Das Leben des Gelehrten Adam Smith
Schottland ist im 18. Jahrhundert von radikalen gesellschaftlichen Gegensätzen bestimmt. Das raue schottische Hochland wird von patriarchalen Clanstrukturen beherrscht, während im Süden des Landes in der Folge der Union mit England der Handel aufblüht. Adam Smith wird 1723 in der beschaulichen Hafenstadt Kirkcaldy geboren. Er entstammt dem Milieu der aufstiegsorientierten schottischen Mittelschicht. Die schottische Elite legt großen Wert auf Bildung und engagiert sich für eine grundlegende Modernisierung des Landes. Bereits mit 14 Jahren verlässt Smith seinen Geburtsort, um an der Universität Glasgow zu studieren. Dort begegnet er dem Philosophen Francis Hutcheson, der ihn beeindruckt. Durch seine Förderer erhält der Student Einblicke in die Welt des Handels und des Agrarkapitalismus, was sein Denken entscheidend prägt. Smith studiert anschließend in Oxford, wird Professor und lehrt an den Universitäten von Glasgow und Edinburgh. Er bereist den europäischen Kontinent und brilliert in den Salons von Paris. 1767 kehrt er nach Kirkcaldy zurück, wo er sein Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen verfasst. Er stirbt am 17. Juli 1790 in Edinburgh.
Smiths Denken
Adam Smiths Werk liegt die Annahme zugrunde, dass der Mensch kontinuierlich danach strebt, seine Situation zu verbessern. Menschen sind um Fortschritt und Entwicklung sowie um die Erzielung von Gewinnen bemüht. Smiths zentrales Anliegen ist es, schlüssige Prinzipien zu entwickeln, mit deren Hilfe sich die Grundlagen und Phänomene der modernen Gesellschaft wissenschaftlich belegbar erklären lassen. Ungeachtet seines Glaubens an die Existenz solcher Prinzipien, die dem gesellschaftlichen Leben und Wirtschaften unterliegen, wendet Smith sich gegen seiner Ansicht nach unzulängliche Vereinfachungen: Die Lösung gesellschaftlicher Fragen erfordere komplexe Maßnahmen, wobei angesichts der unbeabsichtigten Folgen von Politik oft nicht die ideale, sondern womöglich eher die zweitbeste Lösung die richtige sei.
Ein moderater Revolutionär
Smith zeichnet ein sehr komplexes Bild des modernen Wirtschaftslebens. Er ist ein engagierter Befürworter des freien Marktes. Dies aber nicht ohne dessen Schattenseiten und soziale Härten aus dem Blick zu verlieren. Die negativen Auswirkungen des kapitalistischen Systems lassen sich aus Smiths Sicht nur schrittweise und mit Augenmaß, nicht aber mit einem auf dem Reißbrett entstandenen Entwurf mildern. Smith begreift wissenschaftliche Modelle und Lösungsansätze deshalb als generelle Zielvorstellungen. Schließlich sind gesellschaftliche Akteure keine Spielfiguren, die sich von politischen Planern beliebig hin und her schieben lassen.
„Smiths Lebensziel ist nichts Geringeres, als die moderne Wissenschaft von Gesellschaft und Wirtschaft auf der Basis empirischer Fakten über die Natur des Menschen zu entwickeln.“
In diesen Zusammenhang gehört auch die oft missverstandene Formulierung von der „unsichtbaren Hand des Marktes“: Häufig wird Smith die Aussage untergeschoben, dass es nichts weiter als die Selbstsucht aller Marktteilnehmer brauche, um für die Gesellschaft das Optimum zu erzielen. In Wahrheit hat Smith das nie so radikal ausgedrückt. Was er sagt, ist, dass das nicht direkt am Gemeinwohl orientierte Investorenverhalten häufig (aber keineswegs immer) bessere Resultate erzielt als der Versuch, das Gemeinwohl bewusst zu fördern. Zugleich erkennt er, dass das Handeln im Eigeninteresse der Gesellschaft sogar in vielen Fällen schadet, was er ausdrücklich tadelt.
