Public Corporate Governance im Gewährleistungsstaat
In den letzten Jahren hat der Staat immer mehr Aufgaben ausgelagert oder ganze Organisationseinheiten ausgegliedert. So ist aus einem Leistungsstaat, der alles selber macht, inzwischen ein Gewährleistungsstaat geworden, der die Leistungserbringung überwacht und dem Bürger garantiert. Die Verantwortung für eine legale, effiziente und effektive Aufgabenerfüllung liegt dabei weiterhin beim Staat. Mit der Leistungserbringung können nicht nur private Dritte, sondern auch öffentliche Unternehmen beauftragt werden. Ziel ist, ihnen mehr Autonomie zu ermöglichen als der öffentlichen Kernverwaltung, aber gleichzeitig die Steuerung nicht aus der Hand zu geben und wirksame Aufsicht auszuüben. Dabei hilft Public Corporate Governance. Das ist die Anwendung der für die Privatwirtschaft entwickelten Corporate Governance auf öffentliche Unternehmen. Die Kernverwaltung wird hier ausdrücklich nicht einbezogen, denn das wäre dann Public Governance.
Welche Aufgaben können ausgelagert werden?
Es gibt verschiedene Arten der Auslagerung. Sie reichen von der kompletten Privatisierung ganzer Aufgaben, sodass die öffentliche Hand höchstens noch eine Regulierungsverantwortung hat, über eine Teilprivatisierung bei der Aufgabenerfüllung bis zur Auslagerung in eine andere öffentlich-rechtliche Organisationsform. In der Regel behält der Staat die Gewährleistungsverantwortung. In jedem Einzelfall muss geprüft werden, ob eine Auslagerung sinnvoll ist – und wenn ja, in welchem Umfang. Grundsätzlich lassen sich alle Aufgaben auslagern, auch so genannte hoheitliche. Ungeeignet sind allerdings politiknahe Ministerialaufgaben und die Rechtsprechung. Nur teilweise geeignet sind Aufgaben mit starkem individuellem Eingriffscharakter (Polizei, Grundbuchamt usw.). Hier müssen mögliche Vorteile einer Auslagerung besonders gut begründet werden. Bei allen Aufgaben sollte geprüft werden, ob:
- eine eigene Rechtsperson vorteilhaft wäre,
- ein Markt vorhanden ist, auf dem die Kunden zwischen verschiedenen Anbietern wählen können,
- eine Auslagerung Vorteile bei der Zielerreichung (Effektivität) bringt,
- die Leistung effizienter erstellt werden kann und
- die politische Steuerung auch bei einer Auslagerung gewährleistet werden kann.
„Die Auslagerung von Aufgaben soll nur dann erfolgen, wenn neben einer effektiven Aufgabenerfüllung insbesondere auch eine Effizienzsteigerung erreicht werden kann.“
Führt dieser Schnelltest zu einem negativen Ergebnis, heißt das aber noch lange nicht, dass eine Aufgabe unverändert weitergeführt werden sollte. Vor allem auf der Gemeindeebene würde eine interkommunale Zusammenarbeit in vielen Fällen die Effizienz verbessern.
Was ist die geeignete Rechtsform?
Grundsätzlich können Auslagerungen in privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Form organisiert werden. Der schweizerische Bundesrat hält grundsätzlich nur zwei Rechtsformen für geeignet:
- Die selbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt sollte immer dann gewählt werden, wenn es sich um hoheitliche Aufgaben handelt, die über Gebühren oder Steuergelder refinanziert werden.
- Bei marktgängigen, nicht hoheitlichen Leistungen empfiehlt sich eine Aktiengesellschaft (AG), bei der das Unternehmen wirtschaftlich selbstständig zu führen ist und bei der sich auch Dritte beteiligen können oder sollen.
„Zu beachten ist, dass die Verantwortung des Staates für ausgelagerte Aufgabenbereiche nicht aufgehoben wird.“
Wird eine andere Rechtsform angestrebt, verlangt der Bundesrat eine besondere Begründung. Mit der Beschränkung auf diese zwei Rechtsformen will der Bund die öffentlichen Auslagerungen harmonisieren und übersichtlicher machen. Sie entspricht im Übrigen einer Orientierungshilfe der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für öffentliche Unternehmen: Auch die OECD empfiehlt ihren Mitgliedsstaaten, Rechtsformen und Steuerungspraxis bei ausgelagerten Aufgaben zu vereinfachen. Ist die geeignete Rechtsform gefunden, muss entschieden werden, ob eine Auslagerung durch ein Spezialgesetz geregelt wird. Das kommt regelmäßig nur bei Bundes- und kantonalen Aufgaben in Betracht. Wollen die Gemeinden eine Aufgabe in eine andere Rechtsform auslagern, werden sie die Einzelheiten in den Statuten der neuen Gesellschaft oder im Organisationsreglement festlegen.
