Wunderbar wirkungslose Werbung
Konventionelle Werbung verschlingt Jahr für Jahr gigantische Summen – fast 1 Billion Euro weltweit. Aber hat sie auch den gewünschten Effekt? Kreative und witzige Kampagnen unterhalten die Kunden, CEOs lassen sich auf dem Golfplatz feiern, und Werber gewinnen Preise in Cannes. Allein: Bei den Umsätzen bewegt sich nichts, und am Ende sollen Handelspromotionen und Preisnachlässe retten, was nicht mehr zu retten ist. Wenn die Werbung nicht funktioniere, stimme halt etwas mit dem Produkt nicht, so eine häufige Ausrede der Kreativen. Doch welchen Spielraum haben Hersteller noch, wenn sie für die Kunden attraktiver werden wollen? Rabatte lösen fast immer eine Preisspirale nach unten aus. Produktinnovationen sind riskant – neun von zehn Neueinführungen floppen. Bleiben die neuen Medien: Seit einigen Jahren machen viral über YouTube verbreitete Spots Furore. Marketingchefs freuen sich, dass sie so Millionen erreichen können, ohne einen Cent für die Verbreitung zu bezahlen. Und das Ergebnis? Keine nennenswerten Umsatzsteigerungen in Sicht. Studien zufolge verpuffen gar 95 % aller Werbekampagnen wirkungslos.
Neue Marketingkonzepte braucht das Land
Markenprofis stehen oft vor einem Dilemma: Sollen sie sklavisch an ein und derselben Positionierung festhalten und dafür geringeres Wachstum in Kauf nehmen, oder sollen sie die Marke neu erfinden? Die richtige Antwort lautet: weder noch. Betrachten Sie stattdessen Ihre Positionierung aus der Sicht verschiedener, noch nicht erschlossener Zielgruppen. Ein gutes Beispiel für diese Strategie ist Volvo. Die Firma hat immer am Sicherheitsversprechen als Grundpositionierung festgehalten. Aber sie brachte auch die eher maskuline Marke bei den Frauen ins Gespräch, indem sie argumentierte, dass kleine Autos viel gefährlicher seien als größere. Wenn Sie nach neuen Kunden und Konsummomenten Ausschau halten, verwässern Sie Ihre Marke nicht, sondern laden Sie sie ständig neu auf. Zunächst müssen Sie herausfinden, was diese potenziellen Kunden vom Kaufen abhält. Es gibt drei Arten von Konsumbremsen:
- Negative Wahrnehmung: Beispiele dafür sind zuckerhaltige Süßigkeiten für Kinder oder fettige Burger. So paradox es klingen mag: Die negative Wahrnehmung ist ein Juwel, denn der Konsument drückt glasklar aus, was ihn an der Marke stört.
- Indifferenz: Die meisten amerikanischen Verbraucher waren gegenüber Sojaprodukten gleichgültig eingestellt. Erst als einer Firma erlaubt wurde, das Wörtchen „Milch“ zu benutzen, konnte sie die entscheidenden Konsummomente besetzen (zum Frühstück, als Snack usw.).
- Glaubwürdigkeitsmangel: Kunden fragen sich, warum sie einem Produktversprechen glauben sollen. Diese Frage müssen Sie glaubwürdig beantworten.
„Werbung refinanziert sich ausschließlich, wenn Konsumenten das beworbene Produkt oder die beworbene Dienstleistung häufiger kaufen als ohne Werbung. Ganz einfach.“
Konsumbremsen sind fest in der Wahrnehmung verankert. Um sie zu lösen, benötigen Sie einen oder mehrere der folgenden fünf Hämmer aus dem BrakeBreakers-Werkzeugkasten.
Erster Hammer: Barrier-Ippon
Ein Judoka, der die Ippon-Technik anwendet, nutzt die Kraft seines Gegners, um ihn damit zu Fall zu bringen. Für Ihren Barrier-Ippon-Hammer gilt: Sie wandeln negative Wahrnehmungen in positive um, indem Sie sie in ein besseres Licht rücken oder indem Sie mit falschen Vorstellungen aufräumen. Zunächst müssen Sie mithilfe einer scharf fokussierten Konsumentenforschung herausfinden, was potenzielle Kunden an Ihrer Marke auszusetzen haben bzw. was sie sich wünschen. Letzteres bieten Sie ihnen dann an. Ferrero etwa schaffte es, mit seiner fettreichen Milchschnitte sogar gesundheitsbewusste Mütter von der überragenden Wichtigkeit des Milchanteils im Produkt zu überzeugen. Das ist die erste Ippon-Technik. Die zweite besteht darin, Ungenauigkeiten in den negativen Argumenten aufzuspüren und zu widerlegen. Einem Lutscherhersteller gelang dieser Geniestreich: Lollis hätten insgesamt weniger Kalorien als ein Apfel, so sein Argument, absolut gesehen seien sie also keine Dickmacher. Ein paar Tipps zur Technik:
- Machen Sie lautstark auf Irrtümer aufmerksam. Menschen sind sehr resistent gegenüber Wahrnehmungsveränderungen; mit einem leisen Auftreten kommen Sie nicht weiter.
