Massen mobilisieren
Der Kolumbianer Oscar Morales wollte 1 Million Stimmen gegen die Terrororganisation FARC sammeln – über Facebook, wo er am 4. Januar 2008 kurz nach Mitternacht eine Gruppe gründete. Er glaubte selbst nicht wirklich daran, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen könnte. Umso mehr wurde er von dem überrumpelt, was dann geschah: Er hatte die Gruppe seinem Netzwerk, bestehend aus etwa 100 Freunden, vorgestellt. Sechs Stunden später hatte sie bereits 1500 Mitglieder und am Nachmittag waren es 4000. Nach nur zwei Tagen war die Gruppe auf 8000 Mitglieder angewachsen. Man beschloss, mehr zu tun, als sich im Internet auszutauschen. Die Gruppe organisierte einen landesweiten Protestmarsch in Kolumbien, an dem rund 10 Millionen Menschen teilnahmen; in anderen Ländern versammelten sich insgesamt nochmals etwa 2 Millionen. Ein gutes Beispiel dafür, wie sich mittels einer Initiative im Internet Massen mobilisieren lassen.
„Im Silicon Valley hielten die meisten Leute Facebook – wenn sie überhaupt davon gehört hatten – für ein albernes Spielzeug für brünstige College-Kids.“
Auch die jüngste Revolution in Ägypten geht z. T. auf die Möglichkeit zurück, über Facebook in kürzester Zeit Gleichgesinnte zu finden. Aber nicht immer ist das Begehren politischer Natur: Im Sommer 2008 organisierte etwa eine Gruppe in den USA eine Kissenschlacht, an der über 1000 Menschen teilnahmen.
Das Unternehmen
Facebook hat seinen Firmensitz im kalifornischen Palo Alto. Gut 1400 Angestellte arbeiten für die Internet-Firma, deren Umsatz im Milliardenbereich liegt. Gründer und Chef von Facebook ist der 1984 geborene Mark Zuckerberg, der sich seit Jahren trotz sehr hoher Gebote weigert, sein Unternehmen zu verkaufen. Nach Google ist Facebook die am zweithäufigsten besuchte Seite im Internet. Facebook gibt es in 75 Sprachen; die Übersetzungen lieferten die Nutzer dem Unternehmen frei Haus.
Die Ursprünge
Mark Zuckerberg programmierte während seines Studiums häufig kleine Anwendungen, die er selbst nutzte oder anderen Studenten zur Verfügung stellte. Einmal geriet Zuckerberg in Schwierigkeiten, weil drei Kommilitonen, für die er einst programmiert hatte, ihn beschuldigten, ihre Idee gestohlen zu haben. Obwohl sie ihn nie für seine Arbeit bezahlt hatten und kein Vertrag zwischen den Parteien bestand, verklagten sie ihn vor einem Bundesgericht. Das Verfahren endete mit einem Vergleich. Wegen einer anderen Anwendung, Facemash, bekam er Ärger mit der Harvard University, an der er studierte. Ihm wurde vorgeworfen, dass er die Persönlichkeitsrechte, die Privatsphäre und die Datensicherheit der Studenten nicht ausreichend geschützt habe. Facemash war ein Vorläufer von Facebook. Als Facebook werden an den amerikanischen Universitäten die Jahrbücher der Studenten bezeichnet, in denen ihre Fotos veröffentlicht werden. Als die Studenten Anfang des neuen Jahrtausends zunehmend nach Onlineversionen ihrer Jahrbücher verlangten, reagierten die Universitäten gar nicht oder ablehnend. Daraufhin programmierte Zuckerberg Facebook. Zu Beginn stellten die Nutzer dort einfach ihr Profil mit Bild ein und gaben an, welche Musik sie mochten oder wie sie ihre Freizeit verbrachten. Mehr oder weniger zeitgleich gingen ähnliche soziale Netzwerke online: Friendster beispielsweise oder MySpace.
Der CEO
Mark Zuckerberg war noch Student, als sein Unternehmen schon zu wachsen begann. Er wurde CEO, ohne vorher irgendwelche Managementschulungen gehabt zu haben. Um dieses Defizit auszugleichen, reiste er für einige Tage nach Washington, um dort dem CEO der Washington Post, Don Graham, bei der Arbeit zuzusehen. Er hatte ihn zu seinem Vorbild erkoren, nachdem er lange und intensiv mit ihm über eine Beteiligung an Facebook verhandelt hatte. Je größer das Unternehmen wurde, desto stressiger war Mark Zuckerbergs Job: Mit Mitte 20 stand der junge Mann unter einem enormen Druck. Das hatte zur Folge, dass er eine Zeit lang häufig in Ohnmacht fiel.
