Missverständnisse sind vorprogrammiert
Seit 1989 steht Rumänien im Fokus ausländischer Investoren, nicht zuletzt wegen der bis heute sehr günstigen Lohnkosten. Deutschland ist ein besonders wichtiger Partner für das Land und steht bei den Auslandsinvestments auf Platz drei. Das liegt auch an den traditionell engen deutsch-rumänischen Beziehungen. Rumänen haben oft ein sehr positives Bild von Deutschland und sprechen nicht selten sehr gut Deutsch.
„Traditionell haben die Rumänen ein sehr positives Bild von den Deutschen, die als Motor für Fortschritt, Qualität und Westorientierung gesehen werden.“
Trotz dieser Nähe kann es immer wieder zu Missverständnissen in der beruflichen Zusammenarbeit kommen: Die oft tiefgläubigen oder abergläubischen Rumänen gelten als chaotisch, aber auch übereifrig, als emotional, aber auch pragmatisch, als respektlos, aber zugleich obrigkeitshörig. Deshalb sind die Deutschen, die oft sehr direkt, sachorientiert, effizient organisiert und an flache Hierarchien gewöhnt sind, nicht selten irritiert. Um in Rumänien klarzukommen, muss ein Deutscher erst das nötige Verständnis entwickeln und sich der Kultur anpassen. Allerdings ist es auch nicht zielführend, es mit der Anpassung zu übertreiben und rumänischer als ein Rumäne werden zu wollen. Wichtig sind in erster Linie Respekt und Toleranz.
Personenorientierung
Rumänen sind erheblich personenorientierter als Deutsche. Für sie steht die menschliche Beziehung im Vordergrund. Zuerst geht es immer um den persönlichen Kontakt, dann um die Sache. Für Rumänen zählt vor allem die eigene Familie. Dabei geht es zum einen um enge emotionale Bindungen, Zuneigung und Anerkennung, zum anderen aber auch um Materielles: Familie steht für den Zusammenhalt in der Not und dient der Alterssicherung sowie der Betreuung des Nachwuchses. Wer nicht zu dieser „Ingroup“ gehört, wird ignoriert oder mit Misstrauen betrachtet. Deshalb sind die rumänischen Institutionen schwach. Oft wird auch dem Arbeitgeber wenig bis keine Loyalität entgegengebracht.
„Soziale Nähe, Vertrautheit und Sympathie sind für Rumänen sehr wichtige und hoch geschätzte Werte.“
Die Begriffe „Leistung“ und „Wettbewerb“ sind vielen Rumänen bis heute fremd geblieben – kein Wunder, denn in der rumänischen Vergangenheit hat sich Leistung kaum je ausgezahlt: Armut und Ausbeutung sind prägend für die Geschichte des Landes. Wer arbeitete, wurde meist bestraft, indem er hohe Abgaben zahlen musste oder gar ganz um die Früchte seiner Arbeit gebracht wurde. Zu arbeiten, gilt in Rumänien deshalb eher als dumm. Ziel vieler ist schnelles Geld ohne Anstrengung. Allerdings gibt es inzwischen auch das gegenteilige Phänomen: junge Rumänen, die sich in übertriebener Leistungsbereitschaft aufopfern. Wenn also eine motivierte Arbeitskraft auf einer Betriebsfeier plötzlich dem Vorgesetzten erzählt, dass sie die Firma sowieso bald wieder verlassen werde, ist dies eher ein positives Zeichen: Sie fühlt sich wohl, vertraut dem Chef und macht sich kaum Gedanken darüber, wie eine solche Äußerung auf wirken könnte. Der deutsche Vorgesetzte sollte an dieser Stelle keine Belehrungen über Loyalität von sich geben, sondern lieber vorsichtig nachfragen und andeuten, dass man sehr traurig wäre, so einen guten Mitarbeiter zu verlieren.
„Die Frage, ob sich Leistung lohnt, bleibt für viele Rumänen verständlicherweise offen.“
Wenn die Zusammenarbeit im Team nicht so recht klappt, kann ein gelungener Betriebsausflug wahre Wunder wirken: Kommt man sich dabei menschlich näher, schalten die Rumänen von Fremdeln auf Freundschema um, und plötzlich läuft’s. Nicht wundern sollten sich Deutsche, wenn Rumänen plötzlich – beispielsweise bei einem Umzug – unangemeldet vor der Tür stehen: Dies zeigt, dass man gemocht wird, und unter Freunden ist spontane Hilfe in Rumänien selbstverständlich. Das Gleiche gilt, wenn nach dem Urlaub erst einmal die Ferienerlebnisse abgefragt werden. Alles andere wäre sehr unhöflich.
