Die Weichmacher

Buch Die Weichmacher

Das süße Gift der Harmoniekultur

Hanser,


Rezension

Sie reden von Win-win-Sit­u­a­tio­nen, Syn­ergieef­fek­ten und emotionaler Intelligenz, wollen sich immer mit anderen abstimmen, Mitarbeiter einbinden und am liebsten jedes Problem zusammen brain­stor­men. „Weichmacher“ nennt Thomas Vašek solche Menschen. Nicht nur vertreten sie selbst keinen Standpunkt, sie stecken damit auch ihre Kollegen an. Der Publizist geht mit der Kuschelkul­tur vieler Unternehmen hart ins Gericht. Zugleich räumt er aber auch immer wieder ein, dass Menschen evo­lu­tions­be­d­ingt auf Harmonie geeicht sind. Umso mehr Mut braucht es, mal gegen den Strom zu schwimmen, ein Querdenker zu sein und im Team aufzumucken. Klar: Die wirklich guten Argumente für mehr Courage und das Schüren produktiver Konflikte hätte man kürzer fassen können. Aber die vielen Anekdoten und wis­senschaftlichen Experimente, auf die Vašek verweist, halten einem immer wieder den Spiegel vor – ein guter Aus­gangspunkt, um den persönlichen Kom­mu­nika­tion­sstil zu überdenken. Vašek schreibt zuweilen süffisant und manchmal arg polemisch – dafür aber auch ab­wech­slungsre­ich und nie langweilig. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Managern, die neben ihren zahlreichen Fremd­sprachen auch mal Tacheles reden wollen.

Take-aways

  • „Weichmacher“ sind Führungskräfte und Mitarbeiter, die sich allem und jedem anpassen und keine eigene Meinung vertreten.
  • Ihr Kuschelkurs verunmöglicht produktive Konflikte und damit auch In­no­va­tio­nen.
  • Weichmacher haben leichtes Spiel, weil die menschliche Psyche nach Harmonie strebt.
  • Ein wichtiger Sieg der Weichmacher war die Etablierung des Begriffs „emotionale Intelligenz“.
  • Weichmacher reden Bullshit; ihre Aussagen sind substanzlos, vage und un­verbindlich.
  • Teams sind nicht so kreativ, wie viele denken: Meist bestehen sie aus Kon­formis­ten, die ihre Leistungen gegenseitig nach unten anpassen.
  • Fordern Sie von Ihren Mi­tar­beit­ern klare Aussagen und in­di­vidu­elle Begründungen.
  • Schaffen Sie Teams, die nicht zwingend nötig sind, ab.
  • Hin­ter­fra­gen Sie jede Entschei­dung und suchen Sie Gege­nar­gu­mente.
  • Belohnen Sie kreative Abweichler und Dissidenten, die Ihre Diskussion weit­er­brin­gen.
 

Zusammenfassung

Willkommen in der Komfortzone

Wir leben im Zeitalter der Harmonie. Wo früher der Chef noch auf den Tisch gehauen hat, versucht er sich heute in emotionaler Intelligenz. Wo er einst noch den Alleingang gewagt hat, will er jetzt andere „mit ins Boot holen“. Früher wurde einfach gearbeitet, heute muss man „teamfähig“ sein, um überhaupt noch einen Job zu bekommen. Und auch wenn man es ist, muss man sich noch auf Team­sem­inaren durch alberne Spiele und seltsame Gu­ru­ver­anstal­tun­gen quälen. Harmonie ist ein gefährliches, lähmendes Gift. Verteilt wird es von den „We­ich­mach­ern“, jenen Führungskräften und Mi­tar­beit­ern, die jeden Konflikt scheuen, keine eigene Meinung vertreten und immer freundlich sind – aber auch belanglos.

„Meine These ist sehr einfach: Harmonie verblödet, sie macht träge, mutlos, unkreativ und schwach.“

Diese Weichmacher haben die menschliche Psyche auf ihrer Seite: Wir benötigen ihre Fre­undlichkeits­droge, denn unser Gehirn strebt nach Harmonie. Das Gerede vom Überleben des Stärkeren und vom Siegeswillen der Alphatiere ist längst in der evolutionären Mottenkiste gelandet. Der moderne Mensch im heutigen Wirtschaft­sleben will nicht streiten.

