Berthold Beitz

Buch Berthold Beitz

Die Biographie

Berlin Verlag,


Rezension

Großen Me­di­en­rum­mel hat der bescheidene Unternehmer Berthold Beitz immer gemieden. Dabei wird es höchste Zeit, dass auch Nichtin­sider mehr von dieser beein­druck­enden Persönlichkeit erfahren. Die mehr als 500-seitige Biografie durchläuft chro­nol­o­gisch und minutiös alle Stationen eines faszinieren­den Lebens, wobei die Zeit im polnischen Boryslaw während des Zweiten Weltkriegs zweifellos besonders prägend war. Damals entwickelte Beitz offenbar das Herzblut, um später die Os­t­block­poli­tik der Bun­desre­pub­lik gegen viele Widerstände auf den Weg zu bringen. Als zweiter Mann an der Krupp-Spitze und später als Vor­sitzen­der des Stiftungsku­ra­to­ri­ums führte er den Konzern zunächst durch die Zeit des Wirtschaftswun­ders und später durch schwere Krisen. Was er von seinem Elternhaus mitgenommen hatte, nämlich Men­schlichkeit, Respekt, Ve­r­ant­wor­tung und Disziplin, leitete ihn sein Leben lang. Äußerst detailreich, sorgfältig recher­chiert und her­vor­ra­gend geschrieben zeichnet dieses Buch das Bild eines Menschen, wie es ihn gerade in der Welt der Konzerne kaum noch gibt. Nebenbei liefert es dem Leser eine gehörige Portion deutscher Geschichte. BooksInShort legt das her­vor­ra­gende Werk Führungskräften, aber auch Geschichtsin­ter­essierten ans Herz.

Take-aways

  • Seine Eltern gaben Berthold Beitz Werte wie Respekt, Ve­r­ant­wor­tung und Disziplin mit auf den Weg.
  • 1941 übernahm der 27-jährige Beitz für Shell die Leitung der Ölförderanlagen im polnischen Boryslaw.
  • Zwischen 1942 und 1944 rettete er in Boryslaw mehreren Hundert Juden das Leben.
  • Nach dem Krieg leitete er zunächst das Amt zur Aufsicht der Ver­sicherun­gen in der britischen Zone und wechselte dann in den Vorstand der Iduna-Ger­ma­nia-Ver­sicherung.
  • Über einen be­fre­un­de­ten Künstler lernte Beitz Alfried Krupp kennen. Auf dessen Bitte wechselte er in den Krupp-Konz­ern.
  • Beitz musste sich zunächst gegen alte Eliten im Konzern durchsetzen.
  • Mit seinen guten Kontakten in den Osten half er der deutschen Ostpolitik ebenso wie aus­reisewil­li­gen Deutschen, die im Ausland fest­ge­hal­ten wurden.
  • Die Bildung eines Vorstands und eines Auf­sicht­srats waren die Bedingungen für eine Staatsbürgschaft, die Krupp Ende der 60er Jahre aus der Stahlkrise rettete.
  • Während der nächsten Krise Mitte der 70er Jahre holte Beitz aller Kritik zum Trotz den Iran als An­teil­seigner ins Unternehmen.
  • Noch mit 86 Jahren begleitete Beitz als Vor­sitzen­der des Krupp-Stiftungsku­ra­to­ri­ums die Fusion des Un­ternehmens mit Thyssen zur ThyssenK­rupp AG.
 

Zusammenfassung

Mädchen­schwarm mit Lei­den­schaft für Jazz

Am 26. September 1913 als erstes Kind seiner Eltern im pommerschen Zemmin geboren, verlebt Berthold Beitz trotz des Krieges eine recht beschauliche Kindheit. Auch die Schulzeit sagt ihm zu: Nicht wegen des Lernens – dem ist der junge Beitz weniger zugetan –, sondern weil er mit seinem blonden Haar und seinen schönen Gesichtszügen die Bewunderung der Mädchen genießt. Mit seinen liberalen Eltern kommt er gut aus. Selbst dass Beitz in der Gym­nasial­stufe einmal sitzen bleibt, trübt sein gutes Verhältnis zu ihnen nicht. Es gibt weder Dogmen noch Religiosität noch die für andere damals üblichen Prügel. Dafür lernt er die Wichtigkeit von gegen­seit­igem Respekt, Herzenswärme gegenüber jedem, Ve­r­ant­wor­tung und Disziplin. Als junger Mann kann Beitz sein Leben in vollen Zügen genießen. Das Segeln hat es ihm angetan und auch die moderne Musik, vor allem Jazz. Die Banklehre, die er absolvieren muss, passt in diesen Alltag zwar weniger hinein, aber das gewünschte Medi­zin­studium können sich seine Eltern nicht leisten. Obwohl ihm die Arbeit nicht gefällt, kann Beitz seine Vorge­set­zten von seinen Qualitäten überzeugen und wird 1937 stel­lvertre­tender Leiter der Filiale in Demmin.