Vermeidung von Konfrontationen
Offene Kritik und sachliche Auseinandersetzung: Ein solcher Konfrontationskurs ist bei Rumänen ziemlich unbeliebt. Auch das ist historisch bedingt: Wenn man in der Gruppe auf engem Raum zusammenleben muss oder wenn man bei Konflikten mit den Oberen sowieso kaum die Möglichkeit hat, an der Situation etwas zu ändern, kann man sich Streitereien oder den Abbruch des Kontakts schlicht nicht leisten. Außerdem wird Kritik meist sehr persönlich genommen und als verletzend aufgefasst. Das kann man schon aus Angst vor Rache nicht riskieren. Bei offener Kritik – etwa in Feedbackrunden – schrillen deshalb alle Alarmglocken. Typisch rumänische Konfliktbewältigung heißt eher: weghören, ignorieren, ausweichen, aufschieben, aus dem Weg gehen. Bestenfalls ist eine Andeutung zwischen den Zeilen erlaubt. Die Wiederannäherung nach einem Konflikt läuft ebenfalls indirekt, etwa über kleine Nettigkeiten; das eigentliche Thema wird unter den Teppich gekehrt. Nicht selten werden Probleme allerdings ausgiebig mit Dritten diskutiert, sodass sich auch kleine Unstimmigkeiten nach dem Stille-Post-Prinzip zu Riesenproblemen auswachsen können.
„Insgesamt träumen die meisten heute von dem schnellen Geld.“
Wegen dieses von klein auf eingeübten Umgangs mit Konflikten ist es schwierig, Rumänen auf sachliche Probleme, etwa Fehler bei der Auftragsabwicklung, anzusprechen, ohne dass sie sich massiv angegriffen fühlen. Selbst freundlich gemeinte Hinweise, etwa zum richtigen Melden am Telefon, sind schon heikel. Die deutsche Offenheit ist hier oft hinderlich, weil sie den anderen bloßstellt und damit die Lösung des Problems verzögert. Umso wichtiger ist es, die persönliche Beziehung zu festigen. Auch in öffentlichen Diskussionsrunden, vor allem mit höhergestellten Persönlichkeiten oder Politikern, reden Rumänen nur selten offen; selbst wenn sie über einen Missstand stark verärgert sind.
Emotionalität
Die in Deutschland übliche Selbstbeherrschung im Job ist in Rumänien eher eine Ausnahme. Rumänen reagieren sehr emotional. Gefühle wie Freude, Trauer und Wut kommen weitgehend ungebremst zum Ausdruck, sind aber auch schnell wieder vorbei. Tränenausbrüche sind auch bei geringen Anlässen keine Seltenheit. Sachlichkeit gilt schnell als emotionale Kälte. Auch im dekorativen Bereich mag man es bunt und üppig. Frauen sind oft sehr feminin gekleidet und stark geschminkt. Gelegentlich werden die Rumänen schwermütig und wirken dann etwas abwesend. Man sollte sich nicht wundern, wenn beispielsweise bei einem Gesprächstermin der Bürgermeister erst einmal Dampf ablässt über sein vorheriges Telefonat, bevor er zum eigentlichen Thema kommt; oder wenn Rumänen nach getaner Arbeit nicht einfach zufrieden sind, sondern vor lauter Freude über das gelungene Werk in Tränen ausbrechen; oder wenn die fast unbekannte Sprachlehrerin ihrem deutschen Schüler vor lauter Begeisterung über kleinste Fortschritte herzend und küssend um den Hals fällt.
Pragmatismus
Rumänen interessieren sich wenig für Regeln und Prinzipien; strukturiertes Vorgehen ist ihnen fremd. Regeln und Vorschriften werden gerne ignoriert oder umgangen, was auch darin begründet ist, dass der Staat oft ungerecht agiert hat. Deutsche haben hier schlicht andere Erfahrungen und akzeptieren Regeln deshalb viel eher. Rumänen gehen lieber pragmatisch vor und beseitigen ein Problem mit unorthodoxen Mitteln. Positiv daran sind die oft unerwarteten, kreativen Lösungen und das Querdenken. Weniger hilfreich ist es, wenn man langfristige Großprojekte Schritt für Schritt abwickeln will. Der Grund für diese Haltung ist einfach: Not macht bekanntlich erfinderisch und das gilt auch für die traditionell eher armen Rumänen. Und angesichts einer völlig unsicheren Zukunft und schwacher Institutionen lohnt sich langfristiges Planen und Denken schlicht nicht.