„Kaum einer unternimmt mehr als Smith, seine Leserschaft zu sensibilisieren in Bezug auf Einfallstore für Sonderinteressen und standesbedingte Verzerrungen des Gemeinwohls.“
Ein weiterer wichtiger Grundgedanke Smiths bezieht sich auf die Wirkung sogenannter nicht intendierter Konsequenzen der Politik. Smith ist davon überzeugt, dass der Übergang zur Moderne nur gelingen kann, wenn es eine politische Ökonomie gibt, mit deren Hilfe eine am Gemeinwohl orientierte Wirtschaftspolitik betrieben und jegliche Interessenpolitik überwunden werden kann. Er kritisiert das einseitige Handeln der Herrschenden sowie die Überregulierung und Monopolisierung der Wirtschaft. Smiths fundamentale Kritik an den bestehenden Verhältnissen enthält immer auch Ansätze zur Verbesserung. Seine Analysen sind äußerst differenziert. Er trägt sie auch in Gesprächszirkeln moderat und unter Betonung der Versöhnung von Gesellschaft und Ökonomie vor. Auf diese Weise kann er in politischen Diskursen Vertreter unterschiedlicher Ideologien wie den Liberalen Thomas Paine oder den Konservativen Edmund Burke überzeugen. Smith wird denn auch von Vertretern der liberalen Whigs wie der konservativen Torys gleichermaßen akzeptiert.
Die Theorie der ethischen Gefühle
Seinen wissenschaftlichen Durchbruch erzielt Smith 1759 mit der Theorie der ethischen Gefühle. Das Werk – bis heute Weltliteratur – macht Smith über die Grenzen Großbritanniens hinaus berühmt. Es trifft den Geist einer Zeit, in der Religion und Tradition an Bindekraft verlieren und das gesellschaftliche Geschehen zunehmend von den Märkten bestimmt wird. Aufbauend auf dem philosophischen Werk seines Freundes David Hume will Smith die Moral wissenschaftlich erklären. Dies vor dem Hintergrund einer durch die Aufklärung entmystifizierten Welt. Das Verhalten des Menschen innerhalb der Gesellschaft bildet die empirische Grundlage. Smith attestiert dem Menschen die Fähigkeit zur Sympathie. Das Mitfühlen mit dem Nächsten bildet für Smith den Ausgangspunkt zur Entwicklung von Moral. Er fragt nach den Handlungsweisen und Motiven von Menschen, mit denen ein neutraler Beobachter sympathisiert. Davon ausgehend bewertet er moralisches Handeln in Abhängigkeit von seinem Kontext. So gelten für Eltern in Bezug auf ihre Kinder andere Maßstäbe als im Geschäftsleben oder in der Justiz. Smith erkennt daher keine allgemein übergeordnete moralische Kategorie an – es kommt immer auf die Situation im Speziellen an.
Der Wohlstand der Nationen
1776 erscheint Smiths Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen. Die erste Auflage ist schnell ausverkauft. In den darauffolgenden Jahren erscheinen mehrere Neuauflagen. Das fünfbändige Werk wird noch zu Lebzeiten des Autors ins Deutsche, Französische und Dänische übersetzt. Im ersten Band stellt Smith seinen wirtschaftstheoretischen Ansatz dar, der sich im Wesentlichen mit den Verhältnismäßigkeiten zwischen Produktion, Preis und Einkommen beschäftigt. Im zweiten Band befasst er sich mit der Anhäufung von Kapital und der Expansion der Märkte. In den Bänden drei und vier setzt er sich kritisch mit der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte und deren Denkern auseinander. In Band fünf erörtert Smith seine Auffassung von der Finanzierung und den Aufgaben des Staates in einem modernen marktwirtschaftlichen System. Er verweist dabei auf das Problem der Staatsschulden und formuliert seine viel beachteten Regeln zur Erhebung von Steuern. Diese sind: „proportionale Gleichheit, Bestimmtheit (Vermeidung von Willkür), Bequemlichkeit für den Steuerzahler, Vermeidung von Zusatzlasten der Besteuerung.“
Spezialisierung und Arbeitsteilung
Für Smith liegt die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum in der Arbeitsteilung. Sie ermöglicht Strukturwandel und technischen Fortschritt. Zunächst kommt es zur Arbeitsteilung innerhalb eines Betriebs, dann zur Spezialisierung von Betrieben und schließlich zur Ausbildung von Branchen. Die Arbeitsteilung führt zu einer Zeitersparnis, die durch den Einsatz von Maschinen vervielfacht wird. Sie senkt die Kosten des Arbeitgebers für den einzelnen Arbeitnehmer, der weniger gut ausgebildet sein muss. Selbst der Einsatz von Kindern als Arbeitskräften lohnt sich. Am effektivsten kann die Arbeitsteilung im verarbeitenden Gewerbe umgesetzt werden. Überlieferte Fertigkeiten gehen in diesem Prozess allerdings verloren. Die negative Konsequenz ist: Die Arbeiter werden austauschbar und verarmen, ihre Kinder müssen arbeiten und bleiben der Schule fern. Um diesem Missstand zu begegnen, fordert Adam Smith eine verpflichtende Grundschule für Kinder aus Arbeiterfamilien.