- Neutralisieren genügt nicht. Sie müssen wahrgenommene Nachteile in echte Vorteile ummünzen.
- Notfalls passen Sie das Produkt an – etwa indem Sie den Fett- oder Zuckergehalt verringern –, um Ihr Konzept zu stützen.
- Überraschen Sie mit Paradoxen: ein Bonbon, das gut für die Zähne ist, Alkohol, der gut fürs Herz ist, oder ein Pick-up, der für den Stadtverkehr taugt.
- Nutzen Sie die Technik für eine ganze Kategorie, nicht nur für Ihre Marke: Aida Cruises etwa gelang es, das Image der Kreuzfahrtbranche um Jahrzehnte zu verjüngen.
Zweiter Hammer: Problem-Reinvention
Inszenieren Sie das durch Ihr Produkt gelöste Problem so, dass es auch dem zuvor gleichgültigen Kunden relevant erscheinen muss. Viagra hat sich von einem Nischen- zum Massenprodukt entwickelt, indem Erektionsschwierigkeiten als normales, alltägliches Problem dargestellt wurden, das jeden gesunden Mann treffen kann. Viele Kreative meinen, Probleme seien etwas Negatives und hätten in der Werbung nichts zu suchen. Das ist Unsinn, denn Produkte haben ja keine andere Funktion, als Probleme zu lösen. Ohne alternde Haut bräuchte es schließlich keine Anti-Aging-Creme. Carglass, der Marktführer im Austausch von Windschutzscheiben, warb mit dem Argument, dass ein winziger Riss die Scheibe bei voller Fahrt zerbrechen lassen kann. Ein Horrorszenario, fanden viele Verbraucher und ließen ihre Windschutzscheiben schleunigst auswechseln. Stellen Sie zuvor ignorierte Probleme als relevant dar. Dramatisieren Sie, indem Sie nahestehende Personen, relevante Orte und schwere Folgen in das Szenario einbeziehen. Wie im Fall eines antibakteriellen Reinigungsmittels geschehen: Ist sauber etwa nicht gleich sauber? Nein, nicht wenn auf dem zwar glänzenden, aber nicht auch desinfizierten Fußboden plötzlich Kakerlaken auftauchen, die sich einem süßen Baby nähern!
Dritter Hammer: Category-Stealing
Spüren Sie neue Kategorien auf und übertragen Sie deren Konsumversprechen auf Ihre Marke. Spanien gelang es z. B., nicht nur als beliebtes Urlaubsziel wahrgenommen zu werden, sondern sich auch als geeigneter Ort für einen Zweitwohnsitz zu positionieren. Die Folge: Ganze 800 000 neue Wohnungen wurden allein im Jahr 2006 gebaut. Markenkriege innerhalb einer Kategorie, wie sie Pepsi und Coca-Cola jahrzehntelang ausfochten, haben sich längst überlebt. Heute gibt es je einen wichtigen Energydrink (Red Bull), einen Fitnessdrink (Gatorade) und einen Biodrink (Bionade). Es sind neue Kategorien entstanden, für den Kampf innerhalb einer Kategorie ist im Konsumentenhirn kein Platz mehr. In diesem Wettbewerbsumfeld müssen Sie neue Spielplätze erobern. L’Oréal schwang diesen Hammer virtuos, als es in einem Slogan für seine Antifaltencreme forderte: „Die Schönheitschirurgie kann warten.“ Die Marke war so der dicht besetzten Creme-Kategorie entkommen und elegant in höhere Sphären aufgestiegen.
