Politische Erblasten
China hat in den letzten Jahrzehnten extreme politische und wirtschaftliche Entwicklungen durchgemacht. Die Menschen wurden dadurch ganz unterschiedlich geprägt. Gegenwärtig finden wir am chinesischen Arbeitsmarkt drei verschiedene Generationen:
- Die verlorene Generation hat die Herrschaft Maos und die Kulturrevolution (1966–1976) aktiv miterlebt. In dieser Zeit war das Land abgeschottet, alles Intellektuelle war verpönt, viele Hochschulen hatten ihre Tore geschlossen. Erst 1982 gab es wieder chinesische Hochschulabsolventen. Das ist die Hauptursache für den großen Mangel an versierten Managern mit akademischen Hintergrund und internationaler Erfahrung.
- Die Zwischengeneration hat die Kulturrevolution kaum noch miterlebt. Die heute 35- bis 45-Jährigen sind offener als ihre Vorgänger. Allerdings haben ihre Eltern fast ausnahmslos in planwirtschaftlichen Staatsbetrieben gearbeitet. So verfügt diese Generation praktisch nicht über Vorbilder für privatwirtschaftliche Denk- und Arbeitsweisen.
- Die Generation der hungrigen Tiger, zu der die heute unter 35-Jährigen gehören, ist selbstbewusster, ehrgeiziger und individualistischer. Sie weiß, dass sie vom Wirtschaftswachstum profitieren kann, und will ihre Chancen nutzen.
Kulturelle Vielfalt
In der Volksrepublik China gibt es große regionale Unterschiede. Auslandschinesen aus Macau, Hongkong, Taiwan, Singapur, Nordamerika oder Europa mögen es überhaupt nicht, mit „Festlandchinesen“ in einen Topf geworfen zu werden. Diese wiederum begegnen ihren Landsleuten aus dem Ausland häufig mit Ressentiments. Die kulturellen Unterschiede können gewaltig sein. Das ist bei der Besetzung von Führungspositionen in China unbedingt zu beachten.
Fach- und Führungskräfte als Wettbewerbsfaktor
In China sind qualifizierte Mitarbeiter ein zentraler Wettbewerbsvorteil. Das Land ist sowohl als Produktionsstandort als auch als Absatzmarkt sehr dynamisch. Die rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen sind im Wandel. Das Geschäft ist entsprechend komplex. Das erhöht die Anforderungen an die Mitarbeiter, die dieses Geschäft betreiben, anpassen und weiterentwickeln. Zugleich gibt es einen extremen Engpass an fähigen Mitarbeitern. Prognosen sagen bei einem anhaltenden Wachstum eine Verschärfung des Wettbewerbs insbesondere bei erfahrenen Führungskräften voraus.
Geeignete Mitarbeiter finden
Leiten Sie in einem ersten Schritt aus der China-Strategie Ihres Unternehmens den Kompetenzbedarf ab. Passen Sie dabei die Jobprofile den lokalen Gegebenheiten an. Sorgen Sie für eine enge Abstimmung zwischen zentralem und lokalem Personalwesen sowie zwischen zentraler und lokaler Fachstelle. Typische Risiken bei der Rekrutierung sind:
- Gefälschte Abschlusszeugnisse und Biografien: Laut Expertenschätzungen sind 30–70 % chinesischer Hochschulzeugnisse gefälscht. Referenzabfragen und Arbeitsproben im Auswahlprozess sind darum sinnvoll.
- Mangelnde Vertragstreue: Es kommt vor, dass chinesische Kandidaten trotz Vertrag nicht antreten, weil sie in der Zwischenzeit ein noch attraktiveres Angebot gefunden haben.
- Entscheidungsprozess: Qualifizierte Kandidaten reden in China meistens mit verschiedenen potenziellen Arbeitgebern. Eine schnelle Reaktion des Unternehmens und ein zügiges Vertragsangebot können im Kampf um die Besten entscheidend sein.
- Beziehungsnetzwerke: Ein konsequentes Mehraugenprinzip im Auswahlprozess hilft, ungeeignete Kandidaten herauszufiltern, die über ein Beziehungsnetzwerk eingeschleust wurden.
- Abwanderung: Über eine gezielte Abfrage der sozialen Rahmenfaktoren finden Sie heraus, ob das Interesse eines Kandidaten nur kurzfristig ist. Nicht viele Chinesen haben die Absicht, über mehrere Jahre weit entfernt von der Großfamilie zu leben.
