Talent-Management spezial

Buch Talent-Management spezial

Hochbegabte, Forscher und Künstler erfolgreich führen

Springer Gabler,


Rezension

Seit dem Hol­ly­wood-Drama Good Will Hunting wimmelt es im Kino von un­ent­deck­ten Hochbe­gabten. Zuerst werden sie meistens unterschätzt und ignoriert: Bevor das Mathegenie Will, gespielt von Matt Damon, sein Talent endlich nutzt, anstatt tagtäglich das beim Putzen verdiente Geld in Kneipen zu versaufen, muss Robin Williams als Professor viel Überzeu­gungsar­beit leisten. Was Manager mit Hochbe­gabten in ihrem Team machen müssen, geht in die gleiche Richtung: Die kom­plizierten Superhirne sind alles andere als leicht zu handhaben – aber wer ein Aus­nah­metal­ent motivieren kann, wird wissen, dass es sich lohnt. Der Autor wirbt bei beiden Seiten um Verständnis. Sein Buch ist nicht nur ein Ratgeber für normal Begabte, die mit Su­per­tal­en­ten arbeiten, sondern auch für den umgekehrten Fall. Es hilft dabei, mehr aus sich bzw. aus den umworbenen Spitzenkräften her­auszu­holen und besser mit dem jeweiligen Gegenüber zurechtzukom­men. Eine manchmal redundante, aber anregende Lektüre. BooksInShort empfiehlt sie allen, die mit Hochbe­gabten zu tun haben oder selbst zu ihnen gehören.

Take-aways

  • Aus­nah­metal­ente sind begehrte Mitarbeiter: wegen ihrer Schnel­ligkeit, ihrer Kreativität und ihrer hohen Auf­fas­sungs­gabe.
  • Doch sie sind auch gefürchtet, weil sie als lebensuntüchtig und in­tro­vertiert gelten.
  • Häufig geraten sie durch eine notorische Abneigung gegen Autoritäten in Schwierigkeiten.
  • Hochbegabte haben vor allem Probleme mit sich selbst: Sie sind selb­stkri­tisch und per­fek­tion­is­tisch – mitunter scheitern sie an ihren viel zu hohen Ansprüchen.
  • Oft sind sie frustriert, weil im Job nicht auf die Frage nach dem Sinn eingegangen wird.
  • Hochbegabte gelten zwar als teamunfähig, haben aber auch die Vo­raus­set­zun­gen, soziale Kompetenz sehr schnell zu erlernen.
  • Was von anderen als Arroganz ausgelegt wird, ist oft nur Welt­fremd­heit.
  • Aus­nah­metal­ente ziehen Sie mit ungewöhnlichen Projekten, hohem Anspruch, modernen Ar­beit­szeit­mod­ellen und legerem Dresscode an.
  • Was Hochbegabte nicht schätzen, sind Routine, mangelnde Kom­mu­nika­tion und zu viel Kontrolle.
  • Ihre Stärken können Hochbegabte in Strukturen ausnutzen, in denen sie viel Spielraum, aber dennoch klare Anweisungen haben.
 

Zusammenfassung

Talente werden dringend benötigt

Nicht erst seit dem de­mografis­chen Wandel ist Un­ternehmensführern und Per­son­alchefs klar geworden, dass gute Leute nicht vom Himmel fallen. In fast allen Branchen ist mit­tler­weile der so genannte „War for Talents“ entbrannt: der Wettbewerb um die besten Fachkräfte. Bei der Definition ihrer Wun­schvorstel­lung greifen selbst re­al­is­tis­che Personaler nach den Sternen: Jeder will Exzellenz und Bestleis­tun­gen.

„Hochbegabte stellen alles infrage, sind rastlos, rasch gelangweilt und häufig anspruchsvoll. Da bevorzugen Or­gan­i­sa­tio­nen lieber gefolgsame, graue Mitarbeiter, die brav ihren Dienst versehen, ohne unangenehm aufzufallen.“

Doch Talent ist begrenzt: Nur etwa 2 % der Bevölkerung sind hochbegabt, haben also einen IQ von mehr als 130. Als Mitarbeiter oder Manager sind diese Menschen einerseits begehrt, denn ihr Ar­beit­stempo, ihre Kreativität und ihre hohe Auf­fas­sungs­gabe bringen Unternehmen voran. An­der­er­seits sind sie gefürchtet: Hochbegabte gelten als rebellisch, schrullig und eigenbrötlerisch; ihnen wird sogar eine regelrechte An­pas­sungsre­sistenz nachgesagt. Keine Frage, Aus­nah­metal­ente sind anders, und diese An­der­sar­tigkeit wertet die durch­schnit­tliche Mehrheit oft als Bedrohung. Mitunter müssen Hochbegabte in Firmen sogar Mobbing erdulden. Unternehmen, die einige Grundregeln beherzigen, können aber vom Potenzial dieser besonderen Menschen profitieren.