Wie kann die öffentliche Hand ihre Eignerrolle gestalten?
Der öffentliche Eigner muss in einer Eignerstrategie festlegen, welche Absichten er mit dem Unternehmen verfolgt. Das umfasst ggf. auch eine Aussage darüber, was ausdrücklich nicht beabsichtigt ist. Mit einer Eignerstrategie soll erstens der Öffentlichkeit der Zweck des öffentlichen Unternehmens und zweitens sollen dem Führungspersonal die Absichten des Eigners vermittelt werden. Eine Eignerstrategie ist idealerweise das Produkt gemeinsamer Überlegungen – keinesfalls eine Vorgabe von oben. Hier hat sich ein Workshop bewährt, an dem die Exekutive und die strategische Führung des Unternehmens teilnehmen und ein neutraler, externer Moderator zwischen den Interessen und Vorstellungen beider Gruppen vermittelt. Die Eignerstrategie sollte detailliert ausformuliert und langfristig angelegt sein. Für allfällige Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen empfehlen sich zudem Eignerziele auf der Ebene unterhalb der Strategie. Sie sollten mittelfristig überprüft und weiterentwickelt werden.
„Das Ausmaß der Delegation an Dritte hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen, sodass von einem Übergang vom Leistungsstaat zum ,Gewährleistungsstaat‘ gesprochen wird.“
Damit der öffentliche Eigner die Vermögens- und Ertragslage seines Unternehmens sowie die Risiken kennt, benötigt er regelmäßig Kennzahlen aus dem Rechnungswesen und eine Rechnungslegung, die zuverlässig Auskunft gibt. Hier müssen sich die öffentlichen Eigner an die schweizerische Gesetzgebung halten, die sich – zumindest auf Bundesebene – an den International Public Sector Accounting Standards (IPSAS) orientiert. Diese wiederum beruhen auf den privatwirtschaftlichen International Financial Reporting Standards (IFRS) und folgen damit in Bewertung und Bilanzierung dem Prinzip „true and fair view“. Sowohl die IPSAS als auch das jüngst reformierte öffentliche Rechnungswesen der Schweiz (Harmonisiertes Rechnungsmodell 2, kurz HRM2) verlangen eine konsolidierte Rechnungslegung von öffentlicher Mutter und unternehmerischen Töchtern. Ausnahmen vom Konsolidierungsgebot sind nur zulässig, wenn die Prinzipien der Rechnungslegung nicht übereinstimmen. Das ist vor allem bei Gemeinden der Fall, die HRM2 nicht anwenden. Hier gilt: Fehlen die Voraussetzungen für eine Konsolidierung, muss mit einem Beteiligungsspiegel Transparenz über die Vermögens- und Schuldenlage geschaffen werden. In der Regel soll ein Unternehmen, das vollständig in öffentlichem Eigentum verbleibt, mehr Autonomie erhalten als eine klassische Organisationseinheit in der Verwaltung. Dem Einfluss des Parlaments wird das Unternehmen allerdings im gleichen Maß entzogen. Das wird in Kauf genommen, um ökonomische Vorteile zu erreichen.
Wie werden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen gestaltet?
Bei der Steuerung öffentlicher Unternehmen spielen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen eine wichtige Rolle. Sie regeln die zu erbringenden Leistungen und die zur Verfügung stehenden Ressourcen. Beides muss so definiert sein, dass die öffentlichen Eigner die Zielerreichung kontrollieren können. Leistungsvereinbarungen können abgeschlossen werden als abschließende Liste, durch gesetzliche Vorgaben oder durch Verweis auf die Nachfrage am Markt. Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit, das Unternehmen seine Aufgaben autonom gestalten zu lassen. Für alle Leistungsvereinbarungen gilt gleich wie für die Strategiefestlegung, dass sie nicht von Eignerseite vorgegeben, sondern in Workshops und unter Beteiligung der strategischen Führungsebene des Unternehmens entwickelt werden sollten. In letzter Konsequenz beschließt dann das Parlament oder der Gemeinderat.
