Die Allgegenwart der Macht
Der Begriff „Macht“ ist in unserer Gesellschaft eher negativ besetzt. Wer gibt schon gern zu, dass er Macht über andere ausübt? Doch auch wenn es oft propagiert wird: Machtfreie Bereiche gibt es nicht. Selbst wenn Sie sich nur eine Zimmerpflanze kaufen und sie zu Hause auf die Fensterbank stellen, üben Sie Macht aus. Denn es liegt nun in Ihrer Hand, ob Sie die Pflanze pflegen oder vertrocknen lassen. Es nützt nichts, die Existenz von Macht zu leugnen. Besser ist es, sich Gedanken darüber zu machen, was Macht genau ist und wie man sie optimal gestalten kann. Das erste der 13 Siegel der Macht besteht darin, das Wesen der Macht zu verstehen. Macht wird oft mit Gewalt verwechselt. Aber nur mit Gewalt kann man nicht dauerhaft über andere herrschen – die Opfer werden jede Möglichkeit nutzen, sich zu rächen. Wahre Macht ist nicht erzwungen. Sie haben sie dann, wenn andere sich Ihnen freiwillig unterordnen. Oft ist Macht nicht an eine bestimmte Person, sondern an ein Amt gebunden, man denke nur an den Papst oder den Präsidenten der USA. Wer ein solches Amt übernimmt, erhält automatisch Macht, ohne sie erst legitimieren zu müssen.
Die Strukturen der Macht
Macht erhält, wer bestehende Machtstrukturen für sich nutzt – das besagt das zweite Siegel. Solche Machtstrukturen sind z. B. Gesetze und Verordnungen. Auch als mündige Bürger nehmen wir sie meist als selbstverständlich hin und beugen uns ihnen. Es ist selbstverständlich, dass wir den Anweisungen der Polizei folgen – allein die Zugehörigkeit zu dieser Institution reicht aus, damit man Macht über andere hat. Auch Titel sind ein wichtiges Machtinstrument. Dass ein König oder der Herr Doktor etwas Besonderes ist, lernen wir schon als kleine Kinder, also in einer Lebensphase, in der wir solche Zuschreibungen nicht hinterfragen. Später folgen wir weiter diesem Muster, ohne nachzudenken. Einem studierten Mediziner schreiben wir mehr Fachkompetenz zu als einem Laien, der sich aus reinem Interesse ein enormes medizinisches Wissen angeeignet hat. Wenn Sie Macht ausüben möchten, versuchen Sie nicht, sich eigene Machtstrukturen aufzubauen. Das kostet zu viel Kraft und ist wenig effizient. Nutzen Sie stattdessen vorhandene Strukturen für sich aus – Titel, Verordnungen, Gesetze. Wer die entsprechende Legitimation besitzt, muss über Macht nicht lange diskutieren. Denn Menschen ordnen sich in der Regel gern und freiwillig jemandem unter, den sie in einer Machtposition sehen.
Macht durch Illusion
Menschen mögen keine Veränderungen. Statt sich auf etwas Neues einzulassen, reden sie sich lieber die bestehenden Verhältnisse schön. Macht nutzt diesen Mechanismus. Politiker wissen sehr genau, dass es nur darauf ankommt, unbeliebte Maßnahmen entsprechend zu verkaufen. Nehmen wir einmal das berühmte „Sparpaket“, das Regierungen so gern schnüren. Ein Kürzungspaket würde niemand akzeptieren. Der Begriff Sparen dagegen klingt positiv und hilft, die Maßnahme als vernünftig zu akzeptieren. Kein Grund also, sich aufzulehnen. Macht beruht zu einem großen Teil auf Illusionen, mit denen der Machthaber seinen Untergebenen suggeriert, dass Veränderungen nicht notwendig oder nicht möglich sind. Deshalb beruht das dritte Siegel der Macht auf der Kraft der Illusion. Stellen Sie sich vor, Sie haben einem Bekannten Geld geliehen, und nun zahlt er es nicht zurück. Irgendwann verlieren Sie die Geduld und drohen ihm mit dem Anwalt. Wenn Ihr Bekannter Ihnen nun versichert, dass er im Moment einfach nicht zahlen kann und gerichtliche Schritte deshalb sinnlos wären, dass er aber sofort zahlen wird, sobald er wieder Geld hat, werden Sie ihm das vermutlich glauben und weiter auf Ihr Geld warten. Dabei hat er möglicherweise nur eine Illusion bei Ihnen erzeugt. Ob er tatsächlich zahlungsunfähig ist, wissen Sie nicht. Solange Sie ihm aber vertrauen und glauben, dass Sie nichts unternehmen müssen, um Ihr Geld zurückzubekommen, kann er diese Illusion aufrechterhalten. Auf solche Tricks sollten Sie zwar lieber verzichten – aber kennen sollten Sie sie trotzdem.
