Der professionelle Aufsichtsrat

Buch Der professionelle Aufsichtsrat

Basiswissen für die Praxis. Ein 360°-Überblick

Frankfurter Allgemeine Buch,


Rezension

Das Buch Der pro­fes­sionelle Auf­sicht­srat liefert sowohl nötiges Basiswissen als auch einen Rundumblick. Die Gliederung ist sauber und geht vom Allgemeinen zum Spezielleren. Wie bei praktisch jedem Buch mit mehreren Zulief­er­erautoren haben sich Wieder­hol­un­gen auch hier nicht gänzlich ausschließen lassen. Schade auch, dass die Praxis neben der vielen Theorie relativ wenig Platz findet. Es wäre sicherlich interessant gewesen zu erfahren, was die in Amt und Würden stehenden Aufsichtsräte, über die in diesem Buch berichtet wird, zu sagen hätten. Dennoch alles in allem ein gutes und fundiertes Nach­schlagew­erk, meint BooksInShort und empfiehlt es allen aktuell im Amt befind­lichen sowie angehenden Vor­standsmit­gliedern und Aufsichtsräten.

Take-aways

  • Seit der Aufdeckung von Bi­lanz­ma­nip­u­la­tio­nen Anfang des neuen Jahrtausends sind viele Gesetze, die den Auf­sicht­srat betreffen, verschärft worden.
  • Aufsichtsräte sind gefordert, die Geschäftsführung bei der zukun­ft­sori­en­tierten Ausrichtung des Un­ternehmens zu beraten und ggf. mitzuentschei­den.
  • Dieses Konzept weist klar in Richtung des in­ter­na­tional do­minieren­den One-Board-Sys­tems: keine Aufteilung in Vorstand und Auf­sicht­srat.
  • Im Kern besagt die neue Recht­sprechung: Un­wis­senheit schützt nicht vor Haftung.
  • Handelt die Geschäftsleitung z. B. bei drohender Insolvenz nicht, müssen die Aufseher den Vorstand abberufen – andernfalls haften auch sie.
  • Vermögenss­chadens-Haftpflichtver­sicherun­gen sollen Management und Auf­sicht­srat schützen, im Prinzip unbegrenzt. Die Praxis sieht jedoch anders aus.
  • Der Auf­sicht­srat sollte sich eine Geschäftsordnung geben, in der der Umgang mit In­ter­essenkon­flik­ten vorbeugend geregelt wird.
  • Die einzelnen Mitglieder sollten sich gegenseitig ergänzen. Jedes Kon­troll­gremium muss jedoch mindestens einen Fi­nanz­ex­perten haben.
  • Die Kom­mu­nika­tion des Auf­sicht­srats muss die Befind­lichkeiten aller In­ter­essen­vertreter berücksichtigen.
  • Die Besetzung des Auf­sicht­srats kann Einfluss auf die Un­ternehmensmarke haben.
 

Zusammenfassung

Schluss mit lustig

Vorbei sind die Zeiten, als Auf­sicht­sratsver­samm­lun­gen noch lockeren Kaf­feerun­den glichen. Spätestens seit der Aufdeckung von Bi­lanz­ma­nip­u­la­tio­nen monströsen Ausmaßes in den USA Anfang des neuen Jahrtausends wird die Praxis der Un­ternehmen­sauf­sicht zunehmend hinterfragt. In der Folge schuf auch die deutsche Cor­po­rate-Gov­er­nance-Regierungskom­mis­sion einen Regel- und Ver­hal­tenskodex: den Deutschen Corporate Governance Kodex, kurz DCGK, der seither Jahr für Jahr überarbeitet wird. Mittels einer Entsprechenserklärung geben börsen­notierte deutsche Unternehmen an, ob und inwiefern sie sich an den Kodex halten. Ab­we­ichun­gen werden doku­men­tiert und kommentiert. Diese Neuerung war die eigentliche Geburtsstunde des pro­fes­sionellen Auf­sicht­srats, der nicht einfach nur Mandate sammelt und vorgefasste Beschlüsse durchwinkt.

