Picasso kann jeder?!

Buch Picasso kann jeder?!

Kreativität im Alltag

Klett-Cotta,


Rezension

Wir bewundern das schöpferische Genie und übersehen dabei, dass jeder Mensch in seinem Alltag kreativ ist. Autor Martin Schuster gibt einen Überblick über die wichtigsten Faktoren und Bedingungen von Kreativität, wobei er vorrangig die Entste­hungs­be­din­gun­gen von Spitzen­leis­tun­gen analysiert. Daraus leitet er ab, welche Faktoren uns auch im Alltag kreativer werden lassen. Das Ganze ist leicht verständlich, allerdings recht bieder geschrieben. Insgesamt handelt es sich aber dennoch um eine lesenswerte Zusam­men­stel­lung der wichtigsten wis­senschaftlichen Erken­nt­nisse zum Thema Kreativität. Positiv her­vorzuheben sind außerdem die vielen his­torischen Beispiele, mit denen der Text illustriert ist. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die ihrer eigenen Kreativität auf die Beine helfen wollen.

Take-aways

  • Kreativ ist alles, was originell und zugleich nützlich ist. Aus­gangspunkt jeder kreativen Lösung ist ein Problem.
  • Jeder kann kreativ sein. Kreativität ist unabhängig von Alter und Geschlecht.
  • All­t­agskreativität un­ter­schei­det sich nicht grundsätzlich, sondern nur graduell von einer kreativen Spitzen­leis­tung.
  • Kreativität ist nicht angeboren, sondern man muss sich dafür entscheiden.
  • Äußere Umstände können die Kreativität fördern oder blockieren – beispiel­sweise eine materielle Notlage, seelische Probleme oder Zeit- und Geldmangel.
  • Viele hochkreative Menschen waren wenig sozial, suchtanfällig oder standen an der Grenze zur psychischen Erkrankung.
  • Kreativität macht nicht immer Spaß, oft muss sie sich gegen Widerstände (z. B. Grup­pen­druck) durchsetzen.
  • Sogar bahn­brechende Neuerungen werden von der Umwelt keineswegs immer anerkannt.
  • Die eigene Kreativität kann auch durch religiöse oder politische Tabus gehemmt sein.
  • Wer neugierig und offen bleibt, fördert seine Kreativität. Ist sie blockiert, gibt es Techniken, die sie wieder ins Fließen bringen.
 

Zusammenfassung

Jeder ist kreativ

Wer bewundert sie nicht, die in­spiri­eren­den Gemälde, Gedichte, Theaterstücke und Opern oder die vielen anderen Werke, die wir den größten Künstlern ver­schiedener Epochen zu verdanken haben? Nicht zu reden von genialen Wis­senschaftlern und Tüftlern, die die Welt mit segen­sre­ichen Erfindungen verbessert haben. Oft verharren wir in staunender Bewunderung vor den Einfällen der Genies und können uns kaum vorstellen, dass wir selbst auch nur ansatzweise über solche Ideen verfügen. Doch das ist ganz falsch. Zwar vollbringen nur wenige Menschen schöpferische Spitzen­leis­tun­gen. Doch jeder Mensch ist in seinem täglichen Leben kreativ. Diese Eigenschaft kann man als „All­t­agskreativität“ bezeichnen.

„Eine Leistung, die neu und gle­ichzeitig nützlich ist, bezeichnet man als kreativ.“

Kreativ in diesem Sinn ist alles, was neu und zugleich nützlich ist – wobei mit „neu“ nicht gemeint ist, dass etwas vorher noch nicht da war: Jeden Morgen ein frisches Brötchen zu backen ist nicht kreativ; es braucht schon eine originelle Idee. Nützlichkeit umfasst nicht nur pure Zweckmäßigkeit, wie etwa die einer Teekanne, sondern auch ideellen oder geistigen Nutzen, wie ihn z. B. die Malerei her­vor­bringt. Sowohl der Grad der Neuheit als auch der Nützlichkeit können un­ter­schiedlich ausgeprägt sein. Für den In­no­va­tion­s­grad empfiehlt sich etwa eine Abstufung, die von null (z. B. täglich frische Brötchen) bis sieben, für bisher nie Dagewesenes (z. B. die Evo­lu­tion­s­the­o­rie), reicht. Auch der Nutzen lässt sich abstufen: Von Stufe eins, bei der das Ergebnis nur dem Erzeuger selbst nutzt (z. B. das von einem Hobbymaler geschaffene Bild) bis zu Stufe sechs, bei der ein Nutzen für die ganze Menschheit besteht (z. B. die Entwicklung der Fotografie).

