Strategisches Talentmanagement in China

Buch Strategisches Talentmanagement in China

Die besten Mitarbeiter finden und binden. Leitfaden für erfolgreiche Personalführung

Gabler,


Rezension

China ist das bevölkerungsre­ich­ste Land auf der Erde und tätigt erhebliche In­vesti­tio­nen in Forschung und Ausbildung. Da sollte man meinen, dass sich immer genügend geeignete Mitarbeiter finden lassen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Autorin berichtet von einem ernsthaften Mangel an Fach- und Führungskräften und einer latenten Ab­wan­derung­s­ten­denz. Ihre These: Erfolg im Chinageschäft hängt entschei­dend von einem effektiven Per­sonal­man­age­ment ab. Das erfordert, dass man die Un­ter­schiede und Eigenheiten des Landes kennt, Fehler vermeidet und eine geeignete Strategie entwickelt. Dieses Buch hilft mit klar for­mulierten und praktischen Ratschlägen weiter. Für westliche Manager bedeutet ein Wechsel nach China immer einen Neuanfang in Sachen Führungsstil, denn westliche Instrumente und Methoden lassen sich nicht übertragen. Ein gutes Verständnis der Gesellschaft, ihrer Werte und der Art zu kom­mu­nizieren ist unerlässlich. Der schmale Band ersetzt kein in­terkul­turelles Training, liefert aber eine her­vor­ra­gende Einführung. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die in China Per­son­alver­ant­wor­tung tragen oder die sich aus pro­fes­sioneller Perspektive für den Zukun­fts­markt China in­ter­essieren.

Take-aways

  • Die Werte und die zwis­chen­men­schlichen Kontakte der Chinesen un­ter­schei­den sich erheblich von denen im Westen.
  • Der westliche Führungsstil lässt sich nicht auf China übertragen.
  • Wertschätzung und Wertschöpfung sind das Yin und Yang bei der Führung chi­ne­sis­cher Mitarbeiter.
  • In China sind qual­i­fizierte lokale Mitarbeiter wegen latent hoher Wech­sel­bere­itschaft ein starker Wet­tbe­werb­s­fak­tor.
  • Es gibt einen Mangel an versierten Fach- und Führungskräften mit in­ter­na­tionaler Erfahrung.
  • An Motivation und Engagement fehlt es gewöhnlich nicht, wohl aber an Selbstständigkeit und Eigenini­tia­tive.
  • Westliche Führungskräfte stehen vor einer Dop­pel­be­las­tung: Nach dem Tagesgeschäft beginnt die in China überaus wichtige Beziehungsar­beit.
  • Die Ausbildung an chi­ne­sis­chen Hochschulen gilt aus Sicht der Wirtschaft als praxisfern. Zudem werden Zeugnisse gefälscht und Lebensläufe frisiert.
  • Die Kul­tur­rev­o­lu­tion und die Einkind­poli­tik wirken sich bis heute auf den chi­ne­sis­chen Ar­beits­markt aus.
  • Chinesische Einzelkinder werden häufig nicht zu Teamplayern erzogen. Teams müssen sorgfältig aufgebaut und entwickelt werden.
 

Zusammenfassung

Politische Erblasten

China hat in den letzten Jahrzehnten extreme politische und wirtschaftliche En­twick­lun­gen durchgemacht. Die Menschen wurden dadurch ganz un­ter­schiedlich geprägt. Gegenwärtig finden wir am chi­ne­sis­chen Ar­beits­markt drei ver­schiedene Gen­er­a­tio­nen:

  • Die verlorene Generation hat die Herrschaft Maos und die Kul­tur­rev­o­lu­tion (1966–1976) aktiv miterlebt. In dieser Zeit war das Land abgeschot­tet, alles In­tellek­tuelle war verpönt, viele Hochschulen hatten ihre Tore geschlossen. Erst 1982 gab es wieder chinesische Hochschu­la­b­sol­ven­ten. Das ist die Haup­tur­sache für den großen Mangel an versierten Managern mit akademis­chen Hintergrund und in­ter­na­tionaler Erfahrung.
  • Die Zwis­chen­gener­a­tion hat die Kul­tur­rev­o­lu­tion kaum noch miterlebt. Die heute 35- bis 45-Jährigen sind offener als ihre Vorgänger. Allerdings haben ihre Eltern fast ausnahmslos in plan­wirtschaftlichen Staats­be­trieben gearbeitet. So verfügt diese Generation praktisch nicht über Vorbilder für pri­vatwirtschaftliche Denk- und Ar­beitsweisen.
  • Die Generation der hungrigen Tiger, zu der die heute unter 35-Jährigen gehören, ist selb­st­be­wusster, ehrgeiziger und in­di­vid­u­al­is­tis­cher. Sie weiß, dass sie vom Wirtschaftswach­s­tum profitieren kann, und will ihre Chancen nutzen.

