Mit spielerischem Denken auf zu neuen Ufern
Die niederländische Eisenbahn war unpünktlich. Es gab zwei Optionen, das zu ändern: Die eine war der traditionelle Weg über Analyse, Steuerung und Kontrolle – nach einem halben Jahr war damit aber keine Verbesserung erzielt worden. Die andere war das Spiel „Keine Zeit verlieren“, an dem Schaffner und Lokomotivführer teilnahmen, um mit engagierten, kreativen und durchaus auch verrückten Ideen das Problem zu lösen. Nach wenigen Monaten hatten sie genau das erreicht. Einfach, weil sie aus ihrer Arbeit ein Spiel gemacht hatten. Spielen eröffnet neue Möglichkeiten, taucht schwierige Fragen in ein neues Licht und krempelt um, was als Glaubenssatz längst überholt ist. Egal, ob es um Fragen bezüglich Umsatzsteigerung, Innovationen, Arbeitszufriedenheit oder Kundenorientierung geht, eines ist allen gemeinsam: Wenn Sie etwas verändern wollen, müssen Sie handeln – oder einen anderen dazu bringen, zu handeln und die Dinge anders zu machen. Das konnten Sie bisher mit Kontrolle erreichen oder mit Zuckerbrot und Peitsche. Künftig können Sie das Spiel nutzen. Spielerisches Denken setzt auf Verführung statt auf Kontrolle und auf Spaß an der Arbeit statt auf Boni. Spielen führt dazu, in einer partnerschaftlichen Art und Weise zu handeln.
Spielerisch das Handeln beeinflussen
Vermutlich runzeln Sie wie die meisten erst mal die Stirn, wenn jemand Arbeit und Spielen in einem Atemzug nennt. Spielen ist etwas für Kinder, unter Erwachsenen gilt es als unverantwortlich oder sogar als Sucht, aber sicher nicht als Element der Arbeitswelt, so die weit verbreitete Meinung. Doch es geht darum, das Handeln von Menschen zu beeinflussen, und dafür ist eine neue Sichtweise nötig. Zunächst muss man wissen, warum Menschen so oder so handeln. Vereinfacht dargestellt beruht Handeln auf Wollen und auf Können. In der Interaktion mit anderen nehmen wir dann eine bestimmte Rolle ein. Welche das ist und wie gut wir diese ausfüllen, haben wir in unserer Kindheit gelernt – durch Spielen.
„Spielen ist eine Perspektive, mit der sich alles ändern kann.“
Dabei haben wir eine Menge Erfahrungen gemacht, die unser Handeln beeinflussen. Diese Erfahrungen sind es, die unseren Willen steuern. Wer beispielsweise einmal indisch gegessen hat und das sehr lecker fand, der möchte es wieder tun. Erfahrungen wecken die Sehnsucht; man ist bereit, sein Tun entsprechend zu ändern. Wenn Sie also möchten, dass Ihre Vertriebsteams besser zusammenarbeiten, dann halten Sie ihnen darüber keinen Vortrag, sondern lassen Sie die Leute selbst erleben, wie lohnend es sein kann. Im Spiel kann man Neues ausprobieren, ohne dass es brenzlig wird – eben weil es nur ein Spiel ist.
„Es kann sich nur dann etwas ändern, wenn irgendwo irgendwann irgendjemand etwas anders macht als vorher.“
Spielen eröffnet ganz neue Welten. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, was Sie tun, sondern wie Sie es tun: Die Ungezwungenheit, der Spaß, das Miteinander, das macht das Spiel aus. Führen Sie die gleiche Handlung mit Druck, Frust und im Gegeneinander aus, dann ist der Unterschied offenkundig. Es ist also die innere Haltung und Einstellung, die eine Aktivität zum Spiel macht. In solch spielerischer Haltung gehen Ihnen die Arbeit und das Lernen viel leichter von der Hand.
„Eine Vorstellung von etwas bekommt man am ehesten dann, wenn man es selbst erfahren und erleben darf.“
Spielen fördert übrigens das Sozialverhalten, die Entscheidungsfähigkeit, die emotionale und soziale Kompetenz sowie die Intelligenz – das ist wissenschaftlich bewiesen. Spielen ist so wichtig wie schlafen, denn es schafft neue Verbindungen im Gehirn und lässt uns außergewöhnliche Gedanken spinnen. Wer nicht spielt, riskiert, dass sein Gehirn verkalkt.
Ohne Zwang und Plan, einfach loslegen
Sie haben zwei Möglichkeiten, mit Ihren Mitarbeitern umzugehen: Sie geben Anweisungen und erwarten, dass die Leute Ärger und Mühen ertragen, weil sie schließlich dafür bezahlt werden. Oder Sie sorgen dafür, dass den Leuten die Aufgaben Spaß machen. Spielen macht Spaß, spricht das ästhetische Empfinden an, ist spannend und kommunikativ. Wenn Sie die Aufgaben in Ihrem Team spielerisch angehen, werden Sie schnellere, bessere und auch ganz neue Ergebnisse erzielen. Einfach weil Menschen außergewöhnliche Leistungen bringen, wenn sie Spaß an ihrem Tun haben, weil Spaß inspiriert und dazu verführt, Dinge auch mal anders zu erledigen, kreativ zu sein. Zwang und Kontrolle sind Spaßbremsen und führen bestenfalls zu einem kurzfristigen, aber sicher nicht zu einem dauerhaften Erfolg.