Willkommen in der Ve­r­ant­wor­tung

Früher war die Vorstellung, Aufsichtsräte einer eigenen Strafge­set­zge­bung zu unterwerfen, nicht einmal vorhanden. Zumal das deutsche Zweisäulenprinzip aus Vorstand und Aufsehern eine klare Auf­gaben­verteilung vorzuweisen hatte: hier die Geschäftsleitung und Exekutive, dort der ins operative Geschäft nicht einge­bun­dene Auf­sicht­srat. Die zahlreichen Geset­zeswerke der vergangenen Jahre brachten jedoch eine – zumindest teilweise – Abkehr von der bisherigen Betrachtung des Auf­sicht­srats mit sich: Anstatt lediglich zurückzublicken, sind die Aufseher jetzt aufgerufen, die Geschäftsführung bei der zukun­ft­sori­en­tierten Ausrichtung des Un­ternehmens zu beraten und ggf. auch an Entschei­dun­gen teilzuhaben. Dieses Konzept geht klar in Richtung des in­ter­na­tional vorherrschen­den One-Board-Sys­tems, das keine Aufteilung zwischen Vorstand und Auf­sicht­srat vorsieht.

„Die Tage der Rotwein-Run­den mit alten Freunden oder von Kopfnicker-Kreisen sind gezählt.“

Die erhebliche Erweiterung der grundle­gen­den Auf­gaben­stel­lung und Mitwirkungspflichten von Aufsichtsräten bedeutet umgekehrt eine strafrechtliche Haftung in Fällen, in denen die Aufseher „geschlafen“ oder gar wider besseres Wissen Entschei­dun­gen durchgewinkt haben, die besser noch einmal überdacht worden wären.

Kon­trolleure in der Krise

Speziell in der Krise werden die Überwachungspflichten wichtiger; die Entschei­dun­gen können über das Schicksal des Un­ternehmens entscheiden. Gefragt sind kompetente Aufseher, die auch mit haus­gemachten Problemen umgehen können: Die häufigsten Fälle betreffen eine der vielfältigen Formen von Untreue, etwa die Bildung schwarzer Kassen, Kick­back-Vere­in­barun­gen oder Risikoüberschre­itun­gen bei Kred­itver­gaben. Die Un­ter­las­sungsstraf­barkeit der Aufseher hängt davon ab, in welchem Umfang der Auf­sicht­srat auf die Geschäftsleitung Einfluss nehmen kann. Einerseits soll er mehr überwachen und gestalten, an­der­er­seits hat der Auf­sicht­srat weiterhin keinerlei Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand.

Der Auf­sicht­srat sitzt am längeren Hebel

Der Auf­sicht­srat verfügt jedoch über einige durchaus wirkmächtige Werkzeuge: So kann er Zus­tim­mungsvor­be­halte für bestimmte Arten von Geschäften anordnen, gesonderte Berichte anfordern oder, im schlimmsten Fall, Vor­standsmit­glieder bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abberufen. Ein solcher wichtiger Grund wäre z. B. der dringende Verdacht einer begangenen oder geplanten Straftat. Im Vorfeld einer drohenden Insolvenz laufen nicht nur die Manager Gefahr, sich eines In­sol­ven­zde­likts strafbar zu machen, sondern auch die Aufseher. Handelt die Geschäftsleitung bei drohender Insolvenz nicht, müssen die Aufseher den Vorstand abberufen – andernfalls haften auch sie. Dass die Kon­trolleure von der In­sol­ven­zreife des Un­ternehmens keine Kenntnis hatten, müssten sie nämlich selbst beweisen.

Haftung oder: Die Reise nach Jerusalem

Die neue Denkweise und Gestaltung der Auf­sicht­sratstätigkeit hat zu einem spürbaren „Inanspruch­nahme­druck“ geführt, nach dem Motto: Lieber mal Ansprüche gegen den Vorstand geltend machen als das Risiko eingehen, am Ende selbst in Regress genommen zu werden. Para­dox­er­weise führt gerade die Existenz so genannter D&O-(Directors & Officers)Vermögenss­chadens-Haftpflichtver­sicherun­gen dazu, das Management vermehrt in Anspruch zu nehmen. D&O-Ver­sicherun­gen sollen das persönliche Vermögen schützen, mit dem ein Manager nor­maler­weise einstehen müsste – im Prinzip unbegrenzt. Die Praxis jedoch sieht anders aus: Nicht einmal die Hälfte der reklamierten Fälle werden von den Ver­sicher­ern reguliert, weil sie es mit ver­schiede­nen Mitteln schaffen, die Ansprüche abzuwehren. Das Gros der D&O-Ansprüche scheitert am Vor­satzauss­chluss, da der Betroffene im Fall der Inanspruch­nahme selbst beweisen muss, dass er nicht vorsätzlich gehandelt hat. Zwar werden die meisten Ansprüche gegen das operative Management geltend gemacht, doch können auch die Auf­sicht­sratsmit­glieder ins Visier genommen werden. Die Kon­trolleure sind darum gut beraten, sich intensiv mit dem Thema D&O-Ver­sicherung au­seinan­derzuset­zen, wollen sie nicht am Ende eines Disputs selbst ohne Ver­sicherungss­chutz dastehen.

