Hund und Katz im Unternehmen
Kommunikations- und Rechtsabteilung sind in Unternehmen oft wie Hund und Katz. Während viele Justiziare der Ansicht sind, die Öffentlichkeitsarbeit quassle zu früh und zu viel, werfen die Kommunikatoren ihren rechtsgelehrten Kollegen vor, am liebsten alles zum Betriebsgeheimnis erklären zu wollen. Diese gegenseitige Abneigung muss nicht sein. Sind beide Abteilungen mit den Prinzipien und der Arbeitsweise der jeweiligen Kollegen vertraut und diesen Kollegen partnerschaftlich verbunden, können sie perfekt zusammen agieren. Das ist auch wünschenswert, denn ein harmonisches Vorgehen dieser beiden Disziplinen in der Unternehmenspolitik wird immer wichtiger.
Litigation-PR
Die so genannte Litigation-PR ist heute ein unverzichtbares Instrument der Öffentlichkeitsarbeit. Entstanden ist diese Form der PR, die auf juristischen Auseinandersetzungen aufbaut und den Rechtsstreit vor dem oder im Gerichtssaal durch parallele externe Kommunikation begleitet, in den USA. Heute häufen sich auch bei uns die Beispiele, in denen professionelle Kommunikatoren flankierend zur Paragrafenschlacht das Gefecht um die öffentliche Wahrnehmung austragen. Das Verfahren gegen den Klatten-Erpresser oder der Kachelmann-Prozess sind spektakuläre Beispiele.
„Die Spezialisten des Rechts und der Kommunikation gehören zu den wichtigsten Helfern des Managements.“
Ein Sieg vor Gericht kann plötzlich sehr fraglich werden, wenn die Gegenseite parallel die öffentliche Meinung für sich gewinnt und Stimmung gegen Sie macht. Mit sozialen Netzwerken, Blogs und anderen neuen Medien kann unerwartet über Nacht und ohne Kriegserklärung ein Feldzug gegen Sie eröffnet werden. Mysteriöse „Medienberater“ und „Spin-Doktoren“ füttern Journalisten mit belastendem Material oder betätigen sich als „Nebelwerfer“. So genannte „Kommunikationsprofis“ wirken als Desinformationsprofis, während echte Journalisten ins Hintertreffen geraten. Vertrauen Sie nicht darauf, dass die Wahrheit von selbst ans Licht kommt. Ein Unternehmen, das aggressiv Litigation-PR betreibt, kann vor Gericht – vielleicht sogar zu Recht – verlieren, in der Öffentlichkeit sieht die Sache ganz anders aus. Wichtig ist deshalb vor allem eine gründliche Planung der PR-Aktivitäten, denen eine Kommunikationsstrategie zugrunde liegen sollte.
Negativbeispiel AWD gegen NDR
Wie man es besser nicht macht, zeigt das Beispiel AWD gegen NDR: Eine Reportage über AWD-Chef Carsten Maschmeyer rückte diesen in ein schlechtes Licht. Den Vorstand des Finanzdienstleisters muss das so verärgert haben, dass er eine weitere Ausstrahlung des Beitrags juristisch zu verhindern versuchte. Die Kampagne bewirkte genau das Gegenteil: Sämtliche Medien berichteten genüsslich darüber, in zahlreichen Verfahren wurde Maschmeyers Name in negativem Zusammenhang genannt. Am Ende war sein Image stärker beschädigt, als wenn er nach der Sendung Stillschweigen bewahrt hätte. Er wurde offenbar schlecht beraten.
Journalisten und Juristen unter Druck
Die USA sind ein fruchtbarer Boden für Rechtsstreitigkeiten. Die Streitwerte sind riesig, die Anwälte extrem klagefreudig und die Geschworenengerichte mit lustlosen Laien als Besetzung äußerst leicht beeinflussbar. Zudem sind in den USA Akten – mit allen darin enthaltenen Peinlichkeiten – öffentlich einsehbar. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist das zum Glück anders. Doch wiegen Sie sich nicht in Sicherheit: Auch hierzulande nimmt das öffentliche Interesse an Rechtsfragen zu, zusätzlich befeuert durch den wachsenden Wettbewerb der Medien. Dazu kommt, dass immer weniger professionelle Gerichtsreporter das Feld beackern, stattdessen werden oft juristische Laien zu Prozessen geschickt, die Tippgebern unkritisch vertrauen.
„Das publizistische Interesse an Rechtsfragen und Rechtsstreitigkeiten nimmt zu.“
Zeitdruck bewirkt in vielen Fällen, dass Journalisten Informationen einfach ungeprüft übernehmen. Und auch die Anwälte durchaus sehr nützlich und bringt neue Mandate. In Deutschland ist es Anwälten nicht verboten, Journalisten Einsicht in Akten zu gewähren. Wurde eine verleumdende Nachricht erst einmal digitalisiert, bleibt sie auf ewig im Internet. Noch ein Grund für Sie, sich mit Litigation-PR zu befassen: Rechtsstreit ist reisefreudig. Sobald Ihr Unternehmen auch in den USA tätig ist, kann prinzipiell ein Verfahren gegen Sie in Amerika eröffnet werden – mit allem, was das dortige, sehr spezielle Rechtssystem zu bieten hat.