Kulturelle Vielfalt

In der Volk­sre­pub­lik China gibt es große regionale Un­ter­schiede. Aus­land­schi­ne­sen aus Macau, Hongkong, Taiwan, Singapur, Nordamerika oder Europa mögen es überhaupt nicht, mit „Fes­t­land­chi­ne­sen“ in einen Topf geworfen zu werden. Diese wiederum begegnen ihren Landsleuten aus dem Ausland häufig mit Ressen­ti­ments. Die kulturellen Un­ter­schiede können gewaltig sein. Das ist bei der Besetzung von Führungspo­si­tio­nen in China unbedingt zu beachten.

Fach- und Führungskräfte als Wet­tbe­werb­s­fak­tor

In China sind qual­i­fizierte Mitarbeiter ein zentraler Wet­tbe­werb­svorteil. Das Land ist sowohl als Pro­duk­tion­s­stan­dort als auch als Absatzmarkt sehr dynamisch. Die rechtlichen und ökonomischen Rah­menbe­din­gun­gen sind im Wandel. Das Geschäft ist entsprechend komplex. Das erhöht die An­forderun­gen an die Mitarbeiter, die dieses Geschäft betreiben, anpassen und weit­er­en­twick­eln. Zugleich gibt es einen extremen Engpass an fähigen Mi­tar­beit­ern. Prognosen sagen bei einem anhaltenden Wachstum eine Verschärfung des Wettbewerbs ins­beson­dere bei erfahrenen Führungskräften voraus.

Geeignete Mitarbeiter finden

Leiten Sie in einem ersten Schritt aus der China-Strate­gie Ihres Un­ternehmens den Kom­pe­tenzbe­darf ab. Passen Sie dabei die Jobprofile den lokalen Gegeben­heiten an. Sorgen Sie für eine enge Abstimmung zwischen zentralem und lokalem Per­son­al­we­sen sowie zwischen zentraler und lokaler Fachstelle. Typische Risiken bei der Rekru­tierung sind:

  • Gefälschte Ab­schlusszeug­nisse und Biografien: Laut Expertenschätzungen sind 30–70 % chi­ne­sis­cher Hochschulzeug­nisse gefälscht. Ref­eren­z­abfra­gen und Ar­beit­sproben im Auswahl­prozess sind darum sinnvoll.
  • Mangelnde Ver­tragstreue: Es kommt vor, dass chinesische Kandidaten trotz Vertrag nicht antreten, weil sie in der Zwis­chen­zeit ein noch at­trak­tiveres Angebot gefunden haben.
  • Entschei­dung­sprozess: Qual­i­fizierte Kandidaten reden in China meistens mit ver­schiede­nen poten­ziellen Ar­beit­ge­bern. Eine schnelle Reaktion des Un­ternehmens und ein zügiges Ver­tragsange­bot können im Kampf um die Besten entschei­dend sein.
  • Beziehungsnet­zw­erke: Ein kon­se­quentes Mehrau­gen­prinzip im Auswahl­prozess hilft, ungeeignete Kandidaten her­auszu­fil­tern, die über ein Beziehungsnet­zw­erk eingeschleust wurden.
  • Abwanderung: Über eine gezielte Abfrage der sozialen Rah­men­fak­toren finden Sie heraus, ob das Interesse eines Kandidaten nur kurzfristig ist. Nicht viele Chinesen haben die Absicht, über mehrere Jahre weit entfernt von der Großfamilie zu leben.

Chinesische Mitarbeiter entwickeln und fördern

Der relativ prax­is­fer­nen Ausbildung an chi­ne­sis­chen Hochschulen begegnen Sie am besten mit Trainings- und Qual­i­fizierungsmaßnahmen. Achten Sie dabei immer auf einen konkreten praktischen Bezug mit hohem De­tail­lierungs­grad. In China haben Qual­i­fizierungsange­bote eine höhere Bindungswirkung als im Westen. Auf der anderen Seite erhöhen sie den Marktwert des Mi­tar­beit­ers. Mit einem Wet­tbe­werb­sver­bot oder einem „Train­ing-Agree­ment“, das eine teilweise Rückzahlung der Train­ingskosten bei vorzeitigem Ausscheiden vorsieht, sichern Sie Ihre Investition.

