Drehbuch für ein chaotisches Zeitmanagement

Buch Drehbuch für ein chaotisches Zeitmanagement

Wie Sie mit Improvisation Ihre Aufgaben irgendwie hinkriegen, der Zeit Zeit lassen und locker über die Runden kommen

Vandenhoeck & Ruprecht,


Rezension

Ein augenfälliges Un­ter­schei­dungskri­terium zwischen einem Chaoten und einem Per­fek­tion­is­ten, so der Autor Hermann Rühle, ist der Schreibtisch. Beim Chaoten sind Stapel un­ge­ord­neter Unterlagen umkränzt von einem Reigen viel­far­biger Post-its. Beim Per­fek­tion­is­ten dagegen herrscht Ordnung: Die Schreibtis­ch­platte ist leer, denn alles wurde bereits abgelegt, und bearbeitet wird stets die im Zeitplan vorgesehene Aufgabe. Hermann Rühle stellt die Methoden des chaotischen Zeit­man­age­ments in vielen knappen und pointierten Sätzen vor. Wer in erster Linie konkrete Ratschläge sucht, wird vielleicht enttäuscht. Der an Wieder­hol­un­gen nicht gerade arme Text liest sich oft eher wie eine Recht­fer­ti­gung und Bestärkung für Menschen, die all diese Methoden bereits anwenden. Am an­schaulich­sten werden die Strategien des Chaoten im Kontrast zu denen des Per­fek­tion­is­ten: Im gleichen Buch, nur von der anderen Seite her zu lesen, befindet sich ein eigenständiges Werk mit dem Titel Drehbuch für ein perfektes Zeit­man­age­ment. Wie der Per­fek­tion­ist vorgeht, ist allerdings weitgehend bekannt. BooksInShort empfiehlt das Chaotische Zeit­man­age­ment nicht nur den Chaoten, sondern auch Per­fek­tion­is­ten, die Probleme mit chaotischen Kollegen haben. Es kann ihnen helfen, die Dinge lockerer zu sehen.

Take-aways

  • Chaoten sind Meister des Im­pro­visierens. Ihr System unterliegt nur wenigen Regeln.
  • Sie überzeugen durch Instinkt und einen souveränen Umgang mit Überraschun­gen.
  • Chaotisches Zeit­man­age­ment funk­tion­iert nur, wenn es nicht übertrieben wird. Wer zu konfus und un­kalkulier­bar ist, hat es im Berufsleben schwer.
  • Der Chaot vermeidet unnötige Warterei und Warm-ups in Meetings durch lässige Unpünktlichkeit.
  • Er setzt keine falschen Prioritäten, denn er bearbeitet nur, was unmittelbar ansteht und wichtig ist.
  • Diese Aufgaben erledigt er schnell und hochkonzen­tri­ert, womit er Zeit spart.
  • Ihm genügt ein „Gut ist gut genug“ gemäß der Pareto-Regel, wonach mit 20 % Einsatz 80 % des Ergebnisses erzielt werden.
  • Die gewonnene Zeit nützt der Chaot für Kon­tak­t­ge­spräche und Networking, stimmige Work-Life-Bal­ance und die Dinge, die ihn lei­den­schaftlich in­ter­essieren.
  • Daraus schöpft der chaotische Typus seine Kreativität beim Im­pro­visieren.
  • Mit einigen kleinen Anleihen bei den Planertypen kann ein Chaot sein Image des Krisen­man­agers vor dem Umkippen in das eines Blenders bewahren.
 

Zusammenfassung

Chaos mit System

Chaotische Männer und Frauen bestechen durch ihre Lässigkeit. Sie erscheinen, ohne rot zu werden, zu spät bei Meetings, und ihr Auftritt wirkt dennoch nonchalant und sicher. Sie beginnen mit einer Aufgabe erst kurz vor dem Ab­ga­beter­min und überschre­iten diesen notfalls. Chaoten wissen, dass die Realität nicht planbar ist. Jeder Arbeitstag hält neue Überraschun­gen bereit, die alle Zeitpläne binnen Kurzem über den Haufen werfen können. Daher ist es besser, zu lernen, wie man mit diesen Her­aus­forderun­gen umgeht, und die hohe Kunst der Im­pro­vi­sa­tion zu beherrschen. Der chaotische Manager oder Mitarbeiter ist ein Meister des Durch­wurstelns. Per de­f­i­n­i­tionem kennt sein System kaum Regeln, keine To-do-Lis­ten (die übrigens ein typisches Per­fek­tion­is­ten­merk­mal sind) und wenig or­gan­isatorische Strukturen.

