Führungsetagen sind keine Kuschelnester
Trifft diese Situation auf Sie zu? Ihre Karriere verlief wie am Schnürchen, Sie sind ein Macher, der vor keiner noch so schwierigen Herausforderung zurückschreckt? Ihr Chef findet Sie super, Ihre Expertise wird im gesamten Unternehmen anerkannt, Ihr Team und der Aufsichtsrat lieben Ihre Entscheidungen? Dann stehen Sie offenbar ganz oben – auf der Abschussliste. Denn längst ist da etwas im Busch. Die Säge für Ihren Stuhl ist schon bereitgelegt, Ihr Grab schon geschaufelt. Von wem? Von denjenigen Managern, denen Sie beim letzten Schachern um den Führungsjob eine Nasenlänge voraus waren. Und natürlich von den jungen Wilden, die schon lange darauf warten, dass Sie endlich abtreten. Erfolg bedeutet Neid. Und Neid bedeutet Tretminen, wo Sie stehen und gehen.
Sanieren und Restrukturieren
Wo sparen Unternehmen in der Krise? An Werbeausgaben, Forschung und Entwicklung, Aus- und Weiterbildung und natürlich am Personal. Je fetter Ihr Gehalt, je höher Ihre Boni, je dicker Ihr Dienstwagen, desto höher ist auch das Einsparpotenzial, das Ihr Chef mit Ihnen hat. Früher oder später wird er darauf kommen, dass er mit weniger Mitarbeitern Ihres Kalibers eine ganze Abteilung sanieren kann. Oder dem Topmanagement fällt beim Suchen im Organigramm auf, dass da irgendwo eine Abteilung existiert, von der niemand so richtig weiß, was sie macht. Die Folgen sind immer die gleichen: Restrukturierung und Outsourcing. Entweder werden Jobs, die bisher im Unternehmen erledigt wurden, in ein Tochterunternehmen verlagert. Oder die Stellen werden komplett gestrichen und die Arbeit wird dann von einem externen Dienstleister erledigt, der in Indien, Polen oder China sitzt.
Mit Lichtgeschwindigkeit vor die Tür gesetzt
Das Rauswerfen folgt bestimmten Ritualen. Besonders gerne werden Kündigungen an einem Montag ausgesprochen – noch lieber an einem Montag nach dem Urlaub oder nach Weihnachten. So läuft der Chef in der Abwesenheit des Kündigungsopfers nicht Gefahr, dass Mitwisser sich verplappern. Außerdem können in dieser Zeit schon mal die Ressourcen des Gefeuerten in spe neu verteilt werden. Wer krank ist, bekommt entweder Besuch oder einen eingeschriebenen Brief. Wobei es inzwischen auch schon passiert ist, dass internationalen Topmanagern per E-Mail gekündigt wurde. Beim persönlichen Kündigungsgespräch sind viele Vorgesetzte erstaunlich ungelenk: Sie reden um den heißen Brei herum, verwenden peinliche Floskeln, kündigen gar an grotesken Orten wie z. B. auf dem Herrenklo vor einer Sitzung oder bei klirrender Kälte auf dem Raucherbalkon. Der Grund ist, dass sie für einen würdevollen Rauswurf nicht ausgebildet sind. Noch frappierender: Ist die Kündigung ausgesprochen, muss der Exmitarbeiter meist fluchtartig das Gebäude verlassen oder wird gar vom Sicherheitsdienst abgeführt. Fast so, als könnte er eine Revolution unter der verbleibenden Belegschaft anzetteln.
Der psychologische Vertrag
Befragt man rausgeworfene Mitarbeiter, was ihnen bei der Kündigung als Erstes durch den Kopf gegangen ist, erhält man stets ähnliche Antworten. Viele reagieren mit blankem Unverständnis: „Wie kann es sein, dass mich mein Chef, der mir gerade einen fetten Bonus versprochen hat, jetzt vor die Tür setzt?“ In solchen Situationen bekommen es vor allem Familienväter mit der nackten Angst zu tun. Aber merkt man ihnen das an? Schreien sie, hauen sie den Laden zusammen oder zerstechen sie die Autoreifen ihres Vorgesetzten? Nein, im Gegenteil: In den allermeisten Fällen klotzen sie noch mal richtig ran und sorgen dafür, dass das sowieso viel zu knapp geplante Projekt doch noch rechtzeitig fertig wird.
