Die Wurzeln der PS-Dynastie
Am 21. April 1937 erblickte Ferdinand Piëch in Wien das Licht der Welt. Er wuchs in einem wohlhabenden Umfeld auf. Die Familien Piëch und Porsche waren sehr einflussreich. Als Junge belauschte Ferdinand Piëch Gespräche seines Großvaters Ferdinand Porsche und erfuhr so von den geheimen V2-Raketen des Naziregimes. Sein Opa war der Schöpfer des Volkswagens und konstruierte außerdem etliche Rennautos sowie Motoren für militärische Flugzeuge. Adolf Hitler zählte Porsche zu seinen beliebtesten Konstrukteuren. Die Wurzeln der PS-Dynastie reichen bis ins Jahr 1875 zurück, als Ferdinand Porsche in Böhmen geboren wurde. Er sollte den väterlichen Spenglerbetrieb übernehmen, nachdem sein älterer Bruder bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen war, und musste darum eine Spenglerlehre absolvieren; sein Interesse galt aber der Elektrizität.
Tüftler Porsche macht Karriere
Nach der Lehre durfte Ferdinand Porsche schließlich in Wien bei der Vereinigten Elektrizität AG anfangen. Mit 22 Jahren schaffte er es, Assistent des Betriebsleiters zu werden. Als Meisterstück konstruierte er einen Radnaben-Elektromotor; 1897 meldete er sein erstes Patent an. Bei seinem Arbeitgeber arbeitete Aloisia Kaes, in die sich Porsche verliebte; die beiden heirateten 1903. Ein Jahr später kam Tochter Louise zur Welt – Ferdinand Piëchs Mutter. 1909 wurde Ferdinand, genannt „Ferry“, geboren, der spätere Gründer der Porsche AG. Vater Ferdinand Porsche war schon vor seiner Heirat zur k. u. k. Hofwagenfabrik Ludwig Lohner & Co. gewechselt. Dort entwickelte er den Lohner-Porsche, ein Elektroauto, das 45 Stundenkilometer fuhr, also schneller als eine Pferdekutsche. Im Jahr 1900 sorgte dieses Fahrzeug bei der Weltausstellung in Paris für Furore. Der Tüftler Porsche schuf auch die Vorstufe der Hybridtechnik: ein Auto, das sowohl mit Strom als auch mit Benzin angetrieben wurde. Zu seinen weiteren Errungenschaften zählten Rennwagen wie der Austro-Daimler, der mit einer Geschwindigkeit von 140 Stundenkilometern fuhr. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 1929 verlor Porsche seinen Job und gründete 1930, kurz vor seinem 55. Geburtstag, ein Konstruktionsbüro. Dieses war die Keimzelle der Sportwagenschmiede Porsche mit Sitz in Stuttgart.
„Vor dem Hintergrund seines gewaltigen Privatvermögens braucht Piëch sich vor nichts und niemandem zu fürchten.“
Adolf Hitler wollte die Bevölkerung mobilisieren. Als Musterbeispiel diente ihm die Firma Ford, die seinerzeit mit der Fließbandfertigung Schlagzeilen machte. Porsche traf Hitler das erste Mal 1933, die beiden verstanden sich auf Anhieb gut, vielleicht auch wegen des gemeinsamen österreichischen Akzents. Hitler beauftragte das Porsche-Büro, den Volkswagen zu entwickeln. Zwei Jahre später präsentierte Porsche den Prototyp. Hitler war begeistert und gab grünes Licht, woraufhin Porsche in die USA reiste, um mehr über die Serienfertigung bei Ford zu lernen. Die Herstellung des Volkswagens begann in Wolfsburg, doch bei Kriegsausbruch 1939 waren erst 600 Fahrzeuge ausgeliefert worden, und nun wurde die Produktion rasch auf militärische Fahrzeuge umgestellt. Nach dem Krieg war sich Ferdinand Porsche trotz seiner Nähe zum Regime keiner Schuld bewusst.
Der junge Ferdinand Piëch
Anderthalb Jahre nach dem Tod des Dynastiebegründers im Jahr 1951 starb dessen Schwiegersohn Anton Piëch überraschend an einem Herzinfarkt. Ferdinand Piëch wurde im Alter von 15 Jahren also Halbwaise. Er litt sehr unter dem Tod des Vaters und wandte sich von der Kirche ab. Mit seiner Mutter verstand er sich trotz deren strenger Erziehung blendend. Louise Piëch spornte ihre Kinder schon in jungen Jahren zum Leistungskampf an. Ferdinand wechselte 1951 von der Provinzhauptschule in Zell am See an das Gymnasium in Salzburg. Der Schulwechsel bereitete ihm trotz seiner Hochbegabung Probleme. Aus dem einstigen Klassenzweiten wurde im Handumdrehen einer der schlechtesten Schüler.
