Adam Smith für jedermann

Buch Adam Smith für jedermann

Pionier der modernen Ökonomie

Frankfurter Allgemeine Buch,


Rezension

Adam Smith, das ist doch der mit der „un­sicht­baren Hand des Marktes“, der Schutz­pa­tron aller Marktgläubigen, oder? Die Ökonomiepro­fes­soren Heinz D. Kurz und Richard Sturn beleuchten Smiths Leben und Werk dif­feren­zierter und frei von gängigen Klischees. Smith erscheint bei ihnen als hochge­bilde­ter Denker, der sich im Span­nungs­feld zwischen tra­di­tioneller Agrar­wirtschaft, tech­nol­o­gis­cher Innovation und, ja, Glob­al­isierung mit den Fragen seiner Zeit au­seinan­der­set­zte. Die Autoren widerlegen das Bild von Smith als uneingeschränktem Befürworter des un­reg­ulierten Marktes. Ihr Fokus liegt dabei weniger auf der akribischen Diskussion seiner Werke als in der Darstellung der Beschäftigung Smiths mit den gesellschaftlichen Fragen seiner Zeit. Vieles von dem, was Smith im 18. Jahrhundert zu Papier brachte, etwa die Forderung nach umsichtigem Handeln der Banker, ist heute noch relevant. BooksInShort empfiehlt dieses Buch allen, die sich einführend mit politischer Ökonomie beschäftigen oder einfach mehr über die Ikone Adam Smith wissen wollen.

Take-aways

  • Adam Smith wollte die Funk­tion­sweise der modernen Gesellschaft mit wis­senschaftlichen Methoden erklären.
  • Seine wichtigsten Werke sind Der Wohlstand der Nationen und Die Theorie der moralischen Gefühle.
  • Smith war davon überzeugt, dass der Übergang zur Moderne nur gelingen könne, wenn es eine am Gemeinwohl orientierte politische Ökonomie gebe.
  • Adam Smith wurde von Liberalen und Kon­ser­v­a­tiven gleichermaßen geschätzt.
  • Die un­be­ab­sichtigten Kon­se­quen­zen politischer Maßnahmen stehen gemäß Smith tech­nokratis­chen Lösungen entgegen.
  • Der Kern wirtschaftlichen Wachstums liegt laut Smith in der Ar­beit­steilung.
  • Smith erkannte auch, dass die Arbeiter als Folge der Ar­beit­steilung aus­tauschbar werden und verarmen.
  • Smith unterschied zwischen zirkulieren­dem und festem Kapital. Die im Umlauf befindliche Geldmenge müsse durch Eigentum abgesichert sein.
  • Smith plädierte für einen modernen Staat, der allen Bürgern Recht, Sicherheit und Bildung garantiert.
  • Smiths For­mulierung von der „un­sicht­baren Hand des Marktes“ wird häufig missver­standen: Smith war kein Mark­tradikaler, sondern sah auch die gesellschaftsschädigende Wirkung des Eigennutzes.
 

Zusammenfassung

Das Leben des Gelehrten Adam Smith

Schottland ist im 18. Jahrhundert von radikalen gesellschaftlichen Gegensätzen bestimmt. Das raue schottische Hochland wird von pa­tri­ar­chalen Clanstruk­turen beherrscht, während im Süden des Landes in der Folge der Union mit England der Handel aufblüht. Adam Smith wird 1723 in der beschaulichen Hafenstadt Kirkcaldy geboren. Er entstammt dem Milieu der auf­stieg­sori­en­tierten schot­tis­chen Mit­telschicht. Die schottische Elite legt großen Wert auf Bildung und engagiert sich für eine grundle­gende Mod­ernisierung des Landes. Bereits mit 14 Jahren verlässt Smith seinen Geburtsort, um an der Universität Glasgow zu studieren. Dort begegnet er dem Philosophen Francis Hutcheson, der ihn beeindruckt. Durch seine Förderer erhält der Student Einblicke in die Welt des Handels und des Agrarkap­i­tal­is­mus, was sein Denken entschei­dend prägt. Smith studiert anschließend in Oxford, wird Professor und lehrt an den Universitäten von Glasgow und Edinburgh. Er bereist den europäischen Kontinent und brilliert in den Salons von Paris. 1767 kehrt er nach Kirkcaldy zurück, wo er sein Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen verfasst. Er stirbt am 17. Juli 1790 in Edinburgh.