„In keinem anderen Land wird der ,War for Talents‘ so scho­nungs­los ausgetragen wie in China.“

Im gesellschaftlichen Wertegefüge spielt Karriere eine große Rolle. Die Her­aus­forderung besteht darin, den tatsächlichen Bedarf des Un­ternehmens mit den Erwartungen des Mi­tar­beit­ers in Einklang zu bringen. Zeigen Sie attraktive, aber re­al­is­tis­che Kar­ri­erep­fade auf. Wenn der Vorgesetzte auch die Rolle des Kar­ri­ere­coachs einnimmt, wird das in der Regel sehr positiv aufgenommen.

Chinesische Mitarbeiter binden

Im Schnitt wechseln chinesische Ar­beit­nehmer schon nach knapp zwei Jahren den Arbeitgeber. Innerhalb dieser Zeit dauert es durch­schnit­tlich sechs Monate, bis der Mitarbeiter die internen Prozesse kennt, und weitere zwölf Monate, bis er in das soziale Netz des Un­ternehmens und dessen Kultur integriert ist. Nach zwei Jahren ist er dann voll einsatzfähig – sofern er noch im Unternehmen ist. Je nach Qual­i­fika­tion und Verfügbarkeit am Ar­beits­markt beläuft sich der wirtschaftliche Schaden durch Kündigung auf etwa 150 % des Jahre­seinkom­mens. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter und deren in­di­vidu­elle Bedürfnisse besser kennen als andere, können ihre Angebote exakter auf sie zuschneiden und werden in Bezug auf die Loyalität besser abschneiden. Konzen­tri­eren Sie sich beim Thema Mi­tar­beit­erbindung auf Per­son­alen­twick­lung­spro­gramme, die Verbesserung der Führungsleis­tung und wirksame An­reizsys­teme.

„Der oft zitierte ,Zukun­fts­markt China‘ ist längst zu einer zentralen Her­aus­forderung der Gegenwart geworden.“

Besonderes Augenmerk verdienen er­fol­gsrel­e­vante Zielgruppen im Unternehmen. Das sind all die Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Erfahrungen oder Beziehungen unerlässlich sind. Mitunter können solche Schlüsselfiguren eine ganze Abteilung mitnehmen, wenn sie gehen. Hier stehen die direkten Vorge­set­zten in einer besonderen Ve­r­ant­wor­tung. Die Loyalität chi­ne­sis­cher Mitarbeiter gilt immer zuerst Personen und erst dann dem Unternehmen. Mitarbeiter verlassen also häufig in erster Linie die Führungskraft. In Umfragen gaben 48 % chi­ne­sis­cher Manager an, schon einmal wegen Kom­mu­nika­tion­sprob­le­men mit ihrem ausländischen Vorge­set­zten gekündigt zu haben.

Soziale Beziehungen und Gesichtswahrung

Das Phänomen Guanxi (Beziehungsnet­zw­erke) zieht sich durch alle Schichten der chi­ne­sis­chen Gesellschaft. Die Netzwerke werden kon­tinuier­lich durch Gefälligkeiten und Fre­und­schafts­di­en­ste entwickelt. Er­fol­gsrel­e­vante In­for­ma­tio­nen, Aufträge, Lizenzen und Kredite sind häufig die Währung dieser besonders intensiven Form des Gebens und Nehmens. Guanxi, das nicht mit Korruption zu verwechseln ist, stellt für Chinesen eine besondere Form des sozialen Kapitals dar. Sie un­ter­schei­den in drei Stufen nach Familie, Freunden und Klan. Eine westliche Führungskraft sollte bestrebt sein, durch Beziehungsar­beit zum Klan oder gar Fre­un­deskreis seines Mi­tar­beit­ers zu gehören. Eine hohe Loyalität und das Potenzial des Guanxi-Net­zw­erks sind der Lohn für diese Anstrengung.

„Chinesische Bewerber, die mehrere Jobangebote von al­ter­na­tiven Ar­beit­ge­bern erhalten, erfahren durch eine starke Ar­beit­ge­ber­marke mehr Sicherheit und Ori­en­tierung für ihre Auswahlentschei­dung.“

Das Gesicht sowohl im privaten wie im beruflichen Umfeld zu wahren, ist für Chi­ne­se­nessen­ziell. Ein Gesichtsver­lust ist das Ende einer Beziehung. Kritisieren Sie Chinesen nie vor Publikum, sondern nur im Vier­au­genge­spräch, möglichst indirekt und unter glaubhafter Ver­sicherung genereller Wertschätzung. Suchen Sie nach gesichtswahren­den Al­ter­na­tiven. Loben Sie Ihre Mitarbeiter öffentlich oder ermöglichen Sie ihnen beispiel­sweise den Kontakt zu Mitgliedern des Top­man­age­ments.

