Menschliche Kommunikation ist allgegenwärtig
Die menschliche Kommunikation lässt sich in drei Teilgebiete gliedern: Syntaktik, Semantik und Pragmatik. Die Syntaktik stellt die formale Verknüpfung sprachlicher Zeichen dar, die Semantik hat es mit dem Sinn bzw. der Bedeutung dieser Zeichen zu tun, während die Pragmatik eine Interpretation der Zeichen und ihrer Wirkungen auf das Verhalten von Menschen ist. Theoretisch ist eine strikte Abgrenzung der Bereiche möglich, allerdings hängen sie in der Praxis wechselseitig voneinander ab. Eine Sprache zu beherrschen und Wissen über diese Sprache zu besitzen, sind zwei völlig verschiedene Dinge. Eine Sprache fehlerfrei sprechen kann man auch, ohne eine Ahnung von Grammatik oder Syntax zu haben. Entsprechend geht es vielen Menschen mit dem Wissen über die Pragmatik: Obwohl sie ständig kommunizieren, sind sie fast unfähig, über Kommunikation zu kommunizieren. Ihnen fehlt das Verständnis für die Metakommunikation. Wissenschaftliche Untersuchungen hierzu beschränken sich auf das, was in der Kommunikation zu beobachten ist, sozusagen auf die Ein- und Ausgabewerte; sie erstrecken sich nicht auf die Abläufe im menschlichen Gehirn selbst. Diese können nicht beobachtet werden.
Fünf pragmatische Axiome
Es existieren insgesamt fünf Axiome der Pragmatik:
- Man kann nicht nicht kommunizieren. Das Verhalten von Individuen zueinander stellt in jedem Fall eine Kommunikation dar. Dabei ist es nicht relevant, ob die Individuen miteinander sprechen. Das bedeutet, dass eine Nicht-Kommunikation nicht möglich ist, genauso wie Nicht-Verhalten nicht möglich ist. Selbst ein Individuum, das schweigt und zu Boden blickt, kommuniziert über dieses Verhalten mit seiner Umwelt. Es signalisiert: Ich will nicht sprechen und deshalb sprecht mich auch nicht an.
- Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt. Eine Frage wie „Sind die Perlen echt?“ an eine Frau, die ebensolche um den Hals trägt, ist formal gesehen eine Bitte um Informationen zur Beschaffenheit der Perlen. Dies ist der Inhaltsaspekt der Frage. Je nachdem, wie der Fragende diese Frage stellt, kann es sich um Neugierde, Bewunderung oder auch Skepsis handeln – indem er z. B. an der Echtheit der Perlen zweifelt. Er definiert über die Art, wie er fragt (z. B. durch ein Heben der Augenbraue, durch den Tonfall, durch Gesten) die Beziehung zu seiner Kommunikationspartnerin. Entsprechend können Fehler in der Kommunikation nicht nur auf der Inhaltsebene, sondern sehr häufig auch auf der Beziehungsebene entstehen.
- Kommunikation besitzt ein Muster, das Interpunktion genannt wird. Beispielsweise können sich notorische Streithähne immer wieder auf die gleiche Art und Weise „angiften“. Dabei halten sie sich – meist ohne es zu wissen – an eine bestimmte Folge von Ursache und Wirkung, Rede und Gegenrede.
- Kommunikation läuft analog und digital ab. Zeichnet jemand das Bild eines Hauses, so stellt er eine Analogie zur Wirklichkeit her. Man nennt dies analoge Kommunikation. Sie drückt sich z. B. auch in der Wortmelodie und der Art zu sprechen aus und kann dann sogar zur Kommunikation mit ganz kleinen Kindern oder gar Tieren taugen. Benutzt man jedoch das Wort für Haus, bestehend aus den Buchstaben H-A-U-S, so spricht man von digitaler Kommunikation. Diese setzt voraus, dass das Wissen über die Bedeutung der Buchstabenkombination bzw. ihre Lautfolge allen beteiligten Kommunikationspartnern bekannt ist. Digitale Kommunikation ist daher mit ganz kleinen Kindern nicht möglich.
- Kommunikation läuft symmetrisch oder komplementär ab. Wenn Menschen miteinander kommunizieren, gibt es entweder symmetrische Rollen, d. h. die Partner sind gleichgestellt, oder sie verhalten sich zueinander komplementär. Letzteres deutet auf eine Ungleichheit hin, wie sie z. B. bei Gesprächen zwischen Eltern und Kind oder Lehrer und Schüler vorkommt.
Störungen menschlicher Kommunikation
Die fünf Axiome helfen dabei, typische Störungen in der Kommunikation zu erkennen und zu erklären. Es kann beispielsweise in einer Paarbeziehung vorkommen, dass eine Kommunikationsstörung auftritt, obwohl sich beide Partner inhaltlich völlig einig sind. Man möchte z. B. einen Freund einladen, streitet sich aber, weil der eine Partner die Einladung bereits ausgesprochen hat, ohne den anderen über seine Absicht zu informieren. Das Problem liegt dann nicht auf der inhaltlichen, sondern auf der Beziehungsebene.
