Willkommen in der Komfortzone
Wir leben im Zeitalter der Harmonie. Wo früher der Chef noch auf den Tisch gehauen hat, versucht er sich heute in emotionaler Intelligenz. Wo er einst noch den Alleingang gewagt hat, will er jetzt andere „mit ins Boot holen“. Früher wurde einfach gearbeitet, heute muss man „teamfähig“ sein, um überhaupt noch einen Job zu bekommen. Und auch wenn man es ist, muss man sich noch auf Teamseminaren durch alberne Spiele und seltsame Guruveranstaltungen quälen. Harmonie ist ein gefährliches, lähmendes Gift. Verteilt wird es von den „Weichmachern“, jenen Führungskräften und Mitarbeitern, die jeden Konflikt scheuen, keine eigene Meinung vertreten und immer freundlich sind – aber auch belanglos.
„Meine These ist sehr einfach: Harmonie verblödet, sie macht träge, mutlos, unkreativ und schwach.“
Diese Weichmacher haben die menschliche Psyche auf ihrer Seite: Wir benötigen ihre Freundlichkeitsdroge, denn unser Gehirn strebt nach Harmonie. Das Gerede vom Überleben des Stärkeren und vom Siegeswillen der Alphatiere ist längst in der evolutionären Mottenkiste gelandet. Der moderne Mensch im heutigen Wirtschaftsleben will nicht streiten.
„Ohne Konflikt ist kein Wandel möglich.“
Sozialpsychologische Experimente belegen: Wenn man eine Versuchsperson vor einem Publikum eine Rede halten lässt und ihr die Meinungen und Ansichten der Zuhörer mitteilt, wird sie der Masse nach dem Mund reden. Warum? Weil sie auf diese Weise unangenehme Gefühle vermeidet. Dieses Programm ist auch überaus erfolgreich, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen geht. Sollen jedoch gute Ideen gefiltert und Innovationen gefunden werden, bremst Harmonie. Heraklit bezeichnete den Krieg als Vater aller Dinge. So weit muss man nicht gerade gehen, dennoch gilt: Neues wird von Konfliktherden hervorgebracht, nicht von Kuschelecken.
Psychologie im Arbeitsleben
Ein Wegbereiter der Harmoniekultur war der australische Soziologe und spätere Harvardprofessor George Elton Mayo. Bekannt wurde er mit seinen in den 1920er Jahren durchgeführten Hawthorne-Studien. Mayo konnte u. a. belegen, dass das soziale Klima am Arbeitsplatz für die Steigerung der Produktivität eine große Rolle spielt. Er fand in den von ihm untersuchten Fabriken viele schlechte Gefühle, etwa Wut, die seines Erachtens am Arbeitsplatz nichts zu suchen hatte. Die Aufgabe der Manager sah er darin, die Konflikte der Arbeitnehmer abzumildern, sie in ruhigere Bahnen zu lenken. Mayo begründete die Human-Relations-Bewegung. Fortan wehte in Unternehmen ein anderer, sanfterer Wind. Die Psychologie wurde immer mehr ein Bestandteil der Betriebswirtschaftslehre. Eine nicht nur positive Entwicklung, denn statt ihr eigenes Verhalten anzupassen, begriffen viele Manager die Psychologie als neue Manipulationstechnik.
Der Siegeszug des EQ
Einen wichtigen Etappensieg erzielten die Weichmacher mit einem Phänomen, das die beiden Psychologen Peter Salovey und John D. Mayer Anfang der 90er Jahren erstmals beschrieben: der „emotionalen Intelligenz“. Salovey und Mayer verstanden darunter die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle zu erkennen, zwischen ihnen zu unterscheiden und sie fürs Handeln einzusetzen. Die Idee einer sozial orientierten Form der Intelligenz entstand, weil das klassische Intelligenzmodell zu formal angelegt war und keine Aussagen über den so genannten Lebenserfolg eines Menschen zuließ. Einen regelrechten Hype erlebte die emotionale Intelligenz durch den 1995 veröffentlichten Bestseller von Daniel Goleman. Sie avancierte zur Geheimwaffe all jener, denen der IQ immer schon suspekt war. Goleman ging aber noch einen Schritt weiter und machte aus der emotionalen Intelligenz die Basis für den Erfolgsquotienten EQ. Seine These: Wer die Gefühle anderer versteht und in die richtige Richtung beeinflusst, ist erfolgreicher. Die Praxistauglichkeit dieser Erfolgsformel ist allerdings wissenschaftlich umstritten.