Krieg um Köpfe

Viele Unternehmen scheuen davor zurück, Leute zu rekrutieren, die eindeutig hochbegabt sind. Per­son­al­ex­perten wünschen sich korrekte, formbare und in jeder Hinsicht angepasste Kandidaten. Sie wissen aus Erfahrung, dass Hochbegabte zwar gute Arbeit leisten, aber auch Arbeit machen: Sie fordern viel, neigen zu Re­spek­t­losigkeit, sind als bunte Hunde verschrien und wollen Dinge au­gen­blick­lich verändern, wenn sie diese als störend oder prob­lema­tisch iden­ti­fiziert haben. Sie sind also erst mal Störenfriede, auch wenn ihr Beitrag grundsätzlich als äußerst notwendig erkannt wird. Während andere Mitarbeiter überwiegend Sicherheit und ein festes Einkommen erwarten, wollen Hochbegabte in der Regel Her­aus­forderung und Bestätigung.

„Hochbe­gabung und Hochsen­si­bilität sind zwei Begriffe, die viele Menschen abschrecken. Ein Mitarbeiter, der in­tel­li­gen­ter ist als Sie, ist nicht gefährlich, im Gegenteil.“

Doch wie alle anderen suchen auch Hochbegabte ideale Lebens- und Ar­beits­be­din­gun­gen. Das führt seit Jahrzehnten zu einem Braindrain von Europa in Richtung USA. Auch Kanada und Australien versuchen im Krieg um die Köpfe Boden zu gewinnen. In Europa wandern Hochbegabte vor allem von Osten nach Westen. Deutschland ist derzeit hin­sichtlich Zu- und Ab­wan­derun­gen aus­geglichen, während Österreich Talente verliert. Die Schweiz und die Niederlande erfreuen sich eines höheren Zuzugs, der den Wegzug anderer Arbeitskräfte überwiegt.

Die Suche nach dem Sinn

Hochbegabte suchen immer nach dem Sinn einer Aufgabe. Wenn darauf im Job oft nicht eingegangen wird, sind sie schnell frustriert. Zur Sinnsuche gehört auch das elementare Bedürfnis, sich zu ver­wirk­lichen. Hochbegabte streben stets danach, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. Haben sie den Eindruck, dass ihnen das nicht gelingt, werden sie unglücklich, nervös oder sogar an­griff­s­lustig. Das Bewusstsein, anderen etwas vo­rauszuhaben, begünstigt ein egozen­trisches Weltbild. Die Gefahr, dass Hochbegabte sich und ihr Lieblings­thema zu sehr in den Vordergrund rücken und dabei die tatsächlichen Aufgaben vernachlässigen, besteht permanent. Was in Wahrheit vor allem Welt­fremd­heit ist, wirkt auf andere arrogant. Zugleich neigen Hochbegabte para­dox­er­weise dazu, ihr eigenes Talent als zu gering einzuschätzen – ihr übertriebener Ehrgeiz lässt sie ständig an den eigenen Ansprüchen scheitern.

„Viele Hochbegabte leiden unter starren Vorgaben und engen, klar definierten Auf­gaben­bere­ichen für den einzelnen Mitarbeiter in großen Or­gan­i­sa­tio­nen.“

Der Umgang von Hochbe­gabten mit ihren Mitmenschen ist von Missverständnissen geprägt: Während sie neue Her­aus­forderun­gen und unübersichtliche Aufgaben lieben, sind sie von All­t­agsar­beit schnell gelangweilt und ermüdet, worunter deren Qualität leiden kann. Gle­ichzeitig setzen sie ihr eigenes hohes Tempo beim Denken oder Arbeiten meist auch bei anderen voraus. Werden sie in dieser Erwartung enttäuscht, machen sie lieber gleich alles selbst. Umgekehrt stoßen ihre un­kon­ven­tionellen, für normal Begabte oft schwer nachvol­lziehbaren Problemlösungen und Strategien oft auf Ablehnung.

Teamphobie

Weil sie wissen, dass sie schneller Lösungen finden als die meisten Mitmenschen, entwickeln viele Hochbegabte eine Teamphobie. Sie verlassen sich nur noch auf sich selbst und sind überzeugt davon, nicht mit anderen zusam­me­nar­beiten zu können. Bei Wissenslücken wird lieber nachgeschla­gen, als dass man andere fragt. Viele Hochbegabte haben deshalb auch Mühe mit Führungsrollen. Grundsätzlich verfügen sie aber nicht über weniger Empathie als andere – ihre Sensibilität ist sogar zumeist ähnlich hoch ausgeprägt wie ihre Intelligenz. Soziale Kompetenzen können sie – wie alles andere – sehr schnell erlernen. Sie müssen nur von deren Notwendigkeit überzeugt werden.