„Das Rampenlicht ist kein Wärmeschild, die Belegschaft kein Fanclub.“
Der Grund für diese Selbstkasteiung: Sie wollen an ihrem letzten Arbeitstag zumindest eine winzige Träne im Auge ihres Vorgesetzten erblicken. Sie wollen, dass alle wissen: Der Chef hat den Falschen gefeuert. Dahinter steckt eine Art psychologischer Vertrag, den Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen eingehen, solange sie noch fest dazugehören. Vorgesetzte sollten das wissen und die Kündigung mit der Wertschätzung abwickeln, die dem Mitarbeiter gebührt. Dann kann der gegenseitige Respekt auch nach der Kündigung bestehen bleiben.
Termin beim betrieblichen Scheidungsanwalt
Trennt sich ein Unternehmen von einem langjährigen Mitarbeiter, wird in den meisten Fällen versucht, das Verhältnis möglichst kühl, sachlich und neutral zu beenden. Bei privaten Zerwürfnissen klappt das natürlich nie, weil jeder Schritt der Gegenseite emotional bewertet wird. Es ist schlichtweg nicht möglich, die Gefühle außen vor zu lassen. Anders im Unternehmen: Sie wurden aufgrund eines Dienstvertrags eingestellt, um eine Aufgabe zu erfüllen, ein Projekt voranzutreiben oder dem Unternehmen Profit zu bringen. Wenn diese Punkte aus irgendeinem Grund nicht mehr bewältigt werden können, ist es für Ihren Chef logisch, Sie vor die Tür zu setzen. Das hat nichts mit Gefühlen zu tun, auch nicht mit Undankbarkeit, sondern mit wirtschaftlichen Fakten. Damit hat es auch zu tun, dass Ihr Chef Ihnen den Rauswurf nicht lange ankündigt, sondern eher nach dem Prinzip „Überraschungsangriff“ verfährt. Würde er Ihnen die Kündigung erst einmal in Aussicht stellen, könnte er gar nicht mehr damit rechnen, dass Sie ihm und dem Unternehmen die gleiche Loyalität entgegenbringen wie vorher.
„Nur Rausflieger können sich FÜR etwas entscheiden, ohne etwas anderes dafür aufgeben zu müssen.“
Bleibt noch die Frage nach dem Rechtsstreit um Abfindungen und Prämien. Je höher Ihre Position in der Firmenhierarchie, desto weniger Unterstützung können Sie von den Arbeitnehmervertretern erwarten. Ein Rechtsstreit ist meistens zermürbend, und es ist auch nicht zu unterschätzen, dass Sie in der Branche schnell einen „Outlaw-Status“ bekommen. Engagieren Sie darum lieber einen Mediator, der die eher ungünstige Konstellation „Mensch gegen Unternehmen“ besser managen kann als ein Richter.
Vollkostenrechnung eines Rauswurfs
Zuweilen bekommt man den Eindruck, dass es sich Chefs zu leicht machen, wenn sie Mitarbeiter vor die Tür setzen. Denn die meisten haben noch nie eine Vollkostenrechnung gemacht, die die Folgen einer Kündigung abbildet:
- Kosten der Abfindung: Hier kann es sich um ein Monatsgehalt, aber auch um mehrere Jahresgehälter handeln. Würden diese Kosten nicht außerordentlich verbucht, sondern in den nächsten Jahren auf die Abteilung umgelegt, wäre der Kostenvorteil einer billigeren Arbeitskraft schnell dahin.
- Opportunitätskosten: Stand dem Exmitarbeiter ein Firmenwagen, ein Mobiltelefon oder gar eine Dienstwohnung zu, kostet die Auflösung der entsprechenden Verträge meist einen Batzen Geld. Das sind Ausgaben, die in keiner Abrechnung im Zusammenhang mit der Freisetzung auftauchen.
- Kosten der Beschaffung: Neue Mitarbeiter wachsen nicht auf Bäumen. Sie müssen gesucht und gefunden werden. Das macht entweder die Personalabteilung oder ein externer Personalberater. Meist haben auch noch Anwälte und weitere Rechtsberater ihre Hände mit im Spiel. Die Kosten dafür sind horrend.
- Kosten der Einarbeitung: Gewöhnlich nimmt die Arbeitsmenge nicht ab, nur weil es weniger Mitarbeiter gibt. Wird Arbeit verlagert, entsteht Schulungs- und Einarbeitungsbedarf. Das gilt auch für externe Anbieter, die die Arbeit übernehmen müssen.
- Kosten der liegen gebliebenen Arbeit: Muss die vorhandene Arbeit neu aufgeteilt werden, verursacht das in jedem Fall Kosten. Entweder in Form von Überstunden oder in Form von Umsatzeinbußen, weil Aufträge nicht mehr angenommen werden können.