Nach Polen

Seine Sehnsucht nach der großen weiten Welt führt ihn 1938 zu den Rhenania Ossag Mineralölwerken nach Hamburg, einem Unternehmen der Royal Dutch Shell. Beim Tennis lernt er seine 18-jährige Kollegin Else Hochheim kennen. 1939 heiraten die beiden, im April 1940 bekommen sie Zwillinge, zwei Mädchen, von denen eines bald an einer Lungenentzündung stirbt. Inzwischen hat der Zweite Weltkrieg begonnen, und Shell schickt Beitz als Vertreter ins polnische Galizien, wo die Wehrmacht Ölvorkommen in Besitz genommen hat. Im Unterschied zu den brutalen Besatzern verhält er sich gegenüber den Ein­heimis­chen äußerst freundlich. Bei einer Skatrunde im Juni 1941 fällt der Per­son­alchef der Beskiden-Öl, für die Beitz inzwischen als leitender Angestell­ter arbeitet, eine Entschei­dung, die für Beitz’ Leben von großer Tragweite ist: Der 27-Jährige soll als kaufmännischer Direktor die Förderanlagen von Boryslaw übernehmen, die die Wehrmacht gerade erobert hat.

Unternehmer und Retter

In Boryslaw erlebt Beitz den brutalen und un­barmherzi­gen Terror der SS gegen die Juden. Als einer der wenigen lehnt er sich still gegen diesen Wahnsinn auf und errichtet das Firmenlager Mraschnitza, in dem er seine jüdischen Mitarbeiter samt deren Familien in Sicherheit bringt und verpflegt. Vor der SS verteidigt er diese Aktion mit der Begründung, die Juden seien wichtige Arbeitskräfte, ohne die die Produktion und damit die Treib­stof­fver­sorgung der Wehrmacht zum Erliegen kommen könnten. In einer weiteren beispiel­haften und außeror­dentlich mutigen Aktion rettet Beitz vielen Boryslawer Juden das Leben: Am 6. August 1942 durchkämmen SS-Ein­heiten die Stadt und jagen Juden zum Bahnhof, wo bereits Viehwaggons zum Abtransport ins Ver­nich­tungslager Belzec bere­it­ste­hen. Beitz stellt sich am Bahnhof den SS-Leuten entgegen und fordert Mitarbeiter seines Un­ternehmens lautstark auf, sich zu melden, damit er sie zu Ar­beit­szwecken wieder mitnehmen könne. Unzählige melden sich, auch solche, die er noch nie gesehen hat. Nicht nur an diesem Tag rettet er so viele Menschen, wie er kann. Mehrere Hundert Juden sind es zwischen 1942 und 1944. Später wird Beitz dafür als „Gerechter unter den Völkern“ von der Holo­caust-Gedenkstätte Yad Vashem geehrt werden.

Der Drang nach Freiheit

Nach einer Odyssee mit Einberufung, Gefan­gen­nahme, Flucht aus der Gefan­gen­schaft und erneutem un­frei­willi­gen Krieg­sein­satz landet Beitz in Hamburg, wo seine Schwiegerel­tern leben. Die schwangere Else Beitz kommt bald mit Tochter Barbara nach. Durch eine Zu­falls­begeg­nung mit seiner guten Freundin und ehemaligen Sekretärin Evelyn Döring lernt Beitz einen britischen Offizier kennen, der das Amt zur Aufsicht der Ver­sicherun­gen in der britischen Zone zu vergeben hat.

„Was Berthold Beitz prägt, ist die Tatsache, dass er sein darf, wie er ist, und nicht, wie ihn die Eltern vielleicht formen wollten.“

Beitz’ bisherige Tätigkeiten, aber auch die Tatsache, dass er als politisch unbelastet gilt und dass ihm viele Überlebende von Boryslaw in einer notariellen Erklärung große Men­schlichkeit bescheini­gen, führen zu seiner Anstellung. Schnell gelingt es ihm, aus dem Amt eine gut laufende Behörde zu entwickeln. Er könnte sogar Beamter auf Lebenszeit werden, doch das wider­spricht seinem Drang nach Freiheit. Also ergreift er die Chance, in den Vorstand der Iduna-Ger­ma­nia-Ver­sicherung zu wechseln. Über einen be­fre­un­de­ten Künstler, der von der Iduna den Auftrag für eine Skulptur erhalten hat, lernt Beitz Alfried Krupp kennen. Dieser überzeugt ihn 1952, nach Essen zu kommen, um mit ihm gemeinsam den Krupp-Konz­ern wieder­aufzubauen. Beitz reizt daran besonders die Freiheit, sein eigener Herr sein zu können.

