Bevölkerung und politisches System
Indien ist mit 1,2 Milliarden Menschen nach China der zweitbevölkerungsreichste Staat der Erde. Es gibt 36 Städte mit jeweils mehr als 1 Million Einwohnern, und alle wachsen rasant. Allein im Ballungsraum Mumbai leben 20 Millionen Menschen. Noch sind die Stadtbewohner mit 27 % der Gesamtbevölkerung eine Minderheit, doch die Landflucht nimmt zu. So schätzt die UNO, dass die Zahl der Stadtbewohner sich in den kommenden 20 Jahren verdreifachen wird.
„Während China zur ‚Fabrik der Welt‘ avancierte, entwickelte sich Indien immer mehr zum Labor und Büro der Welt.“
Am 15. August 1947 endete die fast 350-jährige britische Kolonialherrschaft. Maßgeblichen Anteil an der Unabhängigheit hatte Mahatma Gandhi, der ab den 1930er Jahren zu friedlichen Prosteten gegen die britische Besatzer aufgerufen hatte. Die 1950 verabschiedete Verfassung ist die Basis einer vielfältigen Parteienlandschaft.
Außenpolitik und Rechtssystem
Indien pflegte jahrzehntelang enge Beziehungen zur Sowjetunion. Der Verbündete im Norden lieferte Waffen, Maschinen, Öl und Gas. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks verbesserten sich die Beziehungen Indiens zu den USA. Washington betrachtet Indien mehr und mehr als Gegengewicht zu China. Problematisch ist Indiens Verhältnis zu Pakistan. Als 2001 pakistanische Terroristen einen Anschlag auf das indische Parlament verübten, standen die beiden Atommächte kurz vor einem Krieg. Immer wieder sorgen Anschläge für neue Spannungen. Traditionell gut sind dagegen die Beziehungen zu Deutschland.
„Nirgendwo sonst auf der Welt liegen Reichtum und Armut, High-Tech-Parks und Slums, Spitzenforschung und Analphabetismus so nah beieinander wie hier.“
Indiens Justiz genießt einen guten Ruf. Oberster Gerichtshof ist der Supreme Court in New Delhi mit 26 Richtern. Das Rechtssystem basiert auf dem Common Law, stützt sich also stark auf die Urteile hoher Gerichte in Präzedenzfällen. Wirtschaftsrechtlich ist Indien ein liberales Land; die Investoren werden geschützt. So werden beispielsweise Verletzungen intellektueller Eigentumsrechte geahndet und sind vergleichsweise selten. Das hängt damit zusammen, dass indische Softwarehäuser wie Wipro oder Infosys selbst großes Interesse am Urheberrechtsschutz haben. Problematisch sind hingegen die chronische Überlastung indischer Gerichte, die Bürokratie, die damit verbundenen langen Entscheidungswege sowie die grassierende Korruption.
Wirtschaftliche Entwicklung seit 1991
Nach dem Zerfall des Ostblocks musste Premierminister P. V. Narasimha Rao einen Kurswechsel einleiten. Er engagierte den in den USA lebenden Ökonomen Jagdish Bhagwati sowie den Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen, um sich bei der Öffnung der Wirtschaft beraten zu lassen. Subventionen, Importquoten und Zölle wurden aufgehoben, Staatsunternehmen privatisiert. Die Rupie wurde um 20 % abgewertet; ausländische Direktinvestitionen folgten. Diese Reformen wirken bis heute. Zwischen den Jahren 1991 und 2009 wuchs die Wirtschaft um 6,3 %; auch während der Finanzkrise gingen die Wachstumsraten nur leicht zurück. Goldman Sachs prognostiziert, dass Indien im Jahr 2032 Japan überholen und nach den USA sowie China die drittgrößte Volkswirtschaft sein wird. Besonders stark expandiert der Dienstleistungssektor, was auf die boomende IT-Branche zurückzuführen ist. Der einstmals wichtigste Wirtschaftszweig, die Landwirtschaft, verliert an Bedeutung; ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt sank zwischen den Jahren 1990 und 2009 von 32 auf 17 %. Klarer Gewinner der Liberalisierung ist die Mittelschicht, zu der 250–300 Millionen Menschen zählen. Der Mittelschicht angehörige Arbeitnehmer verdienen zwischen 1000 und 4000 $. Trotzdem ist Armut immer noch weit verbreitet: 42 % der Bevölkerung müssen mit weniger als 1,25 $ am Tag auskommen.