„Ein hoher IQ allein ist kein Garant für den Erfolg eines Menschen. Wer mit anderen Menschen nicht gut auskommt, d. h. einen geringen EQ aufweist, wird es im Leben im Allgemeinen dennoch nicht sehr weit bringen.“

Da Hochbegabte Kompetenz in den Mittelpunkt stellen und diese beim Gegenüber oftmals in geringerem Maß vorfinden als bei sich selbst, haben sie wenig Respekt vor Vorge­set­zten und lehnen Autorität oft grundsätzlich ab. Das äußert sich in offener Kritik ohne Rücksicht auf einen Gesichtsver­lust der Führungskraft. Wenn der Ange­grif­f­ene sich mit seiner Macht zur Wehr setzt, kann das für Hochbegabte schwere Kon­se­quen­zen haben. Da sie gelernt haben, dass sie mehr wissen als andere, haben sie kaum Hemmungen, Meinungen zu vertreten, die von der Mehrheit abweichen. Auch dadurch isolieren sie sich. Zugleich kann ihre Offenheit für ein Unternehmen eine Chance sein: Hochbegabte agieren als Frühwarner für Probleme und Krisen.

Gesucht: das Supertalent

Nicht jeder Mitarbeiter muss ein Hochbe­gabter sein – dafür gäbe es auch schlicht zu wenige Kandidaten. Aber einer unter 50 wäre wünschenswert. Namhafte Unternehmen erfreuen sich eines natürlichen Zustroms, kleine und unbekannte Mark­t­teil­nehmer haben es schwerer. Doch auch für sie gibt es Chancen, an die seltene Ressource her­anzukom­men: durch Exzellenz in Mark­t­nis­chen und durch attraktive, ungewöhnliche Projekte.

„Hochbegabte, junge Mitarbeiter sollten mehr Ve­r­ant­wor­tung erhalten, als zu Beginn der Laufbahn regulär üblich ist. So können sie ihr Potenzial nutzen und wachsen.“

Die Aussicht, sich unter Gleichen zu bewegen, ist ebenfalls ein Mo­ti­va­tions­fak­tor: Eine Koryphäe lockt oft weitere an. Aus­nah­metal­ente sind meist anspruchsvoll: Sie wünschen sich besondere Ar­beits­be­din­gun­gen und träumen davon, dass man sie von Routinejobs befreit, damit sie sich ausschließlich den kniffligen Aufgaben widmen können. Auch mit modernen Ar­beit­szeit­mod­ellen, einem legeren Dresscode und großzügigen Hand­lungsspielräumen ziehen Sie Hochbegabte an. Allzu viel Freiheit ist allerdings gerade für sie nicht gut. Achten Sie auf eine präsente Führung ohne Gängelung.

Woran Sie einen Hochbe­gabten erkennen

Wenn Sie Hochbegabte im Personal iden­ti­fizieren wollen, bietet sich am ehesten ein IQ-Test an. Weitere Kriterien sind Lebensläufe: Wurden Klassen übersprungen oder Studiengänge unterhalb der Regel­stu­dien­zeit absolviert, könnte eine Hochbe­gabung vorliegen. Ebenso, wenn ein Bewerber parallel zur her­vor­ra­gen­den Hochschul­lauf­bahn viele Hobbys pflegt. Außerdem weist ein breites In­ter­essen­spek­trum auf ein Aus­nah­metal­ent hin. Doch lassen Sie sich nicht täuschen: Viele Hochbegabte führen ein bequemes Leben mit halber Kraft, angepasst in der Masse, und nutzen ihr Potenzial nur privat. Vielleicht können Sie hochbegabte Mitarbeiter überzeugen, es auch beruflich einzusetzen. Seien Sie aber auf der Hut, wenn jemand Ihnen seine Hochbe­gabung ungefragt vor die Nase hält: Hier besteht dringender Verdacht auf Hochstapelei.

„Nicht alle Hochbe­gabten haben Top-Schul­noten und bringen exzellente Leistungen im Beruf – obgleich sie es könnten: Es bedarf ‚nur‘ des richtigen Managements.“

Wenn Sie Ihre Spitzenkräfte bereits kennen, sollten Sie für sie Ver­hal­tensregeln aufstellen: Die Aus­nah­metal­ente müssen ausdrücklich ermutigt werden, Kritik zu äußern. Hilfreich ist eine offene Kultur, in der alle alles infrage stellen dürfen, ohne Re­pres­salien zu fürchten. Geben Sie bereits jungen Hochbe­gabten mehr Ve­r­ant­wor­tung und möglichst häufig neue Aufgaben – ohne Verpflich­tung, diese zu Ende führen zu müssen. Die Stärke von Hochbe­gabten liegt im Knacken von Nüssen, nicht im Aufstapeln der Kerne. Ist die Lösung skizziert, können sich andere um den Rest kümmern. Berücksichtigen Sie, dass auch Ideen, die gerade nicht zu passen scheinen, ausgewertet werden – Hochbegabte schauen gle­ichzeitig in viele Richtungen und finden nebenbei auch Lösungen in Bereichen, für die sie nicht zuständig sind.

