Wachsen ohne Wachstum

Buch Wachsen ohne Wachstum

Weniger Ressourcen – bessere Technik – mehr Wohlstand

Hanser,


Rezension

Willi Fuchs ist ein Mann, der sich schon als kleiner Junge stundenlang mit Technikbaukästen beschäftigte, der verzückt an seinem ersten Auto herum­schraubte und der überhaupt nicht begreifen will, warum die Kernkraft in Deutschland so unbeliebt ist. Sein Buch hat er Monate vor Fukushima geschrieben, aber die Katastrophe hätte wohl nicht viel am Grundtenor geändert: Die Technik wird’s schon richten. Er fordert, im Zweifel für die Innovation zu stimmen, die Bil­dungspoli­tik umzukrem­peln und aus knappen Ressourcen ein Maximum her­auszuk­itzeln. Fuchs’ Mach­barkeits­glaube ist im positiven Sinn ansteckend, aber es irritiert, dass er ein Überdenken des gegenwärtigen Lebensstils nicht mal in Betracht zieht. Zwar gestehen seine VDI-Kol­le­gen in einem Gastbeitrag ein, dass wir z. B. weniger Fleisch essen müssten, um nicht so viele Ressourcen in der Land­wirtschaft zu ver­schwen­den. Da der Fleis­chkon­sum aber eher zunehmen wird, so ihre Folgerung, müssen eben ef­fizien­tere Methoden der Fleis­ch­pro­duk­tion entwickelt werden. Eine prag­ma­tis­che, aber auch eindi­men­sion­ale Sichtweise, findet BooksInShort. Lesenswert ist das Buch trotzdem, vor allem für Unternehmer, Ingenieure und Bil­dungsver­ant­wortliche, die die Chancen des Wirtschaft­sum­baus nutzen wollen.

Take-aways

  • Die pro­duzierende Industrie hat die deutsche Wirtschaft nach der Finanzkrise unerwartet schnell aus dem Sumpf gezogen.
  • Deutschland ist für eine rohstof­farme und wis­sensin­ten­sive Zukunft, für ein „Wachsen ohne Wachstum“, bestens gerüstet.
  • In den Tech­nik­stan­dort muss allerdings investiert werden, um ihn zu erhalten.
  • Der Nach­haltigkeits­gedanke muss in die Bewertung neuer Tech­nolo­gien einfließen.
  • Jeder Einzelne sollte sich technisch bilden, damit fortschritts­feindliche Demagogen In­no­va­tio­nen nicht blockieren können.
  • Energie, Wasser und Flächen lassen sich noch viel effizienter nutzen als bisher.
  • Allein die grüne Bauwirtschaft hat in Deutschland ein Um­satzpoten­zial von 340 Milliarden Euro.
  • Überalterung und Fachkräftemangel könnten den Aufschwung schon bald stoppen.
  • Technische Berufe und die entsprechen­den Bil­dungswege müssen attraktiver werden.
  • Wir brauchen jeden Einzelnen, um die Zukunft nachhaltig zu gestalten: Männer und Frauen, Junge und Alte, Migranten und Ein­heimis­che.
 

Zusammenfassung

Die Industrie macht’s

Die Konjunktur in Deutschland boomt, nicht trotz, sondern gerade wegen der Glob­al­isierung. Deutsche Spitzen­tech­nolo­gie ist auf der ganzen Welt gefragt. Doch die Konkurrenz in Schwellenländern wie China und Indien schläft nicht. Um wet­tbe­werbsfähig zu bleiben, müssen wir noch stärker als bisher in Nano-, Umwelt- und Ef­fizien­ztech­nolo­gien investieren. In Deutschland war es die pro­duzierende Industrie, die das Land nach der Finanzkrise wieder auf die Beine brachte. Sie trägt 26 % zur Wertschöpfung bei, im Vergleich zu 17 % in den USA und 13,5 % in Frankreich. Fest steht aber auch: Rohstoffe werden immer knapper und teurer. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als sie besser zu nutzen. Die deutsche Industrie ist so gut aufgestellt, dass sie vom Zwang zur Ressourcenef­fizienz, zum „Wachsen ohne Wachstum“ nur profitieren kann. Der In­no­va­tions- und Beschäfti­gungsmo­tor in Deutschland ist und bleibt der Mittelstand, der allerdings heute schon über zu wenig qual­i­fizierte Mitarbeiter verfügt. Nur wenn wir mehr Mittel in die Bildung und die Integration der hier lebenden ausländischen Mitbürger stecken, können wir die Her­aus­forderun­gen der Zukunft meistern.