Die Mutter übernimmt das Steuer
Nach dem Tod von Auto-Pionier Ferdinand Porsche hielt Louise Piëch das Familienunternehmen zusammen. Sie und ihr Bruder Ferry Porsche erbten die Firma zu gleichen Teilen. Louise war engagiert und war stets über die Vorgänge in der Firma informiert. Dank ihrer Zielorientierung konnte sie eine Kernbelastung bewältigen: Ihren Bruder liebte und hasste sie zugleich, oft flogen die Fetzen zwischen den beiden. Hilfreich war, dass sich Sohn Ferdinand für Autos begeisterte. Mit 16 Jahren begann er in Österreich in Begleitung eines Erwachsenen mit dem Autofahren. Mit 18 machte er den Führerschein, auch für Lkws. Zum Abitur schenkte ihm die Mutter einen Porsche 356 Super 90 Coupé. Der Sohn flitzte über Gebirgspässe und versuchte, Streckenrekorde aufzustellen. Nach einem Unfall kaufte er sich mit der Ausgleichszahlung der Vollkaskoversicherung einen Carrera. 1959 begann Ferdinand ein Technikstudium in Zürich. Vorausgegangen war ein Praktikum im Salzburger Porsche-Betrieb. Wie alle Lehrlinge musste er feilen, schmieden, drehen, schleifen. Er interessierte sich aber nicht nur für Autos, sondern auch für Flugzeuge und die Leichtbauweise. Nach einem Durchmarsch erhielt er nach acht Semestern das Diplom. In seiner Abschlussarbeit beschäftigte sich der Techniknarr mit der Entwicklung eines Formel-1-Motors. Anschließend heuerte der frischgebackene Ingenieur bei Porsche in Stuttgart an.
Piëch bei Porsche
Nach seinem Arbeitsbeginn 1963 im Stuttgarter Porsche-Werk machte der ehrgeizige junge Mann schnell von sich reden. Mit seinem Perfektionismus eckte er an, Fehler verzieh er niemandem. Was seine Umgebung über ihn dachte, interessierte ihn nicht. Rücksicht nahm er im Geschäftsleben nie – so machte er sich viele Feinde. Die Geschwister Louise Piëch und Ferry Porsche überschrieben Ende der 1960er Jahre ihren jeweils vier Kindern je 10 % der Firmenanteile, die Eltern behielten ebenfalls je ein Zehntel. Die Nachkommen strebten allesamt Führungspositionen an. Ernst Piëch leitete mit seiner Mutter das Salzburger Handelshaus, Bruder Ferdinand steuerte die Entwicklungsabteilung in Stuttgart, seine Cousins Ferdinand Alexander und Hans-Peter Porsche übernahmen dort das Design sowie die Produktion. Es kam jedoch ständig zum Streit und die Versuche, Frieden zu schließen, scheiterten mehrmals. Aus diesem Grund entschloss sich der Clan, sich aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen. Die zehn Gesellschafter wandelten 1972 die Kommanditgesellschaft in eine AG um. Die beiden Familienstämme ernannten jeweils einen aus ihrer Mitte zum Sprecher im Aufsichtsrat. Externe Manager übernahmen die Führung.
„Eine Weltumseglung, die er für die Zeit nach seinem aktiven Berufsleben geplant hatte, musste er wiederholt absagen. Schließlich steht er noch mitten im Geschehen.“
1984 verspekulierte sich Ernst Piëch bei einem Immobilienprojekt, und aus der Not heraus wollte er seine Anteile an der Sportwagenfabrik heimlich an einen arabischen Investor verkaufen. Die Familie war wütend, als sie Wind von den Plänen bekam. Der Piëch-Clan machte von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch und übernahm die Aktien für einen dreistelligen Millionenbetrag. Um die Transaktion finanzieren zu können, führten die Piëchs Vorzugsaktien an der Börse ein. Die Stammaktien, die mit Stimmrechten versehen sind, blieben indes zu 100 % im Familienbesitz.
Der Weg zu Audi
Im Juli 1972 absolvierte Ferdinand Piëch ein Praktikum bei dem italienischen Designer Giorgetto Giugiaro. Schon damals war der Turiner eine Legende, zahlreiche Autokonzerne ließen ihre Modelle von ihm entwerfen. Im August 1972 fing Piëch bei Audi an. Die Marke hatte damals ein verstaubtes Beamtenimage und rangierte in der Wahrnehmung der Konsumenten weit hinter Opel und Ford. Piëch war zunächst Hauptabteilungsleiter in der Entwicklungssparte. 1975 wurde er technischer Vorstand bei Audi. Besonders dem Rost sagte er den Kampf an, denn das war seinerzeit ein großes Problem. Piëch entschied sich für die Verzinkung. 1982 wollte er den Audi 100 als erstes voll verzinktes Serienfahrzeug vom Band laufen lassen. Allerdings wurde das Dach nicht verzinkt, weil Piëch auf die Werbepolitik des Volkswagen-Konzerns Rücksicht nehmen musste: Der damalige VW-Chef wollte nicht, dass Audio-Produkte als höherwertig galten. Trotzdem warb Audi mit dem Slogan „Vorsprung durch Technik“. Für den Audi 100 gab der Konzern eine Zehnjahresgarantie gegen Durchrostung. Mit Thyssen als Hauptlieferant für Karosseriebleche handelte Piëch einen exklusiven Vertrag aus, um die Konkurrenz auszugrenzen. Seine Erfolge beförderten seine Karriere: 1988 wurde er Vorstandschef bei Audi.
