Die rechtlichen Grundlagen
In einem Verwaltungsgerichtsverfahren wendet sich üblicherweise ein Bürger gegen den Verwaltungsakt einer Behörde, oder er verlangt eine Erlaubnis oder Leistung vom Staat, auf die er einen Rechtsanspruch zu haben glaubt. Diese drei Fälle machen die Masse der Verfahren aus. Nur selten klagen Behörden gegen Bürger oder gegeneinander. Maßgeblich für den Verwaltungsprozess sind die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).
Die zuständigen Gerichte
Der Verwaltungsrechtsweg wird für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten beschritten außer in Steuersachen (Finanzgerichte), Sozialsachen (Sozialgerichte), bei Polizei- oder Bußgeldbescheiden (ordentliche Gerichte) und bei Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes (Arbeitsgerichte). Den Verwaltungsgerichten zugewiesen sind auch Klagen von Beamten gegen ihren Dienstherrn. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach den Verwaltungsgerichtsbezirken, wie sie in den Ländergesetzen festgelegt sind.
„‚Wo kein Kläger, da kein Richter.‘ Diese Weisheit gilt auch für den Verwaltungsprozess.“
Die erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte bestehen in der Regel aus Kammern, die sich aus drei Berufs- und zwei ehrenamtlichen Richtern zusammensetzen. Ausnahmsweise entscheiden in bestimmten Fällen, z. B. in Eilverfahren, Einzelrichter. Essenziell in der Aktenführung sind zunächst die Stammdaten: Aktenzeichen, Rechtsgebiet, Kläger bzw. Antragsteller, beklagte Behörde bzw. Antragsgegner sowie Bevollmächtigte und Beteiligte. Ohne Aktenzeichen keine ordentliche Verfahrensführung; es ist stets anzugeben.
Die Prozessbeteiligten und ihre Prozesshandlungen
Verwaltungsgerichte werden nur tätig, wenn Klage erhoben wird. Prozessbeteiligte sind neben den Richtern der Kläger und die Beklagte (die Behörde) sowie Beigeladene. Diese sind Personen, die von den Gerichtsentscheidungen betroffen sein können. Weitere Prozessteilnehmer sind Zeugen und Sachverständige, die zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können. Ferner nehmen Urkundsbeamte, ggf. Dolmetscher und der so genannte Vertreter des öffentlichen Interesses (VöI) teil.
„Das Aktenzeichen ist der wichtigste Organisationsbestandteil der Gerichtsakte.“
An einem Verwaltungsgerichtsverfahren können alle natürlichen oder juristischen Personen teilnehmen, also alle Behörden und öffentlich-rechtlichen Anstalten, private Vereine, GmbHs, AGs, aber auch Parteien, Gewerkschaften, Personalräte oder Gemeinderäte. Prozessfähig ist, wer auch geschäftsfähig ist oder durch gesetzliche Vertreter repräsentiert wird. Auch Behörden und alle Vereinigungen handeln durch ihren gesetzlichen Vertreter, der durch eine schriftliche Vollmacht legitimiert sein muss; das gilt auch für Rechtsanwälte. Der bevollmächtigte Behördenvertreter kann alle Prozesshandlungen wirksam vornehmen. Prozesshandlungen sind grundsätzlich formfrei. Nur der Widerspruch und die Klage müssen schriftlich erhoben werden, ebenso Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz, Rechtsmittel und die Rechtsmittelbegründung. Die meisten dieser Prozesshandlungen sind fristgebunden.
Der Verfahrensbeginn
Ist eine Klage unter Beachtung aller Formalien erhoben, mit einem Aktenzeichen versehen sowie dem Beklagten zugestellt und hat das Gericht seine Zuständigkeit bejaht, legt es einen vorläufigen Streitwert fest und beginnt von Amts wegen mit der Ermittlung des Sachverhalts. Hier liegt der wesentliche Unterschied zum Zivilprozess, wo nur die Vorträge und Beweisangebote der Parteien entscheidungserheblich werden.
„Die Verwaltungsgerichte sind regelmäßig stark belastet, eine mehrmonatige oder mehrjährige Verfahrensdauer ist keine Seltenheit.“
Vor der Klageerwiderung sollte eine Behörde ihr Prozessrisiko genau erwägen, sowohl hinsichtlich der Kosten als auch hinsichtlich des möglichen Urteils, um eine Niederlage vor Gericht zu vermeiden. Hält die Behörde an ihrer Auffassung fest, wird sie in der Klageerwiderung beantragen, die Klage abzuweisen. Zur Begründung genügt es, sich in der Klageerwiderung auf die wesentlichen Punkte der Klageerhebung zu konzentrieren.