„Es gibt nur wenige andere Situationen, die so einladend sind, neue Dinge gefahrlos und ohne Konsequenzen auszuprobieren, wie das Spiel.“
Sie können allerdings niemanden zum Spielen verdonnern, das klappt nur freiwillig. Sie können aber andere dazu verführen, dass sie freiwillig spielen. Schönheit und Spannung sind hier Ihre Verbündeten. Statt Ihre Manager in eine Klausurtagung zu sperren, um ihnen beispielsweise eine stärkere Kundenorientierung ans Herz zu legen, können Sie ihnen auch einen iPod auf den Schreibtisch legen, der wöchentlich mit neuen Inhalten gefüllt wird und die Manager mit Aufgaben versorgt. Schön, spannend – und Erfolg versprechend.
„Spielen ist immer freiwillig. Es geschieht nie unter Zwang oder durch Druck oder weil man ein bestimmtes Ziel verfolgt.“
Wenn es Probleme gibt, stellt man in Unternehmen für gewöhnlich erst mal Analysen an – und wartet dann ab. Vergessen Sie doch mal die ganze Planerei, fangen Sie einfach an. Das erfordert zweifellos Mut, auch Mut zu Fehlern. Aber Vorsicht: Spontanes Herumprobieren muss nicht immer das Beste sein; ein bisschen Planung kann helfen, teure Fehler oder gefährliche Folgen zu vermeiden. Nur ist es eben in den wenigsten Fällen das Problem, dass zu viel herumprobiert wird. Vielmehr wird allzu gern der Zeitaufwand für Analysen unterschätzt, während die Kosten für Fehler überschätzt werden. Man darf auch nicht vergessen, dass die Motivation viel größer ist, wenn man selbst herausfindet, was zu tun ist.
„Wer Gefallen daran findet, Spaß zu haben, wo er eigentlich nicht zu sein scheint, bekommt auf einmal unmögliche Dinge geschafft.“
Es gibt aber ein paar Hürden, die es zu überwinden gilt, wenn man aktiv werden und nicht in der Theorie stecken bleiben will. Meist sind es bestimmte Glaubenssätze, die Sie daran hindern, vom Planen zum Handeln zu gelangen. Wer etwas ausprobieren möchte, darf sich davon jedoch nicht blockieren lassen und sollte lernen,
- sich davon zu verabschieden, ganz sicher sein zu wollen,
- Probleme nicht immer vollständig lösen zu wollen,
- die Forderung nach gemeinsamem Handeln, klaren Strategien und einheitlichen Regeln aufzugeben,
- sich von dem Glauben, Vorgesetzte müssten für und über andere entscheiden, frei zu machen, und
- aufzuhören, sich am Status quo festzuklammern.
Gemeinsam kommt man vorwärts
Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi nennt ihn Flow, den Zustand des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit. Die meisten Menschen haben solche Glücksmomente, wenn sie allein sind, etwa bei der Gartenarbeit, beim Basteln an der Modelleisenbahn oder beim Ausreiten. Wer den Flow allerdings in Gemeinschaft mit anderen erlebt, ist in diesem Augenblick in höchstem Maß kreativ und produktiv. Ob eine Zusammenarbeit klappt, liegt in Ihrer Hand. Solange Ihr innerer Kritiker nämlich ständig mit „Ja, aber ...“ statt dem verbindenden „Ja, und ...“ regiert, wird es schwierig.
„Die Fähigkeit zur Imagination ist jene Zutat, die vor allem im Arbeitskontext am schnellsten Dinge in Bewegung bringen kann.“
Auch andere innere Stimmen, z. B. die des Perfektionisten oder des Skeptikers, sind ausgesprochen kontraproduktiv, weil man sich durch sie zu sehr auf das Veto beschränkt und sich mit uninteressanten Teilaspekten herumschlägt. Die Haltung „Ja, und ...“ dagegen baut auf den Vorschlägen der anderen auf, schafft Gemeinsamkeit und schätzt die guten Ideen. Nur müssen Sie jetzt auch die Verantwortung für die Problemlösung mittragen.
Die Vorstellungskraft prägt unser Handeln
Spielende Kinder werden innerhalb weniger Momente vom Cowboy zum Indianer und vom Indianer zum Außerirdischen. In der Vorstellung ist alles möglich, und das lässt sich durchaus auf die Arbeitswelt übertragen. Ihr Denken prägt Ihr Handeln. Ein Gespräch wird ganz unterschiedlich ablaufen, je nachdem ob Sie Ihr Gegenüber vorher als nett und offen einstufen oder als abweisend. Auch wenn Sie in jedem Fall freundlich bleiben: Ihr Gesprächspartner spürt, was Sie von ihm halten, und das beeinflusst das Ergebnis der jeweiligen Situation.