Gegen alte Eliten

Beitz, der aus einfachen Verhältnissen stammt und keinen Stu­di­en­ab­schluss hat, wird von Krupps Gen­eraldirek­toren alles andere als warmherzig empfangen. Mit Unterstützung von Alfried Krupp setzt er sich aber durch, er verkleinert die Di­rek­toren­riege, schafft sich einen jungen, effizienten Mi­tar­beit­er­stab und befreit das Unternehmen weitgehend von seinem schlechten Image eines ehemaligen Waf­fen­liefer­an­ten für die Nazis, der Zwangsar­beiter beschäftigt hat. Beitz’ Befürwortung, die Zwangsar­beiter zu entschädigen, trägt zur Re­ha­bil­i­tierung bei. Lange Zeit leidet der Konzern jedoch unter einer 1953 beschlosse­nen Verkauf­sauflage: Innerhalb von fünf Jahren sollen die Stahl­pro­duk­tion­sstätten verkauft werden. Weil sich jedoch niemand den Kauf leisten kann, wird die Verkauf­sauflage schließlich 1968 fallen gelassen. Die preistreibende Fusion der Hütten- und Bergwerke Rheinhausen AG mit dem Bochumer Verein ist in diesem Zusam­men­hang ein cleverer Schachzug von Beitz und Krupp. Einen enormen Im­agezuwachs erfährt das Unternehmen, als Beitz vor aller Welt erklärt: Wir produzieren keine Waffen mehr.

Kontakte in den Osten

Auf der Suche nach neuen Ab­satzge­bi­eten, aber auch wegen seiner noch immer bestehenden emotionalen Bindung zu Polen, setzt sich Beitz ab Mitte der 50er Jahre stark für fre­und­schaftliche Kontakte mit den Os­t­block­staaten ein, allen voran mit Polen und Russland. Sein Verhalten während des Zweiten Weltkrieges öffnet ihm so manche Tür. Die Regierung unter Konrad Adenauer ist davon wenig begeistert: Sie sieht dadurch ihre eigenen Bemühungen, Han­dels­beziehun­gen mit deutsch­land­poli­tis­chen Zugeständnissen zu erpressen, gestört. Es ist die Zeit des Kalten Krieges. Während das Rus­s­landgeschäft für den Krupp-Konz­ern eher schleppend vorangeht, entwickeln sich die Beziehungen zu den anderen Oststaaten besser. Seine guten Kontakte in den Ostblock nutzt Beitz, soweit es in seinen Möglichkeiten steht, immer wieder, um Menschen, die dort fest­ge­hal­ten werden und ausreisen wollen, nach Deutschland zu holen.

Krupp gerät in die Krise

Weil Alfried Krupps Sohn Arndt weder in der Lage noch gewillt ist, später einmal das Unternehmen zu führen, ändert Krupp sein Testament: Das Unternehmen soll fortan von der Familie Krupp losgelöst sein. Seine Ein­heitlichkeit soll gewahrt bleiben, und es soll nicht in eine Ak­tienge­sellschaft umgewandelt werden. Inhaber des Un­ternehmens wird eine Stiftung, deren Vorsitz Berthold Beitz übernimmt.

„Beitz, der junge Direktor, handelt anders. Er sieht die Un­ter­wor­fe­nen als Menschen.“

Krupp stirbt 1967 und die Stiftung ist Alleinerbin. Zu dieser Zeit befindet sich das Unternehmen schon in einer ungemütlichen Lage: Weltweite Überkapazitäten, gigantische Sub­ven­tion­ierun­gen im Ausland sowie hohe Ar­beit­skosten in Deutschland führen die Friedrich Krupp GmbH in eine schwere Krise. Deutsche Banken verweigern neue Ex­portkred­ite, weil sie fürchten, ihr Geld nicht wiederzuse­hen. Die letzte Rettung kommt in Form einer Bürgschaft vom Bund und zahlreichen Banken. Bedingung ist allerdings die Schaffung eines Auf­sicht­srats und eines Vorstands. Vor­sitzen­der des Auf­sicht­srats wird zunächst der Bankier Hermann Josef Abs, der dann 1970 von Beitz abgelöst wird. Vor­stand­schef wird der ehemalige Mitarbeiter Günter Vogelsang, der allerdings 1972 seinen Hut nimmt, weil er sich in seinen Zuständigkeiten durch den dominanten Beitz zu stark beschnitten fühlt.