Die Akkumulation von Kapital
Smith unterscheidet zwischen festem und zirkulierendem Kapital. Festes Kapital ist in Immobilien, Produktionsanlagen und Fähigkeiten angelegt, während zirkulierendes Kapital in Form von Waren den Besitzer wechselt. Vom festen Kapital hängt die Produktivität der Arbeit, vom zirkulierenden der Umfang der Beschäftigung ab. Zusammengenommen dienen beide Formen der Versorgung der Gesellschaft mit Waren und Gütern. Eine wachsende Menge an Waren bedingt ein höheres Sozialprodukt und damit einen Anstieg der Geldmenge. Das im Umlauf befindliche Geld muss durch Eigentum abgesichert sein. Die Menschen werden dann ihr Kapital für den Konsum ausgeben, es sparen oder es in Erwartung zukünftiger Gewinne wieder investieren. Geld ist für Smith lediglich ein Mittel zum Tausch und zur Umrechnung. Der damit verbundene Wirtschaftskreislauf ist endogen, das heißt, die Geldmenge, die zur Verfügung steht, wächst mit dem Anstieg der Geschäftstätigkeit, nicht umgekehrt. Den Einsatz von Papiergeld knüpft Smith an bestimmte Voraussetzungen:
- Die Rechtschaffenheit und Vertrauenswürdigkeit der Geld ausgebenden und Kredit gewährenden Banken muss gesichert sein.
- Ebenso muss die Bonität der Kreditnehmer gegeben sein.
- Das Bankwesen muss ausgewogen reguliert sein.
- Die Geldmenge, die sich im Umlauf befindet, sollte von den Bankiers umsichtig gehandhabt werden.
- Diese müssen immer in der Lage sein, Geld in Edelmetalle umzutauschen.
Von der Neuzeit zur Moderne
Smith entwickelt den Wohlstand der Nationen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Spannungen einer im Reformprozess befindlichen Gesellschaft. Er spricht vom „natürlichen Lauf der Dinge“: Dieser gehorche den Grundsätzen Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit und bedeute auf wirtschaftlichem Gebiet, dass idealerweise zuerst die Landwirtschaft, dann die Industrie und der Binnenhandel und erst zuletzt der Fernhandel entwickelt würden. Für Smith ist der Erfolg gesellschaftlicher Reformen am ehesten dann gewährleistet, wenn die angestrebten Maßnahmen im Rahmen eines aufgeklärten wissenschaftlichen Diskurses entwickelt wurden.
„Nicht weniger Staat, sondern ein anderer besserer Staat ist Smiths Programm.“
Im Konflikt zwischen der Freiheit des Einzelnen und des Marktes und der staatlichen Regulation nimmt Smith eine Mittelposition ein. Er ist nicht der Verfechter einer uneingeschränkt freien Marktwirtschaft, als der er vielfach gesehen wird. So warnt Smith vor der Einseitigkeit von Unternehmensinteressen und fordert die Beteiligung der arbeitenden Klasse am wirtschaftlichen Fortschritt. Smith möchte nicht weniger Staat, sondern eine am Gemeinwohl orientierte Regierung. Das zu seiner Zeit von postfeudalen Hierarchien bestimmte Regierungswesen soll sich zu einem modernen Staat entwickeln, der allen Bürgern Recht, Sicherheit und Bildung garantiert und der um den Ausgleich gesellschaftlicher Interessen bemüht ist.
Warum ist Smith heute noch relevant?
Ohne den Wohlstand der Nationen ist die politische Ökonomie als wissenschaftliche Disziplin, wie wir sie kennen, undenkbar. Smith hat den ökonomischen Diskurs um ein wegweisendes Referenzsystem bereichert und gilt als einer der Gründungsväter des Wirtschaftsliberalismus. Seine Ideen fanden großen Anklang in verschiedenen Schulen und Denkrichtungen im Bereich der Sozialwissenschaften. Die Politik steht heute wie zu Smiths Zeit vor der Herausforderung, ein komplexes gesellschaftliches und wirtschaftliches System dem technischen Fortschritt und der Globalisierung anzupassen. Dieser Prozess bringt soziale Spannungen und Verwerfungen mit sich. Vor diesem Hintergrund ist Smiths Suche nach einer neuen Ordnung, die den wirtschaftlichen Fortschritt mit den Anforderungen der Gesellschaft versöhnen sollte, von Bedeutung. Dies betrifft auch seine Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit, die noch heute im Zentrum der politischen Debatte steht.