Was tun bei In­ter­essenkon­flik­ten?

Der Auf­sicht­srat hat sich bei seiner Tätigkeit von der Maxime des Vorrangs des Un­ternehmens- oder Konz­ern­in­ter­esses leiten zu lassen. Sagt das Gesetz. Was es nicht sagt, ist, wie man sich im Fall von In­ter­essenkon­flik­ten verhalten soll. Teilweise skurrile und bestenfalls vage Begründungen müssen hier fehlendes Recht ersetzen, sei es das „Gebot des geschäftlichen Anstands“, die „Sorgfalt­spflicht“ oder auch nur der „allgemeine Rechts­gedanke“. Der DCGK kennt lediglich den In­ter­essenkon­flikt eines Auf­sicht­srats dem Organ gegenüber, nicht jedoch einen externen In­ter­essenkon­flikt – schließlich unterliegt ein Auf­sicht­srat keinem Wet­tbe­werb­sver­bot. Was also tun? Einer einfachen Offenlegung eines punktuellen In­ter­essenkon­flikts könnte eine Ver­schwiegen­heit­spflicht auf anderer Seite wider­sprechen. Eine Stim­men­thal­tung im Ausschuss oder Plenum wäre zwar denkbar, löst den In­ter­essenkon­flikt aber nur kurzfristig. Das Gleiche gilt für den Verzicht auf eine Teilnahme an einer Sitzung: Genau wie bei einer Stim­men­thal­tung könnte der Auf­sicht­srat durch Abwesenheit eines Mitglieds beschlus­sunfähig werden. Sollte das betroffene Auf­sicht­sratsmit­glied nicht von sich aus einsichtig sein, kann der Vorsitzende dessen Stim­men­thal­tung anordnen, ihn von einer Sitzung ausschließen oder ihm einen Bericht voren­thal­ten. Damit solche unschönen Situationen in der Praxis gar nicht erst vorkommen, sollte sich der Auf­sicht­srat eine Geschäftsordnung geben, in der der Umgang mit In­ter­essenkon­flik­ten vorbeugend geregelt wird.

Mannschaftsspieler gefragt

Die Zusam­menset­zung eines Auf­sicht­srats­gremi­ums sollte nicht dem Zufall überlassen werden – oder sich gar aus dem Freundes- und Bekan­ntenkreis des Un­ternehmensgründers speisen. Gerade die jüngste Finanzkrise hat in diesem Sinne viel zur Pro­fes­sion­al­isierungs­diskus­sion beigetragen. Gefragt sind neuerdings sich ergänzende Persönlichkeiten mit in­di­vidu­ellen Stärken, Kompetenzen und Erfahrungen.

„Für jede Un­ternehmensmarke wirkt es vertrauensfördernd und wert­steigernd, Auf­sicht­srats­marken in den eigenen Reihen zu haben.“

Nach der neuesten Recht­sprechung muss jedes Auf­sicht­srat­mit­glied Min­destken­nt­nisse und -fähigkeiten besitzen (oder sich aneignen), um alle nor­maler­weise anfallenden Geschäftsvorgänge verstehen und beurteilen zu können. Un­wis­senheit schützt also nicht länger vor Haftung. Das BilMoG (Bi­lanz­mod­ernisierungs­ge­setz) brachte sogar noch eine Verschärfung: Die Anwesenheit von mindestens einem Fi­nanz­ex­perten ist nunmehr in jedem Kon­troll­gremium oblig­a­torisch, d. h. jedes Board braucht einen Auf­sicht­srat mit her­aus­ra­gen­den Kenntnissen in der Bi­lanzierung und Rech­nungsle­gung („Financial Expert“). Der optimal zusam­menge­set­zte Auf­sicht­srat besteht aus Experten für die folgenden Bereiche:

  • Jahresab­schluss und Wirtschaft­sprüfung,
  • Rech­nungsle­gung und Steuern,
  • Finanzmarkt,
  • Compliance und Risiko­man­age­ment,
  • Wirtschafts- und Aktienrecht,
  • Personal- und Vergütungs­man­age­ment,
  • Strate­gis­che Un­ternehmensführung und -planung,
  • Un­ternehmen­skom­mu­nika­tion,
  • Krisen­man­age­ment und D&O-Ver­sicherun­gen,
  • Corporate Governance.