Chinesische Mitarbeiter entwickeln und fördern
Der relativ praxisfernen Ausbildung an chinesischen Hochschulen begegnen Sie am besten mit Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen. Achten Sie dabei immer auf einen konkreten praktischen Bezug mit hohem Detaillierungsgrad. In China haben Qualifizierungsangebote eine höhere Bindungswirkung als im Westen. Auf der anderen Seite erhöhen sie den Marktwert des Mitarbeiters. Mit einem Wettbewerbsverbot oder einem „Training-Agreement“, das eine teilweise Rückzahlung der Trainingskosten bei vorzeitigem Ausscheiden vorsieht, sichern Sie Ihre Investition.
„In keinem anderen Land wird der ,War for Talents‘ so schonungslos ausgetragen wie in China.“
Im gesellschaftlichen Wertegefüge spielt Karriere eine große Rolle. Die Herausforderung besteht darin, den tatsächlichen Bedarf des Unternehmens mit den Erwartungen des Mitarbeiters in Einklang zu bringen. Zeigen Sie attraktive, aber realistische Karrierepfade auf. Wenn der Vorgesetzte auch die Rolle des Karrierecoachs einnimmt, wird das in der Regel sehr positiv aufgenommen.
Chinesische Mitarbeiter binden
Im Schnitt wechseln chinesische Arbeitnehmer schon nach knapp zwei Jahren den Arbeitgeber. Innerhalb dieser Zeit dauert es durchschnittlich sechs Monate, bis der Mitarbeiter die internen Prozesse kennt, und weitere zwölf Monate, bis er in das soziale Netz des Unternehmens und dessen Kultur integriert ist. Nach zwei Jahren ist er dann voll einsatzfähig – sofern er noch im Unternehmen ist. Je nach Qualifikation und Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt beläuft sich der wirtschaftliche Schaden durch Kündigung auf etwa 150 % des Jahreseinkommens. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter und deren individuelle Bedürfnisse besser kennen als andere, können ihre Angebote exakter auf sie zuschneiden und werden in Bezug auf die Loyalität besser abschneiden. Konzentrieren Sie sich beim Thema Mitarbeiterbindung auf Personalentwicklungsprogramme, die Verbesserung der Führungsleistung und wirksame Anreizsysteme.
„Der oft zitierte ,Zukunftsmarkt China‘ ist längst zu einer zentralen Herausforderung der Gegenwart geworden.“
Besonderes Augenmerk verdienen erfolgsrelevante Zielgruppen im Unternehmen. Das sind all die Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Erfahrungen oder Beziehungen unerlässlich sind. Mitunter können solche Schlüsselfiguren eine ganze Abteilung mitnehmen, wenn sie gehen. Hier stehen die direkten Vorgesetzten in einer besonderen Verantwortung. Die Loyalität chinesischer Mitarbeiter gilt immer zuerst Personen und erst dann dem Unternehmen. Mitarbeiter verlassen also häufig in erster Linie die Führungskraft. In Umfragen gaben 48 % chinesischer Manager an, schon einmal wegen Kommunikationsproblemen mit ihrem ausländischen Vorgesetzten gekündigt zu haben.
Soziale Beziehungen und Gesichtswahrung
Das Phänomen Guanxi (Beziehungsnetzwerke) zieht sich durch alle Schichten der chinesischen Gesellschaft. Die Netzwerke werden kontinuierlich durch Gefälligkeiten und Freundschaftsdienste entwickelt. Erfolgsrelevante Informationen, Aufträge, Lizenzen und Kredite sind häufig die Währung dieser besonders intensiven Form des Gebens und Nehmens. Guanxi, das nicht mit Korruption zu verwechseln ist, stellt für Chinesen eine besondere Form des sozialen Kapitals dar. Sie unterscheiden in drei Stufen nach Familie, Freunden und Klan. Eine westliche Führungskraft sollte bestrebt sein, durch Beziehungsarbeit zum Klan oder gar Freundeskreis seines Mitarbeiters zu gehören. Eine hohe Loyalität und das Potenzial des Guanxi-Netzwerks sind der Lohn für diese Anstrengung.