Negativbeispiel Greenpeace gegen Nestlé
Greenpeace beherrscht das Spiel mit der öffentlichen Empörung zulasten von Unternehmen brillant. Nach legendären Aktionen wie der Brent-Spar-Kampagne gegen Shell, in der die Umweltschützer viel Falsches behaupteten, der Ölgigant sich jedoch nicht in Deckung bringen konnte, zeigte auch die Kampagne gegen Nestlé, wie man als angegriffenes Unternehmen ins Hintertreffen gerät: Greenpeace warf dem Nahrungsmittelkonzern vor, durch großflächige Ölpalmenplantagen den Lebensraum der Orang-Utans zu zerstören. Den Stein ins Rollen brachte ein YouTube-Clip, in dem sich ein Schokoriegel in den Händen eines ahnungslosen Konsumenten in einen blutigen Affenfinger verwandelt. Nestlé tat, was wohl jeder tun würde: Der Konzern versuchte, den Spot zu verbieten. Doch natürlich verbreitete der sich nun erst recht quer durchs Internet. Die Wahrheit – falls es eine solche gab oder gibt – spielte nun gar keine Rolle mehr.
„Gerade bei Produktrückrufen in besonders sensiblen Bereichen können juristisch korrekte Formulierungen in ihrer Tonalität für potenziell oder tatsächlich betroffene Konsumenten Angst einflößende, ja dramatische Wirkung entfalten.“
Wenn Sie in eine solche Situation geraten, müssen Sie wissen, was Sie wollen: klagen oder ertragen? Bedenken Sie: Oftmals kommen unbequeme Wahrheiten erst ans Licht, wenn sie vor Gericht zu Protokoll gegeben werden. Von dort verbreiten sie sich blitzschnell – wie alles, was einen Neuigkeitswert hat. Die großen Skandale nehmen heute zumeist im Internet ihren Anfang. Für Sie heißt das: Ihre Kommunikatoren und Juristen sollten jederzeit auf einen Angriff aus dem Hinterhalt gefasst sein. Im angelsächsischen Raum wird inzwischen ein möglicher Rufschaden im Zuge eines Verfahrens höher gehandelt als eine juristische Niederlage – ein Grund, warum dort zunehmend Vergleiche ausgehandelt werden. Denn bei Litigation-PR ist der Streitwert nicht vom Gesetzbuch festgelegt, sondern im Prinzip unbegrenzt. Im schlimmsten Fall schlägt sich ein Streit brutal in Ihrem Börsenwert nieder.
Regeln für den Umgang mit Medien
Litigation-PR ist letztlich nichts anderes als eine spezielle Form von Krisen-PR. Sie müssen also nicht hektisch nach einschlägigen Fachleuten suchen – zumal sich hier viele selbst ernannte Experten tummeln, die meist nur auf der Trendwelle reiten und überteuert sind. Einige Methoden sollten Sie sich von vornherein verkneifen:
- Versuchen Sie nicht, mit Journalisten zu spielen; versorgen Sie alle gleichermaßen mit Informationen, sonst kann einer schnell beleidigt sein und Ihnen schaden.
- Wenn Sie Journalisten mit schwerem Geschütz drohen, führt das erfahrungsgemäß zu kollektiver Abwehr vieler oder gar aller Medien gegen Sie.
- Wehren Sie sich zu heftig gegen unfaire Anwürfe, kann das den Mediensturm erst so richtig entfachen. Und plötzlich findet man wirklich was gegen Sie.
- „Kein Kommentar“ bringt nichts – dann fragt der Reporter eben Ihren schärfsten Konkurrenten. Seien Sie froh, wenn man Sie fragt, dann kommt Ihre Sicht der Dinge zur Sprache.
- Ihre PR darf nicht zu penetrant und aufgeblasen sein. Eine zu große Diskrepanz zwischen Selbstdarstellung und Fakten wirkt unglaubwürdig und gefährdet den Ausgang.
- Verkneifen Sie es sich, die Kompetenz von Richtern oder Anwälten anzugreifen – das geht garantiert nach hinten los.
- Hüten Sie sich vor Eitelkeit. Sie begegnet Ihnen in Gestalt von profilsüchtigen Juristen ebenso wie Journalisten – und natürlich auch bei Ihnen selbst.
- Journalisten wollen nur eine Story: Je mehr sich Ihr Fall in die Länge ziehen lässt, desto größer ist das Interesse.