Die Säulen der Macht
Das vierte Siegel besteht darin, in einer schwierigen Lage als Retter aufzutreten. Wer dies tut, dessen Macht wird nicht infrage gestellt. Nehmen wir als Beispiel das organisierte Verbrechen, etwa die kolumbianische Drogenmafia: Normalerweise würden unbescholtene Bürger nie freiwillig mit Kriminellen zusammenarbeiten. Doch wo staatliche Strukturen nicht greifen, blüht die Kriminalität. In Kolumbien war der Staat nicht mehr in der Lage, den Menschen zu helfen. Die Drogenmafia dagegen gab ihnen Arbeit und baute Schulen. Seither kann sie auf die Unterstützung der Bevölkerung hoffen – und der Kampf der Regierung gegen die Drogenbosse ist aussichtslos. Einem ähnlichen Muster folgen die Religionen: Was nach dem Tod kommt, weiß niemand. Wenn aber Menschen suggeriert wird, dass sie nur das tun müssen, was man ihnen sagt, um im Jenseits einer fürchterlichen Bestrafung zu entgehen, gewinnt man Macht über sie. Die Terrorangst der Bevölkerung hat dazu geführt, dass die Mehrheit kritiklos Überwachungskameras und Datenspeicherung auf Vorrat akzeptiert. Ob diese Maßnahmen tatsächlich einen Anschlag verhindern könnten, sei dahingestellt. Doch solange sich der Staat als Retter darstellt, akzeptieren wir alle vorgeblichen Rettungsmaßnahmen, selbst um den Preis der persönlichen Freiheit.
„Macht ist weder gut noch schlecht. Erst der Umgang mit ihr macht sie zum Werkzeug oder zur tödlichen Waffe.“
Machen Sie sich bewusst, dass Sie mit zunehmender Macht immer mehr allein sein werden. Macht bedeutet Verantwortung, und die können Sie als Mächtiger nicht teilen. Sie müssen Ihre Entscheidungen allein treffen und vor sich selbst verantworten können. Wirkliche Macht beruht weder auf Unterdrückung noch auf Argumenten, sondern auf Begeisterung. Wenn die Menschen von Ihnen begeistert sind, werden sie Ihnen folgen. Das heißt aber auch: Sie müssen bereit sein, sich von anderen lieben und bewundern zu lassen. Das ist für viele Menschen gar nicht so einfach. Schenken Sie Ihren Mitarbeitern Anerkennung, und Sie werden sie auf Ihrer Seite haben. Dafür ist es besonders wichtig – so das fünfte Siegel –, dass Sie die Potenziale der Menschen in Ihrer Umgebung kennen. Seien Sie sich bewusst, dass Sie nur dann Macht haben, wenn andere Menschen auf Ihrer Seite stehen. Die Medien sind dafür ein gutes Beispiel: Mächtig ist jemand nur so lange, wie er in der Öffentlichkeit entsprechend dargestellt wird. Wer von den Medien totgeschwiegen wird, hat bald keinen Einfluss mehr.
Macht ist Bewegung
Beim sechsten Siegel geht es darum, für Bewegung zu sorgen. Alle Lebewesen, nicht nur Menschen, schauen naturgemäß dorthin, wo sich etwas bewegt. Das ist ein wichtiger Reflex, denn was sich bewegt, kann gefährlich werden. Wenn Sie mächtig sein wollen, sorgen Sie dafür, dass die Bewegung in einer Gruppe von Ihnen ausgeht. Nicht umsonst setzen Diktaturen auf Militärparaden und Aufmärsche. Seien Sie der Taktgeber für andere. Auf die Wirtschaft übertragen heißt das: Sie müssen derjenige sein, der etwas Neues schafft. Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit der Suche nach Marktlücken. Denn wirkliche Marktlücken gibt es gar nicht: Wie die Vergangenheit gezeigt hat, kann der Mensch sehr gut ohne seine Erfindungen und Entwicklungen leben. Schaffen Sie stattdessen künstliche Marktlücken, indem Sie Bedarf suggerieren. So wird Ihr Produkt auch Erfolg haben. Der technologische Fortschritt macht die Menschen zunehmend passiv. Bei einem Telefon mit Wählscheibe mussten Sie die Nummern noch auswendig wissen oder bereithalten. Die Entwicklung führt die Menschen dahin, dass sie lieber etwas aus einem Angebot auswählen, als sich erst mal Gedanken zu machen, ob sie es tatsächlich brauchen. Machen Sie sich dieses Prinzip zunutze. Seien Sie mit Ihren Angeboten präsent, und die Menschen werden sie nutzen.
Die Macht der Kommunikation
Das siebte Siegel besteht in einer klaren Kommunikation: Wenn Sie eine gute Führungskraft sein wollen, müssen Sie deutliche Anweisungen geben. Nur wenn klar ist, was Sie wollen, haben Ihre Mitarbeiter überhaupt die Möglichkeit, die Arbeit in Ihrem Sinn zu erledigen. Wenn die Mitarbeiter Sie nicht verstehen, dann liegt das an Ihnen, nicht an den anderen. Nur Sie selbst sind dafür verantwortlich, dass Sie verstanden werden. Die Sprache ist ein wichtiges Werkzeug der Macht. Achten Sie deshalb genau darauf, welche Botschaften Sie vermitteln. Jeder Mensch möchte z. B. für seine Arbeit ein Lob hören. Wenn Sie Angestellte loben, werden diese weiterhin gern für Sie arbeiten. Wenn Sie jedoch glauben, Sie müssten Ihre Mitarbeiter bei jeder Gelegenheit kritisieren, werden Sie langfristig keinen Erfolg haben. Erst sinkt die Leistungsmotivation, und irgendwann werden Ihre Mitarbeiter offen rebellieren.