Smiths Denken

Adam Smiths Werk liegt die Annahme zugrunde, dass der Mensch kon­tinuier­lich danach strebt, seine Situation zu verbessern. Menschen sind um Fortschritt und Entwicklung sowie um die Erzielung von Gewinnen bemüht. Smiths zentrales Anliegen ist es, schlüssige Prinzipien zu entwickeln, mit deren Hilfe sich die Grundlagen und Phänomene der modernen Gesellschaft wis­senschaftlich belegbar erklären lassen. Ungeachtet seines Glaubens an die Existenz solcher Prinzipien, die dem gesellschaftlichen Leben und Wirtschaften unterliegen, wendet Smith sich gegen seiner Ansicht nach unzulängliche Vere­in­fachun­gen: Die Lösung gesellschaftlicher Fragen erfordere komplexe Maßnahmen, wobei angesichts der un­be­ab­sichtigten Folgen von Politik oft nicht die ideale, sondern womöglich eher die zweitbeste Lösung die richtige sei.

Ein moderater Revolutionär

Smith zeichnet ein sehr komplexes Bild des modernen Wirtschaft­slebens. Er ist ein engagierter Befürworter des freien Marktes. Dies aber nicht ohne dessen Schat­ten­seiten und soziale Härten aus dem Blick zu verlieren. Die negativen Auswirkun­gen des kap­i­tal­is­tis­chen Systems lassen sich aus Smiths Sicht nur schrit­tweise und mit Augenmaß, nicht aber mit einem auf dem Reißbrett ent­stande­nen Entwurf mildern. Smith begreift wis­senschaftliche Modelle und Lösungsansätze deshalb als generelle Zielvorstel­lun­gen. Schließlich sind gesellschaftliche Akteure keine Spielfig­uren, die sich von politischen Planern beliebig hin und her schieben lassen.

„Smiths Lebensziel ist nichts Geringeres, als die moderne Wis­senschaft von Gesellschaft und Wirtschaft auf der Basis empirischer Fakten über die Natur des Menschen zu entwickeln.“

In diesen Zusam­men­hang gehört auch die oft missver­standene For­mulierung von der „un­sicht­baren Hand des Marktes“: Häufig wird Smith die Aussage un­tergeschoben, dass es nichts weiter als die Selbstsucht aller Mark­t­teil­nehmer brauche, um für die Gesellschaft das Optimum zu erzielen. In Wahrheit hat Smith das nie so radikal ausgedrückt. Was er sagt, ist, dass das nicht direkt am Gemeinwohl orientierte In­ve­storen­ver­hal­ten häufig (aber keineswegs immer) bessere Resultate erzielt als der Versuch, das Gemeinwohl bewusst zu fördern. Zugleich erkennt er, dass das Handeln im Eigen­in­ter­esse der Gesellschaft sogar in vielen Fällen schadet, was er ausdrücklich tadelt.

„Kaum einer unternimmt mehr als Smith, seine Leserschaft zu sen­si­bil­isieren in Bezug auf Ein­fall­store für Son­der­in­ter­essen und standes­be­d­ingte Verz­er­run­gen des Gemeinwohls.“

Ein weiterer wichtiger Grundgedanke Smiths bezieht sich auf die Wirkung sogenannter nicht in­tendierter Kon­se­quen­zen der Politik. Smith ist davon überzeugt, dass der Übergang zur Moderne nur gelingen kann, wenn es eine politische Ökonomie gibt, mit deren Hilfe eine am Gemeinwohl orientierte Wirtschaft­spoli­tik betrieben und jegliche In­ter­essen­poli­tik überwunden werden kann. Er kritisiert das einseitige Handeln der Herrschen­den sowie die Überreg­ulierung und Mo­nop­o­lisierung der Wirtschaft. Smiths fun­da­men­tale Kritik an den bestehenden Verhältnissen enthält immer auch Ansätze zur Verbesserung. Seine Analysen sind äußerst dif­feren­ziert. Er trägt sie auch in Gesprächszirkeln moderat und unter Betonung der Versöhnung von Gesellschaft und Ökonomie vor. Auf diese Weise kann er in politischen Diskursen Vertreter un­ter­schiedlicher Ideologien wie den Liberalen Thomas Paine oder den Kon­ser­v­a­tiven Edmund Burke überzeugen. Smith wird denn auch von Vertretern der liberalen Whigs wie der kon­ser­v­a­tiven Torys gleichermaßen akzeptiert.