„Ohne Konflikt ist kein Wandel möglich.“

Sozialpsy­chol­o­gis­che Experimente belegen: Wenn man eine Ver­suchsper­son vor einem Publikum eine Rede halten lässt und ihr die Meinungen und Ansichten der Zuhörer mitteilt, wird sie der Masse nach dem Mund reden. Warum? Weil sie auf diese Weise unangenehme Gefühle vermeidet. Dieses Programm ist auch überaus erfolgreich, wenn es um zwis­chen­men­schliche Beziehungen geht. Sollen jedoch gute Ideen gefiltert und In­no­va­tio­nen gefunden werden, bremst Harmonie. Heraklit bezeichnete den Krieg als Vater aller Dinge. So weit muss man nicht gerade gehen, dennoch gilt: Neues wird von Kon­flik­ther­den her­vorge­bracht, nicht von Kusch­elecken.

Psychologie im Ar­beit­sleben

Ein Wegbereiter der Har­moniekul­tur war der aus­tralis­che Soziologe und spätere Har­vard­pro­fes­sor George Elton Mayo. Bekannt wurde er mit seinen in den 1920er Jahren durchgeführten Hawthorne-Stu­dien. Mayo konnte u. a. belegen, dass das soziale Klima am Ar­beit­splatz für die Steigerung der Produktivität eine große Rolle spielt. Er fand in den von ihm un­ter­suchten Fabriken viele schlechte Gefühle, etwa Wut, die seines Erachtens am Ar­beit­splatz nichts zu suchen hatte. Die Aufgabe der Manager sah er darin, die Konflikte der Ar­beit­nehmer abzumildern, sie in ruhigere Bahnen zu lenken. Mayo begründete die Hu­man-Re­la­tions-Be­we­gung. Fortan wehte in Unternehmen ein anderer, sanfterer Wind. Die Psychologie wurde immer mehr ein Bestandteil der Be­trieb­swirtschaft­slehre. Eine nicht nur positive Entwicklung, denn statt ihr eigenes Verhalten anzupassen, begriffen viele Manager die Psychologie als neue Ma­nip­u­la­tion­stech­nik.

Der Siegeszug des EQ

Einen wichtigen Etappensieg erzielten die Weichmacher mit einem Phänomen, das die beiden Psychologen Peter Salovey und John D. Mayer Anfang der 90er Jahren erstmals beschrieben: der „emotionalen Intelligenz“. Salovey und Mayer verstanden darunter die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle zu erkennen, zwischen ihnen zu un­ter­schei­den und sie fürs Handeln einzusetzen. Die Idee einer sozial ori­en­tierten Form der Intelligenz entstand, weil das klassische In­tel­li­genz­mod­ell zu formal angelegt war und keine Aussagen über den so genannten Lebenser­folg eines Menschen zuließ. Einen regel­rechten Hype erlebte die emotionale Intelligenz durch den 1995 veröffentlichten Bestseller von Daniel Goleman. Sie avancierte zur Geheimwaffe all jener, denen der IQ immer schon suspekt war. Goleman ging aber noch einen Schritt weiter und machte aus der emotionalen Intelligenz die Basis für den Er­fol­gsquo­tien­ten EQ. Seine These: Wer die Gefühle anderer versteht und in die richtige Richtung beeinflusst, ist er­fol­gre­icher. Die Prax­is­tauglichkeit dieser Er­fol­gs­formel ist allerdings wis­senschaftlich umstritten.

Bullshit

Wenn Weichmacher den Mund öffnen, kommt meist nur Bullshit heraus. Bullshit ist Sprachmüll, Plas­tik­sprache, belangloses Geschwätz. Bullshit ist substanzlos, vage und inhaltsleer. Bull­shit-Aus­sagen können auf irgendeine beliebige Art verstanden werden. Wer Bullshit spricht, will sich alle Optionen offenhalten, statt klar Position zu beziehen.