Der chaotische Typ

Nicht alle Chaoten sind gleich chaotisch. Auch hier gibt es eine beträchtliche Bandbreite. Wer gele­gentlich mal Handy, Schlüssel oder Brille verlegt, ist vielleicht ein bisschen schusselig, aber deswegen noch lange kein chaotischer Typ. Nor­malchaoten verfügen über ein beachtliches Maß an Selb­st­be­wusst­sein, das ausreicht, um die bekannten Maximen aus Zeit­man­age­mentsem­inaren zu ignorieren und sich von Eltern, Lehrern oder Chefs kein schlechtes Gewissen wegen übertretener Regeln oder un­ter­lassener Aufgaben einreden zu lassen. Der überchao­tis­che Extremfall, der sich an keinerlei Regeln, Absprachen oder Vorgaben hält und eigentlich nur das tun möchte, wozu er gerade Lust hat, ist für das Er­werb­sleben in größeren Or­gan­i­sa­tio­nen nicht geeignet. Er ist zu konfus und un­kalkulier­bar. Er tut gut daran, sich als Animateur in einem Urlaubsclub oder als Künstler zu versuchen – oder reich zu heiraten.

Prioritäten setzen und dadurch Zeit sparen

Als tendenziell chaotischer Typ sind Sie ein in­stink­t­sicherer, bisweilen genialer Vere­in­facher. Die Reduktion von Komplexität liegt Ihnen im Blut. Sie verzichten darauf, pünktlich zu einem Meeting zu erscheinen, denn in der ersten Vier­tel­stunde wird ohnehin Zeit mit Begrüßungen und Small Talk ver­schwen­det. Alle Manager kennen das Eisen­hower-Prinzip, wonach Aufgaben in vier Kategorien unterteilt werden: „dringend und wichtig“, „wichtig, aber nicht dringend“, „dringend, aber nicht wichtig“ sowie „weder wichtig noch dringend“. Als chaotischer Manager befassen Sie sich nur mit dringenden Aufgaben. Falls so genannte wichtige Aufgaben jemals tatsächlich relevant werden sollten, werden sie schon von selbst dringend. So sparen Sie eine Menge Zeit. Diese Methode macht einen wichtigen Unterschied zum Vorgehen des pedan­tis­chen Per­fek­tion­is­ten aus: Er beschäftigt sich mit Vorliebe mit ver­meintlich wichtigen Aufgaben. Dazu gehören etwa Zeitpläne erstellen, Ablage sortieren oder auch Grund­la­gen­pa­piere erarbeiten. Meistens sind diese Dinge nie wirklich wichtig. Damit hat er wertvolle Arbeitszeit vergeudet.

„Wenn ich die übliche Vier­tel­stunde zu spät komme, hat das Meeting meist noch nicht richtig angefangen, und wieder habe ich Zeit gespart.“

Gemäß dem Pareto-Prinzip, der 80-zu-20-Regel, werden mit 20 % des Aufwands 80 % des Ergebnisses erzielt. Als chaotischer Manager reichen Ihnen diese 80 % völlig aus. So sparen Sie eine Menge Zeit, weil Sie z. B. wissen, dass niemand eine de­tail­re­iche, ausufernde Präsentation hören will. Sie haben sie auf den letzten Drücker erstellt, nämlich dann, als sie dringend wurde, und deshalb ist Ihre Präsentation kurz und knapp. Außerdem mussten Sie, weil Sie erst so spät angefangen haben, nur die neuesten In­for­ma­tio­nen verarbeiten. Eine aufwändige Umarbeitung von Folien und Unterlagen, wie sie ein wohlvor­bere­it­eter, im Zeitplan gefangener per­fek­tion­is­tis­cher Kollege hätte vornehmen müssen, ist Ihnen erspart geblieben.

Die gewonnene Zeit nutzen

Die so gewonnene Zeit können Sie auf vielfältige Weise nutzen, sodass sich hinterher wieder ein Ertrag in Form weiterer Zeit­erspar­nis ergibt:

  • Unterhalten Sie sich zwanglos mit Ihren Kollegen. Dadurch erfahren Sie, was sich hinter den Kulissen abspielt, z. B. ob Projekte auf der Kippe stehen und es sich damit nicht lohnt, überhaupt Energie dafür aufzuwenden. Der verplante per­fek­tion­is­tis­che Kollege steht ständig unter Druck und findet für solche nützlichen Tätigkeiten nie Zeit.
  • Bilden Sie durch Kol­le­genge­spräche, Be­trieb­srundgänge und Di­en­streisen ein Netzwerk aus Freunden und Helfern. Da Sie als Chaot ab und zu in die Lage kommen, schnell mal etwas mithilfe anderer im­pro­visieren zu müssen, ist ein solches Netzwerk sehr nützlich. Per­fek­tion­is­tis­chen Eigenbrötlern fehlt es.
  • Surfen Sie im Internet, achten Sie auf Ihre Work-Life-Bal­ance, kümmern Sie sich um Ihre Hobbys. Das fördert Ihre Kreativität und Ihre Motivation. Weil Sie dadurch einen weiten Horizont gewinnen und ein aus­geglich­enes Seelenleben haben, kommen Ihnen im entschei­den­den Moment, wenn Sie dringend nach einer Problemlösung oder einem tragfähigen Provisorium suchen, die zündenden Ideen. Diese findet der in seinen sturen Arbeits- und Zeitplänen fest­ge­fahrene, stets gestresste Per­fek­tion­ist nicht.
  • Kümmern Sie sich nur um Dinge, die Sie gern tun. So arbeiten Sie mit Lei­den­schaft zu Ihrer eigenen Zufrieden­heit und zur Zufrieden­heit der anderen. Auch Ihre Motivation ist dadurch wie von selbst gewährleistet. Sie oder Ihre Firma brauchen weder Zeit noch Geld für aufwändige Mo­ti­va­tion­ssem­inare einzusetzen.

