermärkten darin, laufend die Produktivität zu steigern, wird dieser Ansatz in Käufermärkten zur Wach­s­tums­bremse. Durch den einseitigen Blick auf das maximale Auslasten von Maschinen und auf Kostensenkungspoten­ziale verliert der Pro­duk­tion­sprozess an Flexibilität. Um Kundenwünsche heute jedoch optimal bedienen zu können, sind in Käufermärkten eine hohe Veränderungs­bere­itschaft und schnelle Handlungsmöglichkeiten gefragt. Einen Weg, diese Fähigkeiten in Unternehmen zu etablieren, bietet der bislang in Deutschland noch wenig beachtete Man­age­men­tansatz der Theory of Constraints.

Er­fol­gs­fak­tor Engpass

Unter der Theory of Constraints wird das Management von Engpässen verstanden. Das Besondere an diesem Ansatz: Im Vordergrund steht nicht das Beseitigen von Kapazitätss­chwierigkeiten. Ziel ist vielmehr, den entschei­den­den Fer­ti­gungsen­g­pass aufzuspüren und alle anderen Aufgaben an diesem auszurichten. Grundlage dieser Methode ist das Verständnis des Her­stel­lung­sprozesses eines Produkts als Kette, in der es ein schwaches Glied gibt, das den gesamten Ablauf bestimmt. Wird der Druck an dieser Stelle zu groß, reißt die Kette und die Kunden werden nicht pünktlich beliefert.

„Nur wer flexibel produziert, kann die Kun­den­er­wartun­gen auf Käufermärkten noch erfüllen.“

Der Engpass muss daher nicht unbedingt in der eigentlichen Produktion liegen. Er kann genauso im Vertrieb, der Ma­te­ri­alan­liefer­ung oder der Logistik auftauchen. Entschei­dend für ein optimales Un­ternehmensergeb­nis ist, dass die Auslastung des Engpasses mit der Nachfrage in Einklang gebracht wird. Erst dann kann ein rei­bungsloser Fer­ti­gungsablauf über die gesamte Prozess­kette gesichert werden. Das En­g­pass­man­age­ment weist damit viele Ähn­lichkeiten mit dem Ansatz des Lean Management auf. Während Letzteres jedoch durch ständige Verbesserun­gen aus­geglich­ene Kapazitäten über alle Anlagen und Aufgaben anstrebt, setzt die Theory of Constraints auf die Un­ter­schiede und ihre Transparenz.

„In der Praxis hat sich das Buffer­man­age­ment als mächtiges und effektives Werkzeug her­aus­gestellt, um die Abläufe in der Produktion zu optimieren.“

Der Grund für dieses Vorgehen liegt darin, dass die vorherrschende Reaktion, den Engpass etwa durch Kapazitätsausweitun­gen oder erhöhte Lagerbestände zu beseitigen, längst keine geeignete Lösung für Liefer­schwierigkeiten mehr ist. Einerseits führt das Beseitigen eines Engpasses automatisch zu einem neuen Engpass an einem anderen Glied der Kette. An­der­er­seits macht das Streben nach einer aus­geglich­enen Auslastung aller Maschinen und Aufgaben ein Unternehmen anfällig für unerwartete Störungen wie technische Ausfälle, da es kaum noch Pufferzeiten gibt.

„Con­straint-Man­age­ment erfordert ein Umdenken auf allen Ebenen – bei der Geschäftsleitung ebenso wie bei Führungskräften und Mi­tar­beit­ern.“

Vo­raus­set­zung dafür, dass diese neue Sichtweise auf den Fer­ti­gung­sprozess den Firmen­er­folg steigert, sind drei Dinge:

  1. Das gesamte Unternehmen muss sich an dem einzigen Ziel der Gewin­nerzielung ausrichten.
  2. Alle Handlungen und Aufgaben werden allein vom Markt bestimmt.
  3. Das En­g­pass­man­age­ment wird von allen Mi­tar­beit­ern verstanden und umgesetzt.

Das En­g­pass­man­age­ment in der Praxis

Die Einführung der Theory of Constraints erfolgt ide­al­er­weise in fünf Schritten. Neben der zentralen Aufgabe der En­g­pas­si­den­ti­fizierung muss zu Beginn eine umfassende Mi­tar­beit­er­schu­lung erfolgen. Zudem wird das Projekt mithilfe des Buffer­man­age­ments dauerhaft im Unternehmen etabliert. Die einzelnen Punkte im Überblick:

1. Die Unterstützung der Mitarbeiter sichern

Das En­g­pass­man­age­ment bedeutet einen Bruch mit bequemen Gewohn­heiten und bekannten Sichtweisen. Deshalb ist es unerlässlich, die gesamte Belegschaft umfassend mit dem neuen Ansatz bekannt zu machen. Nur wenn die Mitarbeiter die Vorzüge der Methode verstehen und leben können, lässt sich ihre langfristige Unterstützung gewinnen. Neben In­for­ma­tionsver­anstal­tun­gen, regelmäßigen Diskus­sion­srun­den und praktischen Trainings etwa anhand von Sim­u­la­tion­ssoft­ware sollten Sie auch eine klare Vision sowie einen ausführlichen Projektplan entwickeln.