Fortschritt bewerten

Wer würde heute noch freiwillig auf Handy, Computer oder die Möglichkeit von Ul­tra­schal­lun­ter­suchun­gen verzichten? Wir haben uns an die Segnungen der modernen Technik gewöhnt, und das ist gut so. Dennoch müssen wir den technischen Fortschritt neu bewerten: Umweltschutz und Gesundheit sollten uns mindestens so wichtig sein wie Funk­tion­alität und Wirtschaftlichkeit. Das Prinzip der Nach­haltigkeit muss zum Leitbild für Ingenieure werden, wenn sie die Chancen und Risiken einer neuen Technik einschätzen. Außerdem sollte sich die Gesellschaft gegenüber In­no­va­tio­nen aufgeschlossener zeigen. Nur so können wir den drängendsten Her­aus­forderun­gen der Zukunft begegnen. Diese Maßnahmen sind besonders wichtig:

  • Begrenzung des Kli­mawan­dels auf eine mittlere Tem­per­aturzu­nahme von 2° C: Von 2010 bis 2050 müssen wir die CO2-Ef­fizienz alle zehn Jahre verdoppeln. Als Verbraucher am Ende der Wertschöpfungskette haben wir die größte Hebel­wirkung.
  • Effiziente Wasser­nutzungssys­teme: In 40 Jahren könnten bereits zwei Drittel der Menschheit unter Wasser­man­gel leiden. Teil einer ganzheitlichen Lösung ist die Mikro- oder Tröpfchenbewässerung mit einer poten­ziellen Effizienz von über 90 %.
  • Ef­fizien­tere Flächennutzung: Bis 2030 muss die Nahrungsmit­tel­pro­duk­tion um 50 % steigen, damit alle Menschen satt werden. Hierzu kann u. a. eine verstärkte land­wirtschaftliche Produktion in Städten beitragen.
  • Bewahrung der Arten­vielfalt: Selbst wenn die Menschheit sich zu zwei Dritteln von Weizen, Reis und Mais ernährt – ein Ökosystem, in dem einzelne Bausteine ausfallen, wird instabil. Ef­fizien­zsteigerun­gen dürfen nicht auf Kosten der Biodiversität gehen.
„Die anstehenden Her­aus­forderun­gen, seien es Klima-, Energie- oder Ressourcenfra­gen, können nur von und mit der Technik gelöst werden.“

Effizienz lässt sich überall steigern. So sind z. B. Gebäude für 40 % des En­den­ergie­ver­brauchs in Deutschland ve­r­ant­wortlich. Insgesamt ließen sich hier mit Sanierungen 63 Megatonnen CO2-Äquivalente einsparen – für die Bauwirtschaft bedeutet das potenzielle Umsätze von 340 Milliarden Euro. Vo­raus­set­zung ist, dass der ver­schwen­derische Ressourcenver­brauch durch den Einsatz von Wissen ersetzt wird. Fachkräfte müssen in Sys­temzusam­menhängen denken und Prozesse über die gesamte Wertschöpfungskette analysieren.

Für den Tech­nik­stan­dort ausbilden

In keinem anderen In­dus­trieland ist die Produktivität in den vergangenen 20 Jahren so stark gestiegen wie in Deutschland. Dieser Umstand sowie die Qualität und Flexibilität der Mitarbeiter haben dazu geführt, dass weniger Arbeitsplätze ins Ausland ausgelagert wurden. Die Zahl der Beschäftigten hat sogar zugenommen. Ein wesentliches Er­fol­gsrezept ist das her­vor­ra­gende deutsche Berufs­bil­dungssys­tem. Allerdings klagen immer mehr Un­ternehmensvertreter, dass sie keine geeigneten Auszu­bilden­den mehr finden. Hier gilt es gegen­zus­teuern. Wichtig sind:

  • über Bundesländergrenzen hinweg geltende Bil­dungsziele und eine ein­heitliche Lehreraus­bil­dung,
  • die Aufwertung der Hauptschule, in der technisch und handw­erk­lich begabte junge Menschen in einem an­schaulichen Werk- und Sachunter­richt Per­spek­tiven erhalten,
  • der Ausbau überbe­trieblicher Aus­bil­dungsstätten, damit Unternehmen für die Vermittlung von Grund­fer­tigkeiten nicht die Produktion un­ter­brechen müssen,
  • ein ständiger Dialog zwischen Unternehmen und Schulen sowie eine kon­tinuier­liche Berufs­ber­atung ab dem 7. Schuljahr,
  • eine ganzheitliche natur­wis­senschaftliche Bildung, die neben der Vermittlung praktischer Kenntnisse im Tech­nikun­ter­richt auch gesellschaftliche Folgen und ethische Fragen umfasst.
„Eins steht bereits heute fest, egal welche Technologie die Zukunft bringt, es wird ein Wachsen nur ohne Wachstum der Ressourcen möglich sein.“