Eigene Führungsrolle in China verstehen

Die Rollen von Chef und Mitarbeiter ko­r­re­spondieren in China mit dem kon­fuzian­is­chen Konzept von Herrscher und Untertan oder Vater und Kind. Die Führungskraft gewährt Fürsorge und Schutz, der Mitarbeiter honoriert das mit Loyalität und Engagement. Chinesische Mitarbeiter begegnen auch Führungskräften aus dem Westen mit dieser Rol­len­er­wartung. Dazu gehört, dass sich der Chef für die privaten Belange seiner Mitarbeiter in­ter­essiert. Aus westlicher Sicht ist das eine Her­aus­forderung. Denn dem aufreiben­den Tagesgeschäft folgt die aus chi­ne­sis­cher Sicht nicht minder wichtige Beziehungsar­beit. Wertschätzung und Wertschöpfung sind das Yin und Yang der Führung chi­ne­sis­cher Mitarbeiter.

„Aus Sicht chi­ne­sis­cher Mitarbeiter zeichnet sich ein er­fol­gre­iches Team ins­beson­dere durch eine starke Führung aus.“

Wertschätzung können Sie z. B. ausdrücken, indem Sie gut zuhören. Besondere Gesten, wie ein krankes Kind zu besuchen oder Geburt­stagsgrüße für die Ehefrau zu versenden, werden hoch geschätzt, ebenso die Pflege lokaler Bräuche und Traditionen. Die Befähigung zur be­trieb­swirtschaftlichen Wertschöpfung ist das zweite große Führungsthema. An Motivation mangelt es in der Regel nicht, wohl aber an Eigenini­tia­tive und dem Know-how, Projekte selbstständig vo­ranzutreiben. Das chinesische Bedürfnis, das Gesicht zu wahren, und der indirekte Kom­mu­nika­tion­sstil führen dazu, dass bei Schwierigkeiten und Problemen wenig nachgefragt wird. Geben Sie deshalb präzise und konkret definierte Ziele vor. Fragen Sie mehrmals nach, ob Sie verstanden wurden. Lassen Sie Ihren Mitarbeiter das Ziel noch einmal mit eigenen Worten beschreiben.

„Chinesische Team­mit­glieder werden oftmals eher zögern, aktiv mitzudenken und Ideen eigenständig zu entwickeln.“

Wenn Worte nicht helfen, greifen Sie zum Stift und skizzieren Sie. Formulieren Sie Ihre Er­wartung­shal­tung klar und deutlich und ermuntern Sie Ihre Mitarbeiter ausdrücklich, eigene Ideen und Erfahrungen einzubrin­gen. Kon­trol­lieren Sie die Ar­beit­sergeb­nisse regelmäßig, aber mit Fin­ger­spitzengefühl. Loben Sie den Fortschritt und die Ergebnisse und vermeiden Sie den Eindruck mangelnden Vertrauens. Belohnen Sie die Ziel­er­re­ichung. Neben Geld sind lobende und an­erken­nende Worte sehr wirksam. Wenn Ziele nicht erreicht werden, regeln Sie das am besten unter vier Augen mit einem klaren wertschätzenden Ausblick auf die Zukunft.

Teamführung in China

Aufgrund der Einkind­poli­tik werden Chinesen in der Familie oft nicht zu Teamplayern erzogen. Als Einzelkinder, auf denen große Hoffnungen ruhen, werden sie vielfach wie „kleine Kaiser“ behandelt. An westlichen Maßstäben gemessen, besitzen chinesische Teams oft relativ wenig Beruf­ser­fahrung. Die Fähigkeit zu Selb­stor­gan­i­sa­tion im Team ist schwach ausgeprägt. Von der Führungskraft wird erwartet, dass sie Einzelziele für jedes Team­mit­glied vorgibt. Chinesische Mitarbeiter haben ein hi­er­ar­chisch geprägtes Bild von Teamarbeit. In einem präzise geführten Team­bil­dung­sprozess und einer sys­tem­a­tis­chen Tea­men­twick­lung liegt der Schlüssel zum Erfolg. Führen Sie dabei die Team­mit­glieder behutsam zu mehr Eigenständigkeit. Planen Sie dafür ausreichend Zeit ein. Auch in Bezug auf Teamwork gilt: Je geringer die Fluktuation, desto stabiler die Struktur und desto produktiver das Team.

Über die Autorin

Yasmin Mei-Yee Fargel ist in einer deutsch-chi­ne­sis­chen Familie aufgewach­sen. Die promovierte Be­trieb­swirtin arbeitet bei BMW. Sie unterstützt als Per­son­alerin den Ausbau der China-Ak­tivitäten und ist an der Entwicklung der Per­son­al­strate­gie in China beteiligt.