Retter in der VW-Krise
Anfang der 1990er Jahre geriet Volkswagen gegenüber der Konkurrenz ins Hintertreffen. Wegen ausbleibender Innovationen und nachlassender Flexibilität aufseiten der Deutschen übernahm Toyota die Führungsrolle. Schnell war klar: Die bloße Steigerung der Stückzahlen war keine Lösung. Um sich breiter aufzustellen, erwarb Vorstandschef Carl Hahn daher 1986 und 1991 Anteile an Seat und Škoda. Volkswagen wurde derweil von der Politik und den Gewerkschaften in seiner Entwicklung gebremst, ständig musste die Firma den Arbeitnehmern neue Zugeständnisse machen. Anfang 1992 tauchte der Begriff „Sanierungsfall VW“ in den Medien auf. Nur ein Wechsel an der Spitze konnte die Wende nun einläuten. Mit dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder verstand sich Ferdinand Piëch gut. Auch der Betriebsrat wollte ihn als Sanierer haben. So übernahm er im April 1992 das Ruder bei VW. Hohe Verluste hatten sich aufgetürmt. Die Produktivität war schlecht, in den USA fielen die Deutschen zurück, bei Škoda und Seat kriselte es. Piëch brachte es so auf den Punkt: „Es wurde in teuren Fabriken zu teuer produziert.“ Piëch gab den Zulieferern die Schuld an der Misere, er sah sie als Schmarotzer. Aus diesem Grund holte er José Ignacio López an Bord.
Die López-Affäre
Piëch arrangierte im Frankfurter Sheraton-Hotel ein geheimes Treffen mit López, der damals noch für General Motors arbeitete. Es traf sich gut, dass die Familie des spanischen Managers Heimweh nach Europa hatte. López fing im April 1993 als Piëchs Stellvertreter in Wolfsburg an. Seine Aufgabe: die Optimierung von Produktion und Beschaffung. Der Kostenkiller wälzte die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen zum Großteil auf die Zulieferer ab. Sein Ziel war es, eine bessere Qualität bei niedrigeren Kosten zu erreichen. López brachte sieben seiner engsten Mitarbeiter mit zu VW. Durch die Abwerbung sah sich GM attackiert. Der Europachef von GM behauptete, das López-Team habe geheime GM-Unterlagen mitgehen lassen. Opel kündigte an, einen Strafantrag gegen López wegen Diebstahls von Betriebsgeheimnissen zu stellen. Aus der Affäre wurde ein Krieg. Anschuldigungen, Drohungen und Klagen folgten. Im Dezember 1996 gipfelte der Schlagabtausch in der Anklage durch die Staatsanwaltschaft. US-Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Helmut Kohl vermittelten schließlich zwischen den Erzrivalen; heraus kam ein Friedensvertrag: VW zahlte 100 Millionen Dollar an GM. Zudem verpflichteten sich die Wolfsburger, GM Autoteile im Wert von 1 Milliarde Dollar abzunehmen. López und seine Mitarbeiter mussten Geldstrafen zahlen. Die Karriere des Spaniers endete. Piëch blieb an der VW-Spitze, die Spionageaffäre deuten Beobachter als eine der größten Niederlage in seiner Laufbahn.
Kosten runter, Ergebnis rauf
In seiner VW-Zeit war López zum Schluss gekommen, dass der weltweit 273 000 Mitarbeiter zählende Koloss in Deutschland 30 000 Beschäftigte zu viel an Bord hatte. Um einen handfesten Streit mit dem Betriebsrat, der IG Metall und der SPD zu vermeiden, holte Piëch den Sanierer Peter Hartz an seine Seite. Klar war, dass die Lohnkosten 20 % höher lagen als bei Opel und Ford. Das musste Hartz korrigieren. Es gelang ihm, eine Viertagewoche mitsamt Einkommensverzicht auszuhandeln. Piëch und die anderen Vorstände gingen mit gutem Beispiel voran und verzichteten auf 20 % ihres Gehalts. Der Krankenstand im Unternehmen sank von knapp 9 % auf rund 3 %. Die Einsparungen summierten sich schon im ersten Jahr auf 700 Millionen Euro. Die 400 Millionen Euro, die ursprünglich als Sozialplan-Rückstellungen für Massenentlassungen gebildet worden waren, konnte Piëch sich sparen. Binnen zehn Jahren sank die Zahl der Mitarbeiter in Deutschland von 128 000 auf 100 000 zum Ende von Piëchs Amtszeit. Als Piëch antrat, hatte VW 28 Modelle. Als er 2002 in den Aufsichtsrat wechselte, waren es 65. Im Jahr 2009 erwarb VW eine Beteiligung von 49,9 % an Porsche, nachdem der Sportwagenhersteller zuvor bei dem Versuch gescheitert war, VW zu übernehmen – eine weitere gewonnene Schlacht in der Karriere von Ferdinand Piëch.