„Wer keine klaren Positionen vertritt, wer für nichts steht, ist auch nicht vertrauenswürdig.“

So reden Weichmacher, wenn sie Bullshit verzapfen: Sie „denken ein Problem an“, statt richtig darüber nachzu­denken. Sie wollen andere Leute „einbinden“ oder „ins Boot holen“. Statt selbst zu entscheiden, müssen sie sich erst „mit anderen abstimmen“. Wenn sie sich nicht klar äußern können, haben sie ein „Gefühl im Bauch“. Geht es um Entschei­dun­gen, werden sie „zeitnah“ getroffen – was so viel heißt wie „irgendwann“. Geht es um große Aufgaben, wird erst der „Teamgeist“ beschworen, von „Syn­ergieef­fek­ten“ geredet und an einer „Win-win-Sit­u­a­tion“ gebastelt. Geht alles schief, ist das Ergebnis „suboptimal“ – wobei dieses Bull­shit-Wort die In­ter­pre­ta­tion des Ergebnisses voll und ganz dem Adressaten überlässt.

Team: Toll, ein anderer macht’s

Wer heute kein Teamplayer ist, kann eigentlich gleich kündigen – oder zum Therapeuten gehen. Bei einer Umfrage der Akademie für Führungskräfte aus dem Jahr 2004 gaben 97 % der befragten Manager an, dass sie gerne im Team arbeiten – aber nur 54 % glaubten, dass sie im Team auch tatsächlich mehr erreichen. Klingt ein wenig nach Kaffeekränzchen und gegen­seit­igem Schul­terk­lopfen, aber geringer Effizienz. Teams werden im Allgemeinen überschätzt. Einige Teammythen, die sich hartnäckig halten:

  • Teams wissen mehr, weil sich die Klugheit ihrer Mitglieder summiert. Wahr ist: Team­mit­glieder lassen sich leicht von Einzelmei­n­un­gen in der Gruppe bee­in­flussen und halten sie anschließend für ihre eigenen.
  • Teams sind in­tel­li­gen­ter, weil viele Augen mehr sehen als zwei. Wahr ist: Wenn einer Fehler macht, wird ihn die Gruppe meist noch darin bestärken – um nicht als Spielverder­ber dazustehen.
  • Teams sind kreativer, weil beim Brain­storm­ing die guten Ideen nur so sprudeln. Wahr ist: Bei gemeinsamer kreativer Arbeit gibt es viele Trit­tbret­tfahrer, die sich im Meeting ausruhen und von der Leistung der anderen Team­mit­glieder leben.
  • Teams sind demokratisch, weil alle gleich sind. Wahr ist: Wenn es im Team keine starken Individuen gibt, gibt es keinen demokratis­chen Diskurs und keine Resultate. Das Team verkommt zum Kuschelklub ohne echten Mehrwert.

We­ich­macher-Un­ternehmen sind Eisberge

Für den Soziologen Max Weber war klar: Herrschaft kann entweder durch Tradition, Charisma oder Legalität etabliert werden. In bürokratis­chen Unternehmen galt Letzteres – und das funk­tion­ierte viele Jahrzehnte auch ganz gut. Inzwischen wird aber immer öfter an der legitimen Herrschaft des Vorge­set­zten, die er durch Aufstieg in der Hierarchie erlangt hat, gezweifelt. So genannte postbürokratische Unternehmen müssen flexibel sein – auch in ihren Hierarchien. Konsens wird nicht durch Rangordnung, sondern durch Dialog angestrebt. Damit ist die Bühne frei für die We­ich­macher-Chefs, die jede Entschei­dung aus­disku­tieren. In Wirk­lichkeit wollen sie aber keinen Dialog, sondern nur die Ve­r­ant­wor­tung abgeben. Nur: Ab und zu müssen harte Entschei­dun­gen getroffen werden. Und sei es nur, weil das Unternehmen sonst von der Konkurrenz überholt wird.

„Bauen Sie in Ihre Un­ternehmensstruk­turen Einheiten ein, die sys­tem­a­tisch Dissens produzieren – analog zum Fact-Check­ing im Me­di­en­bere­ich.“

We­ich­macher-Chefs gestalten We­ich­macher-Un­ternehmen, in denen alle Freunde sind. Das führt natürlich auch dazu, dass Privates und Berufliches vermischt werden. Man plaudert lieber, anstatt hart zu ar­gu­men­tieren. Das Problem: Solche Har­moniekul­turen sind wie Eisberge: 10 % bilden die hübsche Oberfläche, der Rest liegt im Dunkel und wird nor­maler­weise nicht gesehen. Außer in der Krise: Dann kommt es zum Zusammenstoß der Realität mit dem Eisberg. So geschehen bei einem Me­di­enun­ternehmen, das vor der Finanzkrise geradezu dekadent wirtschaftete, dann den großen Absturz erlebte und von einem globalen Unternehmen geschluckt wurde. Der große Nachteil, wenn alle Mitarbeiter gleich sind: Schlägt die Krise zu, greift die Resignation genauso schnell um sich wie vorher die Fre­undlichkeit. Freunde werden zu Feinden, die um Jobs kämpfen.