„Jeder Mensch ist in seinem Leben immer wieder kreativ.“

Kreative Spitzen­leis­tun­gen haben in beiden Bereichen, Innovation und Nützlichkeit, extrem hohe Werte, All­t­agskreativität dagegen kommt kaum über die ersten beiden Stufen hinaus. Sie ist in vielen Lebens­bere­ichen anzutreffen und hat oft eher spielerische Formen, sie ist ein Bestandteil des täglichen Lebens. Beispiele dafür gibt es viele, von kreativen Wei­h­nacht­skarten auf dem heimischen Computer bis hin zu selbst erfundenen Kochrezepten oder originell gestalteten Fam­i­lien­festen. Daneben gibt es noch weitere, kaum beachtete Formen der Kreativität: z. B. die List, die schlagfer­tige Antwort oder die Intuition, die spontan zu einer kreativen Lösung in einer brenzligen Situation führt.

Kreativität ist eine Entschei­dung

Allerdings nützt die tollste Idee gar nichts, wenn sie nicht auch umgesetzt wird. Das gilt für den All­t­agskreativen genauso wie für den genialen Künstler oder Erfinder. Oft herrscht der Glaube vor, dass Kreativität angeboren sei, doch das stimmt so nicht. Man muss sich für Kreativität entscheiden, man muss sie wollen. Oft ist das gar nicht so einfach – sei es, weil der Grup­pen­druck abweichende Ideen ablehnt (etwa was Kleidung in Ju­gend­grup­pen betrifft), weil Experten die Neuerung als schädlich einstufen (Beispiel Eisenbahn), weil eine Idee gängige Lehrmei­n­un­gen widerlegt (Bakterien als Ursache von Magengeschwüren), weil sie religiösen Überzeu­gun­gen wider­spricht (Evo­lu­tion­s­the­o­rie), weil sie moralische Regeln verletzt (Tampons) oder weil sie schlicht unterschätzt wird (Computer).

„Für Kreativität kann man sich entscheiden!“

Wer sich Kreativität als Quell ständigen Vergnügens und permanenter Freude vorstellt, liegt falsch: Oft ist der Weg zur kreativen Leistung mit Mis­ser­fol­gen gepflastert oder der Erfolg will sich überhaupt nicht einstellen. Und selbst wenn alles gelingt, werden Topleis­tun­gen nicht immer als solche anerkannt. Oder, noch schlimmer: Sie werden von anderen kopiert, die dann Ruhm und Ehre ein­stre­ichen.

Wertschätzung von Kreativität

Kreativität wird also keineswegs automatisch gewürdigt, und das gilt nicht nur für Spitzen­leis­tun­gen, sondern erst recht im Alltag. Zudem schätzt die Nachwelt die Nützlichkeit einer Idee oft mehr als die Originalität. Dann erntet erst der Weit­er­en­twick­ler den Ruhm, nicht der eigentliche Erfinder (so geschehen z. B. bei Eisenbahn und Dampf­mas­chine). Wer Kreativität bei anderen richtig wertschätzt, kann auch selbst leichter kreativ werden. Schauen Sie sich einfach mal um: Pro­duk­t­gestal­tung, Literatur, bildende Kunst, Werbung, Schaufen­s­ter­deko­ra­tion, Gesellschaftsspiele – die Welt ist voller origineller Ideen. Wer sich bei einigen innovativen Ansätzen unbehaglich fühlt, hat vielleicht innere Denkschranken. Die können beispiel­sweise durch religiöse oder politische Überzeu­gun­gen, durch Un­sicher­heit oder psychische Hemmungen bedingt sein.

Die Bedingungen der Kreativität

Was treibt den Kreativen an? Nor­maler­weise ist es keineswegs der abstrakte genialische Schaf­fens­drang, sondern vielmehr ein Problem, das gelöst werden muss. Manchmal ist es pure Not – wenn etwa ein Arzt eine neue Therapie für seine unheilbar kranke Gattin entwickelt. Auch körperliches Leiden oder seelische Qualen können den Schaf­fens­drang durchaus beflügeln. Zudem helfen nicht selten Alkohol oder andere Drogen, von Marihuana über LSD bis Meskalin, der Inspiration auf die Sprünge. Gerade bei Genies sind die Grenzen zur psychischen Erkrankung manchmal fließend, allerdings gilt dies eher für Künstler als für Natur­wis­senschaftler. Nicht wenige Genies pflegen auch einen ungewöhnlichen Lebensstil, der beispiel­sweise von eingeschränkten Sozialkon­tak­ten, motorischen oder sprach­lichen Defiziten oder ungewöhnlichem Verhalten, etwa dem strikten Einhalten von Routinen, geprägt ist. Viele sind Außenseiter, etwa wegen einer ho­mo­sex­uellen Neigung oder weil sie früh einen Elternteil verloren haben.