Bevorzugte Wirtschaftsregionen
Zu den wichtigsten wirtschaftlichen Ballungszentren gehört mit fast 12 Millionen Einwohnern Delhi (inkl. der indischen Hauptstadt New Delhi als Verwaltungszentrum) – nach Mumbai die zweitgrößte Stadt des Landes. Delhi ist eine grüne Metropole mit wenig Slums im Vergleich zu Mumbai, allerdings lässt die Infrastruktur zu wünschen übrig: Der Flughafen ist zu klein, die Straßen sind verstopft, täglich kommt es zu Stromausfällen. Mumbai (bis 1995 Bombay) ist mit 13,9 Millionen Menschen eine der bevölkerungsreichsten Städte der Welt. Sie gehört zum wirtschaftlich bedeutendsten Bundesstaat Maharashtra, der im Westen des Subkontinents liegt. Die meisten ausländischen Firmen sind hier vertreten. Wegen Mumbais Halbinsellage ist die Einwohnerdichte extrem hoch; 5,5 Millionen Menschen leben in Slums. Bengaluru (bis 1996 Bangalore) wiederum liegt im Bundesstaat Karnataka (Südwesten), 900 Meter über Meer, mit entsprechend angenehmen Temperaturen. 5,3 Millionen Menschen leben hier. Bengaluru ist unter wohlhabenden Indern als Altersruhesitz beliebt, bildet gleichzeitig aber auch das Zentrum der indischen Luft- und Raumfahrt sowie der IT-Industrie. Das Herz der Automobilindustrie ist Chennai (bis 1996 Madras) im südöstlichen Bundesstaat Tamil Nadu. Dieser Teil Indiens ist besonders reich an Bodenschätzen.
Boomende Branchen
Die indische Boombranche Nummer eins ist die IT-Industrie. Die meisten Firmen haben sich in Bengaluru niedergelassen, welches auch als indisches Silicon Valley bezeichnet wird. 2,3 Millionen Inder sind in der Branche tätig, die 6,1 % des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Der Löwenanteil der Hard- und Software wird allerdings exportiert, was an der geringen inländischen Nachfrage liegt. Computer und Internetanschlüsse sind noch nicht weit verbreitet. 2009 besaßen bloß 85 Millionen Inder einen PC bzw. 60 Millionen einen Internetanschluss. Marktführer ist Tata Consultancy Services, das zur Tata Group gehört. Eines der größten Probleme indischer IT-Firmen ist die Mitarbeiterfluktuation. Bis zu 40 % der Mitarbeiter verlassen jedes Jahr die Unternehmen wieder. Der Grund: zu wenige hochqualifizierte IT-Fachkräfte und ein entsprechend harter Wettbewerb um High Potentials.
„Der Erfolg der IT-Industrie ist ein zentraler Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung Indiens nach der Öffnung des Landes im Jahre 1991.“
In den vergangenen Jahren rückten die Sektoren Automobil, Pharma, Biotech und Einzelhandel in den Blickpunkt. Bei der Mobilität hat Indien Nachholbedarf: In Deutschland kommen auf 1000 Einwohner rund 500 Autos, in Indien sind es nur elf. Die 500 000 Beschäftigten in der Pharmaindustrie setzten im Fiskaljahr 2008/09 rund 19 Milliarden Dollar um. Trotz gewaltiger Produktionsvolumen ist die Pharmabranche aufgrund der geringen Medikamentenpreise nicht so attraktiv – die Margen sind längst nicht so hoch wie z. B. in Europa. Ein wichtiger Absatzmarkt ist Indien für deutsche Maschinenbauer; immerhin 17 % der importierten Maschinen stammen aus Deutschland. Die höchsten Zuwachsraten verzeichnen Nahrungsmittel-, Verpackungs-, Holzbearbeitungs- und Baumaschinen sowie die Fördertechnik. Nach China und Japan ist Indien der drittgrößte Einzelhandelsmarkt in Asien mit einem Marktvolumen von zuletzt 546 Milliarden Dollar.
Marktbearbeitungsstrategien
Niedrige Lohnkosten und ein hoher Bildungsstandard von Wissenschaftlern machen Indien als Standort für Forschung & Entwicklung attraktiv. Immer mehr US-Unternehmen verlagern einen Teil ihrer F&E-Abteilungen nach Indien, darunter Yahoo, Google, Cisco, Dupont, Dell, IBM und Microsoft. Einer Studie zufolge belegt Indien nach China und den USA den dritten Platz bei Investoren für F&E-Kooperationen. Ein großer Vorteil sind die guten Englischkenntnisse der Wissenschaftler. Als Beschaffungsmarkt hat Indien dank der niedrigen Lohnkosten ebenfalls Vorzüge. Nachteile sind die mangelnde Transportinfrastruktur und die hohen Logistikkosten, die durch die heftigen Regenfälle mitverursacht werden.