„Sich etwas vorzustellen und seine eigenen Gedanken zu beeinflussen ist kein verrückter Luxus für abgedrehte Spinner, sondern der Schlüssel, um festgefahrene Muster hinter sich zu lassen und sich für wirklich neue Ideen zu öffnen.“
Das Gute ist: Sie können Ihre Gedanken durchaus beeinflussen und sich ganz bewusst dazu entscheiden, etwas anderes zu denken. Wenn Sie Ihren Mitarbeitern jede Menge positives Feedback geben, aber insgeheim negativ über sie denken, wird es nichts mit der erfolgreichen Personalführung. Der Tonfall, der Gesichtsausruck, die Gesten, all das ist nur dann natürlich und echt, wenn man auch denkt, was man sagt. Die Mitarbeiter merken das. Sie brauchen sich beim nächsten Gespräch nur vorzustellen, dass ein besonders guter Mitarbeiter vor Ihnen sitzt, und das Ergebnis fällt garantiert positiv aus.
„Dass Erwachsene sich keine Blöße geben wollen, dass ihnen der eigene Ruf so wichtig ist, ist als Symptom der Tatsache anzusehen, dass die Konsequenzen des Ausprobierens aus subjektiver Perspektive nicht begrenzt sind.“
Ebenso können Sie sich Szenarien vorstellen, um Ihre Gedanken in eine bestimmte Richtung zu lenken. Wer Angst davor hat, dass das kindisch wirken könnte, verrät es eben niemandem. Innovation beginnt mit der Fähigkeit zur Imagination. Stellen Sie sich einfach die Frage: „Was wäre wenn ...“ So eine fiktive Vorstellung funktioniert auch im großen Kreis von Mitarbeitern oder Kollegen und kann zu sehr realen Konsequenzen führen.
Dem Spiel Raum geben – und Regeln
Etwas auszuprobieren, neues Handeln zu erfahren und zu lernen, setzt Freiräume voraus. Die meisten Mitarbeiter wünschen sich sowieso mehr Spielraum. Sorgen Sie dafür, dass sie ihn bekommen. Spielräume sind auch dann entscheidend, wenn Weiterbildungsmaßnahmen greifen sollen. Wie sonst sollen die Mitarbeiter üben, bis sie die erlernten Fähigkeiten beherrschen? In Spielräumen sind die Konsequenzen begrenzt, man muss nicht Angst haben, sich in Grund und Boden zu blamieren oder physischen Schaden zu nehmen. Solche Ängste können Sie minimieren, beispielsweise indem Sie versuchen, mögliche Stolpersteine vorherzusehen oder indem Sie Ihre Angstvorstellungen („Was könnte nicht alles passieren, wenn ich etwas Neues ausprobiere ...?“) kritisch überprüfen.
„Das Komplizierte besteht darin, beim Spielen und Erneuern aus den festgefahrenen Regeln auszubrechen.“
Jedes Spiel braucht neben dem Freiraum aber auch Grenzen, schon allein deshalb, weil grenzenloser Spielraum unbehaglich wirkt und man unwillkürlich nach Orientierung sucht. Stellen Sie sich vor, Sie bekommen an Ihrem ersten Arbeitstag in der neuen Firma den Auftrag, einfach irgendwas zu machen. Einen derart großen Spielraum wollen Sie gar nicht! Einerseits suchen Sie also Eingrenzung. Wenn aber bei Ihrem Tun etwas Neues herauskommen soll, sind andererseits ein paar gezielte Regelbrüche notwendig. Gut möglich, dass das nicht jedem gefällt, doch ohne den Mut, Regeln zu brechen, sind Innovationen nicht denkbar.
„Das Denken in kritischen Situationen ist eines der produktivsten Instrumente, um sich selbst, Teams oder Organisationen in Bewegung zu bringen und damit nachhaltige Veränderungen zu bewirken.“
Versuchen Sie, möglichst häufig in konkreten Situationen zu denken, in so genannten „critical incidents“ (kritischen Momenten). Denn das sind die Augenblicke, in denen Sie sich entscheiden müssen, ob Sie den ausgetretenen Pfad weitergehen oder einen neuen Weg einschlagen. Wann genau z. B. werden Sie Ihrem Vorsatz untreu, ein paar Pfunde zu verlieren? Das ist der Augenblick, geltende Regeln infrage zu stellen und gleichzeitig spielerisch an die kritische Situation heranzugehen. Dieses Denken in kritischen Momenten funktioniert nicht nur im privaten Bereich, sondern ebenso im beruflichen Alltag. Machen Sie sich bewusst, was Ihnen wirklich wichtig ist, um dann bestehende Regeln zu beugen. Sie müssen es nur wollen, Sie müssen Lust haben zu spielen, Dinge auszuprobieren – gerade während der Arbeit.