Der Iran steigt ein

Mit Beginn der Ära Willy Brandt nimmt Deutsch­lands Ostpolitik endlich Fahrt auf. Beitz reist im Auftrag der Bun­desregierung, aber auch für Krupp nach Polen, in die Sowjetunion, nach China und schließlich sogar in den Iran, wo er mit dem Schah 1974 eine 25%ige Beteiligung Persiens an den Krupp-Hüttenwerken aushandelt – ein wahrer Geldsegen für das un­terkap­i­tal­isierte Unternehmen. Den zahlreichen Vorwürfen, sich mit einem Folter­regime zusam­menge­tan zu haben, trotzt er. Als die Stahlkrise 1976 erneut zuschlägt, wird dem um­strit­te­nen Land eine Beteiligung in Höhe von 25 % am Mut­terkonz­ern gewährt. Ohne die dadurch fließenden Gelder müsste das Unternehmen höchst­wahrschein­lich Insolvenz anmelden.

„Beitz lässt für den Iran gelten, was ihm zuvor für den Ostblock galt: Der Handel ist ein Wegbereiter, und Wandel durch Annäherung ist allemal effizienter als Kon­fronta­tion.“

Doch mit Problemen hat die Firma auch weiterhin zu kämpfen. Der 1986 eingestellte Stahlchef Gerhard Cromme sieht 1987 angesichts eines Verlustes von einer halben Million Mark pro Tag (!) keinen anderen Ausweg, als die Stahlhütte Rheinhausen zu schließen. Die Arbeiter gehen auf die Barrikaden und ziehen viel Medienöffentlichkeit auf sich, doch sie können an der ausweglosen Situation nichts ändern.

Abschied aus dem Auf­sicht­srat

Nicht nur die Hütte macht dem Unternehmen Krupp zu schaffen. Der Bau von Großanlagen schwankt mit der Konjunktur. Die Chancen neuer Tech­nolo­gien werden verpasst. Von ökologischem Know-how kann auch kaum die Rede sein. Die Presse ist so schlecht wie lange nicht. Wieder einmal gibt es Probleme mit dem Vor­standsvor­sitzen­den. Diesmal ist es Wilhelm Scheider: Er sieht sich in zu großer Abhängigkeit von Beitz’ Willen. Immer mehr Stimmen werden lauter, dass Beitz sich endlich aus dem Auf­sicht­srat ve­r­ab­schieden müsse. 1989 beugt er sich dem Druck und verlässt den Posten.

„Der Rücktritt ist ein geschickter Schachzug von Beitz zur Auflösung einer verfahrenen Kon­stel­la­tion.“

Zuvor macht er Cromme, dessen uner­schrock­ene Art er sehr schätzt, zu seinem Nachfolger. Dieser saniert das Unternehmen, das nun wieder Aufwind bekommt und nicht zuletzt vom Aufbau Ost und dem kurzen Stahlboom der 90er Jahre profitiert. Aber Beitz ist nicht wirklich weg. Als Vor­sitzen­der des Stiftungsku­ra­to­ri­ums vertritt er nach wie vor den Alleinbe­sitzer von Krupp. In dieser Position erteilt er Cromme 1991 seine Zustimmung für die feindliche Übernahme des Tra­di­tion­sun­ternehmens Hoesch. Entgegen dem ursprünglichen Wunsch von Alfried Krupp wird das Unternehmen jetzt doch in eine Ak­tienge­sellschaft umgewandelt, in die Krupp Hoesch Stahl AG.

Ruhestand: nicht in Sicht

Der nächste große Schritt für das Unternehmen folgt 1997, als Krupp und Thyssen eine Teilfusion durchführen, nachdem zuvor eine feindliche Übernahme von Thyssen durch Krupp gescheitert ist. 1999 folgt die Vollfusion zu ThyssenK­rupp. Anfangs wehrt sich Beitz noch gegen diese Fusion, weil er eine Abhängigkeit von den Banken fürchtet. Doch schließlich lässt er sich von ihrer wirtschaftlichen Notwendigkeit überzeugen und bringt sie gemeinsam mit dem ehemaligen Vor­standsvor­sitzen­den und derzeitigen Thyssen-Auf­sicht­sratschef Günter Vogelsang auf den Weg. Beide sind überzeugt: Nur ein großer deutscher Stahlkonz­ern kann im globalen Konkur­ren­zkampf überleben. Beitz ist zu dieser Zeit bereits 86 Jahre alt und denkt keineswegs daran, sich aus dem Geschäftsleben zurückzuziehen. Das Geschenk, auch mit fast 90 Jahren noch fit und wach zu sein, begründet er mit seinem langen erfüllten Ar­beit­sleben.

Über den Autor

Joachim Käppner ist studierter Historiker und Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung.