Kapital wird zu Humankapital
Das Industriezeitalter ist vorbei, die Welt steht vor entscheidenden Veränderungen. Neue Formen von Arbeit fordern neue Arbeiter, die produktiv auf neue Herausforderungen reagieren. In dieser künftigen Welt, in der die Wirtschaft global agiert, werden auch die Menschen einen weltweit ausgerichteten Horizont entwickeln müssen - das Sozialgefüge, die moralisch-ethischen Strukturen müssen sich daran anpassen, um im 21. Jahrhundert zu bestehen. Der Herzschrittmacher wird das Internet sein - in einer Form, die mit dem aktuellen Gelärme um den Dotcom-Niedergang wenig zu tun haben wird.
„Die Furcht vor dem Markt ist die Furcht vor dem Leben.“
Kapitalismus basiert auf Eigentums- und Besitzrechten. Fabriken, Grund und Boden, Rohstoffe und Maschinen kann man erwerben und dauerhaft benutzen - bei Wissen funktioniert das nicht. Vor diesem Hintergrund kann Kapitalismus im 21. Jahrhundert nicht mehr so funktionieren wie in den 200 Jahren zuvor. Die herkömmliche Vorstellung von Eigentum löst sich auf, Individuen oder Gruppen werden Eigentümer von Wissen und Talenten. Wenn diese Individuen ein solidarisches Verständnis haben von der Welt, in der sie leben, ist die Kernformel der Zukunftsgesellschaft gefunden.
„Wir erleben den Rohstoffwechsel von Kapital zu Humankapital.“
Wir erleben derzeit einen Übergang, nämlich den „Rohstoffwechsel von Kapital zu Humankapital“. Bisher ist Arbeit die Gegenwelt zur Freizeit, in der das „wahre Leben“ stattfindet. Weil aber künftig nur noch wenig Menschen gebraucht werden, um die benötigten Waren zu produzieren, wird Arbeit anders organisiert sein: Künftig wird sie Spass machen, aufgrund des Austausches von Erfahrungen und komplexem Wissen.
„Damit die zarten Sprösslinge des Smart Capitalism wachsen können, muss die Öffnung der Märkte weitergehen, damit der Zwang zur Innovation anhält, der im Kern die Nachfrage nach menschlicher Intelligenz bedingt.“
Weil Fachkräfte für die Hightech-Branche so rar sind, werden diese sich Arbeitsumfelder schaffen können, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Und langsam wird diese Form, Arbeit als nicht getrennt von der Privatsphäre zu erleben, nach unten durchsickern. Denn Arbeit wird es weiterhin genug geben: bei den „domestic services“ von Putzfrau bis Gouvernante, im Gesundheitssektor und im Entertainment.
Weiche Faktoren werden wichtiger
Wer in der Arbeitswelt von morgen zu den Gewinnern zählen will, braucht neben seinen beruflichen Fähigkeiten zusätzliche Talente (also Fähigkeiten, die nicht direkt zum Berufsbild zählen) und Humankompetenzen, so genannte „Smarts“, die emotionale Intelligenz. Analog wandelt sich auch das Bild der Unternehmen. Die Kriterien des Erfolgs verschieben sich. Der freie Informationsfluss erlaubt kaum noch Zeit- und Technologie-Vorsprünge. Der Konkurrenzkampf um Marktanteile erfordert einen bizarren Kraftaufwand, bei dem am Ende die Kosten den Gewinn übersteigen. Echter Gewinner ist letztendlich der, der sich positiv abhebt aus der Masse der Anbieter.
Das Ende der Austauschbarkeit
Wie kommt man an die richtigen Leute, um diesen entscheidenden Unterschied zu erreichen? Supergehalt und ausgiebige Urlaubszeiten reichen nicht aus. Gefragt ist ein Netzwerk, das über den reinen Arbeitsbereich hinausgeht, und der Ruf, das Renommee des Unternehmens. Ist der Job zudem so angelegt, dass sich die Mitarbeiter wohl fühlen und den Stress als produktive Herausforderung erleben, werden sie auch bleiben und nicht dem Werben des nächsten Headhunters erliegen. Das ist umso wichtiger, da in der „Next Economy“ menschliches Talent nicht ausgebeutet werden kann. Das liegt einfach daran, dass die einzelnen Mitarbeiter mit ihrem spezifischen Wissen und ihren speziellen Fachkenntnissen eben nicht austauschbar sind. Das ist kein Versprechen auf ein Schlaraffenland, denn das Wissen muss man sich ja erst mühsam aneignen und in harten Arbeitstagen umsetzen. Die Kultur des Wissens ist darauf angelegt, den Menschen nicht festzuhalten, sondern zu entfalten. Deshalb ist der „Smart Capitalism“ aber keine Kuschelwelt: „Es geht um harte Arbeit: Arbeit an der Selbststeuerung des Menschen.“
Neue Anforderungen an die Moral
Hier gibt es eine Aufgabe, die sich lohnt. Eine Aufgabe, die mit der beliebten Sichtweise bricht, anstehende Veränderungen am liebsten aus der Rolle der „Opfer“ zu sehen. In der industriellen Welt wurden die Menschen verschlissen. Darum bestand die moralische Aufgabe im Industrialismus darin, die Opfer zu schützen „vor den Zumutungen der Grossen Maschine“ . Darauf basierten die umwälzenden politisch-sozialen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, vom Kommunismus bis zur Sozialdemokratie. Doch Moral und Ethik im 21. Jahrhundert haben sich an anderen Vorgaben zu orientieren. Das Feindbild des Kapitalisten und der entfremdeten Arbeit verblasst und verschwimmt, wenn Mitarbeiter zu Mitunternehmern werden, die durch Motivation und Identifikation mit ihrer Arbeit verbunden sind. Während das Industriezeitalter die Menschen in Abhängigkeiten, aber damit auch in Gewissheiten (Position, Klasse) steckte, setzt die neue Wissensökonomie die Menschen frei - und zwingt sie damit zur Emanzipation. Die moralische Frage dreht sich: vom „Schützen“ zum „Ermöglichen“.