Herdentiere unter sich

In den 1950er Jahren führte Solomon Asch ein verblüffendes Experiment durch: Er lud Studenten zu einem psy­chol­o­gis­chen Versuch. Den Teilnehmern, jeweils in Gruppen von acht Personen, wurde eine erste Karte mit einer schwarzen Linie gezeigt und eine zweite mit drei Linien. Eine dieser drei Linien war genauso lang wie jene auf der ersten Karte. In 18 Durchgängen sollten die Test­teil­nehmer nun her­aus­finden, welche Linie das war. Das Experiment testete das Konformitätsverhalten von nur einem der Teilnehmer, denn die sieben anderen waren Komplizen des Wis­senschaftlers. Sie sollten in einigen Fällen gemeinsam absichtlich die falsche Linie benennen. Das be­sorgnis­er­re­gende Ergebnis: Drei Viertel der insgesamt 123 Ver­suchsper­so­nen schlossen sich mindestens einmal der Mehrheit an, obwohl sie ganz klar erkennen konnten, dass dies ein Fehler war. Fazit: Menschen folgen anderen Menschen. Sie verhalten sich konform und trotten der Herde nach, selbst wenn sie es besser wissen müssten. Menschen suchen sich Kon­formis­ten als Freunde. Geht es bei einem Meeting aus­nahm­sweise mal wirklich um etwas und wagt es jemand, den Konsens zu kritisieren, wird er gleich nach der Sitzung kalt­gestellt: durch geheime Neben­ab­sprachen, Gerüchte, Flurfunk usw. Immer wieder werden in Gruppen weitre­ichende Fehler begangen. So gehen der Irakkrieg der Bush-Ad­min­is­tra­tion oder die missratene Invasion in der Schweineb­ucht auf Kuba unter der Kennedy-Führung auf das Konto der Teamarbeit. In beiden Fällen waren die möglichen Kritiker so stark vom „Grup­pen­virus“ befallen, dass sie es nicht wagten, ihre Argumente vorzubrin­gen – mit desaströsen Folgen.

Schüren Sie produktive Konflikte!

Die Busi­ness­welt braucht mehr Querdenker. Begrüßen Sie Konflikte und setzen Sie sie für den Wandel und für In­no­va­tio­nen ein. Gegen das Gift der Weichmacher helfen folgende Notfallmaßnahmen:

  • Schluss mit Bullshit: Fordern Sie eine klare, präzise Sprache und fragen Sie nach, wenn sich jemand in wolkigen For­mulierun­gen verliert.
  • Schluss mit der Ein­stim­migkeit: Wenn sich alle einig sind, sollten Sie erst recht nach Gege­nar­gu­menten fahnden.
  • Stell dich: Fordern Sie von Grup­pen­mit­gliedern einen klaren Standpunkt.
  • Weg mit der Her­den­men­talität: Argumente sollen von jedem individuell begründet werden.
  • Nerds gesucht: Belohnen Sie kreative Abweichler und Dissidenten, die die Diskussion weit­er­brin­gen.
  • Fördern Sie in­sti­tu­tionellen Dissens: Schaffen Sie Un­ternehmensstruk­turen, die „geschäftsmäßig“ alle Entschei­dun­gen hin­ter­fra­gen.
  • Tod der Un­verbindlichkeit: Beenden Sie alle Meetings mit einer genauen Auf­gaben­verteilung, mit Deadlines und Ve­r­ant­wortlichkeiten.
  • Kahlschlag im Teamd­schun­gel: Schaffen Sie alle Teams ab, die Ihnen sinnlos erscheinen.

Über den Autor

Thomas Vašek ist freiberu­flicher Publizist und ehemaliger Chefredak­teur des Wis­sens­magazins P.M. In seiner Freizeit boxt er.