„Man wird nicht kreativ geboren.“

Viele Kreative suchen außerdem gezielt nach Anregungen, sie in­ter­essieren sich für alles Mögliche, unternehmen Reisen in ferne Länder oder pflegen ein Hobby auf pro­fes­sionellem Niveau. Albert Einstein beispiel­sweise spielte sehr gut Geige, Goethe beschäftigte sich mit Natur­wis­senschaften. Fördernd wirken außerdem ein unterstützendes Umfeld, etwa Kol­le­gen­grup­pen oder enge private Beziehungen. Und nicht zuletzt gehören zur Umsetzung kreativer Ideen natürlich Zeit und, zumindest in einem bestimmten Ausmaß, Geld. Vincent van Gogh wurde z. B. von seinem Bruder Theo finanziert.

Kreativitätsfördernde Ver­hal­tensweisen

Bestimmte Ver­hal­tens­muster begünstigen Kreativität mehr als andere: Je weniger routiniert und eingefahren das eigene All­t­agsver­hal­ten ist und je offener man steht neuen Erfahrungen und Eindrücken gegenübersteht, desto leichter fällt Kreativität. Auch Spontaneität, ein Schuss Exzentrik und Fantasie machen das kreative Leben leichter. Um die eigene Schaf­fen­skraft zu fördern, sollten Sie ich also ganz bewusst neue Reize suchen und neue Wege abseits der aus­ge­trete­nen Pfade gehen. Sie sollten Ihr Leben nicht komplett verplanen, sondern auch spontanen Einfällen Raum geben und sich neue Welten fan­tasievoll ausmalen. Beobachten Sie z. B. einen zufällig vor­beilaufenden Passanten und überlegen Sie, wie es wohl wäre, mit ihm verheiratet zu sein.

„Die Anerkennung einer Idee hängt nicht von dem Erfinder ab, sondern von den Experten eines Gebiets.“

Da Ideen nur selten aus heiterem Himmel kommen, sollten Sie sich bewusst ein Problem oder eine Aufgabe stellen, die Sie lösen wollen, etwa die Aufgabe, einen neuen Partner zu finden. Wer sich für eine kreative Lösung entscheidet (z. B. eine originelle Kon­tak­tanzeige), entdeckt viele neue Handlungsmöglichkeiten. Manchmal muss man auch etwas für das Selb­st­wert­gefühl tun, denn oft ist es schwierig, andere von den eigenen Ideen zu überzeugen. Sie sollten sich klarmachen, dass selbst er­fol­gre­iche Kreative ihre Werke oft zigfach angeboten haben, bevor diese anerkannt oder publiziert wurden. Lassen Sie sich also nicht entmutigen und führen Sie sich zwecks Stärkung des Egos Ihre eigenen Erfolge und Kompetenzen stets vor Augen.

„Kinder sind nicht automatisch kreativer als Erwachsene.“

Auch Tagträume von Erfolg und Anerkennung beflügeln die Schaf­fen­skraft, ebenso die Au­flockerung von Gewohn­heiten: Warum nicht mal in neue Wahrnehmungswel­ten eintauchen, tägliche Gewohn­heiten, z. B. den Arbeitsweg, verändern oder Denkge­wohn­heiten kritisch hin­ter­fra­gen? Und natürlich sollte man immer neugierig bleiben und sich mit Dingen, die man nicht versteht, au­seinan­der­set­zen. Einseitige Spezial­be­gabun­gen gezielt zu entwickeln, ist allerdings nicht möglich. Ein fo­tografis­ches Gedächtnis beispiel­sweise, mit dessen Hilfe man eine komplette Druckseite nach einmaligem Betrachten wörtlich wiedergeben kann, ist angeboren.