- Kommunikation kann nachträglich justiziabel werden. Billigen Sie daher der Rechtsabteilung stets ein Vetorecht für Vorstandszitate zu.
„Die Wirkung einer Selbstinszenierung von den Inhalten und Werten zu trennen, die die agierende Person jetzt und in Zukunft imstande ist, glaubwürdig zu leben und zu vermitteln, ist immer ein höchst gefährliches Spiel.“
In einer aktuellen Studie wurden neben Rechtsanwälten knapp 670 Richter und Staatsanwälte in Deutschland zur Wirkung von Litigation-PR befragt. Sie vertraten mehrheitlich die Ansicht, dass diese Form von Öffentlichkeitsarbeit keinerlei Bedeutung für das Urteil, wohl aber für das Strafmaß habe. Anders als in den Vereinigten Staaten, wo Litigation-PR das Urteil aktiv zu beeinflussen versucht, wird in Deutschland deren Ziel eher darin gesehen, flankierend den Ruf eines Prozessteilnehmers zu schützen. Pressearbeit wird von Juristen im Staatsdienst ebenso wie von Rechtsanwälten als sehr wichtig angesehen, doch mehr als zwei Drittel der Befragten halten sich nicht für ausreichend qualifiziert, diese Aufgabe wahrzunehmen.
Transparenz ist die beste Waffe
Die schärfste Waffe im Krieg gegen eine feindselige Öffentlichkeit ist der unbekümmerte und weltgewandte Umgang mit Vorwürfen und Problemen. Schon formal sind börsennotierte Unternehmen zur Transparenz verpflichtet. Das heißt nicht, dass es keine Geheimnisse geben darf, doch im Krisenfall muss alles angesprochen und aufgearbeitet werden. Tun Sie es nicht, tun es Ihre Gegner und die „Enthüllungsmedien“. Ihr Ziel muss vor allem sein, bei Partnern und Anteilseignern den Eindruck zu vermeiden, das Management hätte von vornherein etwas falsch gemacht. Verlieren Sie keine Zeit: Auch wenn Sie rein juristisch noch warten dürften, weil nichts nachweisbar ist, weil der Fall erst untersucht werden muss oder die Behörden noch ermitteln – einer zu Recht oder zu Unrecht besorgten Öffentlichkeit kann man das meistens kaum beibringen. Der Grundsatz „Nichts zugeben, nichts sagen“ mag vor Ermittlern ausreichen, vor den Medien bringt das sofort Minuspunkte. Die suchen sich dann jemand anderen, der etwas über Sie sagt. Vor Gericht gewinnt, wer durch Beweise und regelkonformes Verhalten überzeugt. Vor der Presse gewinnt, wer schnell ein verwertbares, gut verständliches Statement bringt. Der pedantische Jurist hat in der Medienwelt von heute einen schweren Stand, weil seine wohlgesetzten, vorsichtigen Worte nur zu schnell als Ausflüchte interpretiert werden.
„Bei Gerichtsverfahren gehört es zu den strategischen Zielen der Medien, die Geschichte neben dem Rechtsfall aufzudecken.“
Damit es gar nicht erst zum Krisenfall kommt, ist börsennotierten Unternehmen durch Compliance-Vorschriften ein Regelwerk auferlegt, das Fehlverhalten möglichst ausschließen soll. Nehmen Sie dieses unbedingt ernst: Verstöße können weit reichende Sanktionen bewirken. So drohen neben Geldbußen auch der Ausschluss von Ausschreibungen, das Abwandern von Kunden und Partnern und ein schlechter Ruf auf dem Personalmarkt. Glauben Sie nicht, durch großflächige Anzeigen die moralische Integrität Ihres Unternehmens stärken zu können: In der Öffentlichkeit hat solch plakativer „PR-Kitsch“ zumeist die gegenteilige Wirkung – man glaubt Ihnen nun gar nichts mehr.
Compliance muss gelebt werden
Bislang sind Compliance-Regeln und Unternehmenskultur noch vollkommen getrennt. Das liegt zumeist daran, dass Compliance-Systeme zu komplex sind, zu aufgesetzt wirken und nicht leicht verständlich formuliert werden. Auch hier sollten Kommunikatoren und Juristen Hand in Hand arbeiten. Wenn nicht jeder Mitarbeiter auf Anhieb versteht, was erlaubt und was verboten ist, lädt das System zum Missbrauch ein, denn dann wird es schon aus Bequemlichkeit ignoriert. Statten Sie Ihren Compliance-Beauftragten deshalb mit umfassenden Befugnissen aus. Zugleich müssen Sie alles dafür tun, dass der Compliance-Officer nicht als Werkspolizist, sondern als Ratgeber angesehen wird. Besonders wichtig: Alle Regeln helfen nicht, wenn die Kultur in Ihrem Unternehmen nicht stimmt – und die kann nur das Topmanagement vorleben.