Viel Talent schlummert ungenutzt

Nur zwischen 50 und 80 % der Hochbe­gabten machen wirklich etwas aus ihrem Talent. In Ihrer Belegschaft schlummern vielleicht Ausnahmekönner, die nur durch­schnit­tliche oder sogar ungenügende Leistungen bringen. Mit individuell angepasstem Management lassen sie sich fördern und fordern. Hochbegabte sind nicht fleißiger oder risikofreudi­ger als andere Menschen. Studien bescheini­gen einem Drittel von ihnen ein Manko in Sachen Führungsqualitäten sowie geringe Stress­re­sistenz. Aber: Hochbegabte lernen schnell, also können sie sich bei Bedarf auch Führungsqual­i­fika­tio­nen leicht aneignen. Nichts ist schlimmer für ein Toptalent als Un­ter­forderung. Betreuen Sie Ihre Superhirne deshalb ständig mit neuen, fordernden Aufgaben. Da sie in der Regel nach mehr Ve­r­ant­wor­tung streben, ist die Gefahr des Scheiterns bei Hochbe­gabten besonders groß. Daher empfiehlt sich bei jungen Kräften der Einsatz in einem Neben­bere­ich, z. B. im Labor oder im Lager, wo ein Scheitern nicht so hohe Schäden verursacht.

„Suchen Sie in Ihren Bewerbern nach Kompetenzen und Fähigkeiten, die Ihnen und Ihrem Team fehlen. Kaum etwas ist lähmender für eine Abteilung oder eine Firma als ein absolut homogenes Team.“

Die Iden­ti­fika­tion von Hochbe­gabten im Personal ist wichtig; das bewahrt Vorgesetzte davor, sie allzu sehr zu gängeln. Vor allem das hohe Tempo von Hochbe­gabten führt oft zu Missverständnissen: Der Chef nimmt an, sie würden sich besonders für das spezifische Fachgebiet in­ter­essieren – und lässt sie sich lebenslang damit langweilen. Oder die Ar­beits­geschwindigkeit eines Talents macht ihm Angst, weil er Fehler erwartet. Doch Hochbegabte sind per­fek­tion­is­tisch, Pannen sind selten. Auch wenn mehrere Themen parallel bearbeitet werden, ist die Fehlerquote gering – sofern die Motivation stimmt. Hier sind Hochbegabte auf das Management angewiesen. Sie selbstständig arbeiten zu lassen, wäre unange­bracht. Ins­beson­dere beim Briefing bzw. Pro­jek­t­start brauchen sie erheblich mehr Zuwendung als normale Mitarbeiter.

Talente binden

Hochbegabte zu engagieren ist schwierig, doch sie dauerhaft zu binden, ist noch viel anspruchsvoller. Sie verlieren schnell die Lust, ärgern sich laut über ver­meintliche oder tatsächliche Inkompetenz, wirken arrogant und aggressiv – doch ihre Kreativität und ihre Schnel­ligkeit bringen das Unternehmen weiter. Deshalb sollten Sie bereit sein, besondere „Boni“ zu leisten. Behandeln Sie Ihre Mitarbeiter nicht alle gleich: Sie entlohnen schließlich auch nach Leistung! Trauen Sie sich also, Hochbe­gabten besondere Freiheiten zu gewähren, z. B. flexible Ar­beit­szeiten, eine offene Diskus­sion­skul­tur usw.

„Hochbegabte werden häufig in der Schule so kon­di­tion­iert, dass sie sich ständig beweisen wollen. Dieses ‚Prove it or lose it‘-Spiel kann sie in den Per­fek­tion­is­mus treiben.“

Was Hochbegabte an Unternehmen in der Regel nervt, sind Mittelmaß, Intrigen, Routine, mangelnde Kom­mu­nika­tion und Kon­troll­sucht. Geschätzt werden dagegen kleine und flexible Strukturen, formale Freiheiten, Inspiration durch andere Hochbegabte, Her­aus­forderun­gen und knifflige Aufgaben sowie mo­tivierende, delegierende Chefs.

Über den Autor

Maximilian Lackner ist Ingenieur und Dozent an der Technischen Universität Wien. Seit 2011 ist er Geschäftsführer des von ihm gegründeten Start-ups Amistec. Darüber hinaus ist er als Gutachter für das US-En­ergiem­i­nis­terium und die EU tätig.