Die Theorie der ethischen Gefühle

Seinen wis­senschaftlichen Durchbruch erzielt Smith 1759 mit der Theorie der ethischen Gefühle. Das Werk – bis heute Weltlit­er­atur – macht Smith über die Grenzen Großbritanniens hinaus berühmt. Es trifft den Geist einer Zeit, in der Religion und Tradition an Bindekraft verlieren und das gesellschaftliche Geschehen zunehmend von den Märkten bestimmt wird. Aufbauend auf dem philosophis­chen Werk seines Freundes David Hume will Smith die Moral wis­senschaftlich erklären. Dies vor dem Hintergrund einer durch die Aufklärung ent­mys­ti­fizierten Welt. Das Verhalten des Menschen innerhalb der Gesellschaft bildet die empirische Grundlage. Smith attestiert dem Menschen die Fähigkeit zur Sympathie. Das Mitfühlen mit dem Nächsten bildet für Smith den Aus­gangspunkt zur Entwicklung von Moral. Er fragt nach den Hand­lungsweisen und Motiven von Menschen, mit denen ein neutraler Beobachter sym­pa­thisiert. Davon ausgehend bewertet er moralisches Handeln in Abhängigkeit von seinem Kontext. So gelten für Eltern in Bezug auf ihre Kinder andere Maßstäbe als im Geschäftsleben oder in der Justiz. Smith erkennt daher keine allgemein überge­ord­nete moralische Kategorie an – es kommt immer auf die Situation im Speziellen an.

Der Wohlstand der Nationen

1776 erscheint Smiths Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen. Die erste Auflage ist schnell ausverkauft. In den da­rauf­fol­gen­den Jahren erscheinen mehrere Neuauflagen. Das fünfbändige Werk wird noch zu Lebzeiten des Autors ins Deutsche, Französische und Dänische übersetzt. Im ersten Band stellt Smith seinen wirtschaft­s­the­o­retis­chen Ansatz dar, der sich im Wesentlichen mit den Verhältnismäßigkeiten zwischen Produktion, Preis und Einkommen beschäftigt. Im zweiten Band befasst er sich mit der Anhäufung von Kapital und der Expansion der Märkte. In den Bänden drei und vier setzt er sich kritisch mit der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte und deren Denkern auseinander. In Band fünf erörtert Smith seine Auffassung von der Fi­nanzierung und den Aufgaben des Staates in einem modernen mark­twirtschaftlichen System. Er verweist dabei auf das Problem der Staatss­chulden und formuliert seine viel beachteten Regeln zur Erhebung von Steuern. Diese sind: „pro­por­tionale Gleichheit, Bes­timmtheit (Vermeidung von Willkür), Be­quem­lichkeit für den Steuerzahler, Vermeidung von Zusat­zlas­ten der Besteuerung.“

Spezial­isierung und Ar­beit­steilung

Für Smith liegt die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum in der Ar­beit­steilung. Sie ermöglicht Struk­tur­wan­del und technischen Fortschritt. Zunächst kommt es zur Ar­beit­steilung innerhalb eines Betriebs, dann zur Spezial­isierung von Betrieben und schließlich zur Ausbildung von Branchen. Die Ar­beit­steilung führt zu einer Zeit­erspar­nis, die durch den Einsatz von Maschinen vervielfacht wird. Sie senkt die Kosten des Ar­beit­ge­bers für den einzelnen Ar­beit­nehmer, der weniger gut ausgebildet sein muss. Selbst der Einsatz von Kindern als Arbeitskräften lohnt sich. Am ef­fek­tivsten kann die Ar­beit­steilung im ve­r­ar­bei­t­en­den Gewerbe umgesetzt werden. Überlieferte Fer­tigkeiten gehen in diesem Prozess allerdings verloren. Die negative Konsequenz ist: Die Arbeiter werden aus­tauschbar und verarmen, ihre Kinder müssen arbeiten und bleiben der Schule fern. Um diesem Missstand zu begegnen, fordert Adam Smith eine verpflich­t­ende Grundschule für Kinder aus Ar­beit­er­fam­i­lien.