2. Den Engpass iden­ti­fizieren

Dies ist die Kernaufgabe der Theory of Constraints. Um den entschei­den­den Engpass des gesamten Un­ternehmens­ablaufs zu ermitteln, müssen die Mitarbeiter ähnlich wie Detektive vorgehen. Das bloße Auswerten von Kennzahlen reicht dabei meistens nicht aus, da die tatsächlichen Abläufe durch die Daten meist nicht genau widerge­spiegelt werden. Auch gibt es keine Checkliste, um dem schwächsten Prozess­glied auf die Spur zu kommen. Die Mitarbeiter müssen deshalb vor allem die Abläufe und ihre Ma­te­ri­albestände ganz genau beobachten. So sind die vor einem Ar­beitss­chritt zur Verfügung stehenden Ressourcen ein wichtiger Indikator für einen Engpass. Grundsätzlich gilt aber: Das En­g­pass­man­age­ment heißt auch Irrtümer willkommen. Denn die Auswahl eines falschen Engpasses ist für den Erfolg des Ansatzes kein Problem: Egal welchen Ar­beitss­chritt das Projektteam als schwächstes Glied definiert, der richtige Engpass tritt während der Umsetzung der Methode automatisch ans Licht.

3. Den gesamten Fer­ti­gung­sprozess am Engpass ausrichten

Ist der Engpass erst einmal ermittelt, gilt es, alle anderen Tätigkeiten an ihm zu orientieren. Das Mittel dabei ist das so genannte Drum-Buffer-Rope-Mod­ell. Drum oder Taktgeber bezeichnet dabei den Engpass. Buffer oder Puffer ist die eingeplante Zeit, die das Material von seiner grundsätzlichen Verfügung bis zum Ar­beits­be­ginn am Engpass benötigt. Und Rope oder Seil bezeichnet die un­mit­tel­bare Verbindung der En­g­passka­pazität zur Ma­te­ri­alein­speisung anhand der Planung. Der große Vorzug dieses Modells ist die Reduktion der Produktion auf einen einzigen Fer­ti­gungs­plan, der ganz einfach über Ex­cel-Tabellen gesteuert werden kann. Dies erleichtert die Festlegung eines angemesse­nen Zeitpuffers, sodass der Engpass immer über genügend Material verfügt. Die Ausrichtung des Fer­ti­gung­sprozesses am Engpass hat zur Folge, dass alle anderen Ar­beitss­chritte nicht mehr voll ausgelastet sind. In der Theory of Constraints ist diese Konsequenz allerdings gewollt, denn diese Un­ter­aus­las­tun­gen bilden so genannte Schutzka­pazitäten, damit der Engpass immer ausreichend mit Ressourcen versorgt wird. Eine vorrangige Aufgabe der Ve­r­ant­wortlichen des En­g­pass­man­age­ments ist es daher, diese Schutzka­pazitäten zu verteidigen und sie nicht Einsparun­gen zum Opfer fallen zu lassen.

4. Den Engpass bearbeiten

Falls aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung die Nachfrage deutlich die Kapazität des Engpasses übersteigt, besteht Hand­lungs­be­darf, um alle Kunden weiterhin pünktlich bedienen zu können. Zunächst muss sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter umfassend geschult und motiviert sind, damit sie nicht selbst zum Engpass werden. Als Nächstes sollten Sie dafür sorgen, dass der Engpass optimal ausgenutzt wird. Konkret bedeutet das: Störungen vermeiden, Pausen überbrücken, Rüstzeiten minimieren, fehlerhafte Teile sofort aus­sortieren und wenn nötig, einzelne Fertigungen auslagern. Falls diese Maßnahmen nicht ausreichen, um die Nachfrage zu decken, bleibt nur die Möglichkeit, die Kapazität des Engpasses zu erhöhen. Ver­schwindet damit der Engpass, beginnt ein neuer Zyklus auf der Suche nach dem dann schwächsten Glied in der Fer­ti­gungs­kette.

5. Das Buffer­man­age­ment

Ein optimales Ergebnis kann das En­g­pass­man­age­ment nur mit einem gesicherten Ma­te­ri­alfluss erzielen. Genügend Zeitpuffer in der Anlieferung und aus­re­ichende Bestände sind daher eine wichtige Vo­raus­set­zung, um die Kunden zufrieden­stel­lend beliefern zu können. Die Steuerung erfolgt dabei mithilfe des Buffer­man­age­ments, der Einplanung von Zeitpuffern. Es dient nicht nur dazu, die Aufgaben des Engpasses dauerhaft zu gewährleisten, sondern auch die gesamte Prozess­kette ständig zu verbessern. Grundlage des Buffer­man­age­ments ist die tägliche Besprechung am Engpass über die aktuelle Situation des Ar­beit­splatzes. Der effektivste Puffer lässt sich dann anhand dieser Beobach­tun­gen bestimmen, indem das Niveau des Ma­te­ri­alflusses sukzessive abgesenkt wird. In dem Moment, in dem die ersten Störungen im Prozess auftreten, ist die Puffer­grenze überschrit­ten. Ziel des Buffer­man­age­ments ist es, die Pro­duk­tions­durch­lauf- und Lieferzeiten auf das niedrigste mögliche Niveau zu reduzieren.

Das En­g­pass­man­age­ment als Basis der Un­ternehmensstrate­gie

Um die Theory of Constraints dauerhaft in die Firmenabläufe zu integrieren und ständig weit­erzuen­twick­eln, ist ein generelles Umdenken er­forder­lich. So muss die Un­ternehmensstrate­gie konsequent an den Prinzipien des En­g­pass­man­age­ments aus­gerichtet werden. Der erste Punkt dabei ist ein Kul­tur­wan­del, der gewohnte Ein­stel­lun­gen wie das Streben nach höchstmöglicher Produktivität, das Vermeiden von Stillständen oder die Angst vor Überkapazitäten abbaut. Auch ist es er­forder­lich, alle Mitarbeiter auf das einzige überge­ord­nete Ziel der Gewin­nerzielung einzuschwören. Alle Ar­beit­sprozesse müssen an einem neuen, vom Produktivitätsdenken unabhängigen Kenn­zahlen­sys­tem aus­gerichtet werden. Das En­g­pass­man­age­ment un­ter­schei­det dabei zwei Kategorien: Ser­vice­grad- und wertmäßige Kennzahlen. Zu Ersteren zählen etwa der Liefer­an­ten- und Kun­denser­vice­grad, der Planerfüllungsgrad Ma­te­ri­alver­sorgung oder Lieferrückstände. Wertmäßige Kennzahlen sind dagegen der Ma­te­ri­al­durch­satz, der Ma­te­ri­albe­stand oder die Lagerum­schlagshäufigkeit.

„Ein syn­chro­nisiertes Ziel­man­age­ment funk­tion­iert nur, wenn alle Führungskräfte und Mitarbeiter vom überge­ord­neten Gewinnziel überzeugt sind und dieses Ziel gemeinsam unterstützen.“

Weitere wichtige Veränderungen betreffen die Un­ternehmen­sor­gan­i­sa­tion. Da es nur noch einen Fer­ti­gungs­plan gibt, wird auch nur ein Planer benötigt. Zudem etabliert die Theory of Constraints mit dem Buffer­man­ager eine neue Schlüssel­po­si­tion. Beide Stellen müssen sorgfältig besetzt werden. Da es in den meisten Firmen üblicher­weise eine Reihe von Fer­ti­gungs­plan­ern für un­ter­schiedliche Abläufe gibt, müssen für diese freige­set­zten Mitarbeiter neue Aufgaben gefunden werden – dies ist wichtig, denn wenn Sie die Leute einfach entlassen, ist das En­g­pass­man­age­ment für die Mitarbeiter sofort negativ besetzt; außerdem verlieren Sie möglicher­weise sehr erfahrene Fachleute. Schließlich muss die Un­ternehmensstrate­gie auch offen für psy­chol­o­gis­che Themen sein: Eine so ein­schnei­dende Änderung wie das En­g­pass­man­age­ment ruft immer zahlreiche Emotionen wie Euphorie oder Ängste oder auch Nei­d­de­bat­ten hervor. Werden diese Aspekte nicht ernst genommen, hat auch das beste Pro­duk­tion­skonzept keine Chance.

Über den Autor

Jürgen Abel arbeitet seit über 25 Jahren im in­dus­triellen Supply Chain Management. Durch zahlreiche Man­age­mentsta­tio­nen in namhaften Firmen wie Melitta oder Arv­in­Mer­i­tor entwickelte er umfassendes Ex­perten­wis­sen in der Theory of Constraints. Seit 2000 arbeitet Abel als selbstständiger Pro­duk­tions­ber­ater in diesem Bereich.