„Wegen der Pflicht zur Amtsermittlung wählt das Gericht die erforderlichen Beweismittel grundsätzlich selbst aus.“
Behörden sind zur Vorlage ihrer Urkunden und Akten sowie zu Auskünften verpflichtet, am besten gleich mit der Klageerwiderung. Verlangt werden vollständige Originalakten in geordneter Reihenfolge und mit Seitennummerierung, bei umfangreichen Akten mit Inhaltsverzeichnis. Ein Stapel Kopien käme einer Missachtung des Gerichts gleich.
Die mündliche Verhandlung
Die Gerichtsverhandlung wird durch Schriftsätze vorbereitet, die alle Beteiligten in der Vorbereitung zur Kenntnis erhalten. In Schriftsätzen der Behörde müssen Angaben des klagenden Bürgers nicht bestritten werden, vielmehr sollen Sachverhalte knapp und neutral im Ton gehalten sein. Professionell wirkt es, die Verfahrensbeteiligten prozessual korrekt zu bezeichnen, also nicht: „der Landkreis“, sondern: „der Beklagte“. Die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsvorschriften stellt das Gericht selbst fest. Den Beteiligten ist es aber unbenommen, darauf hinzuweisen, wenn sie ihre Rechtsauffassung darlegen.
„Grundkenntnisse des Beweisrechts sind vor allem für den behördlichen Terminvertreter unerlässlich!“
Oft wird der Vorsitzende der Kammer die Beteiligten zu einem nichtöffentlichen Erörterungstermin laden, um den Streitfall gütlich zu beenden oder einen Vergleich entgegenzunehmen. Es kommt vor, dass ein Verwaltungsprozess zeitweise ausgesetzt wird oder ruht, weil in einem anderen behördlichen oder gerichtlichen Verfahren eine Vorfrage geklärt werden muss. Schließlich werden alle Beteiligten zum Termin geladen. Es wird stets erwartet, dass seitens einer Behörde ein kompetenter Vertreter erscheint; eine Terminverlegung, etwa wenn ein Sachbearbeiter (z. B. wegen Urlaub) verhindert ist, kommt nicht in Betracht.
„Das Widerspruchsverfahren dient dem Rechtsschutz des Bürgers, der Selbstkontrolle der Verwaltung und der Entlastung der Gerichte.“
Bei der Beweisaufnahme zieht das Gericht alle aus seiner Sicht erforderlichen Beweismittel heran. Dazu zählen: Augenschein, Urkunden, Zeugenbefragung, Sachverständige und Beteiligtenvernehmung. Über einen förmlichen Beweisantrag während der Verhandlung muss das Gericht nach einer Sitzungsunterbrechung eigens beraten und eine etwaige Ablehnung durch Beschluss feststellen. Dieser muss begründet werden. Die Ablehnungsgründe ergeben sich aus dem Gesetz (Zivilprozessordnung und Strafprozessordnung). Das Verwaltungsgerichtsverfahren kennt keine Beweislast wie das Zivilrechtsverfahren. Behördenvertreter im Verwaltungsverfahren benötigen Grundkenntnisse des Beweisrechts. Das Gericht ist in seiner Beweiswürdigung frei.
„Mit dem Erlass des Widerspruchsbescheids ist das Verwaltungsverfahren abgeschlossen.“
Nach dem Aufruf der Sache und der Feststellung der Anwesenheit der Beteiligten trägt der Berichterstatter (ein Richter) den wesentlichen Sach- und Streitstand vor. Dann können Anträge gestellt und begründet werden. Die Streitsache wird nun im Rechtsgespräch aller Beteiligten umfassend erörtert. Gibt es keine Wortmeldungen mehr, wird die Sitzung geschlossen. Mündliche Verhandlung, Erörterungstermine und Beweisaufnahmen werden protokolliert. Alle Beteiligten erhalten das Protokoll.
Zulässigkeit und Begründetheit einer Klage
Bereits die Behörde sollte zur Abwägung ihres Prozessrisikos die Zulässigkeit einer Klage prüfen. Stellt spätestens das Gericht fest, dass die Klage unzulässig ist, muss sie abgewiesen werden. Eine materielle Rechtsprüfung findet dann nicht statt. Damit eine Klage als zulässig gilt, müssen folgende Punkte zutreffen:
- Die Zuständigkeit des Gerichts muss gegeben sein.
- Der Kläger muss sich der richtigen Klageart, z. B. Anfechtungs-, Feststellungs- oder Leistungsklage, bedienen.
- Formelle Erfordernisse wie Beteiligungsfähigkeit, Prozessfähigkeit, Bevollmächtigung sowie Einhaltung von Schriftform und Fristen müssen erfüllt sein.