Ar­beit­stech­niken

Wenn Sie bestimmte Aufgaben mit Ihrem chaotischen Wesen vereinbaren möchten, können die folgenden Strategien Ihnen zum Erfolg verhelfen:

  • Im­pro­vi­sa­tion: Sobald sich eine An­gele­gen­heit als dringend erweist oder ein un­vorherge­se­henes Ereignis eintritt, können Sie als chaotischer Typ Ihr Im­pro­vi­sa­tion­stal­ent zur Entfaltung bringen. Dank Ihrer Überraschungskom­pe­tenz entwickeln Sie Lösungsideen und mo­bil­isieren Ihr Netzwerk. Dabei kommen Ihnen keine anderen Pläne in die Quere – weil Sie nie welche hatten. Der Per­fek­tion­ist dagegen steht sich selbst im Weg, weil er nur an die Rettung seiner Pläne denkt.
  • Last Minute: Wenn Sie Aufgaben im letzten Moment erledigen, ist die Pri­or­isierung eindeutig: Sie konzen­tri­eren sich vollkommen auf das Problem, blenden alles andere aus und schaffen das Pensum in kürzester Zeit – weil Ihnen gar nichts anderes übrig bleibt. Zeitres­sourcen werden nicht mehr vergeudet. Bei Präsentationen oder Prüfungen sind Sie frisch eingear­beitet und auf dem aktuellsten Stand, denn Sie haben fast alles auf den letzten Drücker gemacht. So arbeiten Sie wirklich konzen­tri­ert und effizient. Sie brauchen sich nicht noch einmal neu einzuar­beiten wie der Per­fek­tion­ist, der von langer Hand geplant hat, sondern können schlagfer­tig Antwort geben. Wer seine Ausar­beitung schon seit Wochen fertig in der Schublade hat, hat die Hälfte der Details wieder vergessen und blamiert sich, wenn nachgehakt wird.
  • Delegieren: Wenn Sie Mitarbeiter haben, denen Sie unangenehme Aufgaben übertragen können, tun Sie das unbedingt! Es schadet nichts, wenn diese Mitarbeiter zu Per­fek­tion­is­mus und Pedanterie neigen. Als Im­pro­vi­sa­tion­s­meis­ter verstehen Sie es aber auch, Ihren pedan­tis­chen Chef zu führen: Da Sie sich als Im­pro­visator angesichts der engen Deadline mit einer „Gut genug“-Ausar­beitung zufriedengegeben haben, kann er Ihre Textvorlage oder Ihr Konzept selbst noch per­fek­tion­ieren. So spart er Ihnen Zeit und Arbeit und Sie vermitteln ihm das gute Gefühl, selbst den entschei­den­den Beitrag geleistet zu haben.
  • Aussitzen: Statt sich mit einem Zeitplan oder einer To-do-Liste abzuplagen, ignorieren Sie Aufgaben, die nicht dringend sind. Viele angeblich wichtige Probleme erledigen sich ohne jegliches Zutun irgendwie von selbst oder werden unwichtig, ganz einfach weil in der Zwis­chen­zeit andere wichtige Probleme aufgetaucht sind. Wieder eine enorme Zeit­erspar­nis.

Mit der Realität leben

Arbeit und Ar­beit­sall­tag sind keine abstrakten Prozesse, die sich nach einem bestimmten Plan richten, sondern sie verlaufen von Natur aus chaotisch. Planvolle Abläufe gibt es nur in der Theorie, ins­beson­dere der Man­age­ment­the­o­rie. Meistens kommt es anders, als man denkt.

