Interkulturelle Teams sind der Normalfall
Heute ist es nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammenarbeiten. Das birgt eine Menge Sprengstoff: Alles Fremde kann leicht missverstanden werden, und die Kommunikation gestaltet sich oft schwierig. Als Lösung werden gerne Listen mit Dingen zusammengestellt, die in einem Land üblich sind oder nicht. Da sich die meisten Kulturen aber heute sehr schnell entwickeln, sind diese Listen ebenso schnell veraltet. Außerdem werden sie den regionalen und auch unternehmensbezogenen Unterschieden nicht gerecht. Eine Alternative bietet die so genannte „cultural awareness“, die eine Offenheit gegenüber den Unterschieden anderer Kulturen verlangt. Hier fehlen jedoch die konkreten Handlungsempfehlungen. Ideal ist ein Ansatz, der allgemeine kulturelle Offenheit und Handlungsempfehlungen miteinander verbindet.
Interkulturelle Kompetenz
Kultur bedeutet nach heutigem Verständnis die Art und Weise, wie eine bestimmte soziale Gruppe denkt und handelt. Die Kultur bildet einen Bedeutungsrahmen, in dem sich die Mitglieder der Gruppe wie selbstverständlich bewegen können. Jeder versteht den anderen, ohne dass die Gründe für bestimmte Handlungen immer wieder erläutert werden müssen. Für Franzosen ist es selbstverständlich, sich mit einem Luftkuss in Wangennähe, aber ohne körperliche Berührung zu begrüßen. Deutsche geben sich stattdessen die Hand. Für beide Seiten ist klar, dass es sich hierbei um eine ganz normale Begrüßung handelt. Für den Deutschen ist es darum irritierend, wenn sich die französische Geschäftspartnerin zur Begrüßung seiner Wange nähert. Er kann diese Geste zunächst nicht einordnen und wird schlimmstenfalls mit einer Umarmung oder einem richtigen Kuss auf die Wange reagieren. Das wiederum wird in Frankreich als Eindringen in die Privatsphäre gedeutet. Es gibt unzählige Stolpersteine zwischen den Kulturen, die sich mit der richtigen Herangehensweise umgehen lassen. Interkulturelle Kompetenz verlangt eine offene Einstellung, Aufmerksamkeit sich selbst und den anderen gegenüber, Hintergrundwissen über die andere Kultur sowie Werkzeuge und Techniken für brenzlige Situationen.
Regeln, Individualismus und Kollektivismus
Kultur zeigt sich in unterschiedlichen Dimensionen. Wer sich rechtzeitig damit auseinandersetzt, ist auf Überraschungen besser vorbreitet und weiß, wo Hindernisse lauern könnten. Bei diesen Dimensionen handelt es sich zwar nicht um Stereotype, allerdings um Verallgemeinerungen. Seien Sie daher in Ihrer Wahrnehmung weiterhin offen. Die erste Dimension ist der Umgang einer Kultur mit Regeln. Während Deutschland beispielsweise eher vom Universalismus geprägt ist, dominiert in Frankreich und in Italien der Partikularismus. Universalismus heißt, dass Gesetze und Regeln allgemeingültig sind. Beim Partikularismus hängt die Einhaltung von Gesetzen und Regeln von besonderen Umständen ab. In Deutschland bleibt der Autofahrer an einer roten Ampel stehen, selbst nachts, wenn kein anderer Verkehrsteilnehmer weit und breit zu sehen ist. In Italien wird eine rote Ampel eher als Vorschlag, stehen zu bleiben, gewertet.
„Kultur ist wie eine Brille, durch die wir das Geschehen um uns herum interpretieren.“
Eine weitere Dimension bilden die Begriffe Individualismus und Kollektivismus. In einer kollektivistischen Kultur, etwa in Indien, ordnet sich der Einzelne den Interessen der Gruppe unter. In Deutschland dagegen dominiert der Individualismus. Entsprechend oft hört man hier das Wort „ich“, während es in einigen asiatischen Sprachen gar keinen Begriff dafür gibt. Diese Dimension wirkt sich u. a. auf die Entlohnung der Mitarbeiter aus. Während in individualistischen Ländern die Leistungen des Einzelnen herausgestellt und besonders honoriert werden, wäre dies in einer kollektivistischen Kultur undenkbar und für den Belohnten sogar unangenehm. Darum wird dort immer die Gruppe als Ganzes honoriert.