„Man will einen starken Führer, misstraut ihm aber.“
Im beruflichen Alltag zeigt sich dieser Pragmatismus beispielsweise, wenn die rumänischen Kollegen bei der Einführung eines neuen weltweiten IT-Systems nicht auf das Okay der deutschen Projektleitung warten. Vielmehr stürzen sie sich begeistert auf die frisch angelieferten Rechner und bringen sie umgehend zum Laufen. Kritik an diesem nicht abgestimmten Vorgehen verstehen sie überhaupt nicht, schließlich läuft doch alles. Auch deutsche Auditoren, die monieren, dass eine Schraube mit der rechten statt mit der von der Qualitätssicherung vorgeschriebenen linken Hand angezogen wird, stoßen bei rumänischen Mitarbeitern auf Unverständnis. Für sie ist es schlicht egal, welche Hand man nimmt.
Hierarchieorientierung
Mitdenken, Partizipation, Feedbacksysteme – was für deutsche Chefs selbstverständlich ist, ist für Rumänen oft ungewohnt. Der ideale Chef ist für viele Rumänen nach wie vor der autoritäre Patriarch, der sagt, was zu tun ist, und sich ganz wie ein Vater um sie kümmert. Auch im Kommunismus war dieses Prinzip stark verankert, u. a. durch umfassende staatliche Sozialleistungen. Für Rumänen ist es undenkbar, dass der Chef kein besseres Büro hat als der einfache Angestellte. Selbst junge Rumänen, die sich als Untergebene über ihre autoritären Vorgesetzten beklagen, fallen meist in die gleichen Verhaltensweisen, wenn sie selbst in Führungspositionen aufsteigen.
„Statt eine stabile Selbstsicherheit zu haben schwanken die Rumänen zwischen zwei Polen.“
Rumänen suchen zwar den starken Führer, haben aber gleichzeitig ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber Regeln und Institutionen. Deutsche Vorgesetzte sollten sich deshalb nicht wundern, wenn z. B. angeordnete Überstunden nur höchst widerwillig geleistet werden. Sobald Rumänen aber das Gefühl haben, von ihrem Vorgesetzten beschützt zu werden – etwa wenn er Neuerungen der Systemzentrale abwehrt –, wendet sich das Blatt: Nun dominiert die positive Beziehung und die Rumänen arbeiten mit viel Engagement.
Schwankende Selbstsicherheit
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt – nicht ungewöhnlich für das rumänische Selbstbewusstsein. Oft schlägt maßlose Selbstüberschätzung blitzschnell in Minderwertigkeitskomplexe um. Eine realistische Einschätzung des eigenen Könnens fällt vielen Rumänen eher schwer. Die Ursachen liegen wiederum in der Geschichte Rumäniens, und zwar besonders in deren Unbestimmtheit: Man weiß nicht viel darüber, was in den 1300 Jahren zwischen römischer Herrschaft und erster Staatsgründung im 14. Jahrhundert genau geschah. Heute haben viele Rumänen einerseits wegen des schlechten Rufs ihres Landes Minderwertigkeitsgefühle, andererseits sind sie aber wegen ihrer einzigartigen Kombination aus romanischer Sprache und orthodoxer Religion stolz darauf, sich von den umliegenden Ländern und dem Westen abzuheben.
„In Rumänien liegt es auf der Hand, dass die Statusorientierung hauptsächlich von einem großen Nachholbedarf genährt wird.“
Auch sonst sehr selbstsichere Rumänen können bei unbekannten Aufgaben in ungewohnter Umgebung plötzlich zu grauen Mäusen ohne Selbstvertrauen werden. Deutsche dürfen sich außerdem nicht wundern, wenn diskussionsfreudige Vertriebsmitarbeiter verstummen, sobald ihre Vorschläge umstandslos als unbrauchbar zurückgewiesen werden. Wenn es um relevante Neuerungen geht – etwa Änderungen der Gehaltsabrechnung –, ist der persönliche Kontakt unverzichtbar. Eine schlichte Rundmail löst Angst aus, die Gerüchteküche brodelt, schnell kommt der Verdacht auf, man werde betrogen.
Statusorientierung
Statussymbole sind in Rumänien wesentlich wichtiger als in Deutschland. Dabei geht es nicht nur um Materielles, sondern auch um Titel und Positionen. Kein Wunder, denn in Rumänien ist die Schere zwischen Arm und Reich immer noch sehr groß, viele haben einen enormen Nachholbedarf an Konsumgütern. Verständlich, dass Rumänen beispielsweise viel Wert darauf legen, dass auf Türschildern und Visitenkarten wohlklingende Positionsbezeichnungen sind oder dass sie in Einstellungsgesprächen oft zahllose Zusatzleistungen fordern, vom Blackberry bis zum Dienstwagen einer bestimmten Marke. In eine ähnliche Richtung geht es, wenn nach dem Besuch deutscher Investoren überschwängliche Berichte in der Lokalzeitung erscheinen: Schließlich schmückt man sich gerne mit den tollen Ergebnissen wichtiger Verhandlungen – und übertreibt dabei auch mal.