Der Erfolg
Nachdem Facebook online war, gewann das Netzwerk innerhalb von vier Tagen 650 Studenten als Mitglieder; nach drei Wochen waren bereits mehr als 6000 Nutzer bei der Plattform registriert, nach einem Monat 10 000. Nach und nach dehnte Zuckerberg Facebook auf andere Universitäten in den USA aus – wohlgemerkt während er und sein Team selbst noch studierten. Bald galt das Angebot für jede Universität, dann auch für Highschools. Schließlich bekamen zusätzlich Berufstätige Zugang, und dann wurde Facebook international.
„Auf Facebook waren Fotos keine kleinen, amateurhaften Kunstwerke mehr, sondern zu einer elementaren Kommunikationsform geworden.“
Aufgrund der vielen Nutzer benötigte Zuckerberg dauernd neue Server. So stiegen auch die Kosten ständig an. Ursprünglich hatte er nur 35 $ im Jahr zahlen müssen. Als er 30 000 Nutzer verzeichnete, kosteten ihn fünf Server bereits 450 $ im Monat. Um die Ausgaben wettzumachen, verkaufte ein Kollege, der sich an dem Projekt von Anfang an beteiligt hatte, Werbefläche innerhalb von Facebook. MasterCard war einer der ersten Kunden. Das Ergebnis der Kampagne: Die Anzahl der Neukunden unter den Studenten war schon nach einem einzigen Tag doppelt so hoch wie das Ergebnis, das sich das Unternehmen für die gesamte Laufzeit von vier Monaten erhofft hatte. Auch Apple nutzte früh Werbemöglichkeiten auf Facebook: Das Unternehmen gründete eine Gruppe und zahlte für jedes neue Mitglied einen festgelegten Betrag.
Die Nutzer
Im Februar 2010 hatte Facebook 400 Millionen Nutzer. Diese Zahl steigt jeden Monat um weitere 5 %. Monatlich stellen die Nutzer etwa 20 Milliarden Fotos, Links oder Nachrichten auf der Plattform ein. Obwohl der eigentliche Sinn von Facebook ist, mit Bekannten in Kontakt zu bleiben, sammeln viele Mitglieder Kontakte von Leuten, die sie nicht kennen. Die Folge: Facebook wird für sie langweilig, da sie keinen Bezug zu den Fremden haben. Neben den privaten Nutzern gibt es auch gewerbliche. Sie melden sich bei Facebook an, um ihr Unternehmen zu präsentieren. Privatnutzer können Fans werden. Das wird dann in ihrem so genannten Newsfeed angezeigt, ebenso wie ihre Kommentare oder sonstigen Aktivitäten. Der Vorteil der Businessseiten ist der dadurch entstehende virale Effekt. Coca-Cola oder Starbucks haben beispielsweise mehr als 3 Millionen Fans bei Facebook.
Die Entwicklung
Aufgrund des ständigen Wachstums von Facebook, brauchte das Unternehmen auch immer mehr Geld. Darum dachte das Team darüber nach, einen finanzkräftigen Investor an Bord zu holen. Interessenten gab es viele. Viacom beispielsweise wollte Facebook zunächst für 75 Millionen Dollar kaufen, um es mit dem Musiksender MTV zu verbinden. 2006 wurde das Angebot auf 1,5 Milliarden Dollar erhöht. Zuckerberg wollte jedoch nicht verkaufen, sondern höchstens eine Beteiligung anbieten. Und daran änderte sich auch nichts, als das Wachstum regelrecht explodierte: Im Oktober 2005 hatte Facebook schon 5 Millionen Nutzer. Die Werbeerlöse stiegen auf 1 Million Dollar im Monat. Die Nutzer konnten nun auch viele Fotos auf die Plattform laden und die Menschen verschlagworten, die darauf zu sehen sind. Ende 2009 lagerten 30 Milliarden Fotos auf den Facebook-Servern.
„Je mehr Facebook-Freunde man hat, die man gar nicht kennt, desto schwieriger wird es, einen echten Nutzen aus dem Service zu ziehen.“
2006 startete Facebook den Newsfeed, eine Neuigkeitenseite für jeden Nutzer. Abhängig von seinen Verbindungen zu anderen Leuten auf der Plattform und von seinen Interaktionen wurden ihm Neuigkeiten angezeigt, die andere Nutzer, auch Firmen, veröffentlichten. Das jedoch gefiel der Facebook-Gemeinde überhaupt nicht, da sie sich dadurch überwacht fühlte. 750 000 Mitglieder protestierten gegen den Newsfeed. Erst nachdem er so umprogrammiert worden war, dass jeder Nutzer selbst einstellen konnte, welche seiner Meldungen wem angezeigt werden sollten, flaute der Protest im Netz ab. Ebenfalls 2006 schuf Facebook eine Schnittstelle für andere Anbieter. Diese können seither Anwendungen programmieren, die bei Facebook als Optionen angeboten werden. Ein Beispiel dafür sind Spiele. Sie locken eine immense Zahl von Mitgliedern an. 2010 gab es beispielsweise zwölf Spiele, die jeweils mehr als 20 Millionen Nutzer hatten. Das Problem dabei: Wer als Facebook-Nutzer eine solche Anwendung installiert, gibt deren Anbieter Einblick ins eigene Profil, und zwar ohne Einschränkung. Das kann im schlimmsten Fall auch bedeuten, dass die persönlichen Daten an Adresshändler verkauft werden.