Allerdings nützen die ehrgeizig­sten Initiativen nichts, wenn junge Menschen von ihren Eltern keine Unterstützung und Ori­en­tierung erhalten. Lust am Lernen erleben Kinder zuallererst in ihrem Elternhaus. Deshalb müssen Kinder und Eltern aus sozial schwachen Familien und aus solchen mit Mi­gra­tionsh­in­ter­grund auf ihrem Bildungsweg unterstützt werden. Damit mehr Frauen für technische Berufe begeistert werden können, hat die Vere­in­barkeit von Beruf und Familie oberste Priorität, z. B. mithilfe von Be­trieb­skinderkrip­pen und flexibleren Ar­beit­szeiten.

Selbstständige Technik

Tech­nolo­gien verändern unser Leben und manchmal sogar ganze Gesellschaften. Sie wecken allerdings auch Ängste. Ein Beispiel hierfür ist die irrationale Diskussion über die Kernenergie, die Demagogen für ihre Zwecke miss­brauchten. In der Folge wurde Deutschland bei der nuklearen Forschung und Entwicklung von Ländern wie Frankreich und England abgehängt. Wir brauchen mehr technische Aufklärung, damit sich jeder Bürger seine eigene Meinung über Tech­nolo­gien bilden kann. Warum glauben immer noch viele Prominente, mit ihrem mangelnden Tech­nikverständnis kokettieren zu können? Und warum wird der Tech­nikun­ter­richt an all­ge­mein­bilden­den Schulen nach wie vor stiefmütterlich behandelt? Wer junge Leute für technische Berufe begeistern will, muss die Alltagsbezüge der Technik so früh wie möglich darstellen. Das fängt schon bei den Kleinsten an. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) z. B. hat einen Kinder-Tech­nik-Klub ein­gerichtet. Unternehmen bieten die „Nacht der Technik“ oder den „Girls’ Day“ an, an dem Schülerinnen in technische Berufe hinein­schnup­pern können.

„Es geht um ein qual­i­ta­tives Wachsen, welches nur mit qual­i­fizierten Menschen mit einem starken Fokus auf die kluge Nutzung der Technik möglich ist.“

Technische In­no­va­tio­nen werden unser Leben grundlegend verändern. Beispiel Fahrzeugtech­nik: Neben umwelt­fre­undlicher Antrieb­stech­nik werden Fahreras­sis­ten­zsys­teme an Bedeutung gewinnen. Das Ziel sind selb­stlenk­ende und -bremsende Autos, die Gefahren erkennen. Sie werden miteinander kom­mu­nizieren und einander vor Glatteis oder Staus warnen. Elek­tro­fahrzeuge könnten Teil eines in­tel­li­gen­ten Stromnetzes werden. Wenn es Energie im Überschuss gibt, laden sie ihre Batterien auf. Sobald die Nachfrage das Angebot übersteigt, speisen sie Energie ins Netz ein.

„Der Streit wird nicht aufgrund von Zahlen, Daten und Fakten geführt, sondern vielmehr ideologisch, und hat zu einer breiten Ablehnung von Kernenergie in der Bevölkerung geführt.“

Unter dem Schlagwort „Internet der Dinge“ vernetzen sich Objekte mit Menschen und werden so zu autonomem Handeln befähigt: Eine Heizungsan­lage informiert automatisch den Wartungsser­vice, wenn etwas kaputt ist, und in der Lo­gis­tik­wirtschaft suchen sich die Waren – parallel zu den Bits und Bytes im Internet – die schnellsten und kürzesten Wege. Das Forschungs­feld des „Ambient Assisted Living“ befasst sich mit der Frage, wie man älteren Menschen mithilfe technischer Systeme ein selb­st­bes­timmtes Leben ermöglichen kann. Die Nan­otech­nolo­gie wiederum hilft, den Wirkungs­grad von Fo­to­voltaiksys­te­men zu erhöhen, sie treibt die Brennstof­fzel­len­forschung und die medi­zinis­che Forschung voran. Damit diese In­no­va­tio­nen nicht am un­in­formierten Widerstand der Bevölkerung scheitern, müssen Forscher und Medien konsequent Aufklärung betreiben.