„Wir sind wie eingesponnen in Kommunikation und sind doch – oder gerade
deshalb – fast unfähig,
über Kommunikation zu kommunizieren.“
Störungen in der menschlichen Kommunikation entstehen auch durch Übersetzungsschwierigkeiten von analoger in digitale Kommunikation. Ein unerwartetes Geschenk an den Partner kann vom Beschenkten als Geste der Zuneigung, als Wiedergutmachung, aber auch als Bestechung verstanden werden. Der Ehemann, der seiner Frau unerwartet Blumen mitbringt, erzeugt bei seiner Partnerin vielleicht Misstrauen, da sie vermutet, er hätte etwas getan, für das er sich entschuldigen möchte.Bei der ausschließlichen Nutzung analoger Kommunikation ist es schwierig, Negation auszudrücken. Nimmt man zur Klärung nicht die digitale Kommunikation zur Hilfe, kann sie schlimmstenfalls auch zu Gewalttätigkeiten führen. Das veranschaulichen Beispiele aus der Tierwelt: Rivalen gehen so lange aufeinander los, bis einer der Kontrahenten im Kampf unterliegt. Tieren fehlt die digitale Kommunikation und die Fähigkeit zum Kompromiss.
Menschliche Kommunikation und Systemtheorie
Jegliche Interaktion kann als System betrachtet werden, sodass die Prinzipien der allgemeinen Systemtheorie auf sie anwendbar sind. Wenn Personen miteinander kommunizieren, ganz gleich, ob digital oder analog, sind sie immer Teil eines solchen Systems. In zwischenmenschlichen Systemen wird sehr deutlich, dass nicht der Inhalt der Kommunikation wichtig ist, sondern vor allem ihr Beziehungsaspekt. Die Systeme der Kommunikation sind offen, d. h. es findet ein wechselseitiger Austausch mit der Umwelt statt. Im Alltag finden wir zumeist Systeme (z. B. Freundschaften, Ehen, geschäftliche Beziehungen), die sich dadurch auszeichnen, dass es notwendig ist, Kommunikationsabläufe zu wiederholen. Das bedeutet, in diesen Systemen entstehen bestimmte Regeln der Kommunikation.
„Man kann nicht
nicht kommunizieren.“
Die Familie kann man als ein solches regelgesteuertes System ansehen. Damit Familien nicht willkürlich auseinanderfallen, müssen sie einen gewissen Grad von Rückkopplung besitzen, um Belastungen seitens der Umwelt entgegenwirken zu können. Rückkopplung bedeutet systemtheoretisch gesprochen: Ein Output des Systems wird diesem als Input wieder zugeführt. Bei pathologischen Familien kommt es oft zu einer drastischen Zunahme der negativen Rückkopplungen, da die Familie ihre Stabilität dadurch erhalten will, dass Veränderungen bekämpft werden, z. B. indem jeder Versuch des Kindes, selbstständig zu werden, im Keim erstickt wird. Solche Veränderungsauslöser innerhalb der Familie sind etwa die Zunahme von Alter und Reife ihrer einzelnen Mitglieder oder drastische Ereignisse wie Einschulung, Berufseinstieg, Heirat. Das offene System der Familie muss sich somit häufig einer Neukalibrierung unterziehen und an die veränderten Verhältnisse anpassen.
Pragmatische Paradoxien
Pragmatische Paradoxien entstehen in der Kommunikation deshalb, weil die Elemente der digitalen Kommunikation, also Wörter, Bestandteile der eigenen Klasse sind. Das Wort „Begriff“ etwa ist Bestandteil der Klasse der Wörter, aber gleichzeitig ist die Klasse selbst ein Begriff und somit Bestandteil von sich selbst – ein logischer Widerspruch, wenn man voraussetzt, dass eine Sache nur Bestandteil einer Gruppe oder nicht Bestandteil einer Gruppe sein kann. Der Begriff „Klasse“ führt uns diese pragmatische Paradoxie in der menschlichen Kommunikation vor Augen. Ein Mensch, der äußert: „Ich lüge!“, liefert ein Beispiel für eine paradoxe Aussage. Sein Hinweis ist nur dann wahr, wenn er nicht lügt. Spricht er aber die Wahrheit, so ist seine Aussage inhaltlich nicht korrekt.
„Wir finden somit in jeder Kommunikation einen
Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.“
Pragmatische Paradoxien findet man auch in der Unterscheidung von Objektsprache und Metasprache. Der Satz „Paris ist eine Großstadt“ enthält eine Information, die wahr und korrekt ist. Paris wird hier als Objekt verstanden. Der Satz „Paris ist zweisilbig“ ergibt keinen Sinn, sofern man ihn als Verweis auf ein Objekt (die Stadt Paris) versteht. In Wahrheit handelt es sich um eine metasprachliche Aussage, weil in diesem Fall nicht die Stadt, sondern das zweisilbige Wort „Paris“ gemeint ist. Nur auf der metasprachlichen Ebene ergibt der Satz „Paris ist zweisilbig“ Sinn, obwohl der Inhalt der Aussage unwahr ist.