Das Problem mit der Privatsphäre
Die in der Zwischenzeit sehr detaillierten Privatsphäreeinstellungen sind keine echte Lösung. Wenn Sie beispielsweise versuchen, Ihr Profil möglichst seriös zu gestalten, so können doch Ihre Facebook-Freunde mit ihren Kommentaren dieses von Ihnen geschaffene Bild zerstören. Besonders gefährlich kann es werden, wenn Sie viele Freundschaftsanfragen von Menschen akzeptieren, die Sie gar nicht kennen. In den allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook steht, das Unternehmen garantiere nicht dafür, dass die Daten nicht für andere einsehbar seien. Dessen sind sich auch Arbeitgeber und Hochschulen zunehmend bewusst: Sie durchkämmen soziale Netzwerke wie Facebook, um mehr über Bewerber zu erfahren. Darum ist es sinnvoll, mit den Veröffentlichungen auf Facebook vorsichtig umzugehen. Außerdem sollte man wissen, dass Interaktionen mit Freunden oder Businessseiten von Facebook in einer Datenbank erfasst werden. Dadurch lässt sich von jedem Nutzer ein genaues Profil anfertigen und man kann ihm zielgerichtet Werbung zuordnen.
Facebook mobil
Viele Menschen, die bei Facebook Mitglied sind, tauschen keine E-Mail-Adressen oder Handynummern mehr aus – schließlich sind sie über Facebook sowieso miteinander in Kontakt oder können dort zumindest die Informationen schnell nachschlagen. Das geht auch mobil, denn Facebook gibt es als abgespeckte Version fürs Smartphone. Experten gehen davon aus, dass Facebook künftig sogar vorwiegend über Handys oder Tablet-Computer wie das iPad genutzt werden wird. 2008 brachte das Unternehmen Facebook Connect auf den Markt. Der Dienst ermöglicht Facebook-Mitgliedern, sich bei Websites, die eine Registrierung erfordern, einfach mit ihren Facebook-Daten anzumelden. Das ist für die Nutzer bequem, kann aber dazu führen, dass Informationen, die man lieber nur mit einigen Freunden teilen möchte, an Dritte weitergegeben werden.
Die Zukunft
Das Mediennutzungsverhalten könnte sich durch Facebook ändern. Genau wie jedes Unternehmen darf auch jeder Medienkonzern eine Businessseite bei Facebook anlegen. Mitglieder, die Fan einer solchen Seite werden, bekommen so die jüngsten Informationen der Medienfirmen direkt in den Newsfeed geladen. Wer also oft online auf Facebook ist, bekommt schneller aktuelle Nachrichten geliefert. Je nachdem, welche Seiten Sie gewählt haben, können das sehr belanglose Nachrichten sein. Möglicherweise verschiebt sich dadurch die Gewichtung in der Wahrnehmung: Eine kleine, unbedeutende Sache, die direkt vor der eigenen Haustür geschieht, kann so wichtiger erscheinen als eine Weltkatastrophe.
„Wenn es Informationen gibt, von denen man unter keinen Umständen will, dass sie jemand anders zu sehen bekommt als die Menschen, denen man rückhaltlos vertraut, sollte man sie nie auf Facebook stellen – oder überhaupt ins Internet.“
Ob eine Katastrophe die Facebook-Mitglieder tangiert oder nicht, kann das Unternehmen heute bereits feststellen. Ende 2009 präsentierte es erstmals den „Bruttonationalglücksindex“. Dahinter steckt ein Analyseprogramm, das den Nachrichtenstrom nach Wörtern durchsucht, die für Glück oder Unglück stehen. Je nachdem, wie häufig welche Wörter gebraucht werden, tendiert das Facebook-Weltglück in die eine oder andere Richtung. Und je mehr Mitglieder Facebook hat, desto genauer kann eine solche Analyse schließlich sein. Steigende Mitgliederzahlen sind aber nicht nur positiv. Vielmehr steigt so auch die Wahrscheinlichkeit, dass der eine oder andere nicht nur gute Absichten hat. Betrüger können bei Facebook auf die Suche nach Zugangsdaten gehen, um beispielsweise Spam-Nachrichten zu verschicken. Oder sie versuchen, mit ergaunerten Daten einen Bankzugang zu knacken. Andere machen sich einen Spaß daraus, das Profil bekannter Persönlichkeiten zu fälschen und so deren Ansehen zu schaden. Nicht zuletzt deshalb ist Vorsicht geboten bei Freundschaftsanfragen von Menschen, die Sie nicht kennen.