„Öffentliche Unternehmen sind – dies die grundsätzliche Prämisse – im Grundsatz nicht anders zu führen als privatwirtschaftliche Unternehmen.“
Unter den verschiedenen Finanzierungsmodellen öffentlicher Unternehmen zeichnet sich keines durch eindeutige Vorteile aus. Es kommt auf die jeweilige Situation an:
- Das Kostendeckungsmodell, bei dem die öffentliche Hand dem Unternehmen alle Kosten des Leistungserstellungsprozesses erstattet, fördert das Kostenbewusstsein im Unternehmen nicht und belässt das volle Risiko beim Eigner.
- Bei einem Globalbudget kann das Management autonom wirtschaften und ist gezwungen, bei Kostensteigerungen zusätzliche Einnahmen zu generieren oder an anderer Stelle die Kosten zu senken. Doch auch ein Globalbudget ist nicht ohne Nachteile: Der Mittelbedarf kann häufig nur geschätzt werden, und wird das Budget gesprengt, springt der Eigner doch wieder ein.
- In den letzten Jahren wurde vor allem im Gesundheitssektor weitgehend auf Fallpauschalen umgestellt. Hier begrenzt der Eigner sein Risiko, und das Management verspürt starken Effizienzdruck. Die Fallpauschalen berücksichtigen nicht die reale Kostenentwicklung, vor allem nicht die sprungfixen Kosten.
- Ein guter Kompromiss ist ggf. das Taxametermodell. Dabei enthält das Unternehmen einen Sockelbetrag zur teilweisen Deckung der fixen Kosten und eine Fallpauschale pro Leitungseinheit. Das Risiko wird zwischen Unternehmen und Eigner aufgeteilt.
Was leistet die strategische Führungsebene?
Die strategische Führungsebene (SFE) ist mit dem Verwaltungsrat bzw. Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft vergleichbar und für Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens von entscheidender Bedeutung. Sie sollte fünf bis neun Personen umfassen und nicht nur mit Vertretern aus Politik und Verwaltung besetzt sein, sondern auch mit ausgewiesenen Fachleuten. In der Schweiz verpflichtet sich der Bund außerdem, auf eine ausgewogene Beteiligung der Sprachregionen und der Geschlechter zu achten. Die Mitglieder der SFE sollen in transparenten Verfahren nach zuvor benannten Anforderungskriterien ausgesucht und in der politischen Vertretung zur Wahl gestellt werden. Der SFE obliegt es, ein Organisationsreglement und ein Funktionendiagramm zu erstellen und die Zeichnungsberechtigungen festzulegen. Sie ist verantwortlich für Finanzplanung, Finanzkontrolle und die Gestaltung von Rechnungswesen und Rechnungslegung. Aufgaben der SFE sind:
- die Eignerziele umzusetzen,
- die Unternehmensstrategie festzulegen,
- ein Risikomanagement zu implementieren und seine Anwendung zu sichern sowie
- die Umsetzung der eigenen Beschlüsse im Unternehmen zu überwachen.
„Risk-Management ist ein wichtiger Bestandteil der Corporate Governance und hat deshalb direkten Einfluss auf das Rating eines Unternehmens. Je besser das Risk-Management, umso besser das Rating und umso günstiger die Kredit- und Zinskonditionen.“
Noch recht neu im öffentlichen Unternehmensbereich ist das Risikomanagement. Sobald ein öffentliches Unternehmen in privater Rechtsform geführt wird, müssen die einschlägigen Vorschriften zum Risikomanagement beachtet werden. Vor allem das Aktienrecht verlangt die Einrichtung und Anwendung eines Risikomanagements. Sinnvoll wäre es, dies auch für alle anderen Rechtsformen öffentlicher Unternehmen verbindlich vorzuschreiben – schließlich liegen die Risiken nicht in der Rechtsform, sondern in den Prozessen der Leistungserstellung. Risiken werden oft zu spät erkannt, was eine angemessene Reaktion des Unternehmens erschwert. Im Rahmen von Risikomanagement werden daher alle möglichen Risiken systematisch erfasst und nach Schadenhöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet sowie angemessene Reaktionen festgelegt. Neben der Risikovermeidung gehören dazu auch die Risikoüberwälzung (z. B. durch Abschluss einer Versicherung), die Risikobegrenzung durch geeignete Maßnahmen – oder die bewusste Risikoakzeptanz.