Vierter Hammer: Produktdemos
„Das kann ich nicht glauben!“ ist eine wunderbare Reaktion, denn sie signalisiert Interesse. Jetzt müssen Sie nur noch die Ungläubigen mit glaubwürdigen Argumenten überzeugen: Nennen Sie Bestandteile, Zutaten und Charakteristika und demonstrieren Sie, wie Ihr Produkt funktioniert. Ein geniales Beispiel hierfür ist der Spot von Geox, der zeigt, wie ein Schuh einem Dampfbügeleisen gleich durch die Sohle „ausatmet“, ohne Feuchtigkeit von außen nach innen gelangen zu lassen. Sie werden damit in Cannes keinen Blumentopf gewinnen, denn Produktdemos gelten als extrem unkreativ. Aber sie funktionieren! Am besten in Kombination: Suchen Sie nach überzeugenden Produktargumenten, lassen Sie das Produkt von einem Experten empfehlen und ihn das Gutachten einer Institution zitieren. So steigen Sie auf der Glaubwürdigkeitstreppe Stufe für Stufe nach oben. Eine gelungene Produktdemo besteht aus drei Elementen: dem exklusiven Bestandteil (z. B. die fünf Klingen eines neuen Rasierers), der Beschreibung der Funktionsweise und einer einprägsamen visuellen Stütze (maximal vier Sekunden in einem Werbespot bzw. ein Bild in einer Printkampagne). Mit einer klaren, unmissverständlichen Demo entfesseln Sie magische Momente, denen sich niemand entziehen kann.
Fünfter Hammer: Endorsements
Wem würden Sie eher vertrauen, wenn Sie eine Putzfrau suchen: dem Rat Ihrer Freundin oder der Imagebroschüre einer Zeitarbeitsfirma, die Reinigungskräfte vermittelt? Keine Frage. Die Freundin hat in Ihren Augen Prestige, und sie ist unabhängig. Genau das sollten auch die externen „Endorser“ (Verstärker) Ihrer Marke bieten. Natürlich weiß jeder Kunde, dass für eine Empfehlung in der Werbung Geld fließt und sie deshalb nicht mit dem Rat der Freundin gleichzusetzen ist. Dennoch kann sie glaubwürdig wirken, wenn sie gut zu Ihrer Marke passt. L’Oréal etwa engagierte für seine Antifaltencreme die 69-jährige, blendend aussehende Jane Fonda, die zudem noch für ihre Abneigung gegenüber Schönheitsoperationen bekannt war. Meiden Sie Berühmtheiten, die sich inflationär häufig für verschiedene Produkte engagieren: Das zehnte Endorsement von ein und derselben Person nimmt Ihnen keiner ab! Lokale Berühmtheiten, die noch keinen Superstarstatus erreicht haben, bieten oft ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.
„Unser Buch ist voller Bremsen und Hämmer, voller Werbe- und Markenbeispiele, aber vor allem ist es ein kleiner Aufruf zur Rebellion.“
Aber nicht immer sind Berühmtheiten die erste Wahl. Die Kosmetikmarke Dove etwa hat ihre gesamte Kommunikationsstrategie um anonyme Testimonials herum aufgebaut, um „Menschen wie du und ich“. Das spricht viele Kundengruppen stärker an als Fiktion, und es ist eine Werbeform mit hohem Zukunftspotenzial. Große Wirksamkeit entfalten auch Experten: Ärzte, Landwirte, Ernährungswissenschaftler, Klempner usw. Deren Aussagen werden zusätzlich unterstützt durch die Nennung von Institutionen, die sich z. B. der Lebensmittelsicherheit verschrieben haben. Endorsements vonseiten lokaler Institutionen sind ein hervorragendes Mittel, um die Kampagnen multinationaler Unternehmen in verschiedenen Ländern gut zu promoten. Ein Beispiel: In Deutschland würde eine positive Kritik der Zeit für einen Film ein besseres Endorsement darstellen als eine aus der New York Times. Neben den externen Empfehlungen gibt es noch die internen, also direkt vom Unternehmen geleisteten: Das können Studienergebnisse sein oder auch Geld-zurück-Garantien. Sie drücken damit Ihre 100%ige Überzeugung aus, dass das Produkt sein Versprechen an den Kunden halten wird. Tatsächlich lösen im Durchschnitt weniger als 0,5 % aller Käufer diese Garantie auch ein. Die 14-Tage-Geld-zurück-Garantie für den Activia-Joghurt von Danone etwa führte innerhalb kürzester Zeit zu einer Umsatzverdoppelung.
Die Bremse im Kopf
Vielleicht denken Sie nun, dass die Methode nur mit innovativen, einzigartigen Produkten funktioniert. Weit gefehlt! Betrachten Sie Ihre Marke wie Eltern ihre verhaltensauffälligen Kinder: Egal, was Ihnen Lehrer und Verwandte sagen mögen, Sie werden immer etwas an ihnen finden, das sich zu lieben und zu fördern lohnt. Auf das Marketing übertragen bedeutet das: Jedes Produkt hat Begeisterungspotenzial, von der schnöden Tomatensoße bis hin zum Potenzmittel. Lösen Sie zuerst die eigenen Potenzialbremsen, bevor Sie sich um die Ihrer Kunden kümmern. Fassen Sie Mut: Wagen Sie den Aufstand gegen selbstverliebte Image-, Impact- und Entertainmentwerbung, und Ihre Umsätze werden nicht mehr zu bremsen sein.