„Zeit­man­age­ment-Jünger kommen überhaupt nicht zum Arbeiten: Vormittags or­gan­isieren sie ihren Schreibtisch und nachmittags verwalten sie ihr übertriebenes Termin- und Merksystem.“

In dieser Hinsicht sind Sie als im­pro­visieren­der Chaot bestens trainiert und vorbereitet. Bei Ihnen läuft nichts außerplanmäßig, weil Sie aufs Plänemachen keine Zeit ver­schwen­det haben. Dadurch geraten Sie auch nur selten unter Druck. Ist dies doch der Fall, nutzen Sie den Druck kreativ, und die Sache ist schnell wieder vorbei. Die Work-Life-Bal­ance stimmt. Burn-out kennen Sie nicht. Dank Ihres Netzwerks sind Sie stets gut informiert und brauchen nicht erst umständlich In­for­ma­tio­nen einzuholen. Sie können darauf verzichten, Daten zu analysieren oder akribisch Unterlagen zu prüfen. Durch die Ihnen zugetragene informelle Information sind Sie bereits bestens im Bild und entscheiden aus dem Bauch heraus. Sie sind hellwach und ak­tions­bereit, wenn es darauf ankommt. In Planungen Zeitbedarf zu schätzen, ist überflüssig, denn im chaotischen Alltag bleibt sowieso nur die Zeit, die eben zur Verfügung steht, mehr nicht. Nichts ist sicherer als der Zufall, deswegen muss vor allem dieser eingeplant werden. Dadurch bleiben Sie offen und flexibel und sehen neue Chancen, die der Per­fek­tion­ist gar nicht erkennen kann.

Der chaotische Schreibtisch

Der Schreibtisch eines Chaoten ist eigentlich gar nicht chaotisch, sondern unterliegt der geheimen, inneren Ordnung seines Benutzers. Deswegen darf er nie aufgeräumt werden – das wäre in der Tat eine Katastrophe. Alles, was oben und in Reichweite liegt, ist aktuell, wichtig und dringend. Nur sein Benutzer findet intuitiv und relativ schnell die benötigten Unterlagen. Mangels Ablagesys­tem kann nichts falsch abgelegt sein.

„Für eine Aufgabe braucht man die Zeit, die einem tatsächlich bleibt, und nicht die, die man geschätzt hat.“

Ein bisschen Suchzeit ist erlaubt, schließlich wurde bereits Zeit gespart, indem man auf die Ablage verzichtet hat. Während ein aufgeräumter, leerer Schreibtisch womöglich Signale wie Faulheit, Er­fol­glosigkeit oder Ent­behrlichkeit aussendet, sig­nal­isiert ein voller Schreibtisch Geschäft, Aktion, Erfolg und Un­ent­behrlichkeit. Er schützt vor voreiligen, spontanen Reaktionen und liefert, etwa bei Nachfragen, u. U. auch dringend benötigte Bedenkzeit – und sei es nur für eine Ausrede. Auf einem vollen Schreibtisch geht nichts verloren; man kann sich die Zeit für unnötige Wieder­vor­la­gen sparen. Was wirklich benötigt wird, kommt er­fahrungs­gemäß wie von selbst wieder nach oben. Außerdem hat man ja alles im Blick; als Chaot braucht man sich daher nie Termine und Vorgänge zu merken: Es ist alles da und man hat den Kopf frei.

Was Chaoten von Per­fek­tion­is­ten lernen können

Als Chaot müssen Sie allerdings aufpassen, dass Sie nicht den Ruf bekommen, konfus zu sein. Zudem dürfen Sie Ihre Dynamik nicht in Hektik ausarten lassen. Lernen Sie aus Fehlern, aber wiederholen Sie sie möglichst nicht, sonst gelten Sie bald nicht mehr als begnadeter Krisen­man­ager, sondern als Versager. Ihre Kon­tak­t­freude darf nicht als Geschwätz, Ihre im­pro­visierten Auftritte und Unterlagen dürfen nicht als Blendwerk und Ihre Flexibilität sollte nicht als Verzetteln missdeutet werden.

„Bleiben Sie chaotisch, aber werden Sie nicht konfus, das wäre zu viel des Guten. Hinter konfus lauert gestört.“

Um ein bisschen Ordnung kommen Sie nicht herum: Beugen Sie häufigen Fehlern mithilfe kleiner Checklisten oder Spickzettel vor, sammeln Sie wichtige Urkunden in einer Tüte (auch Spe­sen­quit­tun­gen), planen Sie Zeitpuffer vor Präsentationen ein und schalten Sie Störer wie ankommende Mails oder Anrufe aus, wenn Sie sich konzen­tri­eren müssen. Finden Sie heraus, ob Sie ein Tag- oder Nachtmensch sind, und folgen Sie Ihrem inneren Rhythmus. Wenn Sie eine Führungspo­si­tion bekleiden, engagieren Sie eine per­fek­tion­is­tis­che Assistentin, damit Ihre Qualitäten optimal ergänzt werden.

Über den Autor

Hermann Rühle ist Be­trieb­swirt und Psychologe. Als Berater und Trainer unterstützt er Unternehmen in Sachen Zeit­man­age­ment.