„Diskrepanzen auf dem Gebiet der Interpunktion sind die Wurzel vieler Beziehungskonflikte.“
Bei sprachlichen Paradoxien besteht die Möglichkeit, nichts zu sagen, obwohl man etwas sagt. Man muss sich nur selbst widersprechen. Dies wird an folgendem Beispiel eines Ehepaars deutlich: Der Mann, ein Antialkoholiker, will seiner Frau abendliche Cocktails untersagen. Seine Frau geht auf diese Forderung nicht ein. Daraufhin droht der Mann, sich selbst ein Laster zuzulegen, und deutet Untreue an. Doch er macht seine Drohung nicht wahr und kündigt dann sogar an, den abendlichen Cocktail zu „legalisieren“. Das bringt die Ehefrau in Aufruhr, da sie dem Mann jetzt Untreue vorwirft. Das Beispiel zeigt: Menschliche Kommunikation beruht immer auf Vertrauen oder Misstrauen. Eine Aussage kann man als wahr akzeptieren oder als unwahr ablehnen. In der Regel fehlt jedoch das Wissen über die Intention des Individuums, das die Aussage trifft.
Die Paradoxien der Doppelbindungstheorie
Häufig treten in engen zwischenmenschlichen Beziehungen, etwa zwischen Eltern und Kind oder auch in Freundschaften, so genannte Doppelbindungen auf, auch bekannt als Beziehungsfallen oder Zwickmühlen. Ihre Struktur: Eine digitale Mitteilung wird durch analoge Kommunikation negiert.
„Eine Paradoxie lässt sich als ein
Widerspruch definieren,
der sich durch folgerichtige Deduktion aus widerspruchsfreien Prämissen ergibt.“
Ein Beispiel für eine solche unentscheidbare Mitteilung wäre die Aussage eines Menschen, der mit zittriger Stimme und in schlechter körperlicher Verfassung sagt: „Mir geht es ausgezeichnet. Ich fühle mich pudelwohl!“ Für den Empfänger der Mitteilung ist es nicht möglich, zu deuten, wie er die Aussage verstehen soll. Geht es dem Sender der Nachricht wirklich gut oder muss man seinem äußeren Erscheinungsbild und der zittrigen Stimme nach vermuten, dass es der Person miserabel geht? Schwierig wird es, wenn Handlungsanweisungen gegeben werden, die in sich paradox sind, wenn also ein Befolgen zum Missachten führt und ein Missachten eigentlich Befolgen bedeutet.
„Es besteht kein Zweifel, dass die Welt, in der wir leben, alles andere als logisch ist und dass die meisten von uns ihre Normalität bewahren können, obwohl wir alle doppelbindenden Situationen ausgesetzt sind.“
Das Auftreten der Doppelbindung in zwischenmenschlichen Beziehungen führt zu Ratlosigkeit und Missverständnissen und kann zu krankhaftem Verhalten führen. Widersprüche in der Kommunikation können eine Person vor unentrinnbare Rätsel stellen, bei dem jede ihrer Alternativen zur Katastrophe führt.
Metakommunikation und das Spiel ohne Ende
In der menschlichen Kommunikation werden mitunter Alternativen angeboten, die nur auf den ersten Blick eine echte Lösung darstellen. Mit der Frage des Staatsanwalts an den Angeklagten: „Haben Sie aufgehört, Ihre Frau zu misshandeln?“, schafft er die Alternativen Ja und Nein als Antwort. Das Dilemma besteht darin, dass der Angeklagte in beiden Fällen zugeben würde, seine Frau misshandelt zu haben.
„Das durch Doppelbindungen verursachte paradoxe Verhalten hat selbst doppelbindende Rückwirkungen, und dies führt zu sich selbst verewigenden Kommunikationsstrukturen.“
Es gibt viele Beispiele für Kommunikation, die in ausweglose Situationen hineinführt. Beispielsweise werden zwei Menschen, die verabreden, dass sie fortan immer dann, wenn sie „Nein“ meinen, „Ja“ sagen und umgekehrt, aus diesem Spiel ohne Ende nicht mehr herauskommen. Das gelänge ihnen nur, wenn sie sich zuvor darüber verständigten, wie sie über ihr Spiel sprechen, also wie sie Metakommunikation ermöglichen.
„Doppelbindungen sind also nicht einfach widersprüchliche, sondern wirklich paradoxe Handlungsaufforderungen.“
Können sie diese Metaebene kennzeichnen, z. B. indem sie eine dritte Person bitten, das Spiel ohne Ende durch ein Gespräch über das Spiel zu beenden, gelänge ihnen auch der Ausstieg aus der ausweglosen Situation. Diese Rolle kann bei Kommunikationsstörungen in Familien oder Paarbeziehungen der Therapeut übernehmen, indem er z. B. das zerstrittene Ehepaar aus seiner ausweglosen Kommunikation herausholt und auf die Metaebene bringt.