„Erschwert und immer wieder verzögert werden die erforderlichen Großprojekte durch die ausgeprägte Bürokratie und Korruption.“
Indien hat weiterhin niedrige Arbeitskosten. Gerade bei arbeitsintensiven Wertschöpfungsprozessen kann sich die Produktionsverlagerung auszahlen. Berücksichtigen Sie aber auch die oft unzureichende Energieversorgung und die Anlaufschwierigkeiten, die das Personal aufgrund geringer Qualifikation haben wird. Was sich lohnen kann, ist die Einfuhr zeitgemäßer Produktionstechnologie. In Indien werden oft alte, längst amortisierte Maschinen weiterbenutzt – wer sich hier von der Masse abheben kann, hat einen Wettbewerbsvorteil.
„Viele ausländische Unternehmungen setzten Verhaltenskodizes ein. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich hinduistische Vorstellungen ethischen Verhaltens deutlich von denjenigen des Westens unterscheiden.“
Mit Blick auf das Marketing ist es wichtig zu wissen, dass das Pro-Kopf-Einkommen im Vergleich zu den westlichen Industriestaaten sehr niedrig ist. Indische Haushalte geben im Schnitt mehr als 50 % ihres Einkommens für Lebensmittel aus, in der EU liegt dieser Anteil bei 12 %. Auch sind die Essgewohnheiten zu berücksichtigen: Hindus essen kein Rindfleisch, Moslems kein Schweinefleisch. Einen großen Einfluss auf das Konsumverhalten haben darüber hinaus die religiösen Feiertage.
Personalmanagementsystem
Jeder vierte Mensch unter 24 Jahren lebt in Indien. Ab dem Jahr 2020 streben 18 Millionen Menschen jährlich auf den indischen Arbeitsmarkt. Die Qualifikationen könnten kaum unterschiedlicher sein: Hohe Standards, vergleichbar mit den Abschlüssen westlicher Elitehochschulen, haben Absolventen der Indian Institutes of Technology und der Indian Institutes of Management – gleichzeitig sind 35 % der Bevölkerung Analphabeten. Ein üblicher Weg der Personalbeschaffung sind Stellenanzeigen, des Weiteren helfen Arbeitsämter, Personalmessen, private Personalvermittler und Rekrutierung auf dem Campus. Das Entgelt setzt sich zusammen aus einem Basislohn, einer Zulage, die an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten gekoppelt ist, und Boni. Das Renten- und Sozialversicherungssystem ist rudimentär. Gleichwohl haben die Unternehmen eine starke Fürsorgepflicht. Üblich ist ein stark hierarchieorientierter Führungsstil; man sieht die Firma als Großfamilie mit einem Patriarchen, der streng, fordernd, autoritär, aber auch fürsorglich agiert. Teamarbeit lässt sich in diesem System kaum umsetzen.
Zehn Erfolgsfaktoren für Firmen in Indien
Wer in Indien erfolgreich sein will, muss sich mit den dortigen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Folgende zehn Erfolgsfaktoren müssen Sie berücksichtigen:
- Analysieren Sie die geografischen, wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen. Berücksichtigen Sie die extreme Heterogenität des Landes.
- Wichtig ist die Standortwahl. Günstige Bedingungen bieten das Ballungszentrum der Hauptstadt sowie die Bundesstaaten Maharashtra, Gujarat, Karnataka, Andhra Pradesh und Tamil Nadu.
- Die Liberalisierung der Wirtschaft ist je nach Branche unterschiedlich. So ist der IT-Markt weitgehend geöffnet, während Banken und Einzelhandel stark reguliert sind.
- Bei Übernahmen und Kooperationen ist die Partnerwahl entscheidend. Sammeln Sie Erfahrungen mit potenziellen Partnern und bauen Sie Vertrauen auf.
- Wer Kooperationen eingeht, sollte Klauseln für Interessenkonflikte vereinbaren – für den Fall, dass eine Partnerschaft um weitere Firmen erweitert wird. Sinnvoll sind ebenfalls Vereinbarungen zur Beendigung eines Joint Ventures.
- Aufgrund der mangelhaften Infrastruktur und wegen Qualitätsproblemen ist es wichtig, ein Konzept für Beschaffung und Logistik zu haben, ebenso eines für die Weiterbildung.
- Wegen der starken Marktsegmentierung ist ein differenziertes Marketing ratsam. Beachten Sie die demografischen, regionalen und ökonomischen Unterschiede.
- Legen Sie Wert auf gutes Personalmanagement. Der Kampf um Talente ist hart. Zahlen Sie Ihren Mitarbeitern mehr als indische Firmen, aber berücksichtigen Sie die örtlichen Gepflogenheiten.
- Public-Affairs-Management ist ein wichtiger Baustein. Pflegen Sie enge Kontakte zu Interessengruppen. Setzen Sie auf Lobbyarbeit.
- Ethische Herausforderungen sind zu bewältigen. Beispiele sind Korruption und Kinderarbeit. Führen Sie einen Verhaltenskodex ein.