Globale Wirtschaft erfordert offene Grenzen
Dabei ist es ein Segen, dass es eine globale Wirtschaft gibt. Denn die Ungleichheit zwischen den Ländern Europas und Nordamerikas und dem Rest der Welt ist ein Ansporn für all die, die sich nach oben arbeiten wollen. Zudem sind sie nicht auf ihr Land beschränkt, die Welt steht ihnen - trotz aller restriktiven Gesetze - grundsätzlich offen. Die Geschichten von jenen, die auszogen, ihr Glück zu finden, endeten meist erfolgreich: die Polen im Ruhrgebiet, die Iren in den USA, die Chinesen an der amerikanischen Westküste.
„Der Kapitalismus des industriellen Systems fusste auf strenger Separation: Arbeit gegen Kapital, Privatleben versus Berufsleben. In der Wissensökonomie werden nun die Grenzen der Sphären durchlässig, Lebens- und Arbeitswelten vermischen sich.“
Heute sind es die Inder, die sich mit den besten Uni-Absolventen Europas und Amerikas messen können - und ihnen in Sachen Ehrgeiz häufig sogar noch voraus sind. Es zieht sie dorthin, wo sie Chancen sehen, und es zieht sie von dort fort, wo sie keine Chancen sehen. Schon an diesem „Brain-Drain“ wird z. B. der iranische Gottesstaat scheitern: Die guten Leute gehen einfach auf Nimmerwiedersehen ins Ausland. Aber auch Deutschland ist auf diese Herausforderungen nicht eingestellt. Wer aus südlichen Ländern nach Deutschland kommt, möchte arbeiten - wird aber stattdessen zur Untätigkeit in Asylantenheimen gezwungen. Ist es etwa moralisch, gewerkschaftliche Arbeitsplätze zu schützen und Neulingen keine Chance zu geben?
„Die Idee der Smart Company ist ein Virus, dessen Ausbreitung nicht mehr zu stoppen ist.“
Alle modernen Gesellschaften werden in ihren inneren Strukturen immer differenzierter, vielfältiger und individueller werden, diese Entwicklung heisst „Multiplizität“. Wer diesen Trend erkennt und nutzt, liegt mit multikulturellen Teams ganz vorn, denn Innovationen kommen viel leichter in einer multiperspektivischen Weltsicht zustande. Frauen werden diese Entwicklung federführend durchsetzen. Sie werden besser gebildet und, da es verstärkt auf „emotional skills“ ankommt, besser gewappnet sein. Nicht vergessen werden sollten auch die Älteren: Es wird eine „Rückkehr der Silberhaare“ geben; die Älteren werden die Arbeit nicht als Ausbeutung, sondern als Selbstverwirklichung erleben. Sie können, das haben Untersuchungen ergeben, besser mit komplexen Situationen umgehen und sind im Umgang mit anderen reifer, offener und toleranter.
Der Staat liefert das Gerüst
Um Multiplizität zu erreichen, bedarf es dreier Grundkonstanten: ein starker Verfassungsstaat, eine Kultur des Lernens und drittens eine Kultur des Chancen-Zwangs: Fremde dürfen nicht dauerhaft abseits stehen. Nicht das „kuschelige Multikulti“ ist von Nutzen, sondern ein rationaler, verfassungsstaatlicher Kosmopolitismus, der anderen Menschen ihr Anderssein lässt und sie nicht mit Klischees und Anpassungswünschen überfordert.