Schwächen iden­ti­fizieren und ausbessern

Anhand einer Matrix lässt sich darstellen, welches Auf­sicht­sratsmit­glied Kenntnisse welchen Niveaus besitzt. Auch lässt sich dergestalt gut ablesen, in welchem Bereich das Gremium insgesamt so starke Defizite besitzt, dass gar die Hinzuziehung ein neuen Mitglieds erwogen werden muss, das dann die gewünschten komplementären Fähigkeiten mitbringt. Sys­tem­a­tis­che Board-Re­views, die den Aufsichtsräten Feedback über ihr eigenes Wirken und über Op­ti­mierungspoten­ziale geben, sind noch nicht die Regel, obwohl heute mehr denn je gefragt. Der Auf­sicht­sratsvor­sitzende hat dabei die Aufgabe, die ver­schiede­nen Persönlichkeiten zu integrieren, etwa wie ein Trainer in einem Mannschaftss­port. Jedes Mitglied sollte nicht nur individuell bewertet, sondern auch gecoacht werden. Letztlich kann der pro­fes­sionelle Auf­sicht­srat – der eben nicht beliebig zusammengewürfelt ist – langfristig den Unterschied im Wettbewerb ausmachen.

Kom­mu­nika­tion­sschäden vermeiden

Von den grundle­gen­den Fähigkeiten und Kenntnissen abgesehen stellt sich ferner die Frage nach der „Par­kettsicher­heit“ (Rhetorik, Stil usw.) der Mandatsträger. Diese dürfen und sollen Stellung beziehen; Mei­n­ungsplu­ral­is­mus ist weiterhin nicht verboten. Ein Super-GAU wäre allerdings eine Eskalation in der Öffentlichkeit, wenn beispiel­sweise eine Re­struk­turierung oder eine Transaktion (Zukauf, Verkauf eines Bereichs o. Ä.) ansteht. Rasch kann dies negative Rück­kop­plun­gen auch im operativen Geschäft nach sich ziehen. Eine angemessene und wohlüberlegte Kom­mu­nika­tion muss daher die Befind­lichkeiten aller In­ter­essen­vertreter (Wirtschaft, Politik, Mitarbeiter, Öffentlichkeit) berücksichtigen. Vergessen Sie nicht: Als oberster Repräsentant Ihres Un­ternehmens antworten Sie stel­lvertre­tend für viele, wenn nicht sogar alle!

Endziel Ikone?

Nicht jedes Kon­troll­gremium ist in der glücklichen Lage, die ultimative Iden­ti­fika­tions­figur in ihren Reihen zu wissen. So gilt Ferdinand Piëch, Auf­sicht­sratsvor­sitzen­der von Volkswagen, als die per­son­ifizierte Au­tokom­pe­tenz; Linde-Chef Wolfgang Reitzle wird als Inkarnation von Tech­nolo­giekom­pe­tenz wahrgenom­men. Uli Hoeneß, der Auf­sicht­sratsvor­sitzende des deutschen Fußball­reko­rd­meis­ters Bayern München, mag zwar nicht überall außerhalb des Vereins beliebt sein, als national und in­ter­na­tional akzeptierte „Auf­sicht­srats­marke“ ist er jedoch schwer wegzudenken. Jede Per­son­albe­set­zung kann Einfluss auf die Un­ternehmensmarke haben, wenn auch nicht immer so sehr wie bei den Genannten. Apple-Chef Steve Jobs, kürzlich zum „Manager of the Decade“ gekürt, kennt den Wert der Auf­sicht­srats­marke: Im Ap­ple-Auf­sichts­gremium sitzen u. a. Al Gore, ehemals Vizepräsident der USA, oder Eric Schmidt, der Präsident von Google. So wirkt die Ikone Steve Jobs in sämtliche Richtungen, sei es als Anziehungskraft für Talente, Sprachrohr der Tech­nolo­gie-Com­mu­nity oder zentrale Iden­ti­fika­tions­figur für die Marke Apple.

Über den Autor

Peter H. Dehnen, der Herausgeber dieses Buches, ist geschäftsführender Gesellschafter des German Board Room sowie Anwalt für deutsches und in­ter­na­tionales Wirtschafts- und Steuerrecht. Die 14 mitwirk­enden Autoren sind Mitglieder des German Board Room.