Die Akku­mu­la­tion von Kapital

Smith un­ter­schei­det zwischen festem und zirkulieren­dem Kapital. Festes Kapital ist in Immobilien, Pro­duk­tion­san­la­gen und Fähigkeiten angelegt, während zirkulieren­des Kapital in Form von Waren den Besitzer wechselt. Vom festen Kapital hängt die Produktivität der Arbeit, vom zirkulieren­den der Umfang der Beschäftigung ab. Zusam­mengenom­men dienen beide Formen der Versorgung der Gesellschaft mit Waren und Gütern. Eine wachsende Menge an Waren bedingt ein höheres Sozial­pro­dukt und damit einen Anstieg der Geldmenge. Das im Umlauf befindliche Geld muss durch Eigentum abgesichert sein. Die Menschen werden dann ihr Kapital für den Konsum ausgeben, es sparen oder es in Erwartung zukünftiger Gewinne wieder investieren. Geld ist für Smith lediglich ein Mittel zum Tausch und zur Umrechnung. Der damit verbundene Wirtschaft­skreis­lauf ist endogen, das heißt, die Geldmenge, die zur Verfügung steht, wächst mit dem Anstieg der Geschäftstätigkeit, nicht umgekehrt. Den Einsatz von Papiergeld knüpft Smith an bestimmte Vo­raus­set­zun­gen:

  • Die Rechtschaf­fen­heit und Vertrauenswürdigkeit der Geld ausgebenden und Kredit gewährenden Banken muss gesichert sein.
  • Ebenso muss die Bonität der Kred­it­nehmer gegeben sein.
  • Das Bankwesen muss ausgewogen reguliert sein.
  • Die Geldmenge, die sich im Umlauf befindet, sollte von den Bankiers umsichtig gehandhabt werden.
  • Diese müssen immer in der Lage sein, Geld in Edelmetalle umzu­tauschen.

Von der Neuzeit zur Moderne

Smith entwickelt den Wohlstand der Nationen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Spannungen einer im Re­form­prozess befind­lichen Gesellschaft. Er spricht vom „natürlichen Lauf der Dinge“: Dieser gehorche den Grundsätzen Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit und bedeute auf wirtschaftlichem Gebiet, dass ide­al­er­weise zuerst die Land­wirtschaft, dann die Industrie und der Bin­nen­han­del und erst zuletzt der Fernhandel entwickelt würden. Für Smith ist der Erfolg gesellschaftlicher Reformen am ehesten dann gewährleistet, wenn die angestrebten Maßnahmen im Rahmen eines aufgeklärten wis­senschaftlichen Diskurses entwickelt wurden.

„Nicht weniger Staat, sondern ein anderer besserer Staat ist Smiths Programm.“

Im Konflikt zwischen der Freiheit des Einzelnen und des Marktes und der staatlichen Regulation nimmt Smith eine Mit­tel­po­si­tion ein. Er ist nicht der Verfechter einer uneingeschränkt freien Mark­twirtschaft, als der er vielfach gesehen wird. So warnt Smith vor der Ein­seit­igkeit von Un­ternehmensin­ter­essen und fordert die Beteiligung der arbeitenden Klasse am wirtschaftlichen Fortschritt. Smith möchte nicht weniger Staat, sondern eine am Gemeinwohl orientierte Regierung. Das zu seiner Zeit von post­feu­dalen Hierarchien bestimmte Regierungswe­sen soll sich zu einem modernen Staat entwickeln, der allen Bürgern Recht, Sicherheit und Bildung garantiert und der um den Ausgleich gesellschaftlicher Interessen bemüht ist.

Warum ist Smith heute noch relevant?

Ohne den Wohlstand der Nationen ist die politische Ökonomie als wis­senschaftliche Disziplin, wie wir sie kennen, undenkbar. Smith hat den ökonomischen Diskurs um ein weg­weisendes Ref­eren­zsys­tem bereichert und gilt als einer der Gründungsväter des Wirtschaft­slib­er­al­is­mus. Seine Ideen fanden großen Anklang in ver­schiede­nen Schulen und Denkrich­tun­gen im Bereich der Sozial­wis­senschaften. Die Politik steht heute wie zu Smiths Zeit vor der Her­aus­forderung, ein komplexes gesellschaftliches und wirtschaftliches System dem technischen Fortschritt und der Glob­al­isierung anzupassen. Dieser Prozess bringt soziale Spannungen und Ver­w­er­fun­gen mit sich. Vor diesem Hintergrund ist Smiths Suche nach einer neuen Ordnung, die den wirtschaftlichen Fortschritt mit den An­forderun­gen der Gesellschaft versöhnen sollte, von Bedeutung. Dies betrifft auch seine Frage nach der Verteilungs­gerechtigkeit, die noch heute im Zentrum der politischen Debatte steht.

Über die Autoren

Heinz D. Kurz ist Leiter des Schumpeter Center und Professor für Volk­swirtschaft­slehre an der Karl-Franzens-Uni­ver­sität in Graz. Richard Sturn leitet das Institut für Fi­nanzwis­senschaft an der gleichen Universität.