Machtdistanz und Sicherheit
Die Dimension der Machtdistanz wirkt sich auf die hierarchischen Beziehungen aus. In Deutschland ist es nichts Ungewöhnliches, wenn Mitarbeiter Vorschläge und Entscheidungen ihrer Vorgesetzten diskutieren. Niemand folgt einfach so einem Befehl. In anderen Ländern herrscht dagegen eine größere Machtdistanz. Amerikaner oder Franzosen beispielsweise erwarten von ihren Vorgesetzen klare Aufgabenstellungen und Regeln, denen sie folgen können. Dies hat jedoch nichts mit mangelnder Kompetenz zu tun, wie sich leichtfertig unterstellen ließe, sondern mit Respekt. Als Führungskraft in Ländern mit großer Machtdistanz sollten Sie nicht zu kumpelhaft mit Ihren Mitarbeitern umgehen, denn Sie könnten dadurch leicht Ihren Status verlieren. Nachdem ein deutscher Manager in Indien seinen Fahrer samt Familie zu sich nach Hause zum Essen eingeladen hatte, fühlte sich dieser sozial aufgewertet und sah keinen Grund mehr, niedere Arbeiten auszuführen.
„Diversität und der Umgang mit dem Fremden können einen Gewinn darstellen, eine Erweiterung des eigenen Horizonts.“
Auch Unterschiede in der Dimension der Sicherheit können zu Konfusionen führen. Während Deutsche gerne alles absichern und kontrollieren, wird in anderen Ländern eher improvisiert. Das betrifft etwa die Terminplanung. Deutsche erleben beispielsweise im Mittleren Osten ihr blaues Wunder, wenn sie Wochen im Voraus Gesprächstermine festlegen möchten. Während hierzulande ein Termin bindend ist, sehen andere Kulturen darin lediglich eine Orientierung. Gehen Sie also lieber davon aus, dass der eine oder andere Termin kurzfristig platzen kann. In einigen Ländern, etwa in Italien, ist es auch üblich, in immer kürzeren Abständen vor dem Termin noch einmal nachzufragen, ob es denn dabei bleibt.
Kommunikation
Eine der häufigsten Quellen für Missverständnisse ist die Kommunikation bzw. unterschiedliche Auffassungen davon. Es gibt Kulturen mit hoher und solche mit niedriger Kontextbezogenheit. Je höher die Kontextbezogenheit, desto mehr Bedeutung haben Ton, Mimik und Körpersprache. Im Small Talk werden viele wichtige Informationen über den Gesprächspartner gewonnen. Deutschland hat eine Kultur mit niedriger Kontextbezogenheit. Daten und Fakten stehen im Vordergrund, und man kommt am liebsten ohne Umschweife auf den Punkt. In Frankreich oder in Indien wäre ein entsprechend direkter Gesprächseinstieg undenkbar. Franzosen zeigen zunächst durch Themen aus Kultur und Gesellschaft, dass sie kultivierte Menschen sind und sich auf dem öffentlichen Parkett problemlos bewegen können. Kommt ein anderer Gesprächspartner dem nicht nach, fühlen sie sich ihm überlegen und zeigen das auch. Kritik wird je nach Kultur ebenfalls unterschiedlich geübt. Während Deutsche ihrem Gegenüber direkt sagen, was ihnen missfällt, verpacken Mitglieder anderer Kulturen ihren Unmut durchaus auch in ein Lob, dem dann die Kritik folgt. So kann es in Großbritannien heißen: „I very much appreciated your presentation, but ...“
Status, Zeit, Kontrolle
Status ist eine weitere Dimension, die von Kultur zu Kultur auf anderen Voraussetzungen aufbaut. Während in Deutschland vor allem die Leistung zählt, spielen in den USA die Herkunft, der Familienname und damit verbundene Netzwerke eine große Rolle. In Frankreich ist es wichtig, welche Universität man besucht hat. Sie können davon ausgehen, dass jemand, der auf der HEC (École des Hautes Études Commerciales) in Paris studiert hat, eine einflussreiche Persönlichkeit ist. In asiatischen Ländern begründet sich Status auch aus dem Alter und den damit erworbenen Erfahrungen. Wenn Sie eine Filiale in China planen, sollten ältere Mitarbeiter Leitungsfunktionen übernehmen. Ein 30- bis 40-Jähriger wird hier nicht ernst genommen.