Freunde und Feinde
Jeder Mensch ist süchtig nach Anerkennung, und wenn Sie Anerkennung schenken, schaffen Sie sich Freunde und entwaffnen Ihre Feinde – genau darum geht es beim achten Siegel. Die Anerkennung muss aber ehrlich gemeint sein. Wenn Sie Ihren Mitmenschen nur schmeicheln, werden diese es mit Sicherheit merken. Hüten Sie sich davor, Ihre Wut an Mitarbeitern auszulassen. Denken Sie daran, dass Sie als Führungskraft stets unter Beobachtung stehen. Wenn Sie im Umgang mit Ihren Mitarbeitern einen Fehler machen, bleibt das nicht unbemerkt. Setzen Sie sich nicht zum Ziel, keine Feinde zu haben – das geht gar nicht. Jeder Mensch hat Feinde; selbst wenn jemand allseits beliebt ist, gibt es bestimmt irgendwo einen, der ihm gerade diese Beliebtheit nicht gönnt. Schenken Sie auch Ihren Feinden ehrliche Anerkennung – so werden Sie sie für sich gewinnen oder wenigstens im Zaum halten.
„Wer vorne steht, nur um vorne zu stehen, ist schon aus diesem Grund dort falsch.“
Das neunte Siegel ermahnt Sie, immer alles zu Ende zu denken. Wenn Sie an der Macht sind, werden andere Ihre Anweisungen ausführen und dafür sorgen, dass Ihre Pläne so umgesetzt werden, wie Sie es möchten. Machen Sie sich das so früh wie möglich bewusst. Je weiter oben Sie sich befinden, desto gründlicher müssen Sie planen und die Konsequenzen Ihres Handelns bedenken. Denn es kann sein, dass niemand Sie aufhält, wenn Sie einen Fehler machen. Nehmen Sie deshalb auch Ihre Kritiker ernst und geben Sie Ihren Mitarbeitern Raum für selbstständiges Denken und Handeln. Das kann im Notfall eine Katastrophe verhindern. Wenn Sie sich dagegen nur mit willenlosen Befehlsempfängern umgeben, werden diese auch Ihre Fehlentscheidungen selbstverständlich mittragen und umsetzen – bis zum bitteren Ende. Hüten Sie sich davor, solche Führungsstrukturen aufzubauen, auch wenn sie auf den ersten Blick verlockend erscheinen mögen. Vertrauen Sie Ihren Mitarbeitern; damit vertrauen Sie auch Ihrer eigenen Führungsstärke. Viele Mächtige klammern sich so sehr an ihren Posten, dass sie es nicht schaffen, einen Stellvertreter oder Nachfolger zu bestimmen. Auch das ist gefährlich: Sobald Sie als Chef einmal ausfallen, kann alles ins Wanken geraten. Das zehnte Siegel besagt, dass Sie maßhalten sollten: Zeigen Sie Ihre Macht nicht zu deutlich, aber hüten Sie sich ebenso davor, als Chef allzu kumpelhaft oder gar anbiedernd zu sein.
Das Ziel im Auge behalten
Gerade als Führungskraft müssen Sie mit Ihrer Zeit und Ihrer Energie sorgfältig haushalten. Sie haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen und tragen Verantwortung anderen Menschen gegenüber, da dürfen Sie sich nicht verzetteln. Beim elften Siegel geht es darum, dass Sie sich auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren. Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit Nebensächlichem. Erledigen Sie Ihre eigenen Aufgaben, nicht die der anderen. Fangen Sie nur Dinge an, bei denen Sie sich sicher sind, dass Sie sie auch zu Ende führen wollen. Lernen Sie, Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie unangenehm sind. Das Aufschieben von Entscheidungen vergeudet eine Menge Zeit. Seien Sie sich bewusst – so das zwölfte Siegel –, was Macht bedeutet: Als Mächtiger stehen Sie im Rampenlicht und andere sehen zu Ihnen auf. Von mächtigen Menschen erwartet man, dass sie auch einen bestimmten Lebensstil pflegen, das ist Teil ihrer Rolle. Wenn Sie hier übertrieben bescheiden auftreten, zerstören Sie dieses Bild. Schließlich gilt es beim dreizehnten Siegel, unangreifbar zu sein. Lassen Sie sich nicht provozieren und treffen Sie Entscheidungen nicht aus dem Affekt heraus. Vermeiden Sie Kämpfe mit Ihren Gegnern. Wenn Sie Druck ausüben, erzeugen Sie nur Gegendruck, und das kann auch für Sie böse enden. Es ist immer besser, auf einen Ausgleich hinzuarbeiten.