Zehn Gebote zur Vorbereitung auf den eigenen Rauswurf
Vielleicht werden Sie nie in die Lage kommen, sich mit dem überraschenden Verlust Ihres Jobs zu beschäftigen. Damit Sie doch für den schlimmstmöglichen Unglücksfall vorbereitet sind, orientieren Sie sich an den folgenden zehn Geboten:
- Du sollst deinen Arbeitgeber unter die Lupe nehmen! Informieren Sie sich über Ihren neuen Arbeitgeber. Glauben Sie nicht, was in den Hochglanzbroschüren steht. Fragen Sie Ihren zukünftigen Chef auch ruhig nach seinem Führungsstil.
- Du sollst Verträge schließen! Sichern Sie sich für den Fall ab, dass etwas schiefgeht: eine garantierte Mindestprämie, ein jährlicher Gesundheitsscheck, die Möglichkeit, einen Coach zu konsultieren, ein professionelles Outplacement, falls sich Ihr Arbeitgeber von Ihnen trennt, oder eine arbeitgeberseitige Verlängerung der Kündigungsfrist.
- Du sollst dich nicht abhängig machen! Hand aufs Herz: Ist das Büro nur das Mittel zum Geldverdienen oder schon Teil Ihrer Familie? Seien Sie auf der Hut und begeben Sie sich in keine allzu große psychische Abhängigkeit von Ihrem Arbeitsplatz, sonst betrifft die Kündigung nicht nur das Gehaltskonto, sondern Ihr ganzes Leben.
- Du sollst dich zusammenreißen! Wenn Ihr Chef Sie loswerden will, wird er ganz sicher kein Auge mehr zudrücken, wenn Sie es mit irgendwelchen Richtlinien mal nicht so genau nehmen. Besser, Sie lassen es gar nicht so weit kommen.
- Du sollst planen! Legen Sie sich für den Tag Ihrer Kündigung einen Notfallplan oder noch besser eine Notfallschublade bereit. Diese sollte Folgendes enthalten: die Forderung auf eine Abfindung, ein Taschenrechner, die Telefonnummer eines guten Fachanwalts, eine Packliste für den Umzug vom Büro ins Homeoffice, Abschiedsbriefe an Ihr Team und Ihr Netzwerk sowie Textbausteine für Ihr Arbeitszeugnis.
- Du sollst den Tag X üben! Das Gespräch, das Sie anlässlich Ihrer Kündigung führen, wird unangenehm sein. Üben Sie es vorher, legen Sie sich Argumente zurecht, spielen Sie mit guten Freunden verschiedene Szenarien durch.
- Du sollst die Zeichen richtig deuten! Liegt Ihre Kündigung in der Luft, gibt es dafür meist Signale, z. B. dass Sie nicht mehr über alles informiert werden oder Ihr Chef eine auffällige Verhaltensänderung an den Tag legt. Seien Sie wachsam!
- Du sollst dem Chef zuvorkommen! Wenn Sie alle Zeichen richtig gedeutet haben, können Sie der Kündigung zuvorkommen. Entweder indem Sie sich zeitig nach einem neuen Job umschauen oder indem Sie Ihren Chef davon überzeugen, die Kündigung gar nicht oder zu einem Ihnen genehmen Zeitpunkt auszusprechen.
- Du sollst dich nicht unter Druck setzen lassen! Wer etwas verkaufen will, gibt Gas. Das gilt auch für den unterschriftsreif vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen, sondern nehmen Sie sich mindestens so viel Zeit zur Prüfung, wie Ihr Arbeitgeber zur Vorbereitung hatte.
- Du sollst mit dem Schlimmsten rechnen! Optimismus ist schön und gut. Bei einem ernsten Thema wie einer Kündigung kann er aber auch schädlich sein. Rechnen Sie täglich mit der Katastrophe und nutzen Sie die Chance, sich darauf vorzubereiten.
Erste Hilfe für Rausflieger
Sie wachen auf. Es geht Ihnen nicht gut. Sie haben einen Kater. Aber Sie haben doch gar nichts getrunken. Jetzt wird Ihnen klar: Gestern wurde Ihnen gekündigt! Unzählige Fragen schießen Ihnen durch den Kopf. Hier ist Ihr Erste-Hilfe-Paket für die Zeit danach:
- Suchen Sie sich einen Outplacement-Berater, der Ihnen Tipps für den Neustart gibt.
- Organisieren Sie ein Abschiedsessen mit guten Exkollegen.
- Mustern Sie alles aus, was Sie an Ihren alten Arbeitgeber erinnert.
- Ziehen Sie nüchtern Bilanz und überlegen Sie, was Ihnen am alten Job gefallen hat und was nicht. Die positiven Aspekte sollte auch der neue Job für Sie bereithalten.
- Ein Rauswurf ist kein Beinbruch, sondern Ihre Chance für einen Neuanfang!