„Der kreative Mensch ist hemmungslos neugierig.“

Trotz aller Vor­bere­itung: Die eigentliche Idee kommt häufig scheinbar aus dem Nichts, sozusagen als Aha-Er­leb­nis. Viele Anregungen finden Kreative beispiel­sweise in Träumen. Dies funk­tion­iert allerdings nur, wenn man sich vorher eingehend mit einem Problem beschäftigt hat. Ähnlich kann auch ein zufälliges Ereignis den entschei­den­den Kick geben. Gele­gentlich stammt eine Idee ursprünglich sogar aus der Kindheit des Kreativen. Und manchmal liegt ein Einfall zu einer bestimmten Zeit auch einfach in der Luft: Immer wieder kommt es vor, dass zeitgleich dieselbe Idee bei ver­schiede­nen Personen auftaucht. Das war etwa bei der Erfindung des Teleskops, der Fotografie oder des Telefons der Fall. Der Grund sind meist entsprechende Vor­erfind­un­gen oder Vorent­deck­un­gen. Außerdem spielt auch die Gesellschaft, in der man lebt, eine Rolle: Politischer Wettstreit, Macht­streben und Kriege fördern neue Ideen, und Not macht bekanntlich erfind­erisch. Letzteres zeigt sich auch in der modernen Kon­sumge­sellschaft: Das Überleben der Unternehmen hängt zunehmend von innovativen Pro­duk­tideen ab.

Störungen der Kreativität

Leider kann Kreativität manchmal auch gestört sein: Man ist blockiert, hat Angst vor dem leeren Blatt, fühlt sich niedergeschla­gen oder aber man versinkt in einem derartigen Übermaß an Ideen, dass am Ende nichts davon umgesetzt wird. Ein weiteres Problem: mangelndes Durch­hal­tev­ermögen. Manch ein genialer Kreativer wirft schlicht die Flinte zu früh ins Korn. Doch Kreativität kann man fördern, und dazu gibt es bewährte Techniken und Hilfen. Beispiel­sweise können Sie gezielt in fremden Fachge­bi­eten recher­chieren. Oder Sie nutzen die Kreativität anderer: Wenn Sie mit Freunden über ein Problem sprechen, haben die oft gute Lösungsansätze. Bekannt ist auch das Brain­storm­ing in der Gruppe. Manchmal kommt der Zufall zu Hilfe – auch das kann man fördern, indem man z. B. einfach drau­floss­chreibt und hinterher schaut, ob sich daraus eine Geschichte ergibt. Oder Sie stellen mittels Kreuzta­belle relevante Faktoren eines Problems dar und versuchen darüber neue Lösungen zu finden. Sie können sich Träume zunutze machen, indem Sie sich vor dem Einschlafen gezielt mit der offenen Frage befassen. Hilfreich sind außerdem die Vi­su­al­isierung des Problems in Bildern sowie die gezielte Suche nach Analogien (etwa Blutkreis­lauf, Stromkreis­lauf, Geld­kreis­lauf ...).

„Das Wissen kann die Gedanken auch festlegen.“

Natürlich spielt auch Wissen bei der Kreativität eine Rolle. Je mehr Sie über ein Problem wissen, desto leichter finden Sie zu einer Idee. Umgekehrt kann zu viel Fachwissen die Kreativität aber auch einschränken. Deshalb gilt es, sich gründlich zu informieren, aber zugleich Hypothesen und erste Ideen so früh wie möglich zu formulieren. Hilfreich ist auch das „janusische Denken“, was bedeutet, bei jedem Ding auch sein Gegenteil mitzudenken, bei schwarz also weiß, bei nass trocken, bei Brücke Tunnel usw. Klar, dass Kreativität oft durch zu frühe Kritik abgewürgt wird – lassen Sie auch die schrägsten Ideen erst mal stehen, das Ausmisten kommt später.

„Viele bedeutende kreative Leistungen sind im hohen Alter entstanden.“

Übrigens ist Kreativität nicht an das Alter gebunden: Kinder sind keineswegs kreativer als Erwachsene, und der Mensch kann bis ins hohe Lebensalter schöpferisch sein. Allerdings gilt dies nur für den künst­lerischen Bereich; Ge­niestre­iche in den Natur­wis­senschaften gelingen fast immer vor dem 40. Lebensjahr. Auch zwischen den Geschlechtern gibt es keinen Unterschied. Dass nur so wenige Frauen als große Kreative bekannt sind, liegt eher an den gesellschaftlichen Umständen, durch die das weibliche Geschlecht an den Herd verbannt wurde. Oft hatten Frauen sogar großen Anteil an bedeutenden In­no­va­tio­nen, nicht selten wurden ihre Ideen nämlich von Männern vereinnahmt und als eigene ausgegeben.

Über den Autor

Martin Schuster ist Professor für Psychologie an der Universität Koblenz. Vorher war er Akademis­cher Rat am Institut für Psychologie der Universität zu Köln.