Bullshit
Wenn Weichmacher den Mund öffnen, kommt meist nur Bullshit heraus. Bullshit ist Sprachmüll, Plastiksprache, belangloses Geschwätz. Bullshit ist substanzlos, vage und inhaltsleer. Bullshit-Aussagen können auf irgendeine beliebige Art verstanden werden. Wer Bullshit spricht, will sich alle Optionen offenhalten, statt klar Position zu beziehen.
„Wer keine klaren Positionen vertritt, wer für nichts steht, ist auch nicht vertrauenswürdig.“
So reden Weichmacher, wenn sie Bullshit verzapfen: Sie „denken ein Problem an“, statt richtig darüber nachzudenken. Sie wollen andere Leute „einbinden“ oder „ins Boot holen“. Statt selbst zu entscheiden, müssen sie sich erst „mit anderen abstimmen“. Wenn sie sich nicht klar äußern können, haben sie ein „Gefühl im Bauch“. Geht es um Entscheidungen, werden sie „zeitnah“ getroffen – was so viel heißt wie „irgendwann“. Geht es um große Aufgaben, wird erst der „Teamgeist“ beschworen, von „Synergieeffekten“ geredet und an einer „Win-win-Situation“ gebastelt. Geht alles schief, ist das Ergebnis „suboptimal“ – wobei dieses Bullshit-Wort die Interpretation des Ergebnisses voll und ganz dem Adressaten überlässt.
Team: Toll, ein anderer macht’s
Wer heute kein Teamplayer ist, kann eigentlich gleich kündigen – oder zum Therapeuten gehen. Bei einer Umfrage der Akademie für Führungskräfte aus dem Jahr 2004 gaben 97 % der befragten Manager an, dass sie gerne im Team arbeiten – aber nur 54 % glaubten, dass sie im Team auch tatsächlich mehr erreichen. Klingt ein wenig nach Kaffeekränzchen und gegenseitigem Schulterklopfen, aber geringer Effizienz. Teams werden im Allgemeinen überschätzt. Einige Teammythen, die sich hartnäckig halten:
- Teams wissen mehr, weil sich die Klugheit ihrer Mitglieder summiert. Wahr ist: Teammitglieder lassen sich leicht von Einzelmeinungen in der Gruppe beeinflussen und halten sie anschließend für ihre eigenen.
- Teams sind intelligenter, weil viele Augen mehr sehen als zwei. Wahr ist: Wenn einer Fehler macht, wird ihn die Gruppe meist noch darin bestärken – um nicht als Spielverderber dazustehen.
- Teams sind kreativer, weil beim Brainstorming die guten Ideen nur so sprudeln. Wahr ist: Bei gemeinsamer kreativer Arbeit gibt es viele Trittbrettfahrer, die sich im Meeting ausruhen und von der Leistung der anderen Teammitglieder leben.
- Teams sind demokratisch, weil alle gleich sind. Wahr ist: Wenn es im Team keine starken Individuen gibt, gibt es keinen demokratischen Diskurs und keine Resultate. Das Team verkommt zum Kuschelklub ohne echten Mehrwert.
Weichmacher-Unternehmen sind Eisberge
Für den Soziologen Max Weber war klar: Herrschaft kann entweder durch Tradition, Charisma oder Legalität etabliert werden. In bürokratischen Unternehmen galt Letzteres – und das funktionierte viele Jahrzehnte auch ganz gut. Inzwischen wird aber immer öfter an der legitimen Herrschaft des Vorgesetzten, die er durch Aufstieg in der Hierarchie erlangt hat, gezweifelt. So genannte postbürokratische Unternehmen müssen flexibel sein – auch in ihren Hierarchien. Konsens wird nicht durch Rangordnung, sondern durch Dialog angestrebt. Damit ist die Bühne frei für die Weichmacher-Chefs, die jede Entscheidung ausdiskutieren. In Wirklichkeit wollen sie aber keinen Dialog, sondern nur die Verantwortung abgeben. Nur: Ab und zu müssen harte Entscheidungen getroffen werden. Und sei es nur, weil das Unternehmen sonst von der Konkurrenz überholt wird.