- Die Klagebefugnis muss gegeben sein, d. h., der Kläger muss geltend machen, durch einen Verwaltungsakt oder dessen Ablehnung in seinen Rechten verletzt zu sein. Das kann bei belastenden Verwaltungsakten immer geltend gemacht werden. Der Anspruch auf einen begünstigenden Verwaltungsakt muss plausibel gemacht werden.
- Das behördliche Vorverfahren, das Widerspruchsverfahren, muss abgeschlossen sein. Hier prüft die Widerspruchsbehörde selbst nach ähnlich strengen Kriterien wie ein Gericht den beanstandeten Verwaltungsakt in formeller und materieller Hinsicht. Nur wenn der Verwaltungsakt bestätigt wird, wird er auch Gegenstand des Gerichtsverfahrens. Ansonsten nimmt die Behörde ihn ganz oder teilweise zurück.
„Gegenstand der Anfechtungsklage ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid angenommen hat.“
Eine Klage ist begründet, wenn der betreffende Verwaltungsakt
- formell rechtswidrig war (z. B. unzuständige Behörde, keine Anhörung, keine Begründung; solche Formfehler können aber behoben werden),
- nichtig war (gravierende Formfehler) oder
- das Gesetz falsch angewendet wurde, z. B. durch Fehlinterpretationen, Ermessensfehler oder eine verfassungswidrige Norm.
Vorläufiger Rechtsschutz
Der Vollzug eines offenbar rechtswidrigen Verwaltungsakts kann in niemandes Interesse sein. Das Eilverfahren gemäß VwGO gewährt darum Rechtsschutz gegen belastende Verwaltungsakte, die anfechtbar sind. Eine einstweilige Anordnung kann begehrt werden, wenn der Erlass eines Verwaltungsakts das Ziel ist. Das Gericht prüft ohne mündliche Verhandlung, aber möglicherweise mit einer Erörterung, die Zulässigkeit und Begründetheit des Antrags (die Beteiligten in diesem Verfahren heißen Antragsteller und Antragsgegner) und verkündet einen Beschluss (kein Urteil). Der Verwaltungsakt muss sofort vollziehbar sein, es muss zuvor Widerspruch erhoben sein und ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen. Dann wird die Sach- und Rechtslage vom Gericht summarisch daraufhin geprüft, ob der Verwaltungsakt offenkundig rechtswidrig ist. Bei diesem Verfahren müssen Anordnungsanspruch und -grund glaubhaft gemacht werden.
Die Entscheidungsformen der Verwaltungsgerichte
Das Urteil enthält neben dem Rubrum (Angaben zu den Beteiligten und ihrer Stellung im betreffenden Fall) und dem Tenor (Entscheidungssatz, z. B. eine abgewiesene Klage) auch die Kostenentscheidung, die Vollstreckbarkeitsentscheidung, den Tatbestand, die Entscheidungsgründe und die Rechtsmittelbelehrung. Das Urteil wird in der Regel verkündet, manchmal auch zugestellt. Ist das vollständige Urteil zugestellt, beginnen die Rechtsmittelfristen. Können keine Rechtsmittel mehr eingelegt werden, wird das Urteil rechtskräftig.
„An der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann niemals ein berechtigtes öffentliches oder privates Interesse bestehen.“
Gegenüber den urteilsähnlichen und eher selten vorkommenden Gerichtsbescheiden haben Beschlüsse eine größere Bedeutung. Sie werden ebenfalls schriftlich abgefasst und begründet; dagegen sind Rechtsmittel möglich. Das betrifft insbesondere Eilanträge (wegen vorläufigen Rechtsschutzes), Beweisbeschlüsse und verschiedene Formen der Verfahrensbeendigung. Das Gericht entscheidet auch stets durch Beschluss (nicht im Urteil) über den Streitwert.
„Das Gericht ist gehalten, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Lösung des Rechtsstreites hinzuwirken.“
Ein Vergleich ist praktisch in jedem Stadium des laufenden Verfahrens möglich und beendet es unmittelbar: Eine Behörde kann einen Bescheid zurücknehmen, ein Kläger seine Klage. Für Behördenvertreter empfiehlt sich im Vergleich ein Widerrufsvorbehalt, falls die Folgen nicht gleich absehbar sind, etwa hinsichtlich der Kosten.
Rechtsmittel
Wird eine Berufung beim Oberverwaltungsgericht zugelassen, begründet dies ein neues Tatsachenverfahren einschließlich Amtsermittlung. Achtung: Bei Obergerichten herrscht Anwaltszwang. Eine Berufung richtet sich nur gegen Urteile und Gerichtsbescheide. Gegen alle anderen Entscheidungen, insbesondere Beschlüsse, kann innerhalb von zwei Wochen Beschwerde eingelegt werden. In beiden Fällen, also bei Urteilen wie Beschlüssen, ist u. U. die Revision an das Bundesverwaltungsgericht möglich.