Die Renaissance der Dotcoms
Technisch vorangetrieben wird diese Entwicklung durch das Internet - wenn auch nicht in der jetzigen Form. Die meisten Menschen haben wenig Spass an komplizierter Technik und fühlen sich in digitalen Welten nur bedingt heimisch. Sie wollen verständliche Technik mit klar definierten und nutzbaren Aufgaben. Leider gibt es derzeit v. a. „schlechte“ Technologie, bei der alltägliche Dinge durch technologische Aufrüstung furchtbar kompliziert werden. Beispiel Internet: Dort werden zwar aus Daten unglaublich viele Informationen generiert, aber es ist fast unmöglich, daraus Wissen zu destillieren. Daher ist auch niemand bereit, im Internet für Informationen zu zahlen. Denn die wirklich begehrte Ware ist das Wissen. Und das steckt nicht im Netz, sondern in den Köpfen der Menschen. Wissen ist fast immer Erfahrungswissen. Abläufe werden „empowert“ nicht durch schnelle Informationen, sondern durch langsame Erfahrungen.
„Es geht längst nicht mehr um die alte Frage: Staat oder Wirtschaft? Ein starker Staat und eine dynamische Wirtschaft schliessen sich nicht prinzipiell aus.“
In der Wissensökonomie geht es eher darum, sich die Daten und die Informationen vom Leibe zu halten. In Wissen wird nur investiert, wenn eine erkennbare Verbesserung damit verbunden wird. Das ist im Internet ausgesprochen selten der Fall, darum ist und bleibt es „eine riesige Umsonst-Maschine“. Schlimmer noch: Das Internet zieht sogar Wissen ab. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Mitarbeiter das Internet nutzen, um Moorhühner abzuknallen - anstatt ihr Wissen in die Firma einzubringen.
„Smart Capitalism braucht offene Grenzen und Zuzug von (zunächst billigen) Arbeitskräften, die aber in der nächsten Generation auf der Leiter aufwärts wandern. Es benötigt hohe Mobilitäts- und Flexibilitätsgrade.“
Das Internet wird darum kein wirkliches Massenmedium werden. Obwohl es sicherlich klare Vorteile hat: Mit Hilfe des Internets ist es möglich, die Entwicklung von Produkten zu beschleunigen und Logistik-Kosten zu senken. Noch wichtiger: Der Kontakt zwischen Herstellern und Konsumenten wird vielschichtiger, der Verbraucher wird zum „Prosumenten“, dessen Input in die (Weiter-)Entwicklung von Produkten einfliesst.
„Smart Capitalism funktioniert nur unter der Voraussetzung ständiger Investitionen - privat und öffentlich - in den Bildungsbereich.“
Das Internet erzeugt überdies Preistransparenz: Kunden wissen, wo der billigste Videorecorder und die preiswerteste Urlaubsreise zu finden sind. Indem Kunden und Hersteller direkt in Kontakt treten können, fallen Zwischenhändler - „Weidegründe für Schmarotzer“ - heraus. Dabei werden Kunden nicht genötigt, selbst stundenlang durchs Netz zu surfen, um an die gesuchten Informationen zu gelangen. Diese Aufgabe übernehmen so genannte „bots“, virtuelle Boten, von denen derzeit erste Prototypen erprobt werden.
Das Internet wird endlich zum Netz
Die eigentliche Zukunft des Internets liegt in der Vernetzung: Es wird sich in kleine praktische Anwendungen spalten, Teil-Netze bilden und Sub-Netze wachsen lassen. So wird es allgegenwärtig werden, aber nicht mehr bewusst benutzt oder gar aufgesucht. Denn entscheidend ist, wie die moderne Technologie genutzt wird: um Eigenverantwortung und -initiative zu stärken oder als Gimmick, der menschliche Fähigkeiten verkrüppeln lässt. Technologie fordert von uns oft Aufmerksamkeiten, die wir lieber für substanzielle Dinge des Lebens aufbringen sollten.
Der nächste Kapitalismus wird smart
Aus all diesen Beobachtungen lässt sich einiges ableiten, was wegweisend für den Smart Capitalism der Zukunft erscheint. Dazu zählt v. a. die Erkenntnis, dass auch Old-Economy-Unternehmen auf die Herausforderung durch neue Technologien reagieren müssen. Denn Unternehmen, die die Märkte von morgen wittern und sich in die Zukunft ausrichten, werden gewinnen. Das bedeutet nicht, dass der „First Mover“ automatisch gewinnt - denn oft ist seine Geschäftsidee noch gar nicht ausgereift. Die Zeit muss auch reif für die neue Idee sein. Auf das Timing kommt es an.
„Das Internet wird kein Massenmedium. Man hat das Web missverstanden und damit seinen eigentlichen Charakter als Vernetzungstool ignoriert.“
Alle Unternehmen sind künftig um die zentrale Ressource „menschliches Talent" konstruiert. Wer die besten Mitarbeiter an sich binden kann, gewinnt. Und nicht zuletzt: Es gibt kein Mitleid mehr mit Computern. Wir erwarten von Geräten, dass sie funktionieren. Sonst verzichten wir lieber.