„Bauen Sie in Ihre Unternehmensstrukturen Einheiten ein, die systematisch Dissens produzieren – analog zum Fact-Checking im Medienbereich.“
Weichmacher-Chefs gestalten Weichmacher-Unternehmen, in denen alle Freunde sind. Das führt natürlich auch dazu, dass Privates und Berufliches vermischt werden. Man plaudert lieber, anstatt hart zu argumentieren. Das Problem: Solche Harmoniekulturen sind wie Eisberge: 10 % bilden die hübsche Oberfläche, der Rest liegt im Dunkel und wird normalerweise nicht gesehen. Außer in der Krise: Dann kommt es zum Zusammenstoß der Realität mit dem Eisberg. So geschehen bei einem Medienunternehmen, das vor der Finanzkrise geradezu dekadent wirtschaftete, dann den großen Absturz erlebte und von einem globalen Unternehmen geschluckt wurde. Der große Nachteil, wenn alle Mitarbeiter gleich sind: Schlägt die Krise zu, greift die Resignation genauso schnell um sich wie vorher die Freundlichkeit. Freunde werden zu Feinden, die um Jobs kämpfen.
Herdentiere unter sich
In den 1950er Jahren führte Solomon Asch ein verblüffendes Experiment durch: Er lud Studenten zu einem psychologischen Versuch. Den Teilnehmern, jeweils in Gruppen von acht Personen, wurde eine erste Karte mit einer schwarzen Linie gezeigt und eine zweite mit drei Linien. Eine dieser drei Linien war genauso lang wie jene auf der ersten Karte. In 18 Durchgängen sollten die Testteilnehmer nun herausfinden, welche Linie das war. Das Experiment testete das Konformitätsverhalten von nur einem der Teilnehmer, denn die sieben anderen waren Komplizen des Wissenschaftlers. Sie sollten in einigen Fällen gemeinsam absichtlich die falsche Linie benennen. Das besorgniserregende Ergebnis: Drei Viertel der insgesamt 123 Versuchspersonen schlossen sich mindestens einmal der Mehrheit an, obwohl sie ganz klar erkennen konnten, dass dies ein Fehler war. Fazit: Menschen folgen anderen Menschen. Sie verhalten sich konform und trotten der Herde nach, selbst wenn sie es besser wissen müssten. Menschen suchen sich Konformisten als Freunde. Geht es bei einem Meeting ausnahmsweise mal wirklich um etwas und wagt es jemand, den Konsens zu kritisieren, wird er gleich nach der Sitzung kaltgestellt: durch geheime Nebenabsprachen, Gerüchte, Flurfunk usw. Immer wieder werden in Gruppen weitreichende Fehler begangen. So gehen der Irakkrieg der Bush-Administration oder die missratene Invasion in der Schweinebucht auf Kuba unter der Kennedy-Führung auf das Konto der Teamarbeit. In beiden Fällen waren die möglichen Kritiker so stark vom „Gruppenvirus“ befallen, dass sie es nicht wagten, ihre Argumente vorzubringen – mit desaströsen Folgen.
Schüren Sie produktive Konflikte!
Die Businesswelt braucht mehr Querdenker. Begrüßen Sie Konflikte und setzen Sie sie für den Wandel und für Innovationen ein. Gegen das Gift der Weichmacher helfen folgende Notfallmaßnahmen:
- Schluss mit Bullshit: Fordern Sie eine klare, präzise Sprache und fragen Sie nach, wenn sich jemand in wolkigen Formulierungen verliert.
- Schluss mit der Einstimmigkeit: Wenn sich alle einig sind, sollten Sie erst recht nach Gegenargumenten fahnden.
- Stell dich: Fordern Sie von Gruppenmitgliedern einen klaren Standpunkt.
- Weg mit der Herdenmentalität: Argumente sollen von jedem individuell begründet werden.
- Nerds gesucht: Belohnen Sie kreative Abweichler und Dissidenten, die die Diskussion weiterbringen.
- Fördern Sie institutionellen Dissens: Schaffen Sie Unternehmensstrukturen, die „geschäftsmäßig“ alle Entscheidungen hinterfragen.
- Tod der Unverbindlichkeit: Beenden Sie alle Meetings mit einer genauen Aufgabenverteilung, mit Deadlines und Verantwortlichkeiten.
- Kahlschlag im Teamdschungel: Schaffen Sie alle Teams ab, die Ihnen sinnlos erscheinen.