In­no­va­tions­bere­itschaft unterstützen

Inkre­mentelle In­no­va­tio­nen sind geringfügige, kon­tinuier­liche Verbesserun­gen eines bestehenden Systems; radikale In­no­va­tio­nen dagegen solche, die einen völlig neuen Markt schaffen. Beispiele hierfür sind das Internet, aber auch der Transrapid. Die eine Innovation hat sich weltweit durchge­setzt, die andere wurde fa­taler­weise aus Deutschland nach China verkauft. Fest steht: In­no­va­tio­nen benötigen einen Markt. Um den großen, lebensverändernden Ideen eine Chance zu geben, muss die Politik sich bei der Regulierung zurückhalten. Politiker sollten keine konkreten Um­set­zungsvorschriften erlassen, sondern sich auf Wirkvorschriften, d. h. auf die Festlegung von Grenzwerten, beschränken.

„Wir werden kein Anwachsen der Arbeitszeit haben, aber unsere Unternehmen müssen trotzdem wachsen. Das heißt auch hier: Wachsen ohne Wachstum.“

Wie viel Potenzial grüne Tech­nolo­gien bieten, beweist die Re­cy­cling­wirtschaft in Deutschland. Der Einsatz wiederver­w­erteter Stoffe anstelle der Primärstoffe für Stahl, Aluminium, Brennstoffe, Ver­pack­un­gen und Zink generierte 2005 eine Wertschöpfung von 3,7 Milliarden Euro, die vor allem auf eingesparte Energie zurückzuführen ist. Sensorgestützte Sortierung garantiert eine ver­gle­ich­sweise hohe Qualität wiederver­w­erteter Rohstoffe. Reine Rohstof­fliefer­an­ten laufen Gefahr, langfristig von Anbietern neuer Materialien oder Ef­fizien­ztech­nolo­gien wie z. B. modernen In­for­ma­tions- und Kom­mu­nika­tion­stech­nolo­gien verdrängt zu werden.

Aus weniger wird mehr

Bis 2050 wird die deutsche Bevölkerung von heute 82,5 Millionen auf 69–74 Millionen Menschen schrumpfen. Heute kommen auf 100 Erwerbstätige 32 Rentner – in 40 Jahren werden es doppelt so viele sein. Fachkräfte werden in vielen Branchen gesucht, und unter Ingenieuren ist diese Entwicklung besonders dramatisch. 40 000 Ingenieure mehr bräuchten deutsche Unternehmen, um ihr Wertschöpfungspoten­zial voll zu nutzen. Das Durch­schnittsalter der heute arbeitenden Ingenieure beträgt 50 Jahre. Die Folge: Wenn nicht deutlich mehr jüngere Menschen zu Ingenieuren ausgebildet werden, steuert das Land auf einen drama­tis­chen Fachkräftemangel zu. Über das Anwerben ausländischer Ingenieure ist dieser nicht zu kom­pen­sieren. Länder wie Polen, China oder Indien brauchen ihre Ingenieure selbst, und sie beginnen sogar bereits, welche aus Deutschland abzuwerben. Massive In­vesti­tio­nen in die Aus- und Weit­er­bil­dung hiesiger Ingenieure sind deshalb nötig. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter weit­er­bilden, gewinnen doppelt: Sie stellen sich den drängenden Zukun­fts­fra­gen und binden wertvolles Personal. Hochschulen und Forschung­sein­rich­tun­gen bieten wertvolle Ko­op­er­a­tio­nen an: Unternehmen, die sich keine eigene Forschung leisten, können ihre eigenen Mitarbeiter zum Lernen und Lehren in Labore und Hochschulen schicken.

„Gerade die Demografie zwingt dazu, dass die Menschen sich ständig weit­er­bilden – und das geht am besten, wenn sie eine Grundlage bekommen haben, also ,das Lernen gelernt‘ haben.“

Was für unser Land auf dem Spiel steht, verdeut­licht ein Szenario, bei dem der Preis für ein Fass Öl innerhalb der kommenden Jahre auf 300 $ steigen wird – eine keinesfalls undenkbare Entwicklung. Die Folgen für die deutsche Wirtschaft wären dramatisch: Öl-, Gas- und Kohlekraftwerke stünden vor dem Aus. Luft- und Schifffahrt würden stark eingeschränkt. Gleichzeit wäre der Preisschock das größte Förder­pro­gramm für re­gen­er­a­tive Energien aller Zeiten: Elek­tro­mo­bilität, der Schienen­verkehr und Passivhäuser würden einen In­vesti­tion­ss­chub erleben und so gut wie alle Kunststoffe würden recycelt.

Über den Autor

Willi Fuchs ist Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) und Herausgeber der VDI-Nachrichten. Zuvor war er als Gastdozent in den USA und als Führungskraft in ver­schiede­nen Unternehmen tätig.