„Chinesische Bewerber, die mehrere Jobangebote von alternativen Arbeitgebern erhalten, erfahren durch eine starke Arbeitgebermarke mehr Sicherheit und Orientierung für ihre Auswahlentscheidung.“
Das Gesicht sowohl im privaten wie im beruflichen Umfeld zu wahren, ist für Chinesenessenziell. Ein Gesichtsverlust ist das Ende einer Beziehung. Kritisieren Sie Chinesen nie vor Publikum, sondern nur im Vieraugengespräch, möglichst indirekt und unter glaubhafter Versicherung genereller Wertschätzung. Suchen Sie nach gesichtswahrenden Alternativen. Loben Sie Ihre Mitarbeiter öffentlich oder ermöglichen Sie ihnen beispielsweise den Kontakt zu Mitgliedern des Topmanagements.
Eigene Führungsrolle in China verstehen
Die Rollen von Chef und Mitarbeiter korrespondieren in China mit dem konfuzianischen Konzept von Herrscher und Untertan oder Vater und Kind. Die Führungskraft gewährt Fürsorge und Schutz, der Mitarbeiter honoriert das mit Loyalität und Engagement. Chinesische Mitarbeiter begegnen auch Führungskräften aus dem Westen mit dieser Rollenerwartung. Dazu gehört, dass sich der Chef für die privaten Belange seiner Mitarbeiter interessiert. Aus westlicher Sicht ist das eine Herausforderung. Denn dem aufreibenden Tagesgeschäft folgt die aus chinesischer Sicht nicht minder wichtige Beziehungsarbeit. Wertschätzung und Wertschöpfung sind das Yin und Yang der Führung chinesischer Mitarbeiter.
„Aus Sicht chinesischer Mitarbeiter zeichnet sich ein erfolgreiches Team insbesondere durch eine starke Führung aus.“
Wertschätzung können Sie z. B. ausdrücken, indem Sie gut zuhören. Besondere Gesten, wie ein krankes Kind zu besuchen oder Geburtstagsgrüße für die Ehefrau zu versenden, werden hoch geschätzt, ebenso die Pflege lokaler Bräuche und Traditionen. Die Befähigung zur betriebswirtschaftlichen Wertschöpfung ist das zweite große Führungsthema. An Motivation mangelt es in der Regel nicht, wohl aber an Eigeninitiative und dem Know-how, Projekte selbstständig voranzutreiben. Das chinesische Bedürfnis, das Gesicht zu wahren, und der indirekte Kommunikationsstil führen dazu, dass bei Schwierigkeiten und Problemen wenig nachgefragt wird. Geben Sie deshalb präzise und konkret definierte Ziele vor. Fragen Sie mehrmals nach, ob Sie verstanden wurden. Lassen Sie Ihren Mitarbeiter das Ziel noch einmal mit eigenen Worten beschreiben.
„Chinesische Teammitglieder werden oftmals eher zögern, aktiv mitzudenken und Ideen eigenständig zu entwickeln.“
Wenn Worte nicht helfen, greifen Sie zum Stift und skizzieren Sie. Formulieren Sie Ihre Erwartungshaltung klar und deutlich und ermuntern Sie Ihre Mitarbeiter ausdrücklich, eigene Ideen und Erfahrungen einzubringen. Kontrollieren Sie die Arbeitsergebnisse regelmäßig, aber mit Fingerspitzengefühl. Loben Sie den Fortschritt und die Ergebnisse und vermeiden Sie den Eindruck mangelnden Vertrauens. Belohnen Sie die Zielerreichung. Neben Geld sind lobende und anerkennende Worte sehr wirksam. Wenn Ziele nicht erreicht werden, regeln Sie das am besten unter vier Augen mit einem klaren wertschätzenden Ausblick auf die Zukunft.
Teamführung in China
Aufgrund der Einkindpolitik werden Chinesen in der Familie oft nicht zu Teamplayern erzogen. Als Einzelkinder, auf denen große Hoffnungen ruhen, werden sie vielfach wie „kleine Kaiser“ behandelt. An westlichen Maßstäben gemessen, besitzen chinesische Teams oft relativ wenig Berufserfahrung. Die Fähigkeit zu Selbstorganisation im Team ist schwach ausgeprägt. Von der Führungskraft wird erwartet, dass sie Einzelziele für jedes Teammitglied vorgibt. Chinesische Mitarbeiter haben ein hierarchisch geprägtes Bild von Teamarbeit. In einem präzise geführten Teambildungsprozess und einer systematischen Teamentwicklung liegt der Schlüssel zum Erfolg. Führen Sie dabei die Teammitglieder behutsam zu mehr Eigenständigkeit. Planen Sie dafür ausreichend Zeit ein. Auch in Bezug auf Teamwork gilt: Je geringer die Fluktuation, desto stabiler die Struktur und desto produktiver das Team.