„In asiatischen Ländern ist Seniorität eine Determinante von Status.“
Auch der Umgang mit Zeit unterscheidet Kulturen voneinander. Es gibt Kulturen, die Zeit als etwas Lineares verstehen, wie Deutschland oder die USA. Hier wird Zeit in Abschnitte unterteilt, in denen eine Aufgabe nach der anderen abgearbeitet wird. Warten wird als Vergeudung angesehen und erzeugt Ärger. In anderen Kulturen, wie in Indien oder in arabischen Ländern, gilt Zeit als etwas Wiederkehrendes. Kann eine Aufgabe heute nicht erledigt werden, wird das eben morgen nachgeholt. Diese Kulturen werden auch Multi-Focus-Kulturen genannt, im Unterschied zu den westlichen Single-Focus-Kulturen. Warten ist dort nichts Negatives. Weil ohnehin meist drei Aufgaben auf einmal geplant werden, bleibt, wenn ein Termin auf sich warten lässt, mehr Zeit für die Arbeit. Werten Sie es also nicht als Respektlosigkeit, wenn ein Gesprächspartner Sie in so einer Kultur mehrere Stunden sitzen lässt. Planen Sie immer einen ausreichenden Zeitpuffer ein.
„Mittels Perspektivenwechsel- und Verhaltensübungen werden fremde kulturelle Muster erlebbar.“
Auch in Sachen Kontrolle unterscheiden sich die Kulturen. In der westlichen Welt glaubt der Mensch die Kontrolle über Gelingen oder Nichtgelingen eines Projekts zu haben. In islamischen Ländern dagegen haben die Menschen das Gefühl, vieles liege nicht in ihrer Macht. Allah entscheidet letztlich, ob etwas erfolgreich ist oder nicht. Die Arbeit orientiert sich darum oft weniger an der Unternehmensstrategie als an den Rahmenbedingungen. Insofern kann ein Plan auch schnell vernachlässigt und die Arbeit den veränderten Bedingungen angepasst werden. Es lohnt sich, in solchen Kulturen einen engen Kontakt zu den Verantwortlichen zu pflegen, um stets über den Lauf der Dinge informiert zu sein.
Werkzeuge der interkulturellen Kompetenz
Trotz aller Vorbereitung kann es dazu kommen, dass Sie wegen kultureller Unterschiede nicht mehr weiterwissen und dass die Konversation oder Zusammenarbeit stockt. Für solche Situationen sollten Sie sich eine Art Werkzeugkoffer mit Strategien und Techniken zulegen:
- Verhaltensmuster wechseln: Das Erkennen von eigenen und fremden Verhaltensmustern ermöglicht Ihnen, zwischen diesen zu wechseln und so auch die andere Seite zu verstehen. Wird ein interkulturelles Team zusammengestellt, empfiehlt sich beispielsweise ein Workshop, bei dem die Angehörigen jeder Kultur sich selbst und die anderen einschätzen und alle eine gemeinsame Sprache finden, mit der die Unterschiede überbrückt werden können.
- Den Unterschied finden: Gerät ein Projekt ins Stocken, sollten Sie zunächst herausfinden, ob die Gründe wirklich in kulturellen Unterschieden liegen. Erst wenn Sie das geklärt haben, können Sie den Differenzen auf den Grund gehen. So lag das Problem, das ein deutsches Projektteam mit seinem spanischen Projektleiter hatte, nicht in den nationalen Unterschieden, sondern in seiner ländlichen Herkunft im Gegensatz zur urbanen Herkunft der Kollegen. Während er keine langen Erklärungen gewohnt war, vermissten die urbanen Kollegen Abstimmungen.
- Gemeinsame Identität schaffen: Bevor eine kulturelle Trennlinie identifiziert wird, sollten Sie lieber eine gemeinsame Projektidentität schaffen. Das gelingt durch eine Auftaktveranstaltung und auch durch gemeinsame Erlebnisse wie den Besuch eines Konzertes mit den Teammitgliedern. Außerdem sollten Sie gemeinsame Elemente der verschiedenen beteiligten Kulturen identifizieren.
- Innehalten und lernen: Statt bei interkulturellen Irritationen gleich das Gegenüber abzuwerten, was langfristig Stereotype noch verstärkt und das Konfliktpotenzial erhöht, sollten Sie in solchen Momenten lieber kurz innehalten und überlegen, warum Sie irritiert sind. Fragen Sie dann nach, was Sie falsch gemacht haben und was der richtige Weg wäre.