Zwei für alle Fälle

Buch Zwei für alle Fälle

Handbuch zur optimalen Zusammenarbeit von Juristen und Kommunikatoren

Frankfurter Allgemeine Buch,


Rezension

Recht haben und Recht bekommen ist bekanntlich zweierlei. Dass aber auch im Gerichtssaal und in der Öffentlichkeit zweierlei Recht gesprochen werden kann, hat sich bei vielen Unternehmen noch nicht herumge­sprochen. Dieses Kompendium von Fachbeiträgen fokussiert auf den Schnittpunkt von Öffentlichkeit­sar­beit und Ju­rispru­denz. In der Regel sind Handbücher, die von einem guten Dutzend Experten geschrieben wurden, eher mühsam zu lesen. Nicht in diesem Fall: Die Texte kommen einheitlich daher und sind stilistisch wie fachlich auf hohem Niveau. Lediglich ein paar inhaltliche Redundanzen hätten sich vermeiden lassen. Während sich die meisten Beiträge mit so genannter Litigation- und Krisen-PR beschäftigen, werden im Rest des Buches die Themen Corporate Governance und Compliance angerissen. BooksInShort empfiehlt das Handbuch allen Press­esprech­ern, Justiziaren und Führungskräften, die mehr über er­fol­gre­iche Rechts-PR wissen möchten.

Take-aways

  • In vielen Unternehmen arbeiten Rechts- und Kom­mu­nika­tion­sex­perten gegeneinan­der statt miteinander.
  • Während Juristen dazu neigen, Kom­mu­nika­tion zu blockieren, gelten Kom­mu­nika­toren als geschwätzig.
  • Im In­ter­net­zeital­ter ist eine harmonische Zusam­me­nar­beit der beiden Seiten lebenswichtig.
  • Über soziale Medien oder Blogs können rufschädigende Nachrichten über Ihr Unternehmen in die Welt gesetzt werden, auf die umgehend zu reagieren ist.
  • Bedenken Sie, dass bei Gerichtsver­fahren vieles an die Öffentlichkeit kommen kann, was Sie erst recht in Misskredit bringt.
  • Nicht nur in den USA, sondern auch bei uns werden Prozesse heutzutage von den Medien sehr aufmerksam verfolgt.
  • Viele Gericht­sre­porter verstehen die ju­ris­tis­chen Feinheiten nicht und arbeiten unter hohem Druck.
  • Oft verbreiten Tippgeber Falschin­for­ma­tio­nen über die Prozess­geg­ner.
  • Der Grundsatz „Nichts zugeben, nichts sagen“ mag vor Ermittlern ausreichen – vor den Medien bringt das sofort Minuspunkte.
  • Wer vor Gericht verliert, kann durch kluge Kom­mu­nika­tion in der Öffentlichkeit dennoch als Sieger dastehen.
 

Zusammenfassung

Hund und Katz im Unternehmen

Kom­mu­nika­tions- und Rechtsabteilung sind in Unternehmen oft wie Hund und Katz. Während viele Justiziare der Ansicht sind, die Öffentlichkeit­sar­beit quassle zu früh und zu viel, werfen die Kom­mu­nika­toren ihren rechts­gelehrten Kollegen vor, am liebsten alles zum Be­trieb­s­ge­heim­nis erklären zu wollen. Diese gegen­seit­ige Abneigung muss nicht sein. Sind beide Abteilungen mit den Prinzipien und der Ar­beitsweise der jeweiligen Kollegen vertraut und diesen Kollegen part­ner­schaftlich verbunden, können sie perfekt zusammen agieren. Das ist auch wünschenswert, denn ein har­monis­ches Vorgehen dieser beiden Disziplinen in der Un­ternehmen­spoli­tik wird immer wichtiger.

Lit­i­ga­tion-PR

Die so genannte Lit­i­ga­tion-PR ist heute ein un­verzicht­bares Instrument der Öffentlichkeit­sar­beit. Entstanden ist diese Form der PR, die auf ju­ris­tis­chen Au­seinan­der­set­zun­gen aufbaut und den Rechtsstreit vor dem oder im Gerichtssaal durch parallele externe Kom­mu­nika­tion begleitet, in den USA. Heute häufen sich auch bei uns die Beispiele, in denen pro­fes­sionelle Kom­mu­nika­toren flankierend zur Para­grafen­schlacht das Gefecht um die öffentliche Wahrnehmung austragen. Das Verfahren gegen den Klat­ten-Er­presser oder der Kachel­mann-Prozess sind spektakuläre Beispiele.

„Die Spezial­is­ten des Rechts und der Kom­mu­nika­tion gehören zu den wichtigsten Helfern des Managements.“

Ein Sieg vor Gericht kann plötzlich sehr fraglich werden, wenn die Gegenseite parallel die öffentliche Meinung für sich gewinnt und Stimmung gegen Sie macht. Mit sozialen Netzwerken, Blogs und anderen neuen Medien kann unerwartet über Nacht und ohne Kriegserklärung ein Feldzug gegen Sie eröffnet werden. Mysteriöse „Me­di­en­ber­ater“ und „Spin-Dok­toren“ füttern Jour­nal­is­ten mit belastendem Material oder betätigen sich als „Nebelwerfer“. So genannte „Kom­mu­nika­tion­sprofis“ wirken als Desin­for­ma­tion­sprofis, während echte Jour­nal­is­ten ins Hin­tertr­e­f­fen geraten. Vertrauen Sie nicht darauf, dass die Wahrheit von selbst ans Licht kommt. Ein Unternehmen, das aggressiv Lit­i­ga­tion-PR betreibt, kann vor Gericht – vielleicht sogar zu Recht – verlieren, in der Öffentlichkeit sieht die Sache ganz anders aus. Wichtig ist deshalb vor allem eine gründliche Planung der PR-Aktivitäten, denen eine Kom­mu­nika­tion­sstrate­gie zugrunde liegen sollte.

Neg­a­tivbeispiel AWD gegen NDR

Wie man es besser nicht macht, zeigt das Beispiel AWD gegen NDR: Eine Reportage über AWD-Chef Carsten Maschmeyer rückte diesen in ein schlechtes Licht. Den Vorstand des Fi­nanz­di­en­stleis­ters muss das so verärgert haben, dass er eine weitere Ausstrahlung des Beitrags juristisch zu verhindern versuchte. Die Kampagne bewirkte genau das Gegenteil: Sämtliche Medien berichteten genüsslich darüber, in zahlreichen Verfahren wurde Maschmeyers Name in negativem Zusam­men­hang genannt. Am Ende war sein Image stärker beschädigt, als wenn er nach der Sendung Stillschweigen bewahrt hätte. Er wurde offenbar schlecht beraten.

Jour­nal­is­ten und Juristen unter Druck

Die USA sind ein fruchtbarer Boden für Rechtsstre­it­igkeiten. Die Streitwerte sind riesig, die Anwälte extrem klage­freudig und die Geschwore­nen­gerichte mit lustlosen Laien als Besetzung äußerst leicht bee­in­fluss­bar. Zudem sind in den USA Akten – mit allen darin enthaltenen Pein­lichkeiten – öffentlich einsehbar. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist das zum Glück anders. Doch wiegen Sie sich nicht in Sicherheit: Auch hierzulande nimmt das öffentliche Interesse an Rechts­fra­gen zu, zusätzlich befeuert durch den wachsenden Wettbewerb der Medien. Dazu kommt, dass immer weniger pro­fes­sionelle Gericht­sre­porter das Feld beackern, stattdessen werden oft juristische Laien zu Prozessen geschickt, die Tippgebern unkritisch vertrauen.

„Das pub­lizis­tis­che Interesse an Rechts­fra­gen und Rechtsstre­it­igkeiten nimmt zu.“

Zeitdruck bewirkt in vielen Fällen, dass Jour­nal­is­ten In­for­ma­tio­nen einfach ungeprüft übernehmen. Und auch die Anwälte durchaus sehr nützlich und bringt neue Mandate. In Deutschland ist es Anwälten nicht verboten, Jour­nal­is­ten Einsicht in Akten zu gewähren. Wurde eine ver­leum­dende Nachricht erst einmal dig­i­tal­isiert, bleibt sie auf ewig im Internet. Noch ein Grund für Sie, sich mit Lit­i­ga­tion-PR zu befassen: Rechtsstreit ist reise­freudig. Sobald Ihr Unternehmen auch in den USA tätig ist, kann prinzipiell ein Verfahren gegen Sie in Amerika eröffnet werden – mit allem, was das dortige, sehr spezielle Rechtssys­tem zu bieten hat.

Neg­a­tivbeispiel Greenpeace gegen Nestlé

Greenpeace beherrscht das Spiel mit der öffentlichen Empörung zulasten von Unternehmen brillant. Nach legendären Aktionen wie der Brent-Spar-Kam­pagne gegen Shell, in der die Umweltschützer viel Falsches behaupteten, der Ölgigant sich jedoch nicht in Deckung bringen konnte, zeigte auch die Kampagne gegen Nestlé, wie man als ange­grif­f­enes Unternehmen ins Hin­tertr­e­f­fen gerät: Greenpeace warf dem Nahrungsmit­telkonz­ern vor, durch großflächige Ölpal­men­plan­ta­gen den Lebensraum der Orang-Utans zu zerstören. Den Stein ins Rollen brachte ein YouTube-Clip, in dem sich ein Schoko­riegel in den Händen eines ah­nungslosen Konsumenten in einen blutigen Affenfinger verwandelt. Nestlé tat, was wohl jeder tun würde: Der Konzern versuchte, den Spot zu verbieten. Doch natürlich verbreitete der sich nun erst recht quer durchs Internet. Die Wahrheit – falls es eine solche gab oder gibt – spielte nun gar keine Rolle mehr.

„Gerade bei Produktrückrufen in besonders sensiblen Bereichen können juristisch korrekte For­mulierun­gen in ihrer Tonalität für potenziell oder tatsächlich betroffene Konsumenten Angst einflößende, ja dramatische Wirkung entfalten.“

Wenn Sie in eine solche Situation geraten, müssen Sie wissen, was Sie wollen: klagen oder ertragen? Bedenken Sie: Oftmals kommen unbequeme Wahrheiten erst ans Licht, wenn sie vor Gericht zu Protokoll gegeben werden. Von dort verbreiten sie sich blitzschnell – wie alles, was einen Neuigkeitswert hat. Die großen Skandale nehmen heute zumeist im Internet ihren Anfang. Für Sie heißt das: Ihre Kom­mu­nika­toren und Juristen sollten jederzeit auf einen Angriff aus dem Hinterhalt gefasst sein. Im angelsächsischen Raum wird inzwischen ein möglicher Rufschaden im Zuge eines Verfahrens höher gehandelt als eine juristische Niederlage – ein Grund, warum dort zunehmend Vergleiche aus­ge­han­delt werden. Denn bei Lit­i­ga­tion-PR ist der Streitwert nicht vom Gesetzbuch festgelegt, sondern im Prinzip unbegrenzt. Im schlimmsten Fall schlägt sich ein Streit brutal in Ihrem Börsenwert nieder.

Regeln für den Umgang mit Medien

Lit­i­ga­tion-PR ist letztlich nichts anderes als eine spezielle Form von Krisen-PR. Sie müssen also nicht hektisch nach einschlägigen Fachleuten suchen – zumal sich hier viele selbst ernannte Experten tummeln, die meist nur auf der Trendwelle reiten und überteuert sind. Einige Methoden sollten Sie sich von vornherein verkneifen:

  • Versuchen Sie nicht, mit Jour­nal­is­ten zu spielen; versorgen Sie alle gleichermaßen mit In­for­ma­tio­nen, sonst kann einer schnell beleidigt sein und Ihnen schaden.
  • Wenn Sie Jour­nal­is­ten mit schwerem Geschütz drohen, führt das er­fahrungs­gemäß zu kollektiver Abwehr vieler oder gar aller Medien gegen Sie.
  • Wehren Sie sich zu heftig gegen unfaire Anwürfe, kann das den Mediensturm erst so richtig entfachen. Und plötzlich findet man wirklich was gegen Sie.
  • „Kein Kommentar“ bringt nichts – dann fragt der Reporter eben Ihren schärfsten Konkur­renten. Seien Sie froh, wenn man Sie fragt, dann kommt Ihre Sicht der Dinge zur Sprache.
  • Ihre PR darf nicht zu penetrant und aufgeblasen sein. Eine zu große Diskrepanz zwischen Selb­st­darstel­lung und Fakten wirkt unglaubwürdig und gefährdet den Ausgang.
  • Verkneifen Sie es sich, die Kompetenz von Richtern oder Anwälten anzugreifen – das geht garantiert nach hinten los.
  • Hüten Sie sich vor Eitelkeit. Sie begegnet Ihnen in Gestalt von profilsüchtigen Juristen ebenso wie Jour­nal­is­ten – und natürlich auch bei Ihnen selbst.
  • Jour­nal­is­ten wollen nur eine Story: Je mehr sich Ihr Fall in die Länge ziehen lässt, desto größer ist das Interesse.
  • Kom­mu­nika­tion kann nachträglich justiziabel werden. Billigen Sie daher der Rechtsabteilung stets ein Vetorecht für Vor­stand­sz­i­tate zu.
„Die Wirkung einer Selb­stin­sze­nierung von den Inhalten und Werten zu trennen, die die agierende Person jetzt und in Zukunft imstande ist, glaubwürdig zu leben und zu vermitteln, ist immer ein höchst gefährliches Spiel.“

In einer aktuellen Studie wurden neben Rechtsanwälten knapp 670 Richter und Staatsanwälte in Deutschland zur Wirkung von Lit­i­ga­tion-PR befragt. Sie vertraten mehrheitlich die Ansicht, dass diese Form von Öffentlichkeit­sar­beit keinerlei Bedeutung für das Urteil, wohl aber für das Strafmaß habe. Anders als in den Vereinigten Staaten, wo Lit­i­ga­tion-PR das Urteil aktiv zu bee­in­flussen versucht, wird in Deutschland deren Ziel eher darin gesehen, flankierend den Ruf eines Prozessteil­nehmers zu schützen. Pressear­beit wird von Juristen im Staats­di­enst ebenso wie von Rechtsanwälten als sehr wichtig angesehen, doch mehr als zwei Drittel der Befragten halten sich nicht für ausreichend qual­i­fiziert, diese Aufgabe wahrzunehmen.

Transparenz ist die beste Waffe

Die schärfste Waffe im Krieg gegen eine feindselige Öffentlichkeit ist der unbekümmerte und welt­ge­wandte Umgang mit Vorwürfen und Problemen. Schon formal sind börsen­notierte Unternehmen zur Transparenz verpflichtet. Das heißt nicht, dass es keine Geheimnisse geben darf, doch im Krisenfall muss alles ange­sprochen und aufgear­beitet werden. Tun Sie es nicht, tun es Ihre Gegner und die „Enthüllungsme­dien“. Ihr Ziel muss vor allem sein, bei Partnern und An­teil­seign­ern den Eindruck zu vermeiden, das Management hätte von vornherein etwas falsch gemacht. Verlieren Sie keine Zeit: Auch wenn Sie rein juristisch noch warten dürften, weil nichts nachweisbar ist, weil der Fall erst untersucht werden muss oder die Behörden noch ermitteln – einer zu Recht oder zu Unrecht besorgten Öffentlichkeit kann man das meistens kaum beibringen. Der Grundsatz „Nichts zugeben, nichts sagen“ mag vor Ermittlern ausreichen, vor den Medien bringt das sofort Minuspunkte. Die suchen sich dann jemand anderen, der etwas über Sie sagt. Vor Gericht gewinnt, wer durch Beweise und regelkon­formes Verhalten überzeugt. Vor der Presse gewinnt, wer schnell ein ver­w­ert­bares, gut verständliches Statement bringt. Der pedantische Jurist hat in der Medienwelt von heute einen schweren Stand, weil seine wohlge­set­zten, vor­sichti­gen Worte nur zu schnell als Ausflüchte in­ter­pretiert werden.

„Bei Gerichtsver­fahren gehört es zu den strate­gis­chen Zielen der Medien, die Geschichte neben dem Rechtsfall aufzudecken.“

Damit es gar nicht erst zum Krisenfall kommt, ist börsen­notierten Unternehmen durch Com­pli­ance-Vorschriften ein Regelwerk auferlegt, das Fehlver­hal­ten möglichst ausschließen soll. Nehmen Sie dieses unbedingt ernst: Verstöße können weit reichende Sanktionen bewirken. So drohen neben Geldbußen auch der Ausschluss von Auss­chrei­bun­gen, das Abwandern von Kunden und Partnern und ein schlechter Ruf auf dem Per­sonal­markt. Glauben Sie nicht, durch großflächige Anzeigen die moralische Integrität Ihres Un­ternehmens stärken zu können: In der Öffentlichkeit hat solch plakativer „PR-Kitsch“ zumeist die gegen­teilige Wirkung – man glaubt Ihnen nun gar nichts mehr.

Compliance muss gelebt werden

Bislang sind Com­pli­ance-Regeln und Un­ternehmen­skul­tur noch vollkommen getrennt. Das liegt zumeist daran, dass Com­pli­ance-Sys­teme zu komplex sind, zu aufgesetzt wirken und nicht leicht verständlich formuliert werden. Auch hier sollten Kom­mu­nika­toren und Juristen Hand in Hand arbeiten. Wenn nicht jeder Mitarbeiter auf Anhieb versteht, was erlaubt und was verboten ist, lädt das System zum Missbrauch ein, denn dann wird es schon aus Be­quem­lichkeit ignoriert. Statten Sie Ihren Com­pli­ance-Beauf­tragten deshalb mit umfassenden Befugnissen aus. Zugleich müssen Sie alles dafür tun, dass der Com­pli­ance-Of­fi­cer nicht als Werk­spolizist, sondern als Ratgeber angesehen wird. Besonders wichtig: Alle Regeln helfen nicht, wenn die Kultur in Ihrem Unternehmen nicht stimmt – und die kann nur das Top­man­age­ment vorleben.

Über die Autoren

Hartwin Möhrle ist ehemaliger Journalist sowie geschäftsführender Gesellschafter und Mitbegründer der Kom­mu­nika­tion­sagen­tur A&B One. Knut Schulte ist Recht­san­walt und hat sich als Partner der Kanzlei Beiten Burkhardt u. a